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Die Freundin

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An seinem siebenunddreißigsten Geburtstag ging mein Mann zu einer anderen Frau. Es hätte mich unberührt lassen können, denn seit ich ihn kannte, hatte er Frauen neben mir, und ich hatte ihm diesbezüglich völlige Freiheit zugesichert. Darin, meinte ich, läge meine besondere Stärke. Im Gegenzug versicherte er mir, dass es sich lediglich um Sex handele, sonst nichts. Was immer ein Mann darunter verstand, unter nur Sex, ich verdrängte es. Ich legte Wert darauf, dass wir getrennt wohnten. Lewin wohnte bei seiner Mutter in Karlshorst mit Zentralheizung, Badewanne und Telefon, ich in einer Hinterhofbude im Prenzlauer Berg, mit Ofenheizung, ohne Telefon. Er hätte es allerdings gern gesehen, wenn ich mit Sack und Pack zu ihm und seiner Mutter gezogen wäre, wohin gelegentlich auch die anderen Frauen auf Besuch kamen, die er mir allzu gern vorstellte.

Einige Male war ich unvermutet auf eine Lehrerin getroffen, von der Lewin mir begeistert erzählt hatte. Sie trug meinen Vornamen, das ärgerte mich besonders. Wenn sie da war, erkannte ich es bereits im Flur, wo sie ihren Schminkkoffer abzustellen pflegte. Ich hasste den Schminkkoffer. Zum Geburtstag hatte Lewin seine Mutter gebeten, eine Buttercremetorte zu machen, und zu einem Kaffeekränzchen lud er wie jedes Jahr seinen Freund Paul, mich, seinen Bruder und dessen Frau ein.

Wir saßen um den Tisch herum, und der einzige der fehlte, war Lewin das Geburtstagskind. Niemand wagte, die Torte anzuschneiden. Meine Schwiegermutter goss Kaffee ein, und wir unterhielten uns. Unruhe kam auf, denn jeder der Anwesenden wusste, dass Unzuverlässigkeit zu Lewins Wesen gehörte wie die löchrigen Schuhe an seinen Füßen. Er kam grundsätzlich eine Stunde später als vereinbart. Nun war aber auch diese Stunde längst vorbei. Er würde es doch wohl kaum wagen, uns sitzen zu lassen?

Dann klingelte das Telefon. Aha. Aber er war es nicht, sondern meine Freundin Johanna. Da ich oft in Karlshorst war, und Johanna gern telefonierte, probierte sie einfach jeden Tag ihr Glück. Sie hatte wie ich kein eigenes Telefon und benutzte die Zelle in der Nähe ihrer Wohnung. Ich sagte ihr, dass Lewin Geburtstag habe und wir mit einer Torte hier säßen und auf ihn warteten.

Johanna lachte. „Typisch“, sagte sie.

„Weißt du was“, setzte sie hinzu. „Ich sehe Lewin die Straße entlang kommen. Glaube ich jedenfalls.“

„Nein.“ Ich lauschte einen Moment, sah die anderen an und wartete.

„Ja“, sagte Johanna. „Er geht durch meine Haustür. Er hat mich nicht gesehen.“

„Das kann doch nicht wahr sein“, sagte ich. Meine Schwiegermutter und die anderen sahen mich an. Ihr Gespräch war verstummt. Ich schüttelte, sie anblickend, den Kopf.

Ich war baff, entsetzt, sprachlos. Aber im Grunde wusste ich schon: es ist wahr. Das ist Lewin, mein Mann.

„Pass mal auf“, sagte Johanna. „Ich gehe jetzt hinterher und tue so, als wüsste ich nichts vom Geburtstag, und du kommst zufällig auch her. Das wird eine schöne Überraschung.“

„Gut“, sagte ich, legte auf und erklärte, dass Lewin in Köpenick sei, die schlimmsten Befürchtungen sich erfüllt hätten, nämlich: Der kommt nicht mehr. Sie die Torte endlich essen könnten und sich einen schönen Nachmittag machen sollten. Ich mochte meine Schwiegermutter sehr, aber in solchen Momenten ihr gedemütigtes Wesen, die ganze Peinlichkeit anzusehen, war hart. Ich sah darüber hinweg und verließ die Feier.

Lewin und Johanna hatten sich mehrmals gesehen, aber nur ein einziges Mal hatte ich ihn mit zu ihr nach Hause genommen, und schwupps, schon hatte sich der sonst so vergessliche Mensch ihre Adresse gemerkt.

Als ich in Köpenick eintraf, war mir klar geworden, dass Lewin sich nun auch an Johanna heranmachen wollte. Sie würde darüber erhaben sein. Es machte mich trotzdem wütend, dass Lewin selbst vor meiner einzigen Freundin nicht zurück schreckte.

Er saß auf Johannas rotem Plüschsofa, ein Glas Wein in der Hand, und erschrak leicht, als er mich in der Tür erblickte.

„Oh! Irina“, sagte er und stellte das Weinglas ab.

„Oh! Lewin“, sagte ich, „welche Überraschung, eine gute Idee, uns alle zu deiner Mutter einzuladen.“ Ich blieb in der Tür stehen und wollte eigentlich etwas besonders Bissiges hinzusetzen, aber mir fiel nichts ein. Ich hatte vergessen, mich vorzubereiten. Ich setzte mich, Johanna grinste und holte ein drittes Weinglas aus der Vitrine. Lewin lächelte gequält.

„Ich hatte auf einmal keine Lust mehr. Jedes Jahr dieselbe Kaffeetafel. Immerhin ist es ja mein Geburtstag.“

„Klar“, sagte ich. „Da hast du natürlich Recht.“

Und da gab es dann nur die Möglichkeit, zu meiner Freundin zu marschieren, setzte ich gedanklich hinzu. Ich fürchtete wütend zu werden und eine Szene auszulösen, die mich hässlich, hysterisch, kreischend werden ließ. So wollte ich mich auf keinen Fall sehen. Ich blickte aus dem Fenster auf den Birkenbaum, dessen Blätter gefallen waren. Lewin goss Wein in mein Glas.

„Welches Sternzeichen ist jetzt eigentlich“, fragte Johanna. „Was für ein Sternzeichen hast du?“

„Keine Ahnung.“ Lewin zuckte mit den Schultern. „Wahrscheinlich Hase.“

Johanna, die gerade Wein im Mund hatte, prustete ihn über den Tisch und verschluckte sich. Ich musste ebenfalls lachen.

Von chinesischer Astrologie hatten weder Lewin noch wir Frauen bis dato gehört.

Es wurde ein gemütlicher Abend, und es wurde spät. Johanna bot uns an, bei ihr zu übernachten. Die Wohnung hatte nur ein Zimmer, und wir holten die Matratzen aus der Kammer, um sie auf dem Teppich auszulegen. So dass wir zu dritt Platz fanden. Wir waren betrunken, und mich ritt der Teufel, als ich Lewin den Platz zwischen uns Frauen zuwies. Ich wusste, er würde nach Johanna greifen, aber was würde sie tun? Wir quasselten noch einige Minuten und sagten uns dann gegenseitig Gute Nacht.

Es verging eine Zeit, bis ich durch gleichmäßige Atemzüge Tiefschlaf vortäuschte. Augenblicklich drehte mein Mann sich auf die andere Seite. Ich öffnete die Augen, gewöhnte mich an die Dunkelheit und blickte auf seinen Rücken. Ich lauschte angespannt, ohne mein gleichmäßiges Atmen zu vernachlässigen. Lewin bewegte sich und schob einen Arm unter Johannas Decke. Wo war er? Zwischen ihren Beinen? Auf ihren Brüsten? Auf dem Bauch?

Ich wusste einiges über meine Freundin. Hochsensibel waren ihre Brüste. Darum beneidete ich se. Nach ihrer Auskunft reichte eine leichte Berührung an den Brustwarzen, um nahezu verrückt zu werden. An meiner Brust konnten sich Hände stundenlang aufhalten, die Warzen wurden steif, aber es fehlte jede nervliche Verbindung zum übrigen Körper, als wäre sie irgendwann gekappt worden. Ich bemühte mich vergebens herauszuhören, was genau Lewin mit Johanna tat. Jedenfalls bemerkte ich von ihr noch keine Reaktion, nicht die kleinste Bewegung. Allerdings schnarchte sie für gewöhnlich, sobald sie eingeschlafen war. Ich vermisste das Schnarchen sehr. Es war ein Zwiespalt in mir. Einerseits, Zeugin zweier erregter Körper werden zu können, andererseits bedrückend, den Schmerz aufkommen zu fühlen. Er war mein Mann. Ich lauschte. Ich starrte auf den Rücken. Lewins Bewegungen waren vorsichtig, ruhig. Bis jetzt.

Plötzlich fühlte ich mich überfordert. Ich stand auf und ging in die Küche. Ich schaltete das Licht an, blickte mich um und wollte Krach machen. Das Fenster einschlagen, schreien. Stattdessen setzte ich mich auf einen Stuhl und starrte auf den Fußboden. Ich musste etwas tun. Ich horchte wieder. Ich wünschte, Johanna würde kommen und sich mit mir verbünden. Nichts. Alles blieb wie es war. Ich wollte Alkohol suchen und schaute in die Speisekammer. Zwiebeln, Kartoffeln, Waschpulver. Ich sah in den Kühlschrank. Margarine, Quark. Was sollte ich tun? Bleiben? Gehen?

Ich ging zurück ins Zimmer, schaltete das Deckenlicht an und blickte direkt auf das Bett. Lewin drehte den Kopf, Johanna blinzelte, als sei sie soeben aus dem Tiefschlaf erwacht. Lewin drehte sich auf den Rücken und zog die Hand von ihrem Körper zurück.

„Was ist denn los?“ fragte er. Johanna schwieg. „Leg dich wieder hin“, brummte Lewin. „Es passiert schon nichts.“

„Mir wäre lieber, du würdest außen am Rand schlafen.“ Ich stieg auf die Matratze in die Mitte.

„Mach doch kein Theater“, sagte er, fügte sich aber.

Am Morgen bot ich an, die Brötchen für das Frühstück zu besorgen. Ich beabsichtigte, meine Souveränität wieder zu erlangen. Immerhin hatte ich mich eingemischt in der Nacht. Er war nicht „mein“ Mann. Er gehörte niemandem. Das war es, was auf meiner Fahne geschrieben stand, nichts anderes. Ich wollte es wiedergutmachen. Locker und augenzwinkernd sprach ich, dass ich eine Weile brauchen würde für meine Einkäufe. Ich hoffte immer noch auf den Widerspruch meiner Freundin. Ich hoffte, sie würde mich zum Bleiben bewegen und ein Gespräch zu dritt in die Wege leiten. Die Idee, es selbst zu tun, darüber zu reden, kam mir nicht einmal andeutungsweise. Beide nickten fast wie betreten.

1996, Erstveröffentlichung bei Elefantenpress, Anthologie „Spagat im Dreieck“

Olgas Essen

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