Читать книгу Katzenmusik - Renate Welsh - Страница 7

Оглавление

Tani mag nicht Zweite sein

Jedes Mal, wenn sie Junge hatte, schärfte die Katzenmutter ihren Kindern ein: „Vergesst nie, dass eure Ur-ur-urgroßmutter eine ägyptische Tempelkatze war! Man hat sogar ihr zu Ehren eine Pyramide gebaut und einen Pharao mit ihr begraben, damit sie Gesellschaft hat. Wenn ihr ein Stück gewachsen seid, werdet ihr auch Menschen haben. Die werden euch füttern und streicheln und bürsten und mit euch spielen, aber sie sind und bleiben doch nur Menschen, die Armen.“

Um sie an ihre vornehme Abstammung zu erinnern und weil sie sich nicht zweimal im Jahr neue Namen merken konnte, nannte sie ihre Kinder immer Wahed, Tani und Talet: Erste, Zweite und Dritte. Sie wusste nicht, was Vierte auf Arabisch heißt, deshalb bekam sie immer nur drei Kätzchen.

Wahed, Tani und Talet interessierte der edle Stammbaum überhaupt nicht. Hätten sie darauf herumklettern können, wäre das eine andere Sache gewesen. So aber rangelten sie im großen Katzenkorb, knabberten einander an den Ohren, zogen einander an den Schwänzen und rauften um die Zitzen ihrer Mutter, obwohl aus allen gleich viel Milch kam.

Wahed war die Älteste. Talet war die Jüngste. Tani war die Zweite.

Talet hatte das seidigste Fell, Wahed das struppigste. Tani hatte weder besonders seidiges noch besonders struppiges Fell.

Waheds Augen waren dunkelgrün, Talets Augen leuchtend gelb. Tanis Augen waren grüngelb gesprenkelt.

Talet war die Schnellste. Wahed war die Stärkste. Talet konnte am höchsten springen. Wahed konnte am lautesten schnurren. Talet hatte die rosigsten Pfoten. Wahed hatte die rosigste Nase.

Tani war immer die Zweite. Ob man von unten zu zählen anfing oder von oben, Tani war die Zweite. Sie wäre so gern Nummer Eins gewesen. Wenn es unbedingt sein musste, dann eben Nummer Drei. Aber immer nur in der Mitte, das gefiel ihr gar nicht.

Die Katzenmutter schlief, Wahed und Talet schliefen. Nur Tani war wach. Eine Fliege kitzelte sie am Ohr.

„Wartet nur“, dachte Tani, „ich werde Nummer Eins im Fliegenfangen sein.“

Aber die Fliege war zu schnell. Brummte und summte um ihre Nase, spazierte dann über Waheds Schwanz auf und ab. Plötzlich aber flog sie auf, noch bevor Tani die Pfoten unter den Schwestern hervorgezogen hatte.

Tani sammelte ihre vier Pfoten ein und stakste über die Mutter an den Rand des Korbes.

„Ich werde die erste Ausreißerin sein“, dachte sie.

Die Mutter zuckte mit der Nase, aber sie wachte nicht auf.

Tani ließ sich auf den Boden plumpsen. Die Fliege landete ganz in der Nähe und putzte gründlich jedes von ihren sechs Beinen. Vorsichtig streckte Tani eine Pfote aus, hob sie. Die Fliege begann ihre Flügel zu ordnen.

Tani schlug zu. Die Fliege war weg und Tanis Pfote tat weh. Sie schleckte daran, bis der Schmerz nachließ. Dann stolzierte sie auf die Tür zu.

Immer wieder rutschten ihr die Pfoten weg. Der Boden war wirklich viel zu glatt. Außerdem glänzte er bösartig. Aber Tani erreichte die Tür. Die stand einen Spalt offen.

Tani zwängte sich durch. In diesem Zimmer war sie noch nie gewesen. Sie wanderte in alle Ecken, fand etwas Weiches, Kuscheliges, nibbelte ein bisschen daran. Aber da gab es keine freundlichen Zitzen und es schmeckte gar nicht gut.

Das Fenster stand offen.

Tani bekam große Lust, hinauszuschauen.

Mama hatte erzählt, dass es draußen Tiere gab, die keine Katzen waren, nicht miauen und keinen schönen Buckel machen konnten. Hässlich, sagte Mama, hässlich und gefährlich waren diese Tiere. Außerdem, sagte Mama, gab es draußen auch andere Dinge, die noch gefährlicher waren und noch abscheulicher stanken.

„Ich fürchte mich nicht“, dachte Tani und streckte sich so hoch sie konnte, aber das Fenster war zu weit oben.

Tani setzte sich und betrachtete das Zimmer.

Da stand ein Bett, auf das konnte sie leicht springen. Sie war ja tapfer. Eigentlich war sie Nummer Eins im Tapfersein. Wahed und Talet lagen ja bei Mama im Korb und schliefen. Nur sie allein war unterwegs.

Vom Bett aus konnte sie vielleicht das glatte hohe Ding erreichen und von dort das Fenssterbrett.

„Ich bin tapfer“, dachte sie. „Sehr tapfer.“

Sie schlich auf das Bett zu, machte einen Satz und landete so weich wie im Katzenkorb. Ihre Pfoten sanken ein, als sie auf das glatte hohe Ding zustapfte.

Tani stand und beäugte es, blickte hinüber zum Fenster. Weit weg war das alles. Je länger Tani schaute, umso weiter weg schien es ihr. Die Welt war wirklich sehr groß. Wuchs sie nicht gar von einem Augenblick zum nächsten?

Tani duckte sich, spannte jeden Muskel an, und bevor sie es sich noch einmal überlegen konnte, sprang sie los. Sie schlitterte über das glatte Holz, kam knapp an der Kante zum Stehen. Ihre Beine zitterten, ihr Herz klopfte, das Atmen tat weh.

Wie schön wäre es jetzt, im Korb zu liegen, sich an Mama zu kuscheln und bei ihr zu trinken. Tani hörte ein klägliches Maunzen, erst eine Weile später erkannte sie, dass sie selbst es war, die da miaute.

„Nein“, dachte sie. „Ich geh nicht zurück. Ich bin tapfer. Sehr tapfer …“

Mit diesem Gedanken sprang sie los und landete auf dem Fensterbrett. Ein Sonnenstrahl traf ihre Nase. Sie musste niesen. Dann spürte sie einen warmen Windhauch. Ihr Fell bewegte sich hin und her. Sie begann sich zu putzen.

Vor ihr ging es schräg bergab.

„Jetzt müssten mich Wahed und Talet sehen. Mich, die Erste, die hierher aufs Fenster gekommen ist. Die Tapferste von uns dreien.“

Plötzlich rauschte und knatterte es über ihr, etwas streifte ihren Rücken. Tani schloss die Augen, sie konnte nur noch zittern.

„Mama, Mama!“, wollte sie maunzen, aber aus ihrem rosaroten Mäulchen kam nur ein einziger sehr kläglicher Laut.

Im selben Augenblick streute zwei Stockwerke unter ihr eine alte Frau Maiskörner auf ihr Fensterbrett und der Taubenschwarm flog im Sturzflug darauf zu.

Tani wusste das natürlich nicht, sie konnte nicht glauben, dass die Gefahr vorbei war. Sie saß immer noch mit geschlossenen Augen auf dem Dach und zitterte so sehr, dass sie ins Rutschen kam. Immer schneller schlitterte sie über die Dachziegel und blieb schließlich in der Regenrinne hängen.

Es dauerte lange, bis sie es wagte, die Augen zu öffnen. Sie spähte über die Regenrinne.

Tief, tief unten war die Welt, und zwischen ihr und der Welt war nichts, ein großes, gefährliches Nichts.

Ihr Herz schlug so laut, dass es in ihren Ohren dröhnte.

Inzwischen war die Katzenmutter längst aufgewacht und suchte ihr Kind. Sie suchte im Zimmer, wo der Katzenkorb stand, sie lief in die Küche, ohne ihre Schüssel voll mit Hühnerleber auch nur ein einziges Mal anzusehen. Sie steckte ihre Nase in den Garderobeschrank und in jeden Schuh. Schließlich rannte sie ins Schlafzimmer, dort meinte sie, einen ganz leichten Hauch von Katzenkind zu riechen.

Sie sprang auf das Bett, brachte die Decken durcheinander, kratzte an der Kommode, zerrte die Pullover aus dem Kleiderschrank und rief die ganze Zeit nach Tani.

Tani aber hörte nichts und sah nichts.

Zuletzt sprang die Katzenmutter aufs Fensterbrett und blickte hinaus. Ihr Fell sträubte sich, als sie zwei spitze Ohren in der Regenrinne entdeckte. Sie stieg auf das Dach, stakste vorsichtig abwärts.

Eine Elster, die gerade in diesem Moment übers Haus flog, sah die große graue Katze und ließ vor Schreck den Violinschlüssel fallen, den sie im Schnabel trug.


Der Violinschlüssel trudelte herab und landete auf Tanis Mäulchen. Das ging ganz von selbst auf und der Violinschlüssel klirrte gegen Tanis Milchzähne. Ihre Zunge leckte daran, das war irgendwie tröstlich.

Schritt für Schritt kam die Katzenmutter näher, stand endlich mit weit gespreizten Beinen neben der Regenrinne, senkte den Kopf und packte Tani am Nackenfell. So trug sie ihr Kind über das steile Dach hinauf, stieg durchs Fenster, sprang ins Zimmer und ließ Tani auf den Boden fallen.

Vor Entsetzen war Tani so steif, dass sie hart aufschlug und nicht weich fiel, wie das alle Katzenkinder können. Die Mutter fauchte und miaute und gab Tani zwei kräftige Ohrfeigen, dann legte sie sich einladend hin.

Tani musste den Violinschlüssel ausspucken, bevor sie trinken konnte. Es war herrlich, die Nase in Mamas Bauch zu stupsen. Es war herrlich, Mama zu riechen, ihre Milch zu trinken. Tani nuckelte weiter, als sie schon längst satt war.

Da stand die Mutter auf. „Höchste Zeit nachzusehen, ob deine Schwestern auch so närrisch sind wie du“, miaute sie.

Jetzt erst sah Tani den Violinschlüssel. Er glitzerte neben Mamas grauem Fell. Tani fand ihn schön. Sie konnte gerade noch danach schnappen, bevor Mama sie wieder im Nacken packte und in den Korb zurücktrug. Tani wäre lieber hinter Mama hergelaufen und nicht wie ein Baby zu den Schwestern zurückgeschleppt worden. Die würden nie glauben, was sie alles erlebt hatte!

Wahed und Talet lagen im Korb und schnarchten. Die Mutter fuhr mit ihrer rauen Zunge über die Köpfe der beiden.

„Nimm dir ein Beispiel, Tani!“, miaute sie. „Du bist das schlimmste Katzenkind, das ich je hatte.“

„Das schlimmste Katzenkind“, wiederholte Tani immer wieder, als sie sich an Mamas Bauch kuschelte. „Das schlimmste und das tapferste. Endlich bin ich die Nummer Eins!“

So oft ihre Zunge an den Violinschlüssel anstieß, hatte sie ein komisches Gefühl. Es dauerte lange, bis sie einschlief.

Katzenmusik

Подняться наверх