Читать книгу Geschichten aus Byblos - Renate Ellmenreich - Страница 4
Die Frage
ОглавлениеMit einem galanten Bogen über dem Hafen und dem langen Stadtstrand senkte der Pilot das Flugzeug, um kurz darauf sanft im Flughafen zu landen. Bei den Mitreisenden erwachte die übliche leichte Erregtheit bei der Aussicht, gleich wieder das Handy einschalten zu dürfen. Nun liegt die langwierige Prozedur am Immigrationsschalter hinter mir und jetzt trete ich ein in das Land, über das ich schreiben soll – den Libanon. In der Reihe der Abholer sehe ich auch schon einen mit dem Schild, auf dem mein Name steht, zwar falsch geschrieben, aber erkennbar.
„Merhaba, willkommen!“ begrüßt mich der Fahrer der Pension, in die ich mich eingemietet habe. Für ein paar Tage nur, nicht in der Hauptstadt, sondern ein bisschen außerhalb, in einer Kleinstadt direkt am Meer. Etwas Erholung darf nebenbei auch sein. Mein Auftrag ist ja auch nicht eng umrissen. „Finden Sie heraus, was das Rezept des Libanons ist. Warum schaffen die es, trotz ihres ethnischen und religiösen Völkergemischs so friedlich zu bleiben und relativ gelassen so viele Flüchtlinge im Land zu ertragen“ hatte der Chef gesagt. Und dass es auch eine längere Reportage sein darf, wenn sie gut ist.
„Ich bin Ahlan“, stellt sich mein Fahrer nun vor und lotst mich zu seinem Kleinbus.
Und schon brausen wir auf einer Autobahn auf die Stadt zu. Rechts und links werden wir überholt aber mein Fahrer lässt sich auch nicht die Butter vom Brot nehmen. Rasant nutzt er jede noch so kleine Lücke in diesem chaotischen Verkehr, um voran zu kommen. Ich achte besser nicht darauf, sondern schaue aus dem Fenster, um mich einzustimmen in dieses Land. Rechts lassen wir gerade ein riesiges Stadion hinter uns und schon tauchen wir in die Stadt ein. Hohe, ja sehr hohe Häuser links von uns, da wo der Strand sein muss, denn wir fahren nach Norden. Der Verkehr wird immer dicker und schon stehen wir in einem Stau. Weit vorn sehe ich einen Polizisten heran schlendern, der nun Auto für Auto aus dem Knäuel herauswinkt, bis sich der Stau auflöst.
Die Autobahn mündet in eine breite Straße, die nahe am Meer durch das Stadtzentrum führt. Der Wind weht so stark, dass sich die Palmen an der Corniche, der Strandstraße heftig biegen. Wahrscheinlich sind deshalb nur wenige Fußgänger zu sehen.
Jetzt haben wir links den Hafen passiert und durch ein hohes Häusermeer kommen wir wieder auf eine Autobahn, die aus der Stadt herausführt. Ich bin froh, dass der Chef die Idee hatte, mich in eine kleinere Stadt zu schicken und nicht in diese überdimensionierte Hauptstadt.
Der Verkehr fließt wieder und nun sehe ich links das Mittelmeer, durch den Wind recht aufgewühlt heute und rechts steigen die Häuser schon an, den Bergen entgegen. Das Libanongebirge – nicht weit vom Meer entfernt steigen die Berge schon recht steil an. Grün sehen sie aus, obwohl bis weit nach oben mit Häusern bebaut sind.
Eine Seilbahn schwebt über uns hinan. „Teleferique“, sagt Ahlan. „Sie führt zur Harissa, der großen Marienstatue da oben. Siehst du sie?“ Ja, ich kann sie sehen. Eine riesige weiße Frauengestalt mit ausgebreiteten Armen, als wolle sie das Land segnen. „Die Christen nennen sie Gottesmutter, aber ich bin Muslim und glaube nicht, dass Gott eine Mutter hat. Die Muslime hier nennen sie Jungfrau des Libanon oder höchstens Mutter des Propheten Jesus“, sagt Ahlan. „Aber da ich Syrer bin, ist mir das egal. Ich freu mich nur über die schöne Aussicht, wenn ich mal da hochkomme. Man kann fast das ganze Land von dort überblicken und ich weiß, hinter mir ist die Heimat. Ich stamme aus einem Dorf nicht weit von Damaskus.“ Ahlan schluckt und schweigt. Darf ich ihn fragen nach den Gründen seines Hierseins, nach der Familie, der Situation in seiner Heimat? Sein Gesicht, das ich im Rückspiegel sehe, wirkt jetzt verschlossen. Ich hebe mir die Fragen für später auf.
Wir fahren durch einen kleinen Tunnel. „Über uns kannst du viele Denkmalsteine sehen von Feldherren aller Zeiten gestiftet. Durch diese Enge mussten sie alle durch, die Heere, die zu allen Zeiten um dieses Land gekämpft haben. Ob sie von Norden kamen oder von Süden – an dieser Stelle entschied sich das Kriegsglück. Hatten sie diese schmale Stelle zwischen Meer und Gebirge passiert und diesen Fluss hier vor uns überquert, lag ihnen das weite Land davor oder dahinter offen. Das ist der Hundsfluss. Die älteste Felseninschrift stammt von Nebukadnezar, der hier durch kam, mehr als 500 Jahre vor der Zeitenwende. Die Kreuzzüge wurden regelmäßig hier gestoppt und auch Napoleon war hier und viele andere noch.“ Ahlan zeigt auf die alte Brücke über den Fluss, der jetzt im Winter viel Wasser führt. Gerade fängt es wieder an zu regnen.
Aber da taucht nun auch Byblos vor uns auf, die Stadt, die das Ziel meiner Reise ist. Wir biegen von der Autobahn ab und fahren durch enge Gassen auf einen Parkplatz vor dem Hafen. „Merhaba“ sagt Ahlan noch einmal und nimmt meinen Koffer. Durch Wind und Regen marschiert er auf das größte Haus am Platz zu. Ich sehe nur die große Glasfront und folge ihm.
Im Eingang empfängt uns der Hausherr. „Merhaba! Ich bin Habib!“ Ein typischer Libanese? Mittleres Alter, braungebrannt, das noch volle schwarze Haar, leicht geölt, setzt an den Seiten schon silbriges Grau an, edel gekleidet, drei Ringe an den Fingern, einer davon Ehering. „Das Geschäftliche später“, sagt er, „kommen Sie, Ihr Zimmer ist angewärmt“.
Herrlich der Blick aus dem Fenster. Durch den Regenschleier blicke ich auf den kleinen Hafen. Wie schön wird das bei Sonnenschein aussehen. „Ich lasse Ihnen gleich Kaffee bringen“, sagt Habib. Ich bitte stattdessen um einen heißen Tee. „Kommt gleich“, nickt er und geht.
Ich will mich ein wenig ausruhen, den Tee trinken und über meinen Auftrag nachdenken. Was kann ich wohl hier in dieser beschaulichen Kleinstadt über die innere Verfassung der libanesischen Gesellschaft lernen? Immerhin hat mir die Redaktion ein paar Treffen mit verschiedenen Akteuren vorbereitet.
Nun, ich werde es gemächlich angehen lassen. Bei dem Wetter kann man ja nicht einmal vor die Tür gehen. Es dämmert auch schon.
Ich gehe nach unten ins Restaurant. Es hat geöffnet, ist aber leer. Ein älterer Herr, kommt mir leicht gebückt entgegen. „Merhaba, Sie sind der neue Gast, nicht wahr? Kommen Sie hier entlang. Setzen Sie sich bei dem Wetter doch nicht ans Fenster. Ich führe Sie an einen schöneren Platz.“ Er biegt um einen Raumteiler und überrascht bleibe ich stehen. In einer großen Schale brennt ein Holzfeuer und verbreitet wohlige Wärme. Der alte Herr schiebt mir einen Stuhl so an den nächsten Tisch, dass ich direkt auf das Feuer blicken kann. Die Schale steht in einer Art Höhle. „Was ist das“ frage ich den Alten. „Warten Sie, ich bringe Ihnen gleich die Karte und wenn Sie bestellt haben, setze ich mich zu Ihnen und erkläre es. Bitte haben Sie etwas Nachsicht mit mir, ich bin nicht mehr der Jüngste. Mein Schwiegersohn musste zu einer Versammlung im Rathaus gehen und meine Tochter liegt zur Zeit im Krankenhaus. So hab ich alter Mann heute hier Dienst.“
Ich bestelle alle warmen Vorspeisen und er schlurft zur Küche und ruft meine Bestellung jemandem zu. Dann kommt er wieder und setzt sich an meinen Tisch.
„Übrigens nennen mich alle hier Eli. Oder Ali. Je nachdem ob sie Christen oder Muslime sind. Dabei bin ich jüdischer Herkunft. Meine Mutter stammte aus Haifa und besuchte hier in Byblos, die Familie meines Vaters, der sie ihre Rettung vor den Nazis verdankte. Es war im Mai 1948 und kaum war der Staat Israel ausgerufen worden, begann die Flucht und Vertreibung der Palästinenser und der erste Nahostkrieg und die Grenze zwischen Palästina und dem Libanon war auf einmal zu. Und das ist bis heute so geblieben. Nur Raketen und andere Geschosse von beiden Seiten überqueren seitdem diese Grenze. Meine Mutter saß hier nun fest und konnte nicht mehr zurück. Da hat sie meinen Vater geheiratet.“ Eli seufzt. „Deshalb bin ich hier geboren. Nach dem Krieg war ja auch hier vieles kaputt. Wohnraum war knapp. Als mein Vater von seiner Tante ein bisschen Geld erbte, hat er das alte verfallene Cafè hier gekauft und mit der Zeit ein passables Restaurant daraus gemacht. Ich hab dann später die Pension aufgestockt, die nun mein Schwiegersohn betreibt.“ Er versinkt ein bisschen ins Nachdenken und nickt vor sich hin. „Und das Feuer hier“ frage ich vorsichtig. Elis Augen leuchten auf und mit frischerer Stimme beginnt er zu erzählen: „Ich war etwa zehn Jahre alt. Mein Freund Harun und ich, wir lebten nur für Abenteuer. Nichts war vor uns sicher. Die Kreuzritterburg kannten wir in- und auswendig, jeden Winkel. Die alten Ruinen und die Königsgräber da draußen, das war unsere Welt, die wir eroberten und unsere Kämpfe und Heldentaten ausfochten. Einige Zeit lang spielten wir am liebsten Seevölker und Piraten. Dafür kletterte ich eines Tages auf unser Dach, um die feindlichen Schiffe melden zu können. Dabei ist es passiert. Ich bin durchgebrochen und ins Haus gefallen und der Aufprall war so stark, dass die Lehmmauer, gegen die ich krachte, einfiel und dahinter wurde ein großer Hohlraum sichtbar. Meine Eltern haben einen gehörigen Schreck und ich eine Tracht Prügel gekriegt. Aber dann entdeckten wir, dass sich hinter und unter unserem Haus ein ganzes Höhlensystem erstreckte. Schöne alte Sachen haben wir da gefunden. Krüge und Töpfe. Und Knochen natürlich. Mein Vater hat das Amt der Stadt verständigt und die haben einen Archäologen vorbei geschickt. Hätten Harun und ich nicht zuvor schon einige der schönsten Stücke beiseite geschafft gehabt, hätte der sicher alles mitgenommen. Man wollte uns dann das Haus hier wegnehmen, aber mein Vater konnte nachweisen, dass seine Familie hier schon seit mindestens hundert Jahren Besitzer dieses Hauses war. So haben wir die Höhlen geerbt und nach und nach ausgebaut. Wenn Sie gegessen haben, zeige ich Ihnen gern das Innere.“
Das ist ja schon eine phantastische Erzählung, die mir hier gleich am ersten Abend geschenkt wird. Aber nun kommt eine junge Frau aus der Küche und ich spüre meinen Hunger.
Da steht nun eine Platte vor mir mit vielen kleinen Schüsseln, in denen es bunt durcheinander leuchtet und aus denen es so wunderbar duftet, dass mir unglaublich stark das Wasser im Munde zusammenläuft. Ah – schmeckt das wunderbar! Gefüllte Kibbeh und warmer Bohnensalat, Spinattaschen, Lammwürstchen, Korianderkartoffeln und Falafel. Das Leben ist schön!
Eli kommt wieder mit einer Karaffe und zwei Gläsern auf einem Tablett. „Trinken Sie mit mir ein Glas guten Kefreyawein. Sie sind unser einziger Gast heute, darum hab ich eine Flasche besonders guten herauf geholt. Wir lagern den Wein in einer der hinteren Höhlen wo ihm eine gleichbleibende Temperatur guttut.“ Wir stoßen an und genießen stumm den ersten Schluck. Ja, so muss Wein sein.
Eli legt Holz nach und das Feuer lodert lustig-gefährlich in der Schale und wirft flackernde Schatten an die rot und schwarz geäderten Felswände der Höhle. Sie ist größer als ich dachte, das Feuer leuchtet sie nun bis weit nach hinten aus. Auf dem Boden liegen einzelne Scherben und eine Amphore, ein Steinmesser, ein paar bunte Steine. Versonnen blicke ich in dieses mystisch wirkende Schauspiel und Eli neben mir hebt das Glas, blickt durch den tiefroten Wein und raunt leise: „wie wohl die Menschen früher hier gelebt haben?“