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Neugier

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Ein herrlicher neuer Morgen. Der Wind hat die Wolken verweht, die Sonne strahlt vom Himmel, als hätte sie etwas wiedergutzumachen. Schon am frühen Morgen wärmen ihre Strahlen und das Meer, fast spiegelglatt, glitzert wie Lametta zu Weihnachten. Ich habe mir vorgenommen, heut diese ominösen Königsgräber zu besuchen, von denen ich schon einiges gehört habe. Als ich beim Frühstück nach Begleitung fragte, wurde mir Rola geschickt. Sie ist die jüngste Tochter des Hauses und hat heute schulfrei.

Nun steht sie vor mir, ein Bild von einem Mädchen. Oder muss ich schon junge Frau sagen? Rola ist 15 Jahre alt, rotschwarzes Haar fällt ihr in dichten Locken in den Nacken, schminken braucht sie sich nicht – ihr Gesicht sieht auch so wie aus einem Modemagazin geschnitten aus. „Merhaba, wie geht’s?“ „Hi“, grüßt sie zurück.

Schnell läuft sie, immer einen Schritt voraus und erklärt, wie sie es wohl bei Touristenführungen gesehen hat: „Links sehen Sie die kleinste Moschee von Byblos. Bis hierher ging früher der Souk und sie stand am Rande davon, damit die wenigen muslimischen Händler es zu ihren Gebetszeiten nicht so weit hatten. Und hier gleich gegenüber rechts sehen sie die kleinste unserer maronitischen Kirchen. Da sind nur zwei mal zwei schmale Bänke drin und vorn auf dem Altar ein Bild von Mar Marun, unserem Nationalheiligen. Früher stand sie immer offen, Tag und Nacht, für dringende eilige Gebete. Heute wird sie nachts verschlossen, weil sich zu viele Liebespaare dort zu lange getroffen haben.“ Ich würde gern mal hineinschauen, aber Rola läuft eilig weiter. Wer weiß, vielleicht musste sie meinetwegen ein Treffen mit ihren Freundinnen verschieben.

Da taucht vor uns schon die Kreuzfahrerburg auf. Doch bevor ich etwas fragen kann ruft Rola, halb nach hinten gewandt: „die Burg ist eine andere Geschichte. Heute soll ich Ihnen nur die Königsgräber zeigen.“

Sie lässt mich an der Kasse bezahlen und lotst mich dann geschickt an der gewaltigen Burg vorbei auf ein paar Säulen zu. „Die sehen aber recht römisch aus. Gehören die zu den Königsgräbern?“ frage ich sie. „Aber nein, die sind viel jünger. Ich habe Sie nur hier heraufgeführt, weil man von dieser Höhe das ganze Ausgrabungsfeld überblicken kann.“ Sie lässt mir einen Augenblick Zeit, mich umzusehen. Bis zum Meer fällt das Land sanft ab. „Dort unten“ zeigt sie, „da lebten die ersten Siedler von Byblos, das damals natürlich noch nicht so hieß. Die ältesten Häuser, die man ausgegraben hat, sind ungefähr elftausend Jahre alt. Diese paar Mauern da stehen noch. Vielleicht waren davor ja auch schon Menschen hier, aber die haben noch keine festen Häuser gebaut. Es begann alles um den großen Brunnen da unten. Und gleich darüber sehen Sie die Reste des Tempels der Stadtgöttin, Ba’alat. Sie war zur Zeit der Phönizier die beliebteste Göttin, hat man ihr doch zugetraut, dass sie die Stadt beschützt und verteidigt. Deswegen hatte ihr Tempel auch einen breiten Treppenaufgang. Aber immer hat sie das wohl nicht geschafft. Die Stadt hat viele wechselnde Herrscher gesehen und ist oft überfallen worden. Je länger die Menschen dann hier lebten und wiederaufbauten, je höher haben sie gebaut. Jedes Jahrtausend steigt die Bebauung hier hügelan. Am höchsten Punkt haben dann die Römer gebaut, sozusagen im Zenit der Geschichte, so nennt es unser Lehrer immer. Danach ging es mit der Bedeutung von Byblos nur noch abwärts. Kommen Sie, jetzt zeig ich Ihnen die Königsgräber. “ Schon springt sie davon, zwischen den hohen Grasbüscheln nach dem Weg suchend.

An einem Abhang bleibt sie jäh stehen und zeigt nach unten, „da sind die Gräber“. Aus der hellen Sonne kommend sehe ich da unten erst einmal gar nichts. Sie öffnet eins der Gitter, mit denen die Gräber gesichert sind. Das darf sie doch bestimmt nicht! Aber sie nimmt mich an die Hand und zieht mich vorsichtig auf ein paar unregelmäßigen Stufen abwärts. Dann beginnt plötzlich eine gemauerte Treppe und nach wenigen Schritten stehen wir auf einem Mosaikfußboden. Der Raum ist quadratisch. An drei Seiten stehen verwitterte Säulen, dazwischen Reste von Steinsarkophagen. Hinter den Säulen geht es in dunkle Räume. Es riecht sehr modrig. Rola nimmt auf einer der Treppenstufen Platz und zeigt auf den Platz neben sich. Ich setze mich zu ihr. „Von hier aus hat man einen guten Eindruck, wie das damals wohl war. Aus der Glanzzeit unserer phönizischen Geschichte, als Byblos, damals Gebal genannt, ein unabhängiger Stadtstaat war, stammen diese Grabanlagen. Unsere damaligen Könige wohnten nicht nur zu Lebzeiten in prächtigen Palästen, sondern wurden auch edel begraben, hier nämlich. Hinter diesen Säulen sind die Grabkammern. Und hier in diesem Innenhof, ein Stück unter der Erdoberfläche aber mit dem offenen Himmel darüber hat man zu den Königsfesten gefeiert.“ Sie schüttelt sich ein bisschen. „Stellen Sie sich nur vor, Sie wissen, da liegen ihre Toten und Sie packen Ihren Picknickkorb aus und lassen sich’s gut gehen.“ Und nach einer Pause: „Aber warum auch nicht? Wir Phönizier sind halt ein lebenslustiges Volk, voller Unternehmungsgeist und ohne Angst.“ Sie lacht. „Ihr Phönizier? Bezeichnet ihr euch denn wie dieses alte Volk auch heute noch?“ will ich wissen. Sie lacht noch mehr. „Na klar, nicht noch, sondern wieder. Um uns zu unterscheiden von den Arabern.“ Ich bin erstaunt. „Seid ihr denn keine Araber? Ihr sprecht doch arabisch.“ Sie schüttelt so energisch den Kopf, dass ihr die Locken um die Ohren wehen. „Nein, nein. Wir Phönizier leben am Meer. Unsere Vorfahren haben das ganze Mittelmeer befahren und rund herum an den Küsten Städte gegründet und Handel getrieben. Die Araber kamen aus der Wüste. Sie mögen kein Wasser. Araber ist heute zu einem Synonym für Muslime geworden. Weil ihr heiliges Buch, der Qur’an auf Arabisch geschrieben ist. Wir anderen nennen uns Phönizier, um an unsere alte Geschichte und Kultur anzuknüpfen. Gehen Sie mal ins Nationalmuseum in Beirut, da finden sie unsere Geschichte gut dargestellt. Dort steht auch der Steinsarg unseres berühmtesten Königs, Ahiram I. der hier in den Königsgräbern gefunden wurde. Er lebte 1000 Jahre v. Christus und auf seinem Sarg hat man die älteste phönizische Inschrift entdeckt. Die Phönizier haben nämlich das Buchstabenalphabet erfunden. Davor konnte man nur ganze Silben schreiben. Das war umständlich.“

Sie nickt dazu mit dem Kopf und schaut dann auf die Uhr. „Oh, ich muss los“, ruft sie, während sie schon aufspringt. „Ich habe eine Probe mit meiner Band. Auf Wiedersehen“. Weg ist sie.

Wie still es hier unten ist. Die Geräusche des modernen Byblos dringen nicht bis hierher, unter die Erde, zu den Toten. Hier spürt man noch etwas von dem alten Gebal…

Geschichten aus Byblos

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