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Der verräterische Kuss

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Robert Darwid schritt im Zimmer aufgewühlt auf und ab. Er stand ohne irgendwelche Finanzen da. Kaum Bargeld, kein Sparkonto, er war absolut mittellos. Wo er hinschaute, an allen Ecken und Kanten fehlte das Geld. Dabei ließ sich das Problem bequem lösen: Er brauchte nur zu seiner Ehefrau zurückkehren. Damit hätten sich für ihn alle Geldsorgen erledigt. Fuchsteufelswild blieb er urplötzlich stehen. Dann schlug er mit der Faust auf den Tisch. »Nie –, niemals kehre ich zu dieser Bestie zurück, eher bringe ich sie um …!«

Ein günstiger Tag, fand er. An einem Montag, wie heute, traf man sie stets mutterseelenallein zu Haus an. Dieser Abend bot die Gelegenheit. Er musste kurzen Prozess mit ihr machen. Der erste Verdacht würde auf ihn fallen. Ein schlichtes solides Alibi wäre das Richtige, fand er. Nicht bombensicher, das erhärtete das Misstrauen meist.

Er sah in die Fernsehzeitung. »Das ist es«, sprach er halblaut vor sich hin, »die Live-Übertragung im Fernsehen!« Der Rekorder zeichnet die Sendung auf. In dieser Zeit hatte er die Möglichkeit sie in aller Ruhe ins Jenseits zu befördern. Anschließend würde er sich die aufgezeichnete Live-Übertragung seelenruhig ansehen. Danach brauchte er nur noch die Aufnahme löschen. Über die Leiche stolperte am nächsten Morgen um sieben Uhr die Putzhilfe. Die Zeit reichte bis dahin.

Zehn Minuten später begab er sich auf den Weg, um seine Ehepartnerin zu töten.

Den Hut hatte er nach vorn ins Gesicht geschoben. Dann näherte er sich dem aus dem dichten Nebel herausragenden Wohnhaus. Vor der Tür stand eine altertümliche Gas-Laterne, unter der sich ein Liebespärchen aufgeregt unterhielt. Gleich darauf bog er ab. Nach wenigen Schritten verschwand er im Hausflur. Die beiden haben ihn mit ziemlicher Sicherheit bemerkt. Außer seiner Kontur war von ihm nichts zu erkennen. Sie beschäftigten sich ausschließlich mit sich selber.

Er betätigte kurz den Klingelknopf neben dem Namensschild Darwid.

Übermäßig geschminkt sowie nachlässig gekleidet öffnete ihm seine Gattin. Mit einem Glas Old Fashioned in der Hand, fragte sie mit ihrer rauchigen Stimme lächelnd: »Oh, Robby, du kommst also wieder zurück?! Das finde ich prima. Aber warum klingelst du? Du hast doch einen Schlüssel für unsere Wohnung.«

Robert Darwid schritt in die Küche. Er holte sich ein Messer aus der Schublade im Besteckschrank. Gleich darauf bewegte er sich zielstrebig Richtung Wohnzimmer. Die von Hass erfüllten Augen ließen die glitzernde Klinge immer wieder auf seine Frau einstechen. Ihr Körper sank in sich zusammen. Er entfernte die Fingerabdrücke auf dem Griff des Messers. Danach zerstreute er wahllos den Inhalt einiger Schubladen im Zimmer. Entspannt sowie zufrieden verließ er die Wohnung. Draußen sah er wieder das Liebespaar. Er bemerkte, wie die junge Frau ihren Freund zärtlich umarmte. Dann küsste sie ihn sanft. Gleich darauf verschwand er im nebligen Grau der Nacht.

Rosalind Darwid lag zusammengekauert in einer Ecke. Ihre Augen blinzelten durch einen schmalen Spalt. Hilfe suchend sah sie zum Telefon. Langsam bewegte sich ihre rechte Hand. Umständlich hob sie den Hörer von der Auflage. Der Dauerton erklang. Ihr Zeigefinger tippte eine siebenstellige Nummer in den Tastenblock. Schlagartig fiel ihre Hand schlaff zur Seite. Sie lebte nicht mehr.

Kaum zu Haus angekommen, hörte Robert Darwid bereits vor der Wohnungstür das Telefon läuten. Ein Zeuge, der meine Anwesenheit bestätigen kann, schoss es ihm durch den Kopf. Hastig hob er den Handapparat ab. Doch aus dem Hörer drang kein einziger Ton. Die Leitung schien wie tot. Nachdenklich legte er wieder auf.

Es raubte ihm die Ruhe. Abermals hielt er den Hörer ans Ohr. Nichts! Aus der Hörkapsel klang kein Geräusch. Schlagartig fiel es ihm wie Schuppen von den Augen: Jemand hatte ihn angerufen, aber den Hörer nicht wieder aufgelegt.

Panik breitete sich im Gesicht aus. Rosalind! Sie hatte es demnach geschafft, die Nummer zu wählen. Jetzt könnte die Polizei stutzig werden. Ein Hinweis der Sterbenden auf ihren Mörder!

»Ich muss zurück, den Hörer auflegen«, stöhnte er schwer atmend. Das Liebespaar, hämmerten die Gedanken fieberhaft. Stehen sie vielleicht noch vor dem Haus? Könnten sie ihn diesmal erkennen? Seine Zweifel wuchsen. Angst übermannte ihn. Nein, er musste umdenken. Wie nur, wie nur?

Er griff nach der rettenden Idee, wie ein Ertrinkender nach dem Strohhalm. Ich hatte die Absicht sie zu besuchen, mich wieder mit ihr versöhnen. Sie zu einem Gläschen Sekt bei mir einladen. Das klang überzeugend, fand er.

Er stellte eilig eine Flasche Champagner kalt. Dann platzierte er zwei Gläser sowie eine Kerze auf dem Tisch. Schließlich tauchte er in die Nebelwolke eines stechend riechenden Deos ein. Kurz darauf begab er sich auf den Weg.

Dem Liebespaar schien die kühle Oktoberluft nichts auszumachen. Sie stritten sich flüsternd. Alles Weitere geschah automatisch. Er öffnete die Tür mit seinem Schlüssel. Danach legte er den Hörer auf, um ihn gleich wieder abzunehmen. Mit stammelnden Worten benachrichtigte er die Polizei. Nach dem Gespräch lächelte er zufrieden vor sich hin.

Robert Darwid erzählte Kommissar Steffen, dass er seine Ehefrau zu einem Versöhnungstrunk zu sich nach Hause abholen wollte. »Und dann habe ich diesen scheußlichen Raubmord hier entdeckt«, beendete er das Gespräch.

Der Kommissar beugte sich ein wenig nach vorn. »Gemäß Aussage des Arztes ist die Ermordete seit etwa einer Stunde tot. Wie lange sind Sie schon hier?«

»Ungefähr seit fünfzehn Minuten.«

»Hat Sie jemand gesehen, wie Sie das Haus betraten?«

»Ja, ich glaube ein Liebespärchen, das unter der Laterne vor der Tür stand.«

Kommissar Steffen wandte sich zum Hauptwachtmeister um. »Versuchen Sie doch bitte die beiden aufzutreiben. Es war doch ein Liebespärchen?«, vergewisserte er sich noch einmal bei Robert Darwid.

»Ja, na klar! Sie hat ihn doch so ausdauernd geküsst …«

»Na, dann …«, lächelte der Kommissar. »Kröger«, drehte er sich zu seinem Assistenten um, »du kannst Herrn Darwid nach Hause fahren und die Angaben über die Versöhnungsfeier kontrollieren.«

Kurz darauf pfiff der Kommissar durch die Zähne. Ein Kollege von der Spurensicherung hatte einen blutverschmierten Fingerabdruck am Telefonhörer entdeckt.

Hauptwachtmeister Bartsch trat ein. »Ich habe nur die weibliche Hälfte des Liebespaares aufgetrieben.«

Kommissar Steffen stellte der aufgeschlossen dreinschauenden Frau die üblichen Fragen. Bei einigen Antworten hakte er mehrmals nach. Auf dem Nachhauseweg grübelte er halblaut vor sich hin. »Auch dafür muss es eine Lösung geben …«

»Komm Kröger, steige ein, wir besuchen den Darwid. Ich habe zwar eine schlaflose, dafür aber erkenntnisreiche Nacht hinter mir.« Auf dem Weg dorthin, erklärte der Kommissar seinem Assistenten die notwendigen Einzelheiten.

Robert Darwid begrüßte die beiden aufgeregt.

»Als Sie die Wohnung betraten«, sprach Kommissar Steffen, »lag da der Hörer vom Telefon auf oder neben dem Apparat?«

Verdammt, womöglich ein Ablenkungsmanöver, grübelte Robert Darwid fieberhaft. »Auf dem Apparat«, log er kurzerhand.

»Wie erklären Sie sich dann den blutverschmierten Fingerabdruck der Toten, an einer Stelle des Hörers, wo er nur hinkommen kann, wenn man den Hörer abnimmt?«

Robert Darwid schwieg. Kommissar Steffen fuhr fort. »Sie wollte uns einen Hinweis auf den Mörder geben, indem sie dessen Nummer wählte …«

»Warum schrieb sie dann nicht den Namen auf einen Zettel?«

»Mit was? Außerdem hatte sie bestimmt nicht mehr die Kraft dazu.«

»Und die Polizei …, warum rief sie die nicht an?«

»Versuchen Sie mal, mit mehreren Messerstichen in der Brust, zu sprechen!«, entgegnete ihm der Kommissar. »Nein, nein, sie rief ihren Mörder an und legte nicht auf. Sie wissen doch: Die Telefonverbindung ist erst unterbrochen, wenn der Anrufer auflegt. Und festzustellen, wem der Apparat am anderen Ende gehört, ist nicht schwierig.«

»Gestehen Sie doch den Mord«, drang Kröger in ihn.

Robert Darwid lachte hysterisch. »Der Fingerabdruck soll ein Beweis sein?«

»Natürlich nicht nur der Fingerabdruck«, entfuhr es dem Kommissar. »Damit würde Sie jeder mittelmäßige Anwalt rauspauken.«

»Was denn noch?«, erregte er sich heftig. Hierbei knetete er besorgt die Finger.

»Ich habe lange überlegt, warum Sie nach dem Mord ein zweites Mal in die Wohnung kamen. Eben wegen des Hörers.«

»Sie haben gar keine Beweise!«, ereiferte sich Robert Darwid.

»Doch!« Der Kommissar sah ihn bedächtig an. »Ihr Fehler liegt nur darin, dass Sie behauptet haben, dass das Pärchen sich geküsst hat.«

»Und? Was ist daran falsch?«

»Gar nichts«, entgegnete Kommissar Steffen. »Es ist nur Ihr Pech, dass die junge Frau an diesem Abend mit ihrem Freund Schluss machte. Es war ein zärtlicher Abschiedskuss, den Sie sahen. – Allerdings der einzige Kuss, den sie ihrem scheidenden Freund an diesem Abend gab …, im gleichen Augenblick gab, als der Mörder das Haus verließ. Nur der Mörder konnte von diesem Kuss wissen!«

Grüße von Charon

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