Читать книгу Grüße von Charon - Reinhold Vollbom - Страница 6
Unerwarteter Besuch
Оглавление»Du unverbesserlicher Taugenichts«, schimpfte Melanie Fiebig vor sich hin. Die Worte waren an ihren Freund Marko gerichtet. Da dieser nicht anwesend war, konnte er die vielen Verwünschungen seiner Freundin nicht hören.
Ein weiteres Mal fühlte sich Melanie von Marko im Stich gelassen. Es wurde Zeit die Freundschaft zu beenden, fand sie. Das konnte allerdings nicht problemlos geschehen. Denn ihr Freund und sie waren ein eingespieltes Team. Zumindest beim Abschöpfen verfügbaren Reichtums. So jedenfalls drückte sich Melanie aus, wenn in einer Villa ein prall gefüllter Tresor vorhanden war. Da, wo ihr Freund versagte, führte oft ihr Fingerspitzengefühl zum Erfolg. Als Team waren sie unschlagbar.
Vorrangig hatten die beiden es auf Bargeld und Schmuck in den Geldschränken gut betuchter Bewohner abgesehen. Und im überwiegenden Teil der Villen waren irgendwo Safes eingebaut. Ausgerechnet heute, am Sonntag, wo sich ihnen die Möglichkeit bot, einen sicheren Coup zu landen, da ließ Marko sie erneut sitzen. Ärgerlich.
Gestern Morgen, auf dem Markt, fasste sie den Entschluss in die exklusive Villa der Vogts einzusteigen. Marlene Vogt stand gern im Mittelpunkt des Geschehens. Auch auf dem Wochenmarkt. So war es für viele Vorbeieilende zu hören, dass ihr Wachhund überraschend gestorben sei, die neue Alarmanlage jedoch erst am Montag installiert werden konnte. »Herrje, und wenn nun übers Wochenende bei uns jemand einbricht?«, gab sie mit künstlicher Angst lautstark von sich. »Schließlich sind mein Gatte und ich von Sonntag bis Montagmorgen nicht zu Hause. Wissen Sie, wir sind auf einer für uns äußerst wichtigen Veranstaltung…«
Melanie Fiebig hatte bei diesen Worten ihr Obst eingepackt und schritt nun schlendernd an den anderen Ständen vorbei. Sie hatte genug gehört. Jedenfalls so viel, um bei den Vogts abzuschöpfen. Ein Schmunzeln konnte sie sich nicht verkneifen. Am nächsten Markttag würde Marlene Vogt bestimmt ein anderes Thema lautstark zum Besten geben. Der Einbruch, Sonntagnacht, in ihrer Villa …
Melanies Gesichtsausdruck verfinsterte sich. Sollte sie tatsächlich wegen des unzuverlässigen Marko auf diese günstige Gelegenheit verzichten? Nein! Ich muss es halt allein probieren, schoss es ihr durch den Kopf. Und wenn mir der Coup gelingt, werde ich zukünftig immer ohne ihn arbeiten. Ihr Entschluss stand außer Zweifel.
◊
Melanie Fiebig warf einen flüchtigen Blick auf Ihre Armbanduhr. Es war kurz vor Mitternacht. Vor ihr lag, wie ausgestorben, die Straße, an deren Ende sich das Haus vom Ehepaar Vogt befand.
Mit gleichmäßigen Schritten bewegte sie sich in Richtung der Villa. Ihre Turnschuhe verursachten nicht das geringste Geräusch. Die schwarze hautenge Hose und das gleichfarbige Sweatshirt, verliehen ihr etwas gespenstisch Schattenhaftes. Das schulterlange blonde Haar gab ihr, in dieser Aufmachung, noch mehr Ausstrahlung. Nur der schwarze Rucksack, in einer ihrer Hände, wollte nicht so recht zu der Erscheinung passen.
Nachdem sie das Gartentor der Villa erreicht hatte, verlangsamte sich ihr Gang. Nur nicht durch ein Tor gehen, hatte ihr Freund ihr immer wieder erklärt. Solche Dinger quietschen meist. Und Nachbarn haben ihre Ohren und Augen überall, wusste er zu berichten. Diese Vorsichtsmaßnahme berücksichtigte sie. Wenige Meter weiter blieb sie für einen kurzen Augenblick stehen. Sie vergewisserte sich nach allen Seiten, dass sie niemand beobachtete. Sofort darauf kletterte Melanie Fiebig flugs über den nicht hohen Gartenzaun. Niemals durch den Vordereingang. Auch das war ein fester Grundsatz ihres Freundes. Also begab sie sich zum hinteren Teil des Grundstückes.
Melanie spürte ihr Herz heftig Pochen, als sie den Saugnapf vorsichtig auf die Scheibe der Terrassentür drückte. Ein leises Sirren des Glasschneiders und gleich darauf öffnete sich die Tür. Der Lichtkegel ihrer Taschenlampe tanzte über die verschiedenen Möbelstücke. Sie musste sich zuerst einen genauen Überblick verschaffen. Der grelle Lichtpunkt tastete hüpfend den Innenraum ab. Hierbei sprang er von Bild zu Bild. Plötzlich hielt sie überrascht inne. Eines der Gemälde war wie eine Tür seitlich befestigt und stand aufgeschlagen von der Wand ab. Hinter dem Bild bemerkte sie eine angelehnte Stahltür: Der Wand-Safe. Mit wenigen Schritten begab sie sich darauf zu. Der Tresor war leer. Sie fluchte halblaut vor sich hin. Scheinbar wollten die Vogts auf Nummer sicher gehen, überlegte sie. Wahrscheinlich brachten sie das Geld für ein paar Tage zur Bank. Die geöffnete Safe-Tür sollte mögliche Einbrecher von der Sinnlosigkeit ihres Vorhabens überzeugen.
Der Lichtstrahl der Taschenlampe beleuchtete die Treppenstufen. Vielleicht ist im oberen Stockwerk Schmuck zu holen, hoffte sie. Im selben Augenblick, als sie die erste Stufe betrat, flammte mit einem Mal Licht auf.
Am oberen Ende der Treppe stand eine männliche Person im Schlafanzug und hielt eine Pistole auf sie gerichtet. »Besuch? Zu so später Stunde?!« Hämisch grinsend sah er die mit offenem Mund dastehende Einbrecherin an. Mit der Waffe gestikulierend, forderte er sie auf hochzukommen. »Was Sie um diese Uhrzeit bei mir zu suchen haben, muss ich wohl nicht fragen, nicht wahr?!« Der Bursche, mit dem braunen lockigen Haar, musterte die unerwartete Besucherin.
»Na los, rufen Sie die Polizei. Worauf warten Sie?« Melanie ärgerte sich. Nicht so sehr darüber, dass sie erwischt wurde, sondern, dass ihr erster allein ausgeführter Coup misslang.
»Was treibt eine hübsche Dame dazu, einem derart schrecklichen Gewerbe nachzugehen?« Der Braunlockige machte kein Geheimnis aus seiner Sympathie für Melanie.
Wären die Umstände anders gewesen, hätte sie dieses Wohlwollen sicherlich erwidert. »Starren Sie mich nicht so an. Ich habe Pech gehabt. Da steht das Telefon.«
»Nicht so eilig«, sprach er freundlich lächelnd. »Vielleicht können wir uns vorher noch ein wenig unterhalten, bis ich die Polizei rufe.«
»Und wozu soll das gut sein?«
Er zuckte mit den Achseln. »Ich finde Sie nett. Da interessiere ich mich schon mal für die näheren Umstände. Zumal Sie gar nicht so einen kriminellen Eindruck machen.«
Sie antwortete nicht. Mit einer kurzen Handbewegung ordnete sie ihr langes blondes Haar. Melanie konnte es nicht leugnen, der andere machte einen angenehmen Eindruck auf sie.
»Ich schlage vor, wir unterhalten uns darüber wie Sie auf die schiefe Bahn gekommen sind …«
»Unterhalten Sie sich mit Ihrer Ehefrau über das Thema«, unterbrach sie ihn.
Für einen Moment schien der Braunlockige irritiert. Dann sprach er kaum hörbar, fast mitfühlend: »Meine Gattin ist heute Abend, genauer gesagt diese Nacht, nicht zu Hause.«
Melanie schien zu ahnen, worauf der andere hinaus wollte. Sollte sie sich bei ihm freikaufen? Oder was waren seine wahren Absichten?
»Vermutlich stört Sie die Pistole.« Er sah entschuldigend auf das schwarze Stück Metall in seiner Hand. Dann richtete er den Blick wieder auf sie. »Nun hören Sie doch auf, mich so anzustarren. Ich schlage vor, Sie gehen in die Küche. Die ist links von Ihnen. Dort nehmen Sie die angebrochene Flasche Champagner aus dem Kühlschrank. Dann bereden wir alles in Ruhe. Wer weiß, vielleicht gibt es eine Lösung die Polizei nicht zu rufen.« Seine Augen tasteten ihren Körper begierig ab. »Ich habe nicht nur zwei Gläser hier, sondern auch das Vertrauen in Sie, dass Sie nicht abhauen. Na los, holen Sie den Schampus.«
Melanie war sichtlich überrascht, über die unerwartete Wendung ihres Einbruchs. Sie drehte sich um und bewegte sich in Richtung Küche. Abhauen? Nein, wozu denn, überlegte sie?! Auch das hatte sie von Marko gelernt. Aus jedem Umstand das Beste machen. Und das hatte sie in diesem Augenblick vor. Sachen gibt es, schmunzelte sie gedankenversunken vor sich hin, als sie die Flasche aus dem Kühlschrank nahm.
Mehrere Minuten später saßen beide auf der Kante des Bettes und prosteten sich zu. Wie ein vertrautes Liebespaar sahen sie sich hierbei in die Augen.
»Ich heiße Melanie. Und Sie sind Klemens, nicht wahr?«
Für einen Moment schien der andere verblüfft. »Natürlich«, lachte er plötzlich, »ich vergaß, dass das mit zu Ihrem Arbeitsgebiet gehört.«
»Ich … ich habe Ihre Ehefrau gestern … auf dem Markt …« Mühsam stotterte sie mehrere Wortfetzen zusammen.
»Ich beabsichtige, mich von meiner Gattin zu trennen«, flüsterte er. »In Alcudia, im Norden von Mallorca, werde ich ein Haus kaufen. Allein dort zu wohnen, wird mir sicherlich keinen Spaß machen …« Er unterbrach sich selber.
Schweigend sahen sich beide minutenlang an. Hierbei näherten sich ihre Gesichter unmerklich. Äußerst langsam hob er seinen Arm, um ihn Melanie auf die Schulter zu legen. Diese ließ es geschehen. Jetzt zog er ihren Körper zu sich heran. Ihre Lippen waren nur noch eine Handbreit voneinander entfernt. Sie schloss die Augen …
Urplötzlich läutete es stürmisch an der Haustür. Sie brauchten eine gewisse Zeit, um in die Wirklichkeit zurückzukehren.
Ärgerlich zog der Braunlockige sein Hemd an und stieg umständlich in die Hose. Nachdem es nochmals läutete, schrie er Richtung Haustür: »Ja doch, verflixt noch mal!«
»Deine Gattin?«, wollte sie wissen.
»Die hat doch einen Schlüssel«, wehrte er kurz ab.
Dann lauschte Melanie in die Stille hinein. Gleich, nachdem die Tür geöffnet wurde, waren mehrere männliche Stimmen zu hören. Sie wartete ab. Minutenlang ging das so weiter. Schließlich vernahm sie Schritte, die die Treppe hinaufkamen.
Eine breitschultrige männliche Person stand mit einem Mal im Zimmer und sah sie freundlich lächelnd an. »Wir müssen Ihr Schäferstündchen unterbrechen. Wahrscheinlich für eine längere Zeit«, fügte er an. »Entschuldigung, Kommissar Palmut, vom Raubdezernat.« Er nickte kurz, während er sich vorstellte. »Endlich ist es uns gelungen der Serie von Einbrüchen, in der letzten Zeit, ein Ende zu bereiten.« Auf Kommissar Palmuts Gesicht war ein sieghaftes Lächeln zu erkennen.
Melanie Fiebig machte ihrem Ärger Luft. »Wie zum Teufel hat er Sie informiert?« Bei diesen Worten glänzten ihre Augen wütend.
»Nun, er hat uns nicht Bescheid gegeben. Das war Ihr Nachbar, der uns anrief.«
»Der hat mich also ins Haus kommen sehen?«
Der Beamte zögerte kurz, bevor er antwortete. »Genau genommen hat er Sie nur gehen sehen. Aber da Licht brannte, wusste er, dass Sie wieder zu Hause sind.«
Melanie Fiebig stand nun direkt vor dem Kommissar. »Also gut, ich gebe alles zu. Aber dafür müssen Sie sich ein wenig verständlicher ausdrücken …« Plötzlich hielt sie abrupt inne und starrte zur Tür. Der Braunlockige stand vor ihr. Zwischen zwei Polizeibeamten. Eines seiner Handgelenke war mit dem eines der Beamten verbunden: Mit Handschellen.
Kommissar Palmut ergriff wieder das Wort. »Sie wollten heute Morgen mit Ihrem Ehemann für einen Tag verreisen, nicht wahr?! Doch dann stritten Sie sich. Ihr Gatte fuhr allein. Wahrscheinlich war der Streit von Ihnen bewusst provoziert. Denn Ihr Ehemann nahm an, dass Sie zu Hause bleiben wollten, um Ihren Liebhaber zu besuchen. Ja, er weiß davon.« Der Kommissar nickte bedächtig.
»Woher wissen Sie das alles?« Allmählich verstand sie, dass sie für Marlene Vogt gehalten wurde.
»Ihr Gatte rief bei seinem Nachbarn an, nachdem er im Hotel angekommen war. Er wollte nur ein bisschen mit ihm plaudern. Da ihr Nachbar aber der beste Freund Ihres Ehemannes ist, hat er ihm alles berichtet …«
»Was berichtet?«, unterbrach sie ihn.
»Das Sie nicht, wie erwartet, Ihren Liebhaber aufgesucht haben, sondern diesen nach sich zu Hause bestellten. Ihr Nachbar sah Sie das Grundstück verlassen, gleich nachdem Ihr Gatte abgefahren war. Allerdings müssen Sie irgendwann unauffällig zurückgekommen sein. Denn am frühen Abend bemerkte er wie ein Bursche, scheinbar mit einem Nachschlüssel, Ihr Haus betrat. Das konnte nur Ihr Liebhaber sein. Darüber war Ihr Ehemann so erzürnt, dass er auf Rache sann. Er wollte anonym die Polizei informieren, dass ein Einbrecher im Haus sei. Allerdings wollte er erst spät abends anrufen, damit die Beamten Sie in flagranti ertappten.«
Melanie Fiebig atmete kräftig durch und wartete ab, was der Kommissar noch zu berichten hatte.
»Na, jedenfalls war Ihrem Nachbarn nicht wohl bei der Sache. Deshalb rief er bei uns auf dem Revier an. Er informierte unsere Beamten darüber, dass sie wahrscheinlich am Abend einen anonymen Anruf bekommen würden. Den sollten diese jedoch ignorieren. Doch da war es schon zu spät. Unser Einsatzteam befand sich bereits auf dem Weg zu Ihrem Haus, als wir über Funk informiert wurden. Wir waren verärgert und beabsichtigten die Sache mit Ihnen zu klären. Doch welche Freude, als uns die Tür geöffnet wurde. Randolf Müritz selber, der langgesuchte Serieneinbrecher, gab sich die Ehre. Ihr Liebhaber, Frau Vogt, hat nur auf die Gunst der Stunde gewartet, um Sie auszurauben. Und diese Stunde war heute.« Kommissar Palmut sah sie erwartungsvoll an.
Daraufhin betrat ein weiterer Beamter das Zimmer. In einer Hand hielt er einen prallen Beutel und ließ sie hineinblicken. Deswegen war der Safe also leer, schoss es ihr durch den Kopf. Der Sack war zum Bersten gefüllt mit wahllos hineingeworfenen Geldscheinen, Schmuck und einer Münzsammlung. Mehr konnte sie auf den ersten Blick nicht erkennen.
Randolf Müritz, der Bursche mit den braunen Locken, sah sie gespannt an. In seinen Augen lag ein heißes inniges Flackern.
Sie erwiderte Randolfs Blick. Dann ist er lediglich ein paar Stunden vor mir in die Villa eingedrungen, überlegte sie. Im Kühlschrank fand er die Flasche Champagner und genehmigte sich einen Schluck. Nachdem er das Quietschen der Terrassentür hörte, zog er sich vermutlich schnell den Schlafanzug an, um sich als Hausherr aufzuspielen.
»Können wir den Beutel hier stehen lassen, Frau Vogt?«
»Äh … natürlich, warum nicht. Morgen früh wird bei uns eine Alarmanlage eingebaut. Wie hoch schätzen Sie, Herr Kommissar, wird seine Strafe ausfallen?«
»Nun«, sprach dieser, mit in Falten gelegter Stirn, »ich bin nicht der Richter. Aber mehrere Jahre werden es bestimmt.«
»Ich bin richtig froh, dass Sie rechtzeitig erschienen sind. Wer weiß, wie sonst alles ausgegangen wäre. Wenn er aus dem Gefängnis kommt, wird er hoffentlich wissen, was ihn erwartet«, sprach sie bewusst betont. Hierbei erwiderte sie das flackernde Feuer in seinen Augen. »Vielleicht kommt ihm dann einiges spanisch vor, wenn er sich an den heutigen Abend erinnert …«
Verständnisvoll verabschiedete sich der Kommissar und verschwand mit seinen Kollegen und dem Festgenommenen.
Wenige Minuten später verließ Melanie Fiebig, mit einem prallgefüllten Beutel, das Haus durch die Terrassentür. Sie freute sich auf die Zeit mit Randolf in Alcudia.