Читать книгу Blütenteppich - Reinmund Anton Frommer - Страница 4
MIENENSPIEL
ОглавлениеEs muss Verzweiflung gewesen sein, welche Jiska verleitete, einen wie ihn zur Sicherheitsfachkraft in Jägers Museum zu machen. Anders kann er sich die absurde Idee heute nicht mehr erklären.
Du hättest dich einfach nur an die Regeln halten müssen...
Busch hockt auf einer Bank in der Fußgängerzone und beobachtet die Passanten. All diese Flanierer scheinen nur ein Problem zu haben. Sie suchen überflüssiges Geld in entbehrliche Sachwerte umzutauschen; schlendern ziellos durch die Geschäfte, verfolgen gelangweilt, was andere so kaufen. Niemand scheint Busch zu beachten. Niemand sieht, wie er schwitzt; wie blass er um die Nase herum ist.
Sein Elan nach dem Besuch im Museum ist ein Strohfeuer geblieben. Busch ist müde, fühlt sich gedemütigt von Hoffmanns Kritik; auf ewig missverstanden im Beharren, nicht als Lehrer arbeiten zu wollen. Er weigert sich eben, Kindern von einer glorreichen Zukunft zu erzählen, weil es die unter den gegenwärtigen Umständen gar nicht gibt. Jedenfalls, so lange die Welt bleibt, wie sie ist. Und ohne Zukunft macht Schule wenig Sinn. Dann lieber Bier ausschenken.
Weil er schwitzt, öffnet Busch den Mantel, stützt den Kopf in die Hände, die Ellenbogen auf die Knie. Er hätte anstatt des Kaffees besser Wasser trinken sollen. Busch hat schon lange kein Wasser mehr getrunken. Er pustet die ihm in die Stirn gefallene Haarlocke weg, genießt den kühlen Luftzug um die Achseln herum.
Es ist wieder ein erstaunlich warmer Frühlingstag geworden. Viele Passanten verzichten auf eine Jacke oder tragen sie locker über der Schulter. Eine ältere Frau bleibt stehen, mustert Busch von oben bis unten. Er weicht ihrem Blick aus, bedeutet ihr, dass alles in Ordnung sei. Zögernd geht sie weiter.
Von wegen alles in Ordnung.
In seinem Kopf geht es drunter und drüber. Wenn es stimmt, was Sandra und die Sekretärin sagen - dass Jiska noch gestern in der Stadt war, aber offensichtlich nicht nach Hause gekommen ist. Und wenn es stimmt, was Hoffmann sagt – dass sie in letzter Zeit große Probleme hatte, aber warum sollten alle drei ihn belügen – dann ist entweder Jiska oder ihre Liebe in höchster Gefahr. Definitiv.
Busch schämt sich ein wenig, dass er insgeheim die erste Variante bevorzugt. Endlich fände er Gelegenheit, seine Liebe zu beweisen. Könnte sich womöglich mit Entführern wilde Verfolgungsjagden liefern, Jiska aus den Klauen von Geiselnehmern befreien oder beim Russischen Roulette mit dem Mafiaboss sein Leben für sie aufs Spiel setzen. Es gibt nichts Schlimmeres, nichts Zersetzenderes für die Liebe als trister Alltag. Deshalb muss Busch nicht nur die Wahrheit über das „Mäusemädchen“ aus Jäger herausholen, sondern ebenso seine Freundin aufspüren, muss die Bedenken, dass sie ihn nicht mehr liebt, endlich niederringen.
Am Abend vor seinem ersten Arbeitstag im Museum hatte Jiska ihm eröffnet, dass es besser wäre, wenn sie sich in Gegenwart der Kollegen siezen würden, erst recht im Falle eines Aufeinandertreffens mit Jäger. Sie wolle so Klatsch und Tratsch vermeiden. Normalerweise wehre sie nämlich jeden Versuch von Angestellten, Familienmitglieder mit Jobs im Museum zu versorgen - und sei es auch nur eine Ferienbeschäftigung - konsequent ab. Da käme sie doch in Teufels Küche, wenn sie nun die Erste wäre, die diese Regel breche.
Busch bemühte sich, die Idee ins Lächerliche zu ziehen; sprach Jiska mit Frau Seifert an und fragte, ob er kurz zur Toilette gehen dürfe. Seine Freundin aber meinte es ernst. Sie wies ihn, ganz Chefin, zurecht, er habe in diesem Fall zuvor über Funk eine Ablösung zu organisieren und dann erst könne er gehen. Die Aufsicht, die den zugeteilten Raum auch nur für einen Augenblick unbeachtet ließe, würde sofort entlassen werden. Es fänden gelegentlich sogar anonyme Kontrollen statt. Busch erinnerte es an Zeiten, von denen er geglaubt hatte, sie mit dem Mauerfall endgültig hinter sich gelassen zu haben.
Indes hatte der erste Arbeitstag auch sein Gutes. Er bewies, dass selbst bei Jiska nicht immer alles perfekt lief, war sie es doch, die letztlich das Geheimnis lüftete, aus Versehen natürlich.
Hoffmann stutzte erstmals, als Busch frisch ausstaffiert auf ihn wartete. Er erklärte dem Neuen freundlich, dass es zwar ehrenwert, aber unnötig wäre, sich einen eigenen Anzug für das Museum zuzulegen, weil das Haus die Arbeitskleidung stelle. Mitarbeiter auf Probe würden aus dem Fundus eingekleidet und später, wenn sie sich bewährt hätten, Anspruch auf einen eigenen Maßanzug haben. Aus privaten Mitteln müsse niemand seine Arbeitskleidung bestreiten. Das wäre vom Haus auch nicht gewünscht.
Busch nickte stumm, starrte auf seine Uhr. Jiska hatte ihn bereits eingekleidet, auf Kosten von Jäger. Wie stets hatte sie noch schnell etwas zu erledigen, während die Herren im Foyer auf sie warteten.
Schönes Stück, startete Hoffmann den Versuch eines Gesprächs, und wies auf Busch‘s neue Armbanduhr. Statt zu antworten, schob der Novize den Halsbinder hin und her, tupfte nervös Schweißperlen von der Stirn. Wer ihn sah, mochte glauben, Busch wäre auf dem Weg zur Guillotine. Die streng klimatisierte Luft im Haus, der ungewohnte Anzug mit steifem Hemdkragen und Krawatte bedrückten ihn. Dazu dieser geschwätzige, pomadige Typ, der wohl auch noch sein direkter Vorgesetzter sein würde.
Endlich erschien Jiska. Sie machte die Herren miteinander bekannt und erklärte, dass sie beabsichtige, den neuen Kollegen selbst durch das Haus zu führen, um ihn in die Gegebenheiten einzuweisen.
Der Major hob erstaunt seine Augenbrauen. Es sei sein Job, widersprach er mit leiser, mühsam sich zurücknehmender Stimme, das Personal einzuweisen. Immerhin seien ihm die Mitarbeiter des Aufsichtspersonals unterstellt, weil diese wie er einer externen Wachschutzfirma angehören, und nicht dem Museum. Jiska suche die Leute zwar aus, das sei ihr zugestandenes Recht, aber der Rest bleibe sein Anteil. Und daran lasse er nicht rütteln.
Sie habe überhaupt nicht die Absicht daran zu rütteln, erwiderte Jiska mit überzeugendem Lächeln. Im vorliegenden Falle möge Hoffmann jedoch bitte eine Ausnahme machen. Ihr läge es außerordentlich am Herzen, dass Busch den zweifellos hohen Anforderungen des Hauses alsbald gerecht werde. Zudem wolle sie alte ostdeutsche Ressentiments, wie sie zwischen Berlinern und Sachsen beständen, nicht ungebremst am ersten Tag aufeinanderprallen lassen, sondern gewissermaßen abfedern, mit körperlichem Einsatz.
Den Major erfreute die unerwartete Neuigkeit. Ach, noch 'n Ossi, rief er so laut, dass es im ganzen Foyer zu hören war und ließ seine Pranke auf Buschs Rücken niedersausen. Willkommen auf dem Planeten Mars!
Buschs Schulter brannte unter dem unerwarteten Ritterschlag. Er schwieg befangen. Hoffmann schüttelte ausgiebig und kräftig seine Hand. Busch fürchtete, er werde im nächsten Moment in die Arme geschlossen und gezwungen, mit seinem neuen Vorgesetzten den Bruderkuss zu vollführen.
Wieso Mars, fuhr Jiska rechtzeitig dazwischen.
Ach, Hoffmann entließ Busch endlich aus seinem Zugriff, nur so 'n interner Witz. Er lächelte süffisant. Nichts für Wessis.
Jiska wurmt nichts mehr als das Gefühl, von etwas ausgeschlossen zu werden oder über etwas nicht Bescheid zu wissen. Busch war ihr beigesprungen, indem er behauptete, er habe selbst erst nachdenken müssen, was der Kollege meinen könne.
Hoffmanns aufmerksamer Blick pendelte zwischen der stets perfekt daherkommenden Assistentin und dem neben ihr wie ein Konfirmand sich fühlenden Busch. Er grinste schelmisch und fragte, ob Busch noch eine andere Ausbildung genossen habe.
Er sei in der Gastronomie beschäftigt gewesen, erwiderte er. Deshalb sei ihm der Servicegedanke gegenüber dem Publikum, der neben der Sicherheit der ausgestellten Kunstwerke an oberster Stelle rangiere, durchaus vertraut.
Hoffmann nickte und meinte, das habe er den Akten entnommen. Er denke eher an ein persönliches Praktikum, dessen er sich vergewissern wolle.
Jiska lief daraufhin vor Scham rot an. Sie fragte verärgert, wie er darauf komme.
Ganz einfach. Der Major wies auf Buschs Handgelenk. Er erkenne die Uhr wieder, die sie für ihren Liebsten zu Weihnachten im Museumsshop ausgesucht und ihn damals um seine Meinung gefragt habe.
Jiska senkte den Kopf. Sie erinnere ihn an seine Schweigepflicht, beschwor sie Hoffmann. Und das gegenseitige Vertrauen.
Der Major nickte und ergänzte, er habe nicht die Absicht, mit seinen Informationen hausieren zu gehen. Das müsse sie eigentlich längst bemerkt haben. Er wolle sich lediglich versichern, dass ihm niemand einen Spion ins Nest setze.
Niemand habe diese Absicht, bekräftigte Jiska ihr Versprechen.
Hoffmann lachte ungehalten auf.
Weshalb er lache, fragte sie wütend.
Ulbricht habe damals auch gesagt, niemand habe die Absicht eine Mauer zu bauen.
Welcher Ulbricht?
Die Männer schauten einander verlegen an. Bei allen Befürchtungen, die Hoffmann bei Busch erweckt hatte - eine gewisse Sympathie empfand er dennoch für ihn. Auch deshalb übernahm er es, Jiska aufzuklären: Ulbricht wäre jener SED-Parteiführer gewesen, der mit genau diesen Worten den Mauerbau geleugnet habe, obwohl die Pläne fertig in den Schubladen lagen und nur darauf warteten, von den Sowjets abgesegnet zu werden.
Warum er ausgerechnet im Museum arbeiten wolle, fragte Hoffmann jetzt, wo er doch mehr auf dem Kasten habe als vorwitzige Besucher von unbedachten Handlungen abzuhalten.
Weil... Busch wusste, dass er etwas sagen musste. Aber er fand keine Antwort. Er stand da wie ein kleiner Junge in einem zu großen Anzug.
Weil er eine Beschäftigung brauche, sprang Jiska ein, irgendeine. Sie zupfte einen Fussel seiner neuen Jacke.
Endlich trugst du mal einen vernünftigen Anzug.
Sie hätten nichts Besseres gefunden, für den Augenblick, fuhr sie fort. Sobald eine Chance sich ergebe, werde er wieder als Lehrer arbeiten.
Busch sprang bei und meinte, eventuell werde er auch wieder eine Bar aufmachen.
Jedenfalls wolle sie vermeiden, übernahm Jiska erneut das Wort, dass Busch zu Hause krank werde, wie eine allmählich verdorrende Pflanze eingehe.
Hoffmann nickte. Jetzt habe er es begriffen. Er reichte zuerst Jiska und dann ihm die Hand.
Willkommen auf der Kunstgaleere!
Anschließend verschwand der Major im Pausenraum.
Busch hockt wie angewachsen auf der Bank. Die Zeit zerrinnt, er mag gar nicht daran denken. Die Tische von "Gino", der Pizzeria gegenüber, füllen sich mit den ersten Mittagsgästen. Der Kellner wieselt eilfertig zwischen Theke und Terrasse hin und her; schleppt Getränke heran, serviert einen "Gruß" aus der Küche, um die Gäste bei Laune zu halten. Busch läuft das Wasser im Mund zusammen, wenn er nur hinschaut.
Und er? Er sitzt da, erstarrt wie ein Angler, der seit Stunden auf den ersten Fisch wartet; fühlt sich wie ein Kieselstein im Bett eines Flusses, über den achtlos das Wasser hinwegzieht.
Wovon bist du eigentlich so beständig müd e? Du arbeitest doch nichts mehr!
Vielleicht sollte Busch einfach eine Zigarette rauchen. Dann würde es ihm besser gehen. Die Hände tasten den Mantel ab. Er kann die Schachtel nicht finden, selbst das Feuerzeug fehlt. Busch muss beides in der leeren Wohnung vergessen haben. Vielleicht ist das auch gut so. Wenn er Jiska plötzlich begegnete und sie bemerkte, dass er wieder raucht, würde sie enttäuscht von ihm sein, ein weiteres Mal. Mehr denn je spürt Busch, wie sehr sie ihm fehlt; wie sehr ihn die Einsamkeit umfängt, sobald sie nicht an seiner Seite weilt. Dabei hatte er gehofft, die wie ein Schatten in seinem Leben wiederkehrende Melancholie mit dem Weggang aus Berlin endgültig hinter sich gelassen zu haben. Nun muss er sich eingestehen, dass die innere Leere ihn verfolgt, dass sie nichts, aber auch gar nichts mit der Großstadt zu tun hat. Man kann überall einsam sein. Auf dem Friedhof, im Tanzsaal, auf dem Schulhof während der großen Pause. Desgleichen, wie er jetzt spürt, in der gut besuchten Fußgängerzone einer mittleren Kleinstadt. Nie aber, und davon ist Busch fest überzeugt, wenn man in einer gut besuchten Bar, so wie er sie in Berlin hatte, hinter der Theke steht. War es richtig, den sicheren Hafen für Jiska aufzugeben und sich in dieses Abenteuer zu stürzen? Hat er den Spatzen aus der Hand gelassen, um die Taube zu erwischen und steht jetzt mit leeren Händen da?
Busch bemerkt, dass sich neben ihm auf der Bank jemand niedergelassen hat. Um den Nachbarn nicht zu einem Gespräch über Gott, die Welt und das Wetter einzuladen, so wie es hier üblich ist, holt er eins der Brötchen aus der Tüte und beißt ab. Während er kaut, schaut Busch angestrengt auf seine Schuhspitzen. Von einer dicken Staubschicht bedeckt, machen sie einen erbärmlichen Eindruck. Busch hat kein gutes Gefühl bei der Idee, zu Jäger zu gehen, solange er nicht weiß, wo Jiska sich aufhält. Wie sollte er ihr seinen Auftritt bei Jäger erklären, wenn sie sich zufällig begegneten?
Während er grübelt, wippt Busch mit den Füßen vor und zurück. Später, als ihm das zu eintönig wird, von links nach rechts und zurück. Die Füße scheinen zu tanzen, simulieren Bewegung. Etwas, was seinem Hirn fehlt. Busch glaubt zwar endlich zu wissen, wie er dem Kunstmäzen die wahren Gründe für den Besitzerwechsel des „Mäusemädchens“ entlockt. Aber er hat keine Ahnung, was er sagt, wenn ihm Jiska dabei begegnen, wenn sie ihn des Verrats bezichtigen würde. In ohnmächtiger Wut stampft Busch die Füße auf das Pflaster. Lichte Staubschwaden umnebeln seine Schuhe. Unmittelbar vor ihm gackert eine Frau. Busch vermeidet es aufzusehen. Ihr albernes Benehmen hat sicher nichts mit ihm zu tun. Aber vielleicht mit der Person neben ihm? Aus dem Augenwinkel heraus entdeckt er, dass sein Nachbar knallbunte Hosen trägt, wie ein Harlekin.
Oh, nein! Nicht schon wieder. Wütend schaut Busch auf und erwischt den Clown, wie er den eigenen Füßen mit erhobenem Zeigefinger Stillstand zu befehlen sucht. Das anschwellende Publikum johlt. Auf seine Kosten treibt der hier keine Scherze, der nicht. Doch was soll Busch tun? Kurzerhand verschränkt er die Arme vor der Brust, presst den Rücken gegen die Lehne, hält den Atem an, erspürt die Umrisse der Pistole in der Innentasche. Sie verschafft ihm Sicherheit. Mal sehen, wer hier länger stillhält, motiviert er sich, als ihm die Puste auszugehen droht. Wie einstmals als Steppke im Nichtschwimmerbecken reißt Busch den Mund kurz auf, füllt die Wangen prall, um sogleich wieder unterzutauchen, die Fußspitzen fest im Blick. Erleichtert bemerkt er, dass einige Passanten weitergehen. Na also, es funktioniert. Sein Stillhalten schreckt ab. Doch die auffällige Kleidung des Banknachbarn lockt neue Gaffer an. Vor Buschs Augen beginnt es zu flimmern. Er lässt panisch Stillstand Stillstand sein, hechelt versäumtem Sauerstoff hinterher. Seine Augen tränen, verschleiern die Aussicht. Im Publikum glaubt er zunächst Jiska zu entdecken, dann ihre beste Freundin Annemarie. Halluziniert er etwa schon?
Busch will ihren Namen rufen, doch er bekommt keinen Ton heraus. Zum Glück! Es reicht, wenn er sich hier blamiert. Der Schelm an seiner Seite reibt sich jetzt gleich einem müden, traurigen Kind die Augen, deutet ein Schluchzen an. Nein, da liegt er falsch. Das ist eine Beleidigung! Jetzt wird er ihn bloßstellen!
Busch zückt sein Taschentuch, reicht es dem verdutzten Pantomimen. Doch es ist nur ein Augenschlag, oder zwei, dass er ihn ratlos macht. Dann heult der Flegel los wie ein nach der Mutterbrust dürstendes Baby und die anwesende Menge grölt vor Wonne. Busch ertastet die Pistole. Er sollte in die Luft schießen, um diesem Mob mit seinem clownesken Vorbeter Einhalt zu gebieten. Sie haben nicht das Recht, über ihn zu lachen, haben ihn und seine Gefühle mit Respekt zu behandeln!
Es ist besser, er verschränkt jetzt seine Arme, nur zur Sicherheit. Der zweite Schuss, so denkt er das weitere Geschehen fort, würde dem Mienenspieler gelten, denn er missbraucht seine exzellenten Fähigkeiten, um Menschen an den Pranger zu stellen. Es ist keine Kunst auf Minderheiten zu weisen und sich über sie lustig zu machen - es ist eine Schande. Leider finden immer mehr derartiger Brandstifter auf der Welt ihr blindes Gefolge. Doch Busch wird ihnen nicht zum Opfer fallen. Er wird allerdings auch nicht den Richter spielen, selbst wenn die Macht in seiner Manteltasche steckt.
Er springt auf, schiebt sich durch die Menschenmenge, begegnet dem mitleidigen Blick einer Frau. Sag was, möchte Busch ihr zurufen. Doch auch er schweigt. Als er den Kreis verlassen hat, lacht der Mob abermals auf. Busch spürt, wie ihn die Schamröte überfällt. Er weiß, im Grunde lacht das Publikum über den Hanswurst und nicht über ihn. Und doch wiegt die Hand das kalte Metall wie der Weisheit letzter Schuss. Nur einmal den Finger krümmen, den Abzug betätigen, und das abfällige Gelächter würde ersterben. Entsetzt reißt Busch die Hände von der Brusttasche, verschränkt sie hinter dem Rücken, der Mittelfinger streckt sich gen Himmel. Ein Raunen ist zu hören, dann ein verdrücktes Schnaufen. Egal, er wird nicht länger auf den Pöbel achten. Es könnte ebenso gut das Schnauben eines Pferdes sein, das eine Kutsche zieht. Immerhin fahren hier Gespanne durch die Stadt, zur Rundfahrt mit Touristen.
Busch hebt vorsichtig den Kopf. Nein, er entdeckt keine Kutsche. Dafür sieht er ein paar Beine. Ein paar lange schlanke Frauenbeine, die dünnen Waden verhüllt von braunen Lederstiefeln. Es sind nahezu perfekte Beine. Die Netzstrümpfe, die unter einem hellen, beigefarbenen Mantel oberhalb der Kniekehlen hervorblitzen, unterstreichen das. Er findet, die Frau ist unpassend gekleidet für diese warmen Temperaturen. Aber Busch kennt diese Beine. Er kennt sie sehr gut. Endlich hat er einen Anhaltspunkt, den er verfolgen kann.