Читать книгу Herzhaft Verkorkst - René Bauhus - Страница 8

Оглавление

2. Kapitel

Als Hanna das Wohnzimmer betrat, sah sie Matthias, der mit einem großen Strauß Blumen und einem Umschlag in der Hand auf sie wartete.

»Da bist du ja, mein Schatz«, begrüßte er sie strahlend. Hanna sah ihn an. Obwohl er geduscht hatte, trug er immer noch Spuren von dunklem Motoröl im Gesicht und unter seinen Fingernägeln waren schwarze Ränder, doch sein Lächeln ließ sie darüber hinwegsehen.

»Ich habe schon auf dich gewartet.«

Hanna stellte ihre Handtasche auf den Tisch und ging auf ihn zu. Zärtlich legte Matthias seine Arme um sie und küsste sie innig.

»Langer Tag?«

»Frag nicht!«

Hanna löste sich aus seiner Umarmung und ließ sich auf das Sofa sinken.

»Wie lief die Produkteinführung?«, fragte Matthias, während er die Blumen in die Vase auf der Kommode stellte, die er bereits vorbereitet hatte. Das noch ungeöffnete Kuvert lehnte er dagegen.

»Gut, aber wie immer war es zäh und anstrengend. Ich hoffe sehr, dass sie mich im Herbst endlich hoch in das Management versetzen und ich mich nicht mehr länger mit diesen Dingen herumschlagen muss.«

Matthias setzte sich neben sie und legte ihr seine Hand auf das Knie.

»Du machst das großartig und sie können niemand Besseren für den Job finden. Das wissen sie!«

Hanna schmiegte ihren Kopf an seinen Hals und atmete sein After Shave ein, ein sanfter, herber Geruch, der sie beruhigte.

»Möchtest du nicht mal in den Umschlag…« – Matthias kam nicht dazu, seinen Satz zu beenden. Das Piepen ihres Handys unterbrach ihre Unterhaltung. Hanna rollte mit den Augen, sprang auf und wühlte in ihrer Handtasche nach dem Mobiltelefon. Hastig tippte sie darauf herum und las dann die gerade eingegangene E-Mail.

»Dieses Miststück!«, entfuhr es ihr. Wütend schleuderte sie ihr Handy auf den Esstisch. Matthias blickte auf.

»Was ist los?«

»Die Meinert aus dem Vertrieb hat die Zahlen rausgegeben und wie immer hat sie nicht alle meine Verkäufe aufgelistet, obwohl ich ihr das schon einhundert Mal gesagt habe.«

Hanna raufte sich die Haare. Matthias stand auf und versuchte, sie zu umarmen, doch sie entzog sich ihm.

»Lass mich, ich will erst einmal duschen.«

»Na gut, Schatz. Ich freue mich auf das Essen gehen«, antwortete Matthias verständnisvoll.

»Essen gehen? Spinnst du? Ich muss mich sofort darum kümmern, sonst ist mein Bonus in diesem Monat Essig.«

Matthias erstarrte.

»Ist das dein Ernst? Heute ist unser Jahrestag! Wir haben schon vor Wochen den Tisch bei unserem Lieblingsitaliener reserviert! Ich habe mich extra beeilt, um von der Arbeit nach Hause zu kommen.«

Hanna funkelte ihn an.

»Hast du nicht gehört, was ich gerade gesagt habe? Das ist ja wohl wichtiger, als irgendwo eine Pizza essen zu gehen, immerhin ist das nicht unser Hochzeitstag. Ich muss arbeiten!«

»Kann das nicht einmal warten? Ob du die Zahlen jetzt heute schickst oder morgen, macht doch gar keinen Unterschied! Die Meinert ist doch sowieso nicht mehr im Büro und ich habe mich so auf den Abend gefreut! Ich hätte auch noch länger arbeiten können und mein Tag war auch nicht aus Zuckerguss und dann kommst du mir mit so etwas?«

Hanna riss sich ihre Pumps von den Füßen.

»Als würde das in eurer verkackten Werkstatt einen Unterschied machen, ob du nun heute oder morgen die paar Schrauben nachziehst! Bei mir geht es um echtes Geld – oder soll ich dich daran erinnern, wer unseren Urlaub bezahlt hat?«

Sie machte einen Schritt auf Matthias zu und sah ihm fest in die Augen.

»Du tust immer so, als sei das Leben ein einziger Spaziergang, dabei hast du doch von echter Verantwortung und wirklicher Arbeit gar keine Ahnung. Und jetzt lass mich vorbei!«

Matthias trat beiseite und Hanna rauschte an ihm vorbei in Richtung Badezimmer. Kurz darauf hörte er das Wasser laufen. Noch eine Weile blieb er stehen und blickte sich unentschieden um. Dann griff er nach seinem Schlüssel und verließ die Wohnung. Die Wohnungstür fiel mit einem Knall in das Schloss und das Kuvert, das er hinter den Blumenstrauß geschoben hatte, rutschte hinunter und verschwand hinter der Kommode.

Lautes Stimmengewirr drang aus dem »Gleis 3« direkt am Bahnhof, als Matthias aus dem Auto stieg und auf den Eingang zuging. Seine Lieblingskneipe war hell erleuchtet und gut besucht. Warme Luft schlug Matthias entgegen, als er durch die Tür trat. Köpfe wandten sich ihm zu und begrüßten ihn und er erwiderte die Begrüßung mit einem Nicken, während er sich seinen Weg bis zur Theke bahnte, wo er ein Bier bestellte.

»Na, mein Bester!«, begrüßte ihn Rudi. Rudi war Rentner und gehörte mehr oder weniger zum Inventar des Gleis 3s. Er war immer hier, egal um welche Uhrzeit oder an welchem Wochentag. Seine Frau war vor wenigen Jahren gestorben und so hatte er nichts anderes zu tun, als an der Theke zu sitzen, zu trinken und ab und zu hinauszugehen, um eine seiner besonders starken, selbstgedrehten Zigaretten zu rauchen. Matthias hob eine Augenbraue.

»Du siehst ja aus, als sei dir eine gewaltige Laus über die Leber gelaufen«, redete Rudi einfach weiter, als Matthias nicht antwortete.

»Was ist passiert? Lass mich raten, es geht um eine Frau, es geht nämlich immer um eine Frau.« Rudi nippte an seinem Bier. Tanja, die Barfrau, lächelte Matthias zu und stellte ein Bier mit einer nahezu perfekten Krone vor ihm ab, bevor sie mit ihrem Kugelschreiber einen Strich auf seinem Bierdeckel machte.

»Es geht nicht um eine Frau, es geht um die Frau«, sagte Matthias und nahm den ersten Schluck. Das kühle Bier fühlte sich köstlich in seiner Kehle an, beruhigend, herb und vertraut.

»Natürlich, um die geht es ja. Um die eine, die so ist wie keine andere.« Rudi schmatzte, griff in seine Hemdtasche, um seinen Tabakbeutel hervorzuholen, und begann, sich eine Zigarette zu drehen.

»Kann ich auch eine haben?«, fragte Matthias.

»Aber sicher, mein Junge«, antwortete Rudi fröhlich.

Hanna hasste es, wenn Matthias rauchte und eigentlich hatte er das Rauchen schon vor Jahren aufgegeben, doch wenn er besonders aufgewühlt war, dann hatte er manchmal das Bedürfnis zu rauchen.

Gemeinsam ging er mit Rudi vor die Tür der Kneipe und zündete die ziemlich krumm geratene Zigarette an.

»Heute ist unser Jahrestag«, erklärte er Rudi. »Wir wollten essen gehen, feiern, aber sie hat nur die Arbeit im Kopf. So ist sie eben, sie ist zielstrebig, entschlossen. Das ist ja auch gut so, das liebe ich ja auch an ihr, aber manchmal wünsche ich mir, sie wäre nicht immer so verdammt entschlossen.«

Rudi nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette. Rund um seinen Mund war sein Bart nikotingelb verfärbt.

»Du kannst einen Menschen nicht ändern, Matthias. Du kannst sie nur so nehmen, wie sie ist.«

»Ich will sie ja auch gar nicht ändern, ich wünsche mir einfach nur, sie würde einfach mal anfangen, glücklich zu sein, sich locker zu machen. Dann würde so vieles einfacher werden. Aber wenn sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hat, dann ist sie davon nicht mehr abzubringen. Und ich habe das Gefühl, dass sie sich nie Zeit nimmt, um unsere Beziehung zu leben. Immer nur Arbeit, immer nur das, was die anderen tun, erfolgreich sein, Sport, Beauty, aber was ist mit dem Leben, dem Feiern, dem Genießen? Das hat sie verlernt. Irgendwie ist es verloren gegangen. Und verflucht noch mal, ich habe es satt, immer die zweite Geige zu spielen.« Rudi kicherte.

»Das klingt ganz nach meiner Greta. Sie war genauso, ein stures Biest, das kannst du mir glauben, aber schön und zwischen Laken heiß.

Kochen konnte sie, wie eine Göttin. Ja, sie wusste, wie man es einem Mann schön macht.« Ein wehmütiger Ausdruck trat in Rudis Augen.

»Seit sie weg ist, ist das Leben nicht mehr das gleiche. Sie war die eine für mich, die, mit der ich mein Leben verbringen wollte und ohne sie weiß ich manchmal gar nicht mehr so richtig, was ich hier eigentlich soll.«

Matthias zückte sein Handy, um zu sehen, ob Hanna ihm eine Nachricht geschrieben hatte, vielleicht mit einem Versöhnungsangebot, doch die Anzeige war leer. Rudi beugte sich neugierig zu ihm, um das Hintergrundbild zu sehen.

»Ist sie das?«

Matthias nickte und vergrößerte das Bild. Es zeigte Hanna mit perfekt gekämmtem Zopf, einer großen Sonnenbrille und einem fröhlichen Lächeln, das sie viel zu selten zeigte. Das Bild hatte er im letzten Frühjahr aufgenommen, bei einem ihrer rar gewordenen Ausflüge, einer Bootsfahrt auf dem Rhein. Er mochte das Foto, weil sie glücklich darauf aussah.

»Also, wenn das die eine für dich ist, dann musst du alles tun, um sie zu halten. Weißt du, auch wenn es sich nicht immer so anfühlt, es lohnt sich. Wer will schon im Alter allein sein und niemanden haben, der einem den Arsch wärmt?« Rudi lachte laut. Matthias grinste, drückte seine Zigarette aus und ging wieder nach drinnen. Dort stürzte er sein Bier herunter und bestellte gleich noch ein Neues.

Auf nüchternen Magen zeigte der Alkohol sofort seine Wirkung, eine angenehme Entspannung breitete sich in Matthias aus.

Rudi kam hinter ihm herein und setzte sich neben ihn an den Tresen. Für einen Moment lang saßen sie still und Matthias hörte den Gesprächsfetzen zu, die von den anderen Tischen zu ihm herüberwehten. Aus dem Radio klang Musik, One Republik spielten »Story of my live«. Matthias schloss die Augen und hörte der Musik zu.

»Das hier ist meine Greta. Die Ähnlichkeit ist unübersehbar, der gleiche Typ Frau«, riss ihn Rudi aus seinen Gedanken. Er hatte seine Brieftasche geöffnet und schob ihm ein zerknittertes Foto zu, dessen Ränder vergilbt waren. Es zeigte eine Frau mit hoher Stirn und strengem Kinn, die Haare zu einem Zopf gebunden und um die Hüften eine Schürze. Sie hatte keinerlei Ähnlichkeit mit Hanna und sie überhaupt mit ihr zu vergleichen, brachte Matthias innerlich zum Schmunzeln. Er stellte sich ihr angeekeltes Gesicht vor, wenn er ihr das Foto zeigte und ihr erklärte, dass sie mit dieser Frau Ähnlichkeit besitzen sollte. Lediglich der harte, entschlossene Blick in ihren Augen erinnerte Matthias an Hanna.

»Sie war sehr hübsch«, sagte er höflich und ein Grinsen breitete sich über Rudis ganzes Gesicht aus.

»Weißt du, Frauen wie meine Greta oder deine Hanna, die sind anspruchsvoll. Die wollen das Besondere, die Herausforderung, etwas, das ihnen zeigt, wie viel sie dir wert sind. Was hast du ihr zum Jahrestag geschenkt?«

Matthias wischte sich mit dem Handrücken den Bierschaum von der Oberlippe.

»Einen Strauß Blumen und eine Überraschung in einem Kuvert, den sie aber gar nicht erst geöffnet hat. Sie war zu beschäftigt.« Die Erinnerung daran versetzte ihm einen Stich.

»Naja, damit hast du sie bestimmt nicht von den Socken gehauen«, stellte Rudi enttäuscht fest.

»Du musst dir etwas Besseres einfallen lassen, um sie für dich zu gewinnen. Lade sie an einen romantischen Ort ein, zünde ein paar Kerzen an oder schreib ihr ein Lied, darauf stehen Frauen«, riet er.

Matthias grinste.

»Du kennst Hanna nicht. Nichts davon würde ihr gefallen. Das ist alles viel zu gewöhnlich. Sie steht überhaupt nicht auf so abgeschmackte Kitschsachen.«

Rudi wirkte ein wenig verärgert und nahm noch einen tiefen Schluck aus einem Glas.

»Hast du etwa eine bessere Idee?«, fragte er Matthias.

Matthias schüttelte den Kopf. Mit einem Mal fühlte er sich unendlich müde und erschöpft und vom zweiten Bier auch allmählich etwas benommen. Der Abend hatte eine ganz andere Wendung genommen, als er es geplant hatte. Eigentlich sollte er jetzt mit Hanna bei ihrem Lieblingsitaliener sitzen, Wein trinken, Pasta essen und es sich gut gehen lassen. Er sollte sie in ihrem schönen Kleid ansehen, das er ihr, kaum, dass sie zu Hause angekommen waren, langsam auszog, um sie dann zu küssen und mit ihr im Schlafzimmer zu verschwinden.

Stattdessen saß er nun müde, hungrig und angetrunken neben Rudi und hörte seinen Lebensweisheiten zu. Alles daran war falsch.

Ruckartig stand Matthias auf, legte einen Geldschein neben sein Glas und verabschiedete sich.

Draußen war es inzwischen dunkel geworden und die kühle Luft tat gut. Ein Blick auf sein Handy verriet ihm, dass Hanna sich noch immer nicht gemeldet hatte. Er spürte, wie eine neue Welle aus Groll in ihm aufstieg. Deutlicher konnte sie ihm nicht zeigen, dass er ihr ganz egal war. Oder hatte er überreagiert? Hätte er bleiben sollen? Immerhin hätten sie sich auch eine Pizza bestellen können.

Matthias seufzte und schloss seinen Wagen auf. Er setzte sich hinter das Steuer, startete den Motor und fuhr los. Sein Magen knurrte. Ohne lange nachzudenken, steuerte er die Straße an, in der seine Oma Lotte wohnte. Seine Uhr zeigte gerade neun Uhr an, das war noch nicht zu spät, um sich bei ihr auf ein Abendessen einzuladen. Direkt vor ihrem Haus fand er einen Parkplatz. Es war ein kleines, nicht sonderlich gut erhaltenes Haus, eine typische Arbeiterbehausung. Sein Großvater hatte früher in der Zeche gearbeitet, eine Knochenarbeit, die ihn schnell hatte altern lassen. Nach dem Unfall seiner Eltern war Matthias zu seinen Großeltern gekommen und im Grunde hatten sie ihn aufgezogen, nach dem Tod seines Großvaters seine Oma Lotte allein. Sie war sein wichtigster Bezugspunkt, seine Wurzel in der Welt.

Er war kaum ausgestiegen, als sich die Tür öffnete und Oma Lotte in Schürze und Hausschlappen im Türrahmen erschien.

»Na, da habe ich doch richtig gehört, da ist ja mein Junge«, freute sie sich.

Ein warmes Gefühl der Zuneigung breitete sich in Matthias Brust aus. Hier war er zu Hause.

»Komm rein, ich schmiere dir ein paar Brote. Möchtest du auch ein paar Gürkchen dazu und einen Tee?« Sie legte ihm die Hand auf die Schulter und führte ihn nach drinnen in die Küche. Wie immer roch es nach Essen, nach alten Zeitungen und nach Gemütlichkeit. Oma Lotte achtete streng auf Sauberkeit, und auch wenn sie meistens allein aß, kochte sie jeden Tag für sich. Die übrige Zeit saß sie an ihrem Küchentisch und löste Kreuzworträtsel, obwohl sie aufgrund ihrer schlechten Augen nicht mehr sonderlich gut sah.

»Hast du eine neue Frisur?«, fragte Matthias sie, als er sie im Licht betrachtete. Oma Lotte lächelte geschmeichelt.

»Ja, ich hatte Lust, etwas Neues auszuprobieren. Dazu ist man schließlich nie zu alt.«

Matthias grinste. Ihre Locken leuchteten etwas lila und der Pony war ein wenig fransiger geschnitten als sonst. Auch ihre Nägel hatten eine leuchtende Farbe.

»Du siehst gut aus«, sagte Matthias und das freute Lotte noch mehr. Sie öffnete den Kühlschrank und begann damit, ihm ein Abendessen zuzubereiten.

»Was man von dir nicht sagen kann«, stellte sie mit scharfem Blick fest. Matthias schwieg. Erst als sie die Teller vor ihm abstellte, begann er zu sprechen.

»Ach, es ist wegen Hanna.«

»Hanna? Was hat sie angestellt?« Lotte biss herzhaft in ihr Butterbrot.

»Wir haben heute Jahrestag und eigentlich wollten wir Essen gehen.« Über ihr Butterbrot blickte seine Oma ihn erwartungsvoll an.

»Und stattdessen sitzt du hier und isst mit deiner Oma Butterbrote?«

»Ja, es war anders geplant, aber dann haben wir uns gestritten. Seit sie den neuen Job hat, hat sie kaum noch Zeit für etwas anderes. Alles hat sich verändert. Wir sehen uns kaum noch und wenn, dann ist sie abwesend oder gereizt. Sie redet nur noch über die Arbeit.«

»Ach, mein Junge, mach dir darüber keine Sorgen. Das Leben verändert sich so schnell, da kommt man manchmal eben kaum hinterher.«

Lotte angelte sich eine Gurke vom Tellerrand und biss mit lautem Krachen hinein. Matthias Magen erinnerte ihn ebenfalls wieder an seinen Hunger, also langte er zu.

»Ja, das weiß ich. Aber ich liebe sie so und ich möchte, dass sie glücklich ist. In der letzten Zeit ist sie immer so abwesend, so als wäre sie da und ist es doch nicht. Es ist nichts, was man greifen könnte, nur so ein Gefühl. Wir leben nebeneinander her, nicht mehr miteinander. Früher hat sie mich manchmal so angesehen, sie hat gelacht, wir haben rumgealbert, aber all das passiert nicht mehr. Ich wünsche mir so, mit ihr glücklich zu sein.«

Lotte hörte auf zu kauen und kniff die Augen zusammen.

»Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du mit dieser Frau nicht glücklich werden kannst? Sie ist einfach nicht die Richtige für dich!«

Matthias verdrehte die Augen.

»Bitte, Oma, jetzt fang nicht wieder damit an. Ich habe mich für Hanna entschieden und sie ist die Richtige für mich. Ich weiß doch, was ich für sie fühle. Und woher willst du überhaupt wissen, wer die Richtige für mich ist?«

Seine Oma schob ihren Teller beiseite und fixierte ihren Enkel.

»Lebenserfahrung, mein Junge,

Lebenserfahrung. Ich kann auf einen Blick sehen, ob zwei Leute zusammengehören und bei dir und Hanna ist das definitiv nicht der Fall. Bist du satt?«

»Ja, danke.« Matthias schob den Teller von sich und dachte nach. Es war nicht das erste Mal, dass Lotte ihm sagte, dass Hanna nicht zu ihm passte. Schon nach ihrer ersten Begegnung hatte sie ihm gesagt, dass Hanna nicht die richtige Frau für ihn war.

»Du brauchst etwas Handfestes, mit Herz und Hirn. Hirn hat sie, aber was das Herz angeht, fehlt ihr etwas.«

»Hast du etwas dagegen, wenn ich heute Nacht hierbleibe?«, fragte Matthias. Lotte lächelte.

»Aber natürlich nicht. Das Gästebett ist frisch bezogen. Ich wecke dich morgen früh.«

Matthias gab ihr einen Kuss auf die Wange.

»Du bist die Beste.«

Im Gästezimmer streifte er seine Jeans ab und kuschelte sich in die frisch bezogenen Laken, die nach Oma Lottes Waschmittel dufteten. Es war ein vertrauter Geruch, der Sicherheit und Gemütlichkeit vermittelte und ihn an seine Kindheit erinnerte. Seine Gedanken wanderten zurück an den Tag, als er mit seinen wenigen Habseligkeiten hier bei Oma Lotte und Opa Erich eingezogen war, kurz nach dem Unfalltod seiner Eltern. Damals war er gerade 12 Jahre alt gewesen. Er erinnerte sich noch an den Schock, den er damals gehabt hatte. Er hatte sich verloren gefühlt, mutterseelenallein auf der Welt, doch Lotte und Erich hatten ihn aufgefangen, ihn mit Liebe und Fürsorge überschüttet, so sehr sie nur konnten und irgendwann hatte der Schmerz nachgelassen.

Matthias dachte an Hanna. Ihre Eltern lebten beide noch. Hanna war kein Einzelkind wie er, sondern hatte noch eine größere Schwester. Ihre Eltern hatten sich scheiden lassen, und Hanna war der festen Überzeugung, dass ihr Vater ihre Schwester immer bevorzugte.

Matthias seufzte und starrte mit geöffneten Augen in die Dunkelheit. Die Lichter der vorbeifahrenden Autos zeichneten Muster an die Zimmerdecke. Warum war der heutige Abend nur so furchtbar schiefgelaufen? Er ertappte sich bei dem Wunsch, mehr Geduld gehabt zu haben, immerhin war es ihr Jahrestag. Er zückte sein Handy und schrieb Hanna eine Nachricht.

ES TUT MIR LEID, schrieb er. ICH VERMISSE DICH. WIR HOLEN DEN ABEND EINFACH NACH, OK? SCHLAF GUT. Er drückte auf »Senden« und war binnen weniger Sekunden eingeschlafen.

Am nächsten Morgen weckte ihn der dichte Verkehr auf der vielbefahrenen Straße vor Oma Lottes Haus. Blinzelnd öffnete Matthias die Augen. Obwohl er nur zwei Bier getrunken hatte, spürte er einen klopfenden Schmerz hinter seiner Stirn. Er griff nach seinem Handy und blickte auf das Display. Es zeigte ihm keine Nachricht von Hanna an. Müde erhob er sich und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Verschlafen schlurfte er über den Flur in das Badezimmer. Von unten drang der Duft frischer Brötchen und Kaffees nach oben. Matthias drehte die Dusche an und beugte sich über das Waschbecken, um sich kaltes Wasser in das Gesicht zu spritzen. Dann streifte er seine Boxershorts von den Hüften und stieg unter die dampfende Dusche. Das heiße Wasser weckte seine Lebensgeister. Er seifte sich ein und spülte den Schaum mit kaltem Wasser ab. Als er das Wasser abstellte und den Duschvorhang zurückschob, traf ihn fast der Schlag. Vor ihm, am Waschbecken, stand eine Frau, ungefähr in seinem Alter. Sie hatte schulterlanges, glattes braunes Haar, große, sanfte Augen und eine helle Haut, auf der vereinzelte Sommersprossen aufleuchteten. Bei ihrem Anblick erschrak er so sehr, dass er nach dem Duschvorhang griff und an ihm zerrte. Vor Schreck wendete er ein wenig zu viel Kraft an und riss die ohnehin nicht sonderlich fest angebrachte Halterung aus der Wand. Der Duschvorhang samt Stange gab nach und kam ihm entgegen. Matthias versuchte, der Stange auszuweichen und machte einen ungeschickten Schritt nach hinten. Dabei glitt er in der vom Wasser rutschigen Dusche aus. Er stürzte nach hinten und kam unsanft auf dem Rücken auf. Einen Moment lang wurde ihm schwindelig und er brachte nur ein schmerzerfülltes Ächzen hervor. Im nächsten Moment schob sich das Gesicht der Fremden in sein Gesichtsfeld. Ihre Augen zeigten Schrecken und Besorgnis.

»Alles ok?«, fragte sie. Matthias blinzelte. Für einen Augenblick kam sie ihm vor wie eine Traumgestalt. Er blinzelte erneut und der Eindruck war verschwunden. Benommen rappelte Matthias sich auf, ohne seine Augen von ihr abzuwenden.

Sie trug ein schlichtes, grünes Kleid, das hervorragend ihre hellgrüne Augenfarbe unterstrich und ihren großen, sinnlichen Mund mit den weichen, dunklen Lippen, die sich bei seinem Anblick langsam zu einem Lächeln verzogen. Sofort bemerkte er die kleinen Grübchen an ihren Mundwinkeln. Ihre Nase war klein, fast ein wenig zu klein, ihre Schultern waren schmal, dafür zeichneten sich unter dem T-Shirt-Stoff ihres Kleides ihre vollen, wohlgeformten Brüste und die rundlichen Hüften mit den stämmigen Oberschenkeln ab. Unsicher kam Matthias auf die Füße. Keinesfalls wollte er erneut ausrutschen und sich auf den Hintern setzen.

»Geht es dir gut?«, fragte sie und legte den Kopf schief. Dabei legte sie ihren langen, perfekt geschwungenen Hals mit der hellen Haut frei und ein leichter Schauder fuhr durch Matthias‘ Körper. Alles an ihr sprach von Weiblichkeit und Sanftheit und während Matthias sie anstarrte, vergaß er einen Moment, dass er völlig nackt vor ihr stand.

»Wwwwer bist du?«, fand er schließlich seine Sprache wieder. Ihr Lächeln wurde noch eine Spur breiter.

»Ich bin Ina«, sagte sie freundlich, so als erlebte sie solche Situationen täglich. »Du musst Matthias sein, Lottes Enkel. Ich habe schon viel von dir gehört.«

»Ähm«, machte Matthias und kam sich ein wenig unbeholfen dabei vor. »Gibst du mir mal das Handtuch?« Sein Hinterkopf und sein Steißbein schmerzten gehörig, doch das war nicht der einzige Grund, weshalb ihm das Denken schwerfiel. Es lag vielmehr an Inas Anwesenheit. Etwas an ihr verwirrte und faszinierte ihn zugleich, dabei war sie eigentlich gar nicht sein Typ. Sie war ein wenig zu unscheinbar, ganz anders als die stets perfekt gestylte Hanna, doch es war gerade ihre natürliche Schönheit, ganz ohne Make-Up und das schlichte Kleid, die ihn reizte. Leider zeigte sich diese Wirkung unmittelbar auf seinem nackten Körper. Inas Blick wanderte nach unten und sie hob eine ihrer Augenbrauen. Matthias spürte, wie er tiefrot anlief.

»Das Handtuch, bitte«, stieß er mit rauer Stimme hervor.

Ina riss sich von dem Anblick zwischen seinen Beinen los und griff nach dem Duschhandtuch. Sie reichte es ihm, ohne den Blick von ihm zu wenden. Dabei wirkte sie kein wenig schüchtern, im Gegenteil machte sie keinen Hehl daraus, dass ihr gefiel, was sie da sah und Matthias spürte, wie er unter ihrem Blick noch mehr errötete. Eigentlich war er nicht sonderlich verschämt, aber etwas an der Neugier, mit der sie ihn betrachtete, war neu für ihn und aufregend zugleich. Er knotete sich das Handtuch um die Hüften und schaute sie herausfordernd an.

»Wenn du nichts dagegen hast, dann würde ich mich gerne abtrocknen und anziehen.«

Auf Inas Wangen zeigte sich ein rötlicher Schimmer. Die Situation schien ihr wenigstens ein bisschen peinlich zu sein, wie Matthias mit einiger Befriedigung feststellte. Sie biss sich auf die Unterlippe und zwinkerte ihm zu.

»Klar, ich sage Lotte, dass sie frischen Kaffee aufsetzen kann.« Sie grinste spitzbübisch und wandte sich zur Tür. Als sie in der Tür stand, drehte sie sich noch einmal zu ihm um.

»Nettes Muttermal«, sagte sie. Matthias spürte, wie er tiefrot anlief. Sie meinte das Muttermal direkt an seiner Hüfte. Es war etwa so groß wie ein Daumennagel und nur sichtbar, wenn er vollkommen nackt war. Es war eines der intimen Details, das nur sehr wenige Menschen über ihn wussten. Die Tür schloss sich hinter Ina und er blieb verwirrt zurück. Nachdenklich putzte er sich die Zähne, kämmte sich die Haare und rasierte sich, so gut es ging, mit einem der Einwegrasierer, die Oma Lotte immer bereithielt, falls unangekündigt Besuch vorbeikam. Er betrachtete sich im Spiegel. Unter seinen Augen zeichneten sich dunkle Schatten ab. Man sah ihm an, dass er in der letzten Zeit nicht viel geschlafen hatte. Sein Gesicht war schmal geworden, ebenso wie seine Oberarme. Es war schon eine Weile her, dass er das letzte Mal den Weg in das Fitnessstudio gefunden hatte und ihm fiel auf, dass er sich wieder ein wenig mehr um sein Äußeres kümmern könnte. Er musterte sich genau. Seit er mit Hanna zusammen war, trug er das Haar kürzer, weil sie fand, dass es »gepflegter« aussah, wie sie es nannte, obwohl er es eigentlich gerade in der Stirn gern ein wenig länger trug. Er griff nach seinem Shirt und streifte es sich über. Es roch ein wenig nach Rauch und Schweiß. Es war eines der Polohemden, wie sie Hanna liebte, auch wenn er eigentlich mehr auf Longshirts stand. Dann schlüpfte er in seine Jeans, verließ das Badezimmer und ging nach unten in die Küche. Oma Lotte stand mit Schlappen und Lockenwicklern im Haar am Herd und wendete die Rühreier. Ina saß mit einer großen Tasse Kaffee am Tisch und lächelte ihn an, als er hereinkam.

»Da bist du ja«, begrüßte ihn Lotte. »Gut geschlafen?«

Matthias räusperte sich. Ohne seinen Blick von Ina abzuwenden, sagte er: »Geht so.«

»Na komm, setze dich, ich mache dir ein anständiges Frühstück. So ein großer Kerl wie du muss essen, nicht immer nur dieses Fitnesszeugs, mit dem dich Hanna foltert«, sagte Lotte und schichtete ihm eine dicke Portion Rührei mit Speck und Schnittlauch auf den Teller. Matthias ließ sich auf seinen Stuhl sinken. Der verführerische Geruch von Lottes starkem Kaffee stieg ihm in die Nase. Er rieb sich den Hinterkopf, wo sich bereits eine dicke Beule bildete.

»Wie ich sehe, habt ihr beide euch ja bereits kennengelernt«, erklärte Lotte fröhlich und setzte sich ihm gegenüber.

»Das ist Ina, die Enkelin meiner Freundin Gabi. Du weißt schon, Gabi aus dem Nähkurs, den ich letztes Jahr gemacht habe.«

Matthias nahm schlürfend einen Schluck aus der Tasse.

»Nähkurs?«, fragte er zerstreut.

»Ja, davon habe ich dir doch erzählt. Ina ist so lieb und nimmt mich hin und wieder zum Einkaufen mit. Du weißt ja, dass ich nicht mehr so gut zu Fuß bin und du und Hanna ihr habt ja selten Zeit, so beschäftigt wie ihr immer seid.«

Matthias ließ seine Tasse sinken.

»Aber Oma, das stimmt doch nicht. Ich bin immer für dich da und wenn du mich brauchst, dann nehme ich mir die Zeit. Du musst nur etwas sagen.«

Oma Lotte lächelte und tätschelte beruhigend seine Hand.

»Alles gut, mein Junge.«

Ina lächelte ebenfalls.

»Ich fahre meine Oma ja ohnehin, da macht es mir nichts aus, Lotte mitzunehmen, es liegt auf dem Weg. Und wir verbringen gerne Zeit miteinander. Das ist immer lustig.«

Oma Lottes Augen leuchteten bei Inas Worten auf.

»Du bist so ein gutes Kind, Ina, viel zu gut für diese Welt.« Ein zärtlicher Ausdruck trat auf ihr Gesicht. Matthias ertappte sich bei der Frage, wie es sein konnte, dass ein Mensch eine so große Rolle im Leben seiner Großmutter spielte und er nichts davon mitbekommen hatte. Er war wirklich mit zu viel anderem beschäftigt gewesen in der letzten Zeit und hatte sich zu selten blicken lassen, warf er sich selbst in Gedanken vor.

Matthias rieb sich seinen schmerzenden Hinterkopf.

»Das gibt eine fiese Beule«, stellte er fest. Lotte stand auf, ging zum Kühlschrank und holte einen Beutel gefrorener Erbsen aus dem Tiefkühlfach.

»Hier«, sagte sie. »Halt das an die Stelle. Dann wird die Beule nicht zu groß.« Matthias gehorchte. Die Kälte tat gut.

»Ich bin froh, dass ihr euch endlich kennenlernt«, erklärte Lotte, während sie wieder Platz nahm. »Ina ist ein durch und durch vernünftiges Mädchen und ich glaube, sie könnte dir dabei helfen, dein Problem in den Griff zu bekommen.«

Matthias runzelte die Stirn.

»Welches Problem?«, fragte er.

»Na, mit Hanna. Ich glaube, du kannst jemanden gebrauchen, der dir einfach hin und wieder zuhört. Jemand mit Herz und Verstand.« Matthias schob ruckartig seinen Stuhl zurück und stand auf. Der Beutel mit den gefrorenen Erbsen fiel zu Boden, riss auf und die Erbsen kullerten über den Küchenboden.

»Danke, ich brauche keine Hobbytherapeutin«, sagte er, deutlich gereizter als er beabsichtigt hatte. Er verließ die Küche und schlug die Tür hinter sich zu. Draußen vor Lottes Haus zog er sein Handy aus der Tasche und blickte in seine Messenger App. Zu seiner Verwunderung war Hanna gerade online, hatte seine Nachricht von gestern Nacht aber weder gelesen, noch ihm geantwortet.

HALLO SCHATZ, schrieb er ihr. KÖNNEN WIR REDEN? ICH VERMISSE DICH.

Die blauen Häkchen zeigten an, dass Hanna seine Nachrichten las.

JETZT NICHT, antwortete sie knapp. ICH MUSS IN DAS GESCHÄFT UND HABE ÜBERHAUPT KEINE ZEIT FÜR SO ETWAS. WIR REDEN SPÄTER.

Schon war sie wieder offline. Dass Hanna so kurz angebunden war, versetzte Matthias einen Stich. Offensichtlich hatte es für sie keine große Priorität, sich wieder mit ihm zu vertragen. Traurigkeit, gefolgt von Wut, stiegen in ihm auf. Was hatte er ihr getan, dass sie so mit ihm umsprang? Ja, es mochte sein, dass er in der letzten Zeit abgelenkt gewesen war und ihr nicht die Aufmerksamkeit geschenkt hatte, die sie sich vermutlich wünschte. Aber in der Werkstatt war eine Menge los gewesen, weil Christoph sich lieber mit irgendwelchen Frauen traf, statt sich um sein Geschäft zu kümmern. Matthias sog scharf die Luft ein. Trotzdem hatte Hanna kein Recht, so mit ihm umzuspringen. Immerhin hatte auch er Gefühle. Unentschlossen blieb er auf dem Treppenabsatz stehen und überlegte, was er als Nächstes tun sollte.

Lotte beobachtete ihn aus dem Fenster und nippte zufrieden an ihrer Kaffeetasse.

»Was denkst du, wird er jetzt tun?«, fragte Ina und rührte den Zucker in ihrem Kaffee um.

»Er wird eine Weile mit sich kämpfen, aber so, wie ich ihn kenne, wird er zur Vernunft kommen. Der Junge hat seinen Stolz und Hanna behandelt ihn schon viel zu lange wie ihr dressiertes Schoßhündchen. Er ist ein Kerl und kein Kuscheltier, aber das wird sie auch irgendwann kapieren. Weißt du, wenn man jemanden liebt, dann ist man bereit, sich ganz schön zu verbiegen, nur um so zu sein, wie diese Person einen gerne haben möchte, aber irgendwann kommt der Augenblick, an dem man begreift, dass jemand, der einen nicht so liebt, wie man ist, diese Liebe und all diese Mühen gar nicht verdient. Matthias war schon immer wählerisch, was seine Frauen anging, er war noch nie ein Draufgänger, eher schüchtern und zurückhaltend. Das hat Hanna sich zu Nutze gemacht. Sie ist eine Frau von dem Schlag, die weiß, wie man Männer manipuliert. Sie hat sofort erkannt, was für ein Goldstück er ist und ihn unter ihre Fuchtel gestellt, bevor er überhaupt wusste, was mit ihm los ist. Ich habe so oft versucht, mit ihm darüber zu reden und ihn zur Vernunft zu bringen, doch sobald ich das Thema anspreche, blockt er komplett ab. Er verteidigt sie, ganz gleich, was sie tut und sie lässt ihn am langen Arm verhungern. Frauen wie Hanna sind wie Vampire. Sie saugen Männer aus und wenn nichts mehr von ihnen übrig ist, dann ziehen sie weiter zum nächsten Wirt.«

Lotte seufzte. »Weißt du, das hat mein Junge einfach nicht verdient. Er hat so viel durchgemacht in seinem Leben. Er hat seine Eltern verloren, er war immer so still und in sich gekehrt, hat alles mit sich selbst ausgemacht und sein Herz nicht leichtfertig verschenkt. Als Hanna in sein Leben kam, wusste ich gleich, was sie für eine ist, aber ich habe nichts dazu gesagt. Bis ich mitbekommen habe, wie sehr sie ihn manipuliert und beeinflusst. Weißt du, ab wann ich wusste, dass sie keine Wärme im Herzen hat? Als die beiden mich über Weihnachten eingeladen haben und sie versucht hat zu kochen. Die Betonung liegt auf versucht. Jemand, der keine Wärme im Herzen trägt, kann nicht kochen, und ihr Essen hat schlimmer geschmeckt als aus der Tiefkühltruhe. Das liegt daran, dass sie keine Liebe empfinden kann. Diese Frau ist einfach kalt wie ein Fisch, nur auf ihr Äußeres und ihre Karriere konzentriert.«

Ina machte ein nachdenkliches Gesicht.

»Denkst du denn wirklich, dass es eine gute Idee ist, sich da einzumischen? Immerhin ist er erwachsen.«

Lotte legte ihr die Hand auf den Arm.

»Vertrau mir einfach! Der Junge braucht unsere Hilfe und du bist genau die Richtige dafür.«

In diesem Moment klingelte es an der Tür. Lotte machte ein vielsagendes Gesicht, stand auf und öffnete ihm.

»Hast du etwas vergessen?«, fragte sie schmunzelnd. Matthias schob sich an ihr vorbei nach drinnen und ging in die Küche. Er setzte sich wieder an den Tisch und sah Ina an.

»Also«, sagte er. »Was habt ihr beiden ausgeheckt?«

Ina und Lotte wechselten einen raschen Blick. Matthias entging nicht, dass Ina dabei errötete und ein wenig verlegen wirkte.

»Ich muss dann mal los«, sagte sie und stand auf. Sie stellte ihre Kaffeetasse in die Spüle und gab Oma Lotte einen Kuss auf die Wange.

»Ich komme übermorgen wieder. Wenn etwas ist, ruf mich einfach an.« Ihr Blick wanderte zu Matthias. Als er sie ansah, spürte er, wie sein Herz für einen Moment lang schneller schlug. Was war nur an diesen grünen Augen, dass ihn so verzauberte? Er versuchte es mit einem Lächeln.

»Mach’s gut«, sagte er ein wenig schüchtern.

»Du auch«, antwortete Ina und wandte sich zur Tür.

»Warum hast du mir von ihr nie etwas erzählt?«, fragte er seine Oma, sobald er mit ihr allein war. Lotte setzte eine Unschuldsmiene auf.

»Das habe ich, aber du hörst mir eben nie zu. In der letzten Zeit bist du mit deinen Gedanken ohnehin woanders.«

Matthias starrte auf die Tür. Bis heute Morgen war er sich sicher gewesen, dass es auf der ganzen Welt keine Frau gab, an die er auch nur einen Gedanken verschwenden würde. Hanna war seine Traumfrau und die Einzige, die bei ihm Herzklopfen oder andere körperliche Reaktionen verursachte. Aber seit er unerwartet nackt auf Ina getroffen war, war es mit dieser Gewissheit vorbei. Es war, als wäre alles aus den Fugen geraten und seine ganze Welt auf den Kopf gestellt worden, in nur einem einzigen Augenblick.

Lotte musterte ihren Enkel und schien zu ahnen, was in ihm vorging. »Sie gefällt dir«, stellte sie fest.

Matthias runzelte die Stirn.

»Du hast das absichtlich inszeniert, nicht wahr? Dass sie in das Badezimmer kommt, während ich dusche, oder? Was sollte das?« Lotte zuckte mit den Schultern und gab sich ahnungslos.

»Ich habe keine Ahnung, wovon du redest. Ich war in der Küche und habe gar nicht gehört, dass du aufgestanden bist. Sie hat mir mit den Blumen im Vorgarten geholfen und musste sich die Hände waschen und konnte nicht wissen, dass du im Adamskostüm unter der Dusche stehst. Außerdem gibt es da nichts, für das du dich schämen müsstest.« Sie zwinkerte ihm zu. Matthias seufzte. Oma Lotte war einfach unverbesserlich. Eigentlich hätte er ahnen müssen, dass sie etwas im Schilde führte, so oft, wie sie ihm wegen Hanna in das Gewissen redete.

»Was hast du vor, Oma?«, fragte er und fixierte sie. »Du weißt, dass ich Hanna liebe und mit ihr zusammenbleiben möchte. Mir ist es gleich, was du über sie denkst. Du kennst sie nicht so, wie ich sie kenne. Weißt du, sie hat ein großes Herz und sie und ich, wir sind perfekt füreinander.«

Lotte legte die Stirn in Falten.

»So perfekt, dass ihr es noch nicht einmal schafft, euren zweiten Jahrestag miteinander zu verbringen? Wie wollt ihr es dann die nächsten 20 Jahre miteinander aushalten? Weißt du, mein Junge, wenn man so alt ist wie du, dann hat man eine Menge komischer Vorstellungen über die Liebe und die Ehe im Kopf. Hinzu kommt, dass in eurer Generation kaum noch jemand länger als zehn oder fünfzehn Jahre verheiratet ist, gerade so lange, bis die Kinder aus dem Gröbsten heraus sind. Aber so eine Ehe, das ist harte Arbeit, das erfordert Aufmerksamkeit und Hingabe. Jeder muss ständig an sich arbeiten und für den anderen Kompromisse eingehen. Wenn man dazu bereit ist, dann ist es eine der tiefgreifendsten und schönsten Erfahrungen, die man als Mensch machen kann. Immerhin sind wir nicht dazu gemacht, allein durch das Leben zu gehen, dazu ist es viel zu schwer.«

Ein Schatten flog über ihr Gesicht. Matthias wusste genau, woran sie gerade dachte. Ihr einziger Sohn war im Alter von nur 37 Jahren verstorben. Erich und sie hatten lange versucht, ein Kind zu bekommen und als sein Vater auf die Welt gekommen war, hatte eigentlich schon niemand mehr daran geglaubt, dass es überhaupt möglich war. Lotte hatte ihr einziges Kind über alles geliebt und ihn noch im Erwachsenenalter verwöhnt. Dann hatte ihn der Zugunfall unerwartet aus dem Leben gerissen.

»Kinder sollten niemals vor ihren Eltern gehen«, pflegte Oma Lotte immer mit Tränen in den Augen zu sagen. »So ist es von der Natur nicht vorgesehen.« Die Sätze hatten sich ihm regelrecht eingebrannt.

»Dein Opa Erich und ich, wir hatten auch nicht immer nur rosige Zeiten. Oh nein, so war das nicht. Dein Großvater konnte ein verdammter Sturkopf sein und er hatte auch seine schlechten Eigenschaften. Aber ich habe ihn so genommen, wie er war. Ich wollte ihn nicht besser machen, oder verändern. Für mich war er gut so, wie war, mit seinen guten und seinen schlechten Seiten, und umgekehrt war es genauso. Das hat uns die Kraft gegeben, in all den Jahren füreinander da zu sein, zueinander zu stehen. Wir kannten einander und wir wussten, was wir aneinander hatten. Wir wollten uns nicht besser oder schlechter machen, als wir waren. Es ist nicht so, als sei er mir nicht regelmäßig mit seinen Marotten auf die Nerven gegangen. Zum Beispiel hat er immer gedacht, ich merke es nicht, wenn er sich den Kaffee mit Schuss versehen hat, doch ich habe es immer gemerkt. Doch zu einer guten Ehe gehört es auch, nicht immer aus allem ein Thema zu machen. Man muss sich entscheiden, welche Angelegenheiten es wert sind, um sie zu streiten und welche nicht, und wenn man danach geht, dann gibt es nur sehr wenig, dass es wirklich wert ist, sich zu zoffen. Ich wusste einfach, was ich an ihm hatte.« Ihre Stimme brach ab. Matthias griff nach ihrer Hand und umschloss sie mit seiner.

»Es tut mir leid, wenn ich in der letzten Zeit nicht so für dich da war. Ich war einfach sehr beschäftigt.«

Lotte setzte ihre Brille ab und trocknete sich rasch ein paar Tränen aus den Augenwinkeln.

»Schon gut, ich weiß ja, dass du dein eigenes Leben hast. Du musst dich nicht um deine alte Oma kümmern.«

Matthias sah ihr fest in die Augen.

»Ich möchte mich aber um dich kümmern, weil du mir wichtig bist.«

Oma Lotte lächelte schief und schniefte in das Taschentuch, das sie aus der Tasche ihrer Schürze gezogen hatte.

»Du bist ein guter Junge. Und gerade deshalb tut es mir weh, wenn ich sehe, wie sehr du dich quälst. Egal, wie herausfordernd eine Beziehung manchmal ist, sie sollte nie unter Zweifeln geführt werden, verstehst du, was ich meine?« Matthias schüttelte den Kopf.

»Ich bin mir nicht sicher…«

»Dein Opa Erich war kein leichter Fall. Er konnte ein ziemlicher Knochen sein, doch ich musste nie Angst haben, dass er mich irgendwann für eine andere sitzen lässt. Er hat nie, in all den Jahren, einem anderen Rock hinterher geschaut, da konnte ich mir sicher sein. Ich war die einzige Frau für ihn. Er hat mich nicht immer auf Rosen gebettet, aber wenn er mal wieder vergessen hat, was er an mir hat, naja, dann habe ich ein wenig nachgeholfen.

»Manchmal muss man jemandem vor Augen führen, was er eigentlich an einem hat, damit er es wieder wertschätzen kann«, antwortete Lotte vieldeutig.

»Aha«, machte Matthias. »Seit wann bist du denn eine Beziehungsexpertin, Oma?«

Lotte grinste. »Also erstens habe ich schon eine Menge Beziehungen live mitbekommen und war über 40 Jahre mit deinem Großvater verheiratet. Da lernt man eine Menge über die Liebe.« Sie spitzte die Lippen.

»Außerdem habe ich viel gelesen.«

Matthias lachte. »Du meinst in diesen Schundheften, die du immer liest?« Er wies mit einem Kopfnicken auf den Stapel mit den Heftromanen, in denen es immer um die ganz große Liebe ging. Oma Lotte schnaubte.

»Mach dich nur darüber lustig, aber es ist nichts verkehrt daran, gewisse Ansprüche an den Menschen zu haben, mit dem man sein Leben verbringen möchte.«

Matthias wich ihrem Blick aus. Er wusste, dass er vor seiner Großmutter nichts verbergen konnte. Sie ahnte vermutlich schon, dass er drauf und dran gewesen war, Hanna einen Heiratsantrag zu machen.

»Weißt du, ich sage ja nicht, dass du gleich mit ihr Schluss machen solltest.«

Oma Lotte lächelte ihn vielsagend an.

»Ich sage nur, dass du die Dinge mit Bedacht angehen solltest.«

Matthias stand auf und gab Lotte einen Kuss auf die Wange.

»Wir sehen uns die Tage«, sagte er, um sich zu verabschieden.

Als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, lächelte Lotte siegessicher.

»Geschafft…«, flüsterte sie.

Herzhaft Verkorkst

Подняться наверх