Читать книгу Gesammelte Werke - Ricarda Huch - Страница 25
Die Kolonisation
ОглавлениеEinzelne, die der Glaubenseifer in die slawischen Länder trieb, wurden meist erschlagen und ihr Märtyrertum blieb wirkungslos, nur mit militärischer Unterstützung ließ sich etwas ausrichten. Drei Nationen waren es, die durch Eroberung der slawischen Küstenländer die Ostsee erreichen, womöglich beherrschen wollten: außer den Dänen und den Deutschen die Polen. Durch ihre Anregung wurde einer der edelsten Kirchenmänner seiner Zeit, Bischof Otto von Bamberg, zum Apostel der Slawen. Er war von Adel, aber arm, von seinen Eltern für den geistlichen Stand bestimmt; um seinem Bruder nicht zur Last zu fallen, ging er nach Polen, wo er wegen Mangels an Gelehrten bald eine Stellung als Lehrer fand und sehr geschätzt wurde. Doch war er, wenn er auch gern die Werke der antiken Dichter und Philosophen las, nicht eigentlich ein Mann der Wissenschaft, aber gewandt in der Rede und ein guter Prediger, der die seltene Kunst verstand, dem einfachen Volke die Heilswahrheiten zu vermitteln. Das Anziehende, Vornehme und Würdige seiner Erscheinung wirkte mit dazu, daß er Gesandtschaften beigeordnet und dadurch mit dem König von Polen, Wladislaw Hermann, bekannt wurde. Sein Anteil am Zustandekommen der Heirat desselben mit Heinrichs IV. Schwester Judith, der Witwe des Königs von Ungarn, machte seine Beziehungen zur königlichen Familie zu freundschaftlichen, und sie dauerten fort, nachdem er auf den Wunsch Heinrichs IV. nach Deutschland zurückgekehrt war. Heinrich machte ihn erst zu seinem Kanzler, dann zum Bischof von Bamberg. Gemäß seiner Gabe, viel zu verstehen und jedem gerecht werden zu können, hielt er es in dem großen Kampfe zwischen Papst und Kaiser mit beiden, und wenn er dadurch auch zuweilen bei beiden Anstoß erregte, begriffen sie doch, daß es nicht aus feiger Berechnung geschah, und hielten ihn trotzdem wert. Er wirkte mit beim Wormser Konkordat, das die Rechte von Papst und Kaiser in bezug auf die Bischofswahlen regelte. Ein Jahr nach dem Tode Heinrichs V., 1124, richtete der König von Polen, Boleslaw III., der seinem inzwischen verstorbenen Vater gefolgt war, die Frage an ihn, ob er geneigt sei, die Bekehrung der heidnischen Pommern zu übernehmen.
Die Sachsen waren durch ihre Kämpfe gegen Heinrich IV. und Heinrich V. von den Bemühungen, die Ostseeküste zu erobern, abgelenkt; um so eher war es Boleslaw gelungen, die Pommern zu unterwerfen. Pommern, das sich zu beiden Seiten der Oder erstreckte, galt als ein wegen seiner Naturprodukte begehrenswertes Land; es war reich an Milch, Butter und Honig, Gemüse und Getreide, Wild und Fischen, und von dem Getränk, das man dort aus Honig bereitete, wurde gerühmt, es sei besser als Falerner Wein. Diese Schätze reizten jedoch den König nicht so wie das Meer; schon sein Vater hatte eingesehen, daß es eine Lebensfrage für sein Reich sei, das Meer zu erreichen, daß nur dadurch Polen in Wettbewerb mit den anderen Völkern treten könne. Es galt nun, nachdem das Land gewaltsam der polnischen Oberhoheit unterworfen war, die Bevölkerung zu christianisieren und dadurch ein wirksameres Band zu knüpfen als es das eiserne der Waffen war. Otto sagte ja zu der Aufforderung des Königs, wenn es ihm auch schwer wurde, das schöne Land, das ihm Heimat geworden war, zu verlassen; ein rüstiger Mensch weicht dem Wink des Schicksals nicht aus, am wenigsten einer Aufgabe, bei der er seine Kräfte wie nie zuvor entfalten kann. Bemerkenswert klug und vorsichtig wie ein erfahrener Mann von Welt ging er bei den Vorbereitungen der Reise zu Werke. Es war ihm bekannt, daß die Pommern halbverhungerte Asketen, die in ihr Land kamen, verachteten und voraussetzten, sie hätten es weniger auf ihr Seelenheil als auf den Überfluß ihres Landes abgesehen; um das zu vermeiden, sorgte er für ein ansehnliches Auftreten seiner Expedition und versah sich mit Stoffen und anderen Gegenständen, die er als Geschenke austeilen konnte. So erschien er in jeder Hinsicht als der Gebende, Beglückende. Die Reise ging durch den Böhmerwald nach Prag, von da über Breslau nach Gnesen, wo ihn Boleslaw empfing. Der König gab ihm einige seiner Großen als Begleiter mit, damit die Slawen gewarnt würden, sich nicht an dem unter polnischem Schutz stehenden Missionar zu vergreifen.
Der slawische Herzog von Pommern war dem Christentum geneigt und wurde durch Otto noch mehr dafür gewonnen. Offenen Widerstand fand er in Wollin, da, wo die Trümmer der Jomsburg standen, die der Sitz dänisch-wendischer Seeräuber gewesen war; aber auch die von Wollin erklärten sich nachträglich bereit, das Christentum anzunehmen, wenn die Hauptstadt, Stettin, es täte. Wohl trugen die Drohungen und Versprechungen des polnischen Königs zum Erfolge bei, mehr aber tat die Persönlichkeit und das Wort des gütigen Bischofs. Es wird berichtet, wie er zwei vornehme Knaben, deren Lieblichkeit sich in sein Herz stahl, an sich zu ziehen wußte, wie er ihnen von der Unsterblichkeit der Seele und vom Ewigen Leben sprach und sie für das Christentum gewann, wie die Mutter, die heimlich schon Christin war, von Glück überströmt, die Getauften in ihre Arme schloß, wie der Vater, zu Tode betrübt, aus Liebe zu den Söhnen, doch auch das Christentum annahm. So mochten einzelne eine innere Wandlung erfahren, sei es, daß der fremde Bischof ihnen ein höheres Menschentum darstellte, sei es, daß sein Wort ihren Horizont aufriß und einen Ausblick in tiefere Himmel öffnete; die Mehrzahl jedoch merkte sich die Tatsache, daß der Christengott mächtiger war und besser schützte als ihre Götter, ohne den entthronten nachzutrauern oder dem neuen sich zu ergeben. Otto verfuhr immer schonend. Von den Schätzen des berühmten, schöngeschnitzten Tempels zu Stettin eignete er sich nichts an, nur das Bild des dreiköpfigen Triglav nahm er für sich, um es nach Rom zu schicken. Als eine heilige Eiche gefällt werden sollte und die Bevölkerung um ihre Erhaltung bat, indem sie versprach, sie künftig nicht anzubeten, nur als schönen Baum zu verehren, gewährte er den Wunsch, vielleicht selbst gerührt von der Pracht des alten Waldhauptes. Am meisten zeigte Otto die Überlegenheit seines Geistes, als der Herzog von Pommern benachbarte heidnische Slawen unterworfen hatte und die Gefangenen als Sklaven verkauft wurden; befreien konnte er sie nicht, aber er sorgte dafür, daß wenigstens die Schwächeren entlassen und daß die Familien nicht getrennt wurden.
Wieder empfingen die Christen vom Charakter der heidnischen Pommern einen günstigen Eindruck: Diebstahl und Betrug kannten sie nicht, die Gastlichkeit trieben sie so weit, daß der Tisch bei ihnen immer gedeckt war, man brauchte nur zuzugreifen. Manche weigerten sich Christen zu werden, mit der Begründung, daß bei den Christen den Räubern die Augen ausgestochen und die Füße abgehauen würden; man wolle die Religion eines Landes nicht, wo es solche Verbrechen und solche Strafen gebe.
Otto ging bis Kolberg und kehrte dann, nachdem er seine neugewonnenen Gemeinden noch einmal besucht hatte, nach Bamberg zurück. Als er einige Jahre später Pommern zum zweitenmal besuchte, reiste er mit Vermeidung der Polen über Halle, dazu bewogen wahrscheinlich durch Lothar, der inzwischen Kaiser geworden war. Lothar erreichte auch, daß Boleslaw sein Königreich von ihm zu Lehen nehmen mußte, wodurch Pommern wenigstens mittelbar mit Deutschland verknüpft wurde. Die wichtige Frage aber, welchem Erzbistum die neue pommersche Kirche unterstellt werden sollte, wurde nicht zugunsten Deutschlands entschieden. Ein Jahr nach Ottos Tode, der 1139 starb, begründete der Papst ein pommersches Bistum Wollin und unterwarf es unmittelbar dem päpstlichen Stuhl, damit die Ansprüche sowohl des Erzbistums Gnesen wie des Erzbistums Magdeburg ausschaltend, das die Bestimmungen Ottos I. für sich anführen konnte, wie eines etwaigen Erzbistums Bamberg, das Ausgangspunkt der Bekehrung gewesen war.
Nach dem Tode Boleslaws III. sank die polnische Macht, so daß nun nur Sachsen und Dänemark um die baltische Küste kämpften. Es handelte sich zunächst um die Befriedung von Nordalbingien, dem Lande nördlich der Elbe, dem heutigen Holstein, das namentlich an der Küste von slawischen Stämmen bewohnt war. Als Nachbarn betroffen waren der König von Dänemark, der Herzog von Sachsen, der Graf von Holstein und der Erzbischof von Bremen. Als Missionar bot sich dem Herzog Lothar der tüchtige und opferwillige Priester Wizelin an. Wizelin war niedriger Geburt und stammte aus Hameln. Als junger Mann lebte er verschwenderisch in den Tag hinein, bis er sein Vermögen verzehrt hatte, dann fand er Unterkommen bei einer mildtätigen Gräfin von Eberstein, die wohl seine Begabung herausfühlte. Daß ihre Hausgenossen ihn wegen seines Mangels an Bildung hänselten, reizte seinen Stolz, er verließ das Haus der guten Frau, holte in Paderborn das versäumte Studium nach und wurde ein gelehrter und strenger Schulmeister. Nachdem er noch den Einfluß des fanatischen, später heiliggesprochenen Norbert erfahren hatte, trug er dem Herzog Lothar seinen Wunsch vor, den Slawen das Christentum zu bringen, worauf die Burg Segeberg und daneben eine Kirche gegründet wurden. Wizelin hat in Holstein teils aus Granit, teils aus Backstein die kleinen wetterfesten Kirchen gebaut, von denen viele, wenn auch nicht unverändert, noch stehen und seinen Namen tragen. Unermüdlich wanderte er durch das Land und predigte, immer wieder zerstörten die Heiden, was eben aufgebaut war. Unwirtlich, öde, armselig war die Gegend, der Wind pfiff über kahle Felder und Sümpfe. Wenn die Glocke läutete, folgten nur wenig Gläubige ihrem Ruf, wenige brachten dem alten Bischof eine Gabe. Die weltlichen Gewalten erschwerten durch Härte und Habgier seine Aufgabe mehr, als daß sie ihm nützten. Sein Nachfolger, Bischof Gerold, ein Schwabe, klein von Körper, aber großen Geistes, wollte einst, es war im Jahre 1156, in Aldenburg die Weihnacht feiern. Er fand einen verödeten Ort, ohne Mauern, ohne Einwohner, ohne Kirche, nur eine kleine von Wizelin errichtete Kapelle gab es; das war sein Bischofssitz. Schaudernd vor Kälte und im Gefühl eisiger Einsamkeit zelebrierte er zwischen Haufen von Schnee das heilige Amt, wobei niemand außer Pribislaw, dem Fürsten der Slawen, und dessen Begleiter seine Gemeinde waren. Er mußte dankbar sein, daß Pribislaw ihn nach dem Gottesdienst in ein entferntes Dorf führte und zu einem reichlichen Mahl einlud. Als Gerold den Slawenfürsten aufforderte, sich taufen zu lassen, setzte ihm dieser die traurige Lage seines Volkes auseinander. Sie würden von den christlichen Fürsten so mit Abgaben überfordert, so aufs äußerste ausgepreßt, daß für sie der Tod besser als das Leben wäre. Das Land verlassen und sich anderswo ansiedeln könnten sie nicht, denn überall drohe das gleiche Elend, sie wären also gezwungen, auf das Meer zu gehen und Seeraub zu treiben. Gerold glaubte die Anklage abweisen zu müssen; sie sollten Christen werden, sagte er, wie die Sachsen und alle übrigen Völker, dann würde man sie nicht mehr quälen. Pribislaw entgegnete, wenn der Herzog wollte, daß sie den Glauben der Sachsen teilten, solle er ihnen auch die gleichen Güter geben und die gleichen Zehnten von ihnen fordern.
Das Wort von der Liebe Gottes verhallte in den mörderischen Kämpfen wie ein menschlicher Hilferuf im Tosen von Meer und Sturm. Derjenige, der ihnen schließlich ein Ende machte, Heinrich der Löwe, ließ Gott und Christentum so ganz beiseite, daß die Geistlichen seinen Weg nicht ohne Mißbilligung verfolgten. Heinrich der Löwe, 1129 wahrscheinlich in Ravensberg geboren, erlebte als Kind die Ächtung seines Vaters, den Sturz seines Hauses und wurde durch solche Eindrücke besonders früh zur Teilnahme an den allgemeinen Angelegenheiten geführt. Mit zehn Jahren verlor er den Vater, mit zwölf Jahren die stolze, hochangesehene Großmutter, die alte Kaiserin Richenza, die ihn zum Vertreter der sächsischen Ansprüche und im Haß gegen die Staufer erzogen hatte. Mit achtzehn Jahren trat er mit seiner Forderung, in die bayrische Herzogswürde wieder eingesetzt zu werden, hervor, die sein Vetter, Friedrich I., sowie er konnte, befriedigte. Obwohl dunkel von Haar und Augen, war er mehr Sachse als Schwabe und mehr als das von dämonischem Geschlecht; unter seinem Griff und Schritt knisterte die Erde. Der Name des Löwen, den er sich gab, stand ihm wohl an: sein Wille war ihm statt Recht, was er erobern konnte, gehörte ihm. Der Jüngling ergriff die Regierung sofort wie ein Mann; soweit ihm seine Verpflichtungen gegen den Kaiser Zeit ließen, beschäftigte er sich mit der Stärkung seiner herzoglichen Macht und mit der Unterwerfung der Slawen. Vorurteile in bezug auf Rasse oder Glauben hatte er nicht; wie er sich mit dem König von Dänemark verbündete, um die Slawen zu besiegen, suchte er die Freundschaft des Slawenfürsten Pribislaw und später von dessen Sohne Niklot, ohne sich andererseits dadurch gebunden zu fühlen, wenn es ihm nicht mehr nützlich schien. Dänemark die Hälfte der gemachten Eroberungen zu überlassen, wie abgemacht wurde, war wohl von Anfang an nicht seine Absicht. Auch einem treuen Freund und Mitstreiter gegenüber, wie Adolf von Schauenburg war, mäßigte er seine Herrschsucht nicht.
Den Schauenburgern, einem reichen und tapferen Geschlecht, von deren Stammburg in der Gegend von Minden noch Ruinen vorhanden sind, verlieh Konrad II. die Grafenwürde. Lothar belehnte als Herzog von Sachsen den Grafen Adolf I. mit der Grafschaft Holstein, die von den Holsten, Stormarn und Dithmarschen bewohnt war und an das slawische Nordalbingien grenzte. Ihm folgte sein Sohn Adolf II., der ursprünglich zum Geistlichen bestimmt gewesen war und infolge seiner Erziehung nicht nur eine gründlichere Bildung, sondern auch eine tiefere Auffassung seiner Pflichten hatte, als bei den weltlichen Fürsten üblich war. Er sprach geläufig lateinisch und verstand auch das Slawische. Er bemühte sich, die unterworfenen Slawen für das Christentum zu gewinnen und kultivierte das neugewonnene Land in großartiger Weise durch Ansiedlung von Friesen, Holländern und Westfalen, denen er es unter vorteilhaften Bedingungen überließ. Auf einer Insel zwischen den Flüssen Wackenitz und Trave, wo die Slawen in einem heiligen Hain die Götter verehrt hatten, gründete er die Stadt Lübeck, die die günstige Lage an der Ostsee schnell erblühen ließ. Da Heinrich durch sie seine binnenländische Stadt Bardewiek benachteiligt fand, verlangte er, daß Adolf ihm Lübeck abtrete, als sich Adolf weigerte, vernichtete er Lübecks Handel; das Ende war, daß Adolf um der Stadt und um des Friedens willen nachgab und sie dem Herzog schenkte. Graf Adolf, den der Chronist sowohl wegen seiner Herzensgüte wie wegen seiner Klugheit rühmt, fiel im Jahre 1164 in der großen Slawenschlacht bei Demmin, die über seinem Leichnam in einem vollständigen Siege endete. Wenn Heinrich der Löwe ihm, seinem väterlichen Freunde, an verständiger und menschlicher Gesinnung nachstand, so überragte er ihn an Willensgewalt und Macht der Persönlichkeit. Da er sich als König geboren fühlte, behandelte er alle, die sich weigerten, ihm untertan zu sein, als Rebellen. Unterwarfen sie sich, sorgte er für sie als König. Bei seinen Städtegründungen, Lübeck und Schwerin, verfuhr er mit außerordentlicher Weitherzigkeit; denn er behielt sich nur die hohe Gerichtsbarkeit vor, übrigens gestand er den Bürgern volle Selbstverwaltung zu, in der Meinung, so am sichersten das Gemeinwesen zur Blüte zu bringen. Entsprechend dem germanischen Begriff der Eigenkirche erhielten die Bürger das Recht der Pfarrerwahl für die Pfarrkirche. Es ist nicht unmöglich, daß Heinrich in seiner Städtepolitik durch seinen Schwiegervater Konrad von Zähringen beeinflußt war, der schon vor Jahrzehnten mit großer Liberalität die Stadt Freiburg gegründet hatte; aber vor allem leitete ihn der sichere politische Blick, sein natürliches Erbe. Den kühnen Geist der sächsischen Kaufleute, die mit ihren Handelsreisen ein wirtschaftliches Netz über das Meer nach England und Skandinavien und im Osten bis Rußland spannten, erkannte er als dem seinigen verwandt, er verband sich mit ihm und machte ihn sich zunutze. Auch in der Beziehung zu den Slawen zeigte er großen Sinn. Kam es ihm mehr auf ihre Abgaben an als auf ihr Seelenheil, so wollte er sie auch nicht als Heiden vernichten, und an dem Kreuzzuge, der gegen sie unternommen wurde, beteiligte er sich nur ungern. Nationale Abneigung lag ihm fern, er überließ dem Slawenfürsten Pribislaw, der ihm treu blieb, einen Teil Mecklenburgs als Fürstentum. Pribislaw ist der Ahnherr der Dynastie, die bis 1918 in Mecklenburg regiert hat. Zwar wenn man liest, daß Graf Gunzelin von Schwerin, des Herzogs treuer Diener, jeden Slawen, der anderswo als auf der richtigen Straße angetroffen wurde, ohne sich ausweisen zu können, aufhängen ließ, so sieht man, daß der unwillkürlich verdrängende Druck, den die arbeits- und ordnungsgewöhnteren Deutschen auf die Slawen ausübten, durch gewalttätige Maßregeln verstärkt wurde. »Allenthalben sind die Slawen aufgerieben und vertrieben worden; vom Ozean ist starkes und unzähliges Volk gekommen, das der Slawen Land gewann.« So, mit wenigen Sätzen beschließt der Pfarrer Helmold zu Bösau am Plöner See, der Chronist dieser Kämpfe, die Geschichte vom Untergang der Slawen in Deutschland. »Die kläglichen Überreste der Slawen sahen sich infolge des Getreidemangels und der Verheerung ihrer Felder gezwungen, sippenweise zu den Pommern oder Dänen zu fliehen, die sie erbarmungslos an die Polen, Sorben und Böhmen verkauften.« Sie waren die Besiegten, die Schwächeren. Keineswegs fehlte es ihnen an Tapferkeit und kriegerischer Kraft; denn jahrhundertelang hielten sie sich nicht nur gegen die Deutschen, sondern warfen sie zurück und wüteten unter ihnen mit derselben Grausamkeit, die sie erlitten hatten. Weichen mußten sie schließlich der größeren Leistungsfähigkeit der arbeitsamen Deutschen und der höheren Entwicklung ihrer Landwirtschaft. Ihren krummen Pflug ohne Eisen würden sie wohl nicht so lange behalten haben, wenn sie weniger unruhig, weniger träge, mehr geneigt zu andauernder, regelmäßiger Arbeit gewesen wären. Die Deutschen empfanden, solange sie einigermaßen frei und des Ertrages ihrer Arbeit sicher waren, die Arbeit nicht als Fluch, sondern als wesentlichen Inhalt ihres Lebens und Ausdruck ihrer Persönlichkeit. Wie die Tüchtigkeit der Deutschen anerkannt wurde, geht daraus hervor, daß auch slawische und andere fremde Fürsten sie zur Besiedlung ins Land riefen.
Neben Heinrich dem Löwen und Adolf von Holstein waren Erzbischof Wichmann von Magdeburg und Albrecht der Bär große Kolonisatoren. Beide stammten aus der Gegend des Harzes. Erzbischof Wichmann hat das Land Jüterbog besiedelt und die Stadt Jüterbog gegründet und mit dem Magdeburger Recht beschenkt. Der schöne, lebenslustige Mann, ein treuer Anhänger des Kaisers, gehörte zu den Gegnern Heinrichs des Löwen, suchte aber doch immer eine persönliche Verständigung zu ermöglichen. Er hielt seine Stadt Magdeburg in fester Hand; aber von ihm stammt eine Urkunde, in der er bei Begründung einer Schusterinnung festsetzt, dieselbe solle keine andere als selbstgewählte Behörden über sich haben, weil Ehre und Nutzen ohne Freiheit als gemeine Knechtschaft anzusehen sei. Mit derselben Liberalität verfuhr er bei Ansetzung der Siedler; sie brauchten weder Haus- noch Bodenzins zu zahlen, bis sie einen genügenden Ertrag ihres Anbaus erzielt hatten. Albrecht der Bär hat die Altmark und die Mark Brandenburg an das Reich gebracht und mit Deutschen besiedelt. Er hatte mit dem slawischen Fürsten von Brandenburg einen Erbvertrag geschlossen, und es ist überliefert, als derselbe gestorben sei, habe seine Frau seinen Tod verheimlicht, bis der von ihr benachrichtigte Albrecht unbemerkt angekommen sei, um die Regierung zu übernehmen. Auch die Lausitzen, die jahrhundertelang ein zwischen Polen, Böhmen und Deutschen schwankender Besitz waren, wurden um diese Zeit endgültig germanisiert. Schon der berühmte Wiprecht von Groitzsch, der zur Zeit der letzten salischen Kaiser auf den Granitfelsen bei der späteren Stadt Bautzen als Markgraf mächtig waltete, hatte Franken, Holsten, Bayern und Thüringer ins Land gerufen, die in den Namen noch blühender Familien eine Spur gelassen haben. Für die Christianisierung und Germanisierung der Gegend der südlichen Elbe und ihrer Nebenflüsse waren von jeher die Bischöfe von Meißen tätig.
Was die Bauern von Westfalen, Holland, Friesland, Flandern veranlaßte, ihre Heimat aufzugeben und auszuwandern bis in die Wälder eines ungarischen Grenzlandes, wo Wolf und Luchs und Elentier heimisch waren, darüber kann man nur Vermutungen anstellen. Aus zeitgenössischen Andeutungen muß man schließen, daß es zum Teil Küstenbewohner waren, denen Sturmfluten das noch nicht eingedeichte Land entrissen hatten, zum Teil diejenigen Bauernsöhne, die, während der Jüngste nach holländischem und flämischem Recht den Hof erbte, ihr Glück in der Fremde zu suchen pflegten. Aber abgesehen von den besonderen Umständen ist es natürlich, daß aus dem überreich besiedelten Westen stets ein Teil der Bevölkerung abzuströmen bereit war. Man sieht, wie groß die Zahl der freien Bauern im nordwestlichen Deutschland noch gewesen sein muß, denn die Hörigen würden ihre Herren nicht in so großer Zahl entlassen haben. Daß die benachbarten Grundherren sie bedrückten und abhängig zu machen suchten, wird sie mit bewogen haben, den weiten Weg nach dem Osten zu wagen.
Deutschland konnte noch verschwenden mit Land und mit Menschen. Zahllose wurden aufgerieben, zahllose waren sofort wieder da, ebenso kampflustig, arbeitstüchtig und todbereit, und unabsehbar harrten ihrer rauhen Hände die lehmige Scholle, der Sumpf, die unendlichen Eichen- und Buchenwälder. Daß ein so weites, nur dünn bewohntes Gebiet zwischen Elbe und Oder und zwischen Oder und Weichsel dem wachsenden Volke als Kolonialland zur Verfügung stand, war ein unermeßliches Glück. Es bedeutete nicht nur einen Machtzuwachs, sondern es gab dem ganzen Volke Gelegenheit zur Betätigung, den Armen Brot und verhinderte, daß Massenarmut entstand. Waren die Städte des Westens überfüllt, so konnte hier, auf dem Lande und in neugegründeten Städten, die Freiheit eine Zuflucht finden.