Читать книгу Zweifel an der Kultur - Reinhard Matern - Страница 7

05 Rom im Flaschenhals

Оглавление

Worte Kultur hätten mit dem Untergang des römischen Reiches relativ leicht entbehrlich werden können, wenn nicht auch die Bildung betroffen gewesen wäre, die Pflege des menschlichen Geistes. Bezüge auf Riten und Landwirtschaft hätten nicht ausgereicht, um Worte Kultur für das lateinische Mittelalter interessant zu halten, um schließlich über das Latein in andere Sprachen zu gelangen.

Ein sachlicher Zusammenhang zwischen Riten und Landwirtschaft im frühen Rom lässt sich leider nur vermuten. Mehr als Legenden sind über Numa Pompilius (Wikipedia) und seine formalistische Religionsordnung nicht zu finden. Cicero bietet eine knappe Skizze, die auf Legenden beruht, aber historisch sachlich orientiert bleibt: Numa lenkte seiner Interpretation nach die Römer von kriegerischen Gewohnheiten hin zur Bestellung der Felder und zur Religion (Republica). Die besondere Betonung des eingekehrten Friedens, den er noch durch die Worte Menschlichkeit, Gottesfurcht und Sanftheit erläutert, darf allerdings nicht als präferiertes gesellschaftsbezogenes Bild von Kultur interpretiert werden. Einen dazu passenden Kulturbegriff gab es nicht. Nach Cicero wurde durch Numa eine Hinwendung zu Religion und Landwirtschaft vollzogen.

Götterbildnisse und Mythen gehörten nicht zur frühen römischen Religion. Diese sind erst später, vor allem durch griechischen Einfluss adaptiert worden Unbekannt ist, ob etwas - und gegebenenfalls was - durch Numas Wirken verdrängt wurde. Dass aber das Gedeihen von Flora und Fauna dem Glauben nach von den bilderlosen Göttern abhing, von der Durchführung und Einhaltung der Riten, kann angenommen werden. Da aber alle Lebensbereiche der Menschen durch Götter geregelt wurden, reicht die Anführung jenes sachlichen Zusammenhangs zwischen Religion und Landwirtschaft für eine Erläuterung nicht aus.

Sprachlich war die frühe Kultur nicht den Menschen zugeordnet, sondern den Göttern, als Dienst an den Göttern, den landwirtschaftlichen Innovationen, als Pflege an den oder als Eigenschaften der Pflanzen und Tiere. Menschlich wurde Kultur erst durch den Einbezug der Bildung: Cicero verglich die Acker mit dem menschlichen Geist, spricht in Bezug auf diesen Geist von cultura animi und führte die Philosophie als geeignete Beschäftigung an (Tusculanae disputationes). Unbekannt ist, ob cultura animi bereits umgangssprachlich üblich war. Überliefert ist die Formulierung ausschließlich von Cicero. Bevor jedoch auch Menschen individuell Kultur haben konnten, war sie den Göttern und den landwirtschaftlichen Innovationen vorbehalten. Man kann aufgrund der Wortformen den Eindruck gewinnen, dass die Innovationen ihrerseits als Ergebnis göttlichen Wirkens galten. Wie es sich tatsächlich zugetragen hat, bleibt aufgrund der zugänglichen Quellen jedoch offen.

Für die weitere Entwicklung ist Ciceros Einfluss auf das Sprachverhalten kaum zu überschätzen. Nicht was sich geschichtlich zugetragen hat, nur was überliefert wurde, konnte als Grundlage dienen. Im Mittelalter wurden die alten Schriften durch die Klöster weitergetragen, Neuerungen in Bezug auf Kultur gab es aber nicht. Erst in der Renaissance und der Aufklärung entstanden Konzepte, die sich wieder dem Leben der Menschen zuwandten.

Die mittelalterliche Beschränkung im Hinblick auf Kultur wird jedoch nicht stets zur Kenntnis genommen, nicht einmal von Theologen. Brian Horne formuliert unumwunden: „Das Jahr 1265 gehört zu den bedeutendsten Daten der europäischen Kulturgeschichte; denn in diesem Jahr wurde einer der größten Dichter Europas, nämlich Dante Alighieri in Florenz geboren.“ Wie selbstverständlich gibt es seinen Worten nach eine Geschichte, in der es offenkundig egal ist, ob und was als Kultur galt. Wie könnte man ein solches ahistorisch historisches Vorgehen bezeichen?

Zweifel an der Kultur

Подняться наверх