Читать книгу Termonia - Renate Doms - Страница 6

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Prolog

Julius saß auf seinem Schaukelstuhl, die Pfeife im Mundwinkel, und paffte weiße Rauchschwaden in den Nachthimmel. Sein Blick folgte dem Qualm, der durchs halb geöffnete Fenster von einer leichten Brise erfasst und hinaus aufs Meer getrieben wurde. In stetem Takt streifte der Lichtkegel des Leuchtfeuers die Gebirgskette am Horizont. Der alte Leuchtturm von Pelenall war das stolze Wahrzeichen der kleinen Hafenstadt. Unzähligen Seeleuten hatte sein Licht über viele Jahre den Weg nach Hause gezeigt. Der Leuchtturmwärter sah weiter hinaus aufs Meer. Das Wasser lag ruhig vor ihm und glitzerte im Schein des Mondes, der vom sternenklaren Himmel schien. Doch in der Ferne türmten sich schwarze Wolken auf.

»Das Wetter wird schlechter, bevor der Göttermond am Himmel erscheint«, bemerkte Julius und blickte zu seinem Enkel Tamilo, der am Tisch mit einem hölzernen Drachen spielte.

»Dauert es noch lange, Großvater?«, fragte der Junge, stand auf und stellte sich neben Julius.

Der alte Mann strich seinem Enkel, der sich die Nase an der Fensterscheibe plattdrückte, lächelnd über den roten Schopf. »Nur Geduld. Die musst du haben, mein kleiner Tamilo, wenn du eines Tages Leuchtturmwärter werden möchtest. Geduld, gute Ohren und Augen wie ein Adler. Heute ist die Nacht von Nemelist, dem Wasserschloss der Götter. Ich bin ganz sicher. Wenn diese schwarze Wand sich auflöst und der Göttermond sich in den Wellen spiegelt, dann wird Nemelist aus der Gischt emporsteigen, so heißt es.«

»Gibt es denn keinen, der das Schloss gesehen hat? Du auch nicht?«

Julius legte seine Pfeife in eine Holzschale, die auf der Fensterbank stand, und drehte sich zu Tamilo um.

»Nemelist selbst hat noch nie ein Mensch zu Gesicht bekommen. Im Grunde weiß keiner, ob das Schloss tatsächlich existiert.«

»Glaubst du es denn, Großvater?«

»Wer seinen Glauben an Hedog nicht verliert, der glaubt auch an dessen Schöpfung. Nemelist ist eine davon, ebenso wie die Triade der drei Magier. Das Mädchen aus der Menschenwelt hat Großes vollbracht und die Magier wieder vereint. Die Kunde verbreitet sich in Windeseile durch unsere Welten. Ja, mein Sohn, ich glaube ganz fest daran, dass Nemelist existiert. Es liegt inmitten der Todesklippen, bewacht von einem Lauerfisch. Kein Kapitän würde freiwillig in einer solchen Nacht die Segel setzten – nicht einmal ein Piratenkapitän. Aber du kennst die Geschichte doch.«

»Erzähl sie mir trotzdem noch einmal, Großvater. Wohnt jemand in diesem Schloss?«

Julius lächelte, setzte sich in seinen Schaukelstuhl, stopfte sich erneut ein Pfeifchen und begann zu erzählen.

»Hedog, der Gott des Lichtes und Wächter über die magischen Welten, hat neben seiner Triade noch andere göttliche Wesen, die dabei helfen, alles im Gleichgewicht zu halten. So auch die Elementare Telluria, die Erde, Aqualovandor, das Wasser, Auris, die Luft, und Ignis, das Feuer. Obwohl die vier Geschwister sind, gab es nie für sie die Möglichkeit sich zu begegnen. Das machte die Elementare sehr traurig. Telluria wurde unfruchtbar, woraufhin kaum eine Pflanze überleben konnte, Auris wollte vor Gram keine Winde mehr über das Land schicken, ihr Bruder Aqualovandor hockte bewegungslos in seiner Meereshöhle, so dass sich keine einzige Welle mehr an Ufern und den Felsen brach, und Ignis züngelte nur noch lustlos vor sich hin. Für die Menschen war das katastrophal. Die Schiffe konnten nicht mehr in See stechen, weil kein Wind ihre Segel aufblies und keine Welle sie über das Wasser tragen würde. Die Früchte auf den Äckern verdorrten, weil kein Wind auch nur eine Regenwolke über den Himmel trug. Die Menschen froren, weil kein Feuer so recht lodern wollte. Die Menschen drohten an der Hungersnot zu sterben, weil die Pflanzen und Bäume nicht mehr gediehen … Hedog konnte das nicht zulassen. Er ist ein guter Gott, der die Menschen liebt. So beschloss er, den Elementaren zu helfen und eine neue Ordnung zu errichten. Er wollte einen Ort schaffen, an dem sich die Elementare treffen konnten, um für kurze Zeit vereint zu sein. So erschuf er Nemelist, ein Schloss ganz aus Wasser und Meeresschaum, das von nun an in den Todesklippen liegen sollte. Und damit nie ein Mensch dieses göttliche Bauwerk zu Gesicht bekam, würde es von einem riesigen Lauerfisch bewacht werden. Einmal im Jahr zum Göttermond sollte Nemelist aus den Fluten steigen und den Elementaren für eine Nacht Unterschlupf bieten. Aber Hedog wusste, das Ignis dieses Schloss nicht einfach so betreten konnte, denn das Wasser würde den Feuerelementar zerstören. Von den Wolkenkindern ließ Hedog einen schwarzen Schleier weben, der ganz und gar aus den Schatten der Nacht und dem Licht der Sterne gefertigt war. Die Wolkenkinder webten emsig und jedes von ihnen webte eine Gabe mit hinein – Unverwundbarkeit, ewige Jugend und unendliche Macht. Dieses Artefakt wurde von nun an im Schloss aufbewahrt und durch seine Magie schützte der Schleier den mächtigen Feuerelementar vor dem Wasser. Seit dieser Zeit taucht Nemelist an Göttermond aus den Fluten empor und öffnet seine Tore für die Elementare. Viele wagemutige Seefahrer haben versucht Nemelist zu finden, um den wertvollsten Gegenstand zu erbeuten. Der Schleier der Schatten, der sich im Schloss auf einem Altar befindet, ist der größte Schatz, den es zu besitzen gilt. Doch keines der Schiffe ist je aus den Todesklippen zurückgekehrt und so konnte auch kein Mensch berichten, ob Nemelist tatsächlich existiert«, beendete Julius die Geschichte und blickte zu seinem Enkel.

Tamilo war zu seinen Füßen eingeschlafen. Sachte hob er den Jungen auf und trug ihn hinüber auf die Pritsche, die im Nebenraum stand. Ohne zu erwachen rollte sich der Kleine auf die Seite. Julius deckte Tamilo zu und strich ihm zärtlich über den Kopf. Dann ging er zurück, steuerte auf eine alte Truhe zu, hob den Deckel und holte einen Krug Rum hervor. Julius schlurfte die schmale Treppe empor, die zum Lampenhaus führte. Er trat hinaus auf den Rundgang, der um den gesamten Leuchtturm verlief, stellte den Krug auf den Boden und kontrollierte im Inneren das Leuchtfeuer und die zwei großen Spiegel, die sich allein durch die Willenskraft des Leuchtturmwärters um das Feuer drehten und so den Lichtkegel bis weit in die Ferne seine Kreise ziehen ließ. Als Julius sich vergewissert hatte, dass die Flammen hoch und die Spiegel blank genug waren, trat er wieder hinaus, lehnte sich an die Brüstung und blickte aufs offene Meer. Die schwarzen Wolken lösten sich allmählich auf und der alte Leuchtturmwärter wusste, dass es nun nicht mehr lange dauern würde. Kein Lüftchen wehte, kein Vogel kreischte. Nur das stete Geräusch der rotierenden Spiegel, die sich unermüdlich um das Leuchtfeuer drehten, war zu hören. Mit den Zähnen zog Julius den Korken aus dem Krug und nahm einen kräftigen Zug.

»Die Ruhe vor dem Sturm«, flüsterte er …


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