Читать книгу Dich gibt's nur dreimal für mich - René Kemp - Страница 8
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Donnerstag, 05. März 2015
Auf dem Sterbebett will ich, dass man mir ein Mikrofon hinhält, dann schaue ich wissend durchs offene Fenster in die milchige Weite und werde mit ruhiger und friedlicher Stimme - während mir ein exotisches Girl, das ich nicht nur für ihre schönen Beine, sondern auch für ihren unaufgeregten Realismus liebe, neue Zigaretten ans Bett bringt - sagen:
I’m amazed I did all the waiting
Mittwoch, 01. April 2015
Bücher sehen auf Fotos immer größer aus.
Samstag, 04. April 2015
Als ich mit Schaum und Zahnbürste im Mund in mein Zimmer zurückkomme, läuft auf einmal der Fernseher.
Eurosport, Snooker Turnier. Wie zu dem Zeitpunkt, als ich das Teil gestern Nacht im Halbschlaf ausgeschaltet habe. Angegangen ist er, weil ich den Netzstecker angeschaltet habe, um diesen Computer hier hochzufahren.
Erklärung: Snooker nur als alternative Lichtquelle, denn ich habe gelesen. Und Snooker ist so schön leise.
Montag, 06. April 2015
Finde beim Räumen lose Zettel, Notizen - »Fragmente« wäre etwas hochgegriffen für dieses Zeug, das ich geschrieben habe, als ich Anfang 20 war, das Jahr war 2005, fast genau zehn Jahre. Muss natürlich fast alles grauenhaft sein, ist es auch. Ich erkenne aber hinter allen Sätzen die Absicht, was es nicht besser macht für denjenigen, der es lesen muss.
Als ob ich da schon 80 war. Süß. Sich selbst als obskures Wesen aus der Vergangenheit betrachten und akzeptieren lernen.
Mittwoch, 10. Juni 2015
Gut geschlafen, nicht geträumt, rechtes Auge funktioniert, linkes Auge funktioniert, und ich wache auf mit freiem Kopf, als Kritiker des Tages, der da noch vor mir liegt, und wie jeden Tag fürchte ich am meisten: die Dummen.
Mittwoch, 15. Juli 2015
Während Google Analytics aus mir ein 17jähriges Mädchen aus Südamerika macht, wird auf den Fluren an die Wahrung des Anscheins geglaubt, ziehen peoples mit der eiskalten Cola light auch ein Begehren aus dem Automaten. Mit gutem Gewissen – die Coke kühlt von Innen – und im Gehen werden Hallos und Heys verteilt, während der ganze anamorphe Zirkus auf den Spiegelflächen abgeht, an denen sich Identitäten dickfressen, aber warum platzt hier keiner mehr? Ich würde die Sauerei gerne wegmachen.
Donnerstag, 30. Juli 2015
Warum mich alte Kontoauszüge, die ich jetzt alle bündelweise wegschmeiße, so beunruhigen und fast zum Weinen bringen: nicht, weil sie anzeigen, WIE wenig Geld ich damals hatte. Es sind diese nackten und klaren Zahlen und Buchstaben, die, obwohl sie fast alles nur abkürzen und andeuten, ein klares und genaues Bild von dem Leben geben, das man geführt hat, Mengen, Größen, Jahre, Orte, Verzweiflung und Wiederholung.
Montag, 10. August 2015
Während der Kunstmarkt und seine Peripherie die Abstraktion embracen, hat die Abstraktion in Sachen Sprache eine Dürrezeit, hart wie die Rübenernte.
Kann es was bedeuten? Es MUSS was bedeuten… und irgendwo bellt ein Schriftsteller, der auf Reisen via Instagram Buchauslagen fotografiert, die das eigene Buch prominent platziert zeigen.
Jetzt zum Stil-Ressort: am 3. August berichtete der FREITAG, dass Thomas Meinecke sich als »Feminist« bezeichne. Schreibt da jemand mit eigentlich?
Freitag, 15. August 2015
What’s the thing with girls and their almost automatic swooning about handsome actors who die in their 20s?
• There is no male equivalent to that scheme
• Women older than 30 cease to do that. They prefer the living
Samstag, 29. August 2015
P. Guston: total angenehm, seitenweise zu lesen, wie jemand im Versuch, das Malen zu beschreiben, sich am Ende dann doch nur schöne Nebelbänke abringen kann. Die eigentlich unmögliche, vollständige Entwirrbarkeit der Dinge, der Lebens- und vor allem Arbeitsformen, sozusagen eine Positivierung der Ahnungslosigkeit. Tiefgreifend beruhigt durch diese Absagen, die für mich jedoch irgendwie nur greifbar sind, wenn es jemand anderes sagt oder hinschreibt.
Bekomme dabei unglaubliche Lust, und spinne mir inmitten dessen schon den großen Bogen Zukunft zurecht, ich, Atelier, die leere Leinwand, die einen anstarrt, aber natürlich dabei nur Leinwand bleibt und bleiben muss (Esoterikverbot), und ja, da ist es ja auch: das Bild von Guston, mit der saftigen Leinwand, die, dicklich wie eine Matratze, an ein Gemäuer gelehnt und - sagen wir halbzyklopisch - aus ihrem lebendigen, verschmutzten Kadmiumrotgemisch IRGENDWOHIN blickt.
Mittwoch, 16. September 2015
Fest vorgenommen, heute etwas zu schreiben, sogar die letzten Tage wie in geduckter Haltung Notizen und Sätze gesammelt, zurechtgelegt, auf Sound überprüft, und vielleicht sogar, ob auch alles daran wahr oder wahrhaftig ist, aber jetzt, 11:09 Uhr auf dem Computer, kann ich das alles nicht mehr ordnen, ich bleibe auf den Playboy-Fotos von Debbie Harry hängen, die vor ihrer Zeit bei Blondie entstanden, dunkle Haare, sie war eine Art Kate Moss bevor es diese eine Kate Moss gab, die ich mir, im Übrigen, immer leicht besoffen vorstelle. Also Moss, nicht ich besoffen.
Mittwoch, 23. September 2015
Ich erzähle Marc, dass ich gerade Kermanis »Dein Name« lese, und er versteht es erst gar nicht, wahrscheinlich weil Skype in dem Moment nicht alles überträgt, oder aber weil ich mich bemühe, dem Namen den richtigen Farsi-Sound beizugeben. Er erinnert oder fragt mich, bzw. er macht auf diese stimmliche Art beides gleichzeitig, nach Knausgård, und mir fällt ein, dass wir schon über Knausgård gesprochen haben. Ohne zu diesem Zeitpunkt (Dienstagmittag, CET, 22. 09. 2015) auch nur je eine Zeile von Knausgård gelesen zu haben, glaube ich zu wissen: die beiden Bücher haben etwas miteinander zu tun. Die Art des Aufschreibens, vielleicht sogar die Kriterien, nach denen man aufschreibt. »Aufschreibesysteme« heißt das Hauptwerk (oder eines) von Friedrich Kittler. »Aufreibesysteme« wollte ich anfangs dieses Blog nennen. Der Titel ist immer noch passend, weil ich ja aufschreiben will, was mich aufreibt, woran ich mich aufreibe. Gutes Wort, weil es nicht so aggressiv oder cholerisch klingt wie aufregen. Ich will nicht gegen meinen Puls anschreiben.
Knausgård also: ich verbringe eigentlich den restlichen Dienstag (den 22. 09. 2015, also gestern, von heute aus gesehen) damit, mir Knausgård Interviews auf Youtube anzusehen, oder mir Interviews durchzulesen. Das erste Video, das ich mir anschaue, ist eine Folge der Sendung »Kulturplatz« des SRF. Es ist eine grausame und sinnlos in die Länge gezogene Sendung. Kulisse ist eine einsame Berghütte in Appenzell, in der es sich die Moderatorin »gemütlich« macht, Kerzen, Holzhacken, man sieht die Moderatorin an einen grünen Kachelofen gelehnt… - dann Abblende in Unschärfe, Off-Stimme, sowas. Die Worte »schonungslos« und »radikal« bleiben natürlich nicht aus. Einmal sitzt sie in einer Schaukel und schaukelt und tut so, als würde sie im Knausgård lesen. Sie trägt dabei Lederhandschuhe. AUFREIBESYSTEME.
Sonntag, 27. September 2015
Geputzte Fenster sind die besten Fenster, lassen mehr Licht rein und treiben die Scheiße aus, so auch jetzt, aber nur halb, die Sonne scheint, der Himmel grellblau und überfreundlich, September, mein Oberkörper im Schatten, meine Füße in der Sonne, ich auf dem Bett, auf dem Schoß den Computer und im Nacken der dumpfe Schmerz vom falschen Sitzen im Bett, siehe Computer.
Denkbar schlechter Start in einen Sonnentag wie diesen: aufwachen und der ganze Raum erst mal voll bis obenhin mit dem Gefühl und der Gewissheit, allein zu sein und wie alt bin ich eigentlich und wo bin ich falsch abgebogen. Kaffee auch fast alle, erster Aufreger des Tages. Ich kann mich schon nicht mehr mit dem Gedanken an einen vermeintlich geglückten Freitag herausziehen aus der Sache jetzt, allein der Anblick eines sauberen Fensters ist und bleibt - irgendwie - SCHÖN. Dumm und schön. Aber »schön« kann nicht das letzte Wort dieses Eintrags sein. Darum: macht alle nur weiter so.
Dienstag, 03. November 2015
Ich weiß schon jetzt, was ich in Zukunft über diese Wohnung sagen werde, dass es anfangs gut war, schön, angenehm, was sagt man da. Man schaute hier gern durchs Fenster, das Licht war viel, die Straße interessant, mutet gut an, wie die Häuser aufgereiht sind, Bäume eng zusammenstehen. Dann war da die Lautstärke, der Lärm, der Verkommenheitssound der Menschen, der Minutenterror in den Vordergrund getreten. Aggressiv, dabei mich aggressiv machend, REALITÄT, absolut nichts zu machen.
Gestern: »The Martian«. Viel zu lang.
Freitag, 06. November 2015
Tripping out on layers of complexity in total silence
Situationen in U-Bahnen: der nicht nur Fortbewegungs-, sondern auch Publikumsgenerierungs-Apparat »Öffentliches Verkehrsmittel«, der in seiner (raumbedingten) zwangsformierenden Eigenschaft das schafft, worauf jede Statistik abzielt und hingelogen wird: Querschnitt der Gesellschaft, Toleranz- und Duldungs-Echtsituation, Spiel- und Zeigetrieb, Lärm und Ruhe, Hass und Liebe, Rechtschaffenheit und das Böse, Duft und Gestank, Mensch und Maschine, Karte & Gebiet. Von der Gesellschaft sprechen, aus der Perspektive der Untergründigkeit.
Montag, 09. November 2015
Wahnsinn, wtf-level: wirklich jede seriöse Nachrichtenmaschine bringt als Meldung, dass Pamela Anderson jetzt von Hepatitis-C geheilt sei. Sonst: Schmidt: Krankenhaus, Stahlindustrie: Gegenwind, erste Niederlage für Klopp, Katalonien, Burma, FIFA.
Draußen fegt die Thermodynamik; heute Morgen, ich stand im Fenster, riss eine düstere Wolke auf und ein fulminanter Sonnenstrahl überschüttete mich wie ein Laserbeam mit gleißend hellem Licht, toll
Refrain: »the arbitrary li-ine……. «
Mittwoch, 11. November 2015
»Morgens stehe ich so früh auf, dass ich freie Parkplätze in meiner Straße sehen kann« 14. November 2012
Es ist 10:02 Uhr. Ich habe es die letzte Stunde ganz gut geschafft, mich in Cormac McCarthy genau so tief reinzuknien, dass ich alle Sätze auch wirklich aufgenommen habe, aber jetzt lehne ich mit dem Hinterkopf an der Wand, an der Stelle, wo die Farbe schon fahl wird, und gucke aus dem Fenster und frage mich, wie bescheuert ich eigentlich sein kann und lächle auch ein bisschen. Der Mitbewohner, der Opernsänger, singt schon in seinem Zimmer, so wie er auch schon unter der Dusche gesungen hat, und ich komme nicht klar damit, denn es ist laut und eben nicht nur ein Geräusch, sondern eine Überpräsenz, die mir jetzt, am Morgen, zu nahekommt, zu sehr in alles einfällt. Ich habe keine Kontrolle über die Ruhe in meiner eigenen Wohnung. Wie naiv von mir, ich bin selbst schuld, haha, was habe ich mir dabei gedacht. Küss mich, beunruhigte Zone.
Dienstag, 24. November 2015
Ein Badezimmer, in das man sich einsperren kann -
brauch ich nicht. Hab ich nicht gebraucht. Werde ich nicht brauchen. Vor gut sechs Jahren, die viel weiter weg liegen als die Zahl packen kann, gab es Streit, hatten wir Streit, meine Freundin und ich, voll unter Flagge einer Nervosität und hysterischen Unruhe, die einen in ein losgelassenes Objekt verwandelt, rotierend dem Bezugssystem Wahnsinn sehr nahe, das strahlte so ultrahell von ihr auf mich herüber, sie zog mich sofort zu ihr herunter damit, und in dem Moment wusste ich das auch, was es noch schlimmer machte. Die geliebte Klarheit, die ich auch dann haben wollte, wenn ich in die Turbinen sprang: weg, längst, niedergewalzt mit Tränen und der Frage: was muss ich jetzt tun, was wird von mir erwartet. Unmöglich sich an Details zu erinnern, wenn sich Gegenwart bloß stellt…. Dann: einsperren im Bad, unfassbar träge und viele Minuten, Grundsteinlegung Hautkrankheit (die auch wirklich kam, haha). Dann, tatsächlich, hatte sie formuliert, was ich zuerst glaubte, mir selbst falsch zusammengehört zu haben: ich tue mir was an, ich bring mich um -
(Und hier kann ich mich nicht genauer erinnern, was der EXAKTE Wortlaut war, das wäre jetzt wichtig, ich will nichts nach meinem Sprachgebrauch hin zurechtbiegen, fucking Chronistenpflicht (oder was), ich weiß nicht mehr, ob sie gesagt hatte »werde mir was antun«, »will ich nicht mehr leben« oder, ganz anders: was heißt hier ganz anders?)
Zu diesem Zeitpunkt - diese Drohung erreichte mich durchs Handy, das ich mir ans Ohr hielt, während ich im Auto saß und aus der Wohnung abgehauen war, aus der viereckigen Box, in der jetzt der Wahnsinn seine Paraden abhielt - das Auto war komischerweise rot, Feuerwehr, aber in die andere Richtung… das unumgängliche Schuldszenario hatte mich umdrehen lassen, ich parkte das Auto, die berühmten »unendlich langen« Sekunden, rot ist das Auto, rot ist das Auto, aufschließen Haustür, unendlich lang, aufschließen Wohnungstür, kein klarer Gedanke hatte eine Chance, ein einziges Aufbranden aus Angst und Befürchtung und in Sekunden denkt man Jahre im Voraus und: altert.
Nichts, was damals angedroht wurde, passierte. Wenige Wochen später trennte ich mich, trennten wir uns. Ich brachte sie zum Zug, dann lächelte sie, und der Zug fuhr los und sie wurde immer weniger und dann war sie, für mich nicht mehr zu sehen, weg. Das war Ende 2009. Sechs Jahre. Manchmal, so wie jetzt, denke ich daran.
Freitag, 11. November 2015
Gestern: ein brauner Hund, der an einem Haufen leckt, der eine Farbe hat, fast wie die des Hundes, kann das sein?
Dienstag, 22. Dezember 2015
Beim Grundieren einer Leinwand fallen Farbabsplitterungen vom Stiel des Pinsels auf die nasse Grundierung, rotbraune dünne Zacken kleben auf dem blässlichen weißen Brei. Wenn mir alles zu »schicksalshaft« - also bescheuert - vorkommt, wie jetzt, rufe ich Gott an, oder wie das Konstrukt heißt - GIVE ME A FUCKING BREAK JA? - dann trink ich bisschen vom Kaffee und lache ein bisschen in mich hinein, über mich, über alles.
Seit ein paar Tagen muss ich viel an Junkie-Kunst denken, an die Basquiats, an die Dash Snows (der Plural, der entindividualisiert, weil man - obwohl von einer Person sprechend - immer das Programmatische der Biografie meint) was das alles ist, und noch mehr als die Kunst selbst interessiert mich das, was darüber gesagt wird, wie es aufgenommen wird. Die brennende Sehnsucht nach dem Outsider, hoffnungslos und permanent und unrettbar verloren; die Kritik genießt es, diesen Noch-Existenzen beim Sich-Ausschütten zuzusehen, und in Zeiten, in denen die meisten schon wissen, wie und wo sie sich in die Geschichte einzuschreiben haben, findet - bei allem Chaos - das Ende seine irgendwie auch brüllend banale und konventionellste Gestalt: die Überdosis mit 27. Und all das: logischerweise ein Ofen, an dem man sich wärmt wärmt wärmt.
Montag, 28. Dezember 2015
Während ich meinen Schlaf im Oberallgäu abreiße, wälzt sich in den amerikanischen Medien die Meldung vom Tod Ellsworth Kelly’s nach oben, ich selbst lese die Nachricht am kommenden Morgen, heute. Auf den Dächern Raureif, aus den Dächern feiner Rauch, die Kälte hard edge - so kommt es einem vor, wenn man diese 13 Grad aus der Kölner Bucht noch auf der Haut und in der Nase hat. Gestern Abend, nach dem Essen, zitterte ich wie minus 20 Grad bei gerade mal null Grad.