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Der falsche Friedrich
ОглавлениеVor der alten Reichsstadt Wetzlar im Kaisergrunde, unfern von einem alten Wartturm, liegt ein Denkstein mit einer Inschrift, die anzeigt, daß an dieser Stelle Dietrich Holzschuh oder Tile Kolup, der sich für Friedrich II. ausgab, durch König Rudolf I. verbrannt wurde. Es war im Jahre 1284, vierunddreißig Jahre nach dem Tode Friedrichs, der mit 56 Jahren starb, nun also 90 Jahre alt gewesen wäre. Es war nicht unmöglich, wenn auch unwahrscheinlich, daß er noch lebte. Wie aber hätte es geschehen können, daß ein anderer an Friedrichs Stelle begraben wurde? Und wo war der Kaiser inzwischen gewesen? Und warum hatte er sich so lange verborgen gehalten? Der deutsche Bürger und Bauer, der niemals in Italien, geschweige denn im südlichen Italien gewesen war, der aber von den grimmigen Kämpfen zwischen Papst und Kaiser gehört hatte, von der Reise des Kaisers nach Jerusalem, von seiner Freundschaft mit dem Sultan, von den listigen Sarazenen, mit denen er sich zu umgeben pflegte, mochte es für glaubhaft halten, daß Friedrich, um sich dem nach seinem Blute dürstenden Papst zu entziehen, nach dem Orient gefahren und dort gefangen oder verborgen gehalten war, bis er eines Tages zurückkehrte, um mit Hilfe seiner Deutschen das Reich zurückzugewinnen. Vielleicht berechneten und erwogen sie überhaupt nicht viel, sondern glaubten dem schönen alten Manne, der sich der Treue seines Volkes anvertraute. Er sah zuweilen sehr alt und müde aus, aber es war ein majestätisches Blitzen in seinen Augen, und zuweilen hatte sein Auftreten und entschlossenes Handeln etwas Jugendliches. Hatte jemals ein Kaiser so herzlich zu seinem Volke gesprochen? Man glaubte, was man wünschte.
Das Erscheinen des wiederkehrenden Friedrich fiel in eine Zeit, wo die Reichsstädte sich zu dem später so beliebten Rudolf feindlich stellten, weil er in dem Bestreben, die Ordnung im Reiche wiederherzustellen, ihre Abgaben, seine einzige sichere und reichliche Einnahme, stark in Anspruch nahm. Dazu kam, daß seine Nachgiebigkeit gegen den Papst ihn zum Pfaffenkönig stempelte und die Pfaffen, die keine Steuern zahlten und zum Teil ein nichtsnutziges Leben führten, in den Städten verhaßt waren. Anders als Bürger und Bauern dachten die großen Herren; Erzbischof Siegfried von Köln durchschaute mit kühlem Blick den Betrug und vertrieb den falschen Friedrich aus Köln, wo das Volk ihn mit Jubel aufgenommen hatte. Er begab sich nach der Stadt Neuß, deren Dom Zeuge ihrer einstigen Bedeutung ist, und auch dort fiel ihm die Einwohnerschaft begeistert zu. Es ist wahrscheinlich, daß er deshalb die Menschen an sich glauben machen konnte, weil er selbst an sich glaubte, daß er ein Wahnsinniger war, der sich für Friedrich hielt und abgesehen von seinem Wahn verständig und folgerichtig handelte. Offenbar hatte er einst in der Umgebung des Kaisers gelebt, vielleicht als Knappe, denn er wußte vieles, was nur dem Kaiser Nahestehenden bekannt sein konnte; manches mag auch aus der Tiefe seines Traumes aufgewallt sein und ihn selbst und andere bezaubert haben. In Neuß fühlte er sich so sicher, daß er König Rudolf, der in Wetzlar war, aufforderte, seine Krone niederzulegen und sich ihm, als dem rechtmäßigen König, zu unterwerfen.
Rudolf hatte bisher den Lärm um den falschen Friedrich nicht ernst genommen; wie sollte er auch, da ja 34 Jahre seit dem Tode des Kaisers verflossen waren; aber nun, da der Widerstand der südwestlichen Städte sich damit verbündete, fand er es nötig, einzuschreiten. Er war wohl von vornherein überzeugt, daß der Mann ein Betrüger war, und entschlossen, ihn so zu behandeln; aber er fühlte sich doch verpflichtet, selbst zu sehen und zu urteilen. Nicht ohne seltsame Rührung mag er sich der Vergangenheit erinnert haben, wo er als junger Ritter dem großen König, seinem Paten, folgte, der ihm stets gnädig gewesen war. Wie undenkbar fern hatte ihm damals der Gedanke an die Höhe gelegen, die er jetzt erreicht hatte. Ihn und die um ihn versammelten Fürsten und Herren blendete der seltsame Träumer nicht. Er wurde gefangengenommen und gestand, der Folter unterworfen, daß er Tile Kolup heiße und ein Betrüger sei. Die Marter hatte ihn grausam aus seinem Traume gerissen. Der Kunstgriff, Feinde als Ketzer erscheinen zu lassen, war damals gebräuchlich; auch in diesem Falle folterte man das Geständnis, schwarze Kunst ausgeübt zu haben, aus dem Angeklagten heraus und konnte demgemäß das Urteil sprechen. So verzehrten die Flammen das Gespenst des großen Friedrich.
Unaufgeklärt blieben fast alle die näheren Umstände, die mit diesem Zwischenspiel verbunden waren. War der Fremdling wirklich Tile Kolup? Was hatte ihn zu dem gefährlichen Abenteuer verleitet? Hatte ihn ein Wahn ergriffen, weil er dem Staufer ähnlich sah? Oder war er von den Feinden Rudolfs gedungen, die seinen Wahn oder seinen Ehrgeiz und seine Geldgier benützten? Woher hatte er die Geldmittel, die sein Auftreten ermöglichten?
Wäre er nichts als ein Abenteurer gewesen, brauchte man seiner nicht zu gedenken. Aber er war etwas ganz anderes: er war eine Vision, die aus der Zerrissenheit der kaiserlichen Zeit aufstieg, der Adler, von dessen Schwingen Kaiserblut tropfte. Der Scheiterhaufen, den Rudolf vor Wetzlar anzündete, verzehrte mit dem Leib des alten Träumers das unwiederbringliche Heldenzeitalter des Reiches, er war ein Symbol wenigstens dieses Unterganges.
So war es gewiß nicht, als sei Rudolf ein unwürdiger Nachfolger der Staufer gewesen, als habe er durchaus andere Bahnen eingeschlagen. Rudolf von Habsburg, der persönliche Anhänger Friedrichs II., der auch seinem Sohn und Enkel treugeblieben war, folgte in der Art, das Reich zu verwalten, der Methode, die Friedrich II. in Sizilien angewandt hatte, soweit das im Reich möglich war, das heißt er versuchte die königliche Macht zu verstärken und durch Leute in beamtenähnlicher Stellung zu verwalten. Er leistete in dieser Hinsicht eine überaus mühevolle und verdienstvolle Arbeit. Die bedeutende Masse des Königsgutes, das die Staufer besaßen, war von den Päpsten, die das eigentlich gar nichts anging, der Habgier der Fürsten preisgegeben. Gesichert durch päpstliche Autorität, raffte jeder so viel er konnte, das meiste, nämlich Österreich, Steiermark, Kärnten, Krain, die Windische Mark und das Egerland, nahm Ottokar von Böhmen. Bayern nahm die Oberpfalz, der Bischof von Worms Burg und Stadt Wimpfen, der Bischof von Basel Rheinfelden und Breisach, der Graf von Jülich Düren, der Graf von Nassau Wiesbaden, andere anderes. Die Verblendung Ottokars und der Haß des österreichischen Adels, den er sich durch ein straff zentralisiertes Regiment zugezogen hatte, sowie die Feindschaft des Erzbischofs von Salzburg und des Patriarchen von Aquileja, die sich durch das neu entstehende böhmisch-österreichische Reich beeinträchtigt fühlten, ermöglichten es Rudolf, Ottokar zu besiegen und sich in Besitz der entfremdeten östlichen Länder zu setzen. Mit einer Urkunde vom 27. Dezember 1282 belehnte er seine Söhne Albrecht und Rudolf mit den Ländern Österreich, Steiermark, Krain und Windische Mark und erhob sie zugleich in den Fürstenstand; ein höchst denkwürdiges, folgenschweres Ereignis. Auch damit führte er aus, was Friedrich II. geplant hatte. Seine Absicht, das Herzogtum Schwaben wiederherzustellen, das den Staufern entrissen war, glückte nicht; doch vergrößerte er sein Eigen zwischen Aare und Reuß und die Besitzungen seines Hauses im Elsaß und am Oberrhein. Gründete er sich eine Hausmacht, die dem König zugute gekommen wäre, wenn er die Nachfolge seiner Söhne und Enkel hätte durchsetzen können, so unterließ er doch auch nicht, entwendete oder verpfändete Königsgüter und Königsrechte wieder an das Reich zu bringen; doch mußte das zum Teil an den Verpflichtungen scheitern, die er den Fürsten und ganz besonders den Wahlfürsten gegenüber hatte; denn diese fingen damals an, sich ihre Stimmen ausgiebig bezahlen zu lassen. Zur Verwaltung von Reichsgut setzte er Landvögte ein, die er zugleich als Landfriedensbeamte verwertete. Soweit es die Rücksicht auf die Fürsten erlaubte, hob er auch die ungerechten Zölle auf.
Wenn Rudolf in der Verwaltung an die Staufer anknüpfte, wich er ganz von ihnen ab in seinem Verhalten zum Papst. Die Niederlage der Kaiser in ihrem Kampf mit dem Papsttum war so entschieden, daß er nicht anders konnte als sie anerkennen und sich von ihrer Politik förmlich lossagen, indem er auf Sizilien verzichtete. Damit war die Möglichkeit friedlichen Zusammenwirkens zwischen Papst und Kaiser gegeben, wie es die mittelalterliche Anschauung eigentlich erforderte und wie es einst Kaiser Lothar durch Zugeständnisse erreicht hatte. Wenn Rudolf die Kaiserkrönung in Rom nicht erlangte, so lag das nicht daran, daß er ihren Wert unterschätzt, sie nicht aufrichtig angestrebt hätte. Während seiner Regierung wechselte fast regelmäßig ein italienischer Papst mit einem französischen ab, entsprechend der Parteiung unter den Kardinälen. Alle die italienischen Päpste, wie leidenschaftlich sie auch unter Umständen einen deutschen Kaiser bekämpften, gingen doch davon aus, daß ein Kaiser da sein und daß er deutscher Nation sein müßte; das war ein Stück ihrer Weltanschauung, abgesehen davon, daß sie mit einem deutschen König am ehesten fertig werden zu können glaubten. Die französischen Päpste waren im Grunde gar keine Päpste, sondern französische Geistliche, die die Deutschen haßten und das Kaisertum an Frankreich bringen wollten. Hatte sich Rudolf eben mit einem italienischen Papst verständigt und war eben der Termin der Krönung festgesetzt, so machte ein französischer Papst alles rückgängig und türmte neue Hindernisse auf. Vielleicht, wenn Rudolf länger gelebt hätte, wäre er doch zum Ziele gekommen und dann, wie so mancher Kaiser in früherer Zeit getan hatte, entschiedener aufgetreten, hätte vielleicht sogar den Verzicht auf die Romagna, die er auf päpstliches Drängen abgetreten hatte, zurückgenommen. Daß er seine Stellung dadurch verbessert hätte, ist nicht anzunehmen; zu einem ernsten Aufschwung der Kaisermacht waren keine Kräfte mehr zu schöpfen. Am meisten beleidigt das deutsche Empfinden, daß Rudolf dem Papst zu Gefallen eine seiner Töchter einem Enkel Karls von Anjou verheiratete. Als die Königin bald nach Vollzug dieser traurigen Ehe noch nicht fünfzigjährig starb, schrieben es viele dem Gram über eine solche Erniedrigung zu.
Die Veränderung, die stattgefunden hatte, zeigte sich in der Behandlung der Juden. Schon zur Zeit Friedrichs II. war der Ausdruck Kammerknechte auf sie angewandt worden, was damals nur besagen sollte, daß ihre Abgaben, da sie unmittelbar unter dem König standen, der königlichen Kammer gehörten. Jetzt wurde er in dem Sinne gebraucht, als wären sie Sklaven des Königs, und als mit solchen verfuhr man mit ihnen. Als im Jahre 1286 eine Anzahl von Juden aus den rheinischen Städten, darunter ihr berühmtester Gesetzeslehrer, Rabbi Meir ben Baruch, nach Syrien auswandern wollte, zog Rudolf die Güter derselben ein und setzte den Rabbi, der unterwegs erkannt und festgehalten worden war, gefangen. Obwohl sich selbst Papst Nikolaus IV. für ihn verwendete, ließ der König ihn nicht frei; er ist nach ihm in der Gefangenschaft gestorben.
Es ist anzunehmen, daß das Verhalten Rudolfs gegen die Juden und gegen den Rabbi finanzielle Gründe hatte; er forderte für die Freilassung desselben ein bedeutendes Lösegeld, das die Juden nicht zahlen konnten, oder das der Rabbi, wie erzählt wird, ihnen zu zahlen verbot. War die Judensteuer von jeher eine wichtige Einnahmequelle für die Könige gewesen, so war sie es um so mehr für Rudolf, der zerrüttete Verhältnisse ordnen mußte und der überhaupt Nachdruck auf die finanzielle Seite seines Amtes legte. Die Umstände waren so, daß er es tun mußte; aber es scheint auch seine Anlage so gewesen zu sein, daß er es tun konnte. Auch die Art, wie er die Hand seiner Kinder zu politischen Zwecken ausbot und vergab, hatte etwas von der Geschäftigkeit eines Handelsmannes, selbst wenn man in Betracht zieht, daß fürstliche Ehen niemals zum Vergnügen geschlossen wurden. Er hatte drei Söhne und sechs Töchter; mancher hätte das viel gefunden, allein Rudolf hätte weit mehr verwerten können. Dennoch reihte er sich seinen Vorgängern würdig an, königlich in der Erscheinung, königlich in der Haltung. Er war sehr groß und sehr schlank; das, und der kleine Kopf, die schmalen Hände und Füße, die Adlernase gaben ihm etwas Aristokratisches. Sein Humor und seine Schlagfertigkeit machten ihn beim Volke beliebt, aber er fand auch, wenn die Gelegenheit dazu war, klangvolle Königsworte. Als er in Frankfurt die Huldigung entgegennahm und das Zepter fehlte, ergriff er ein Kruzifix und sagte: »Seht, das Zeichen, in welchem wir und die ganze Welt erlöst worden sind, das soll unser Zepter sein.« Und wenn er bei der Krönung gelobte, »ein Schirmer des Landfriedens zu sein, wie ich bisher ein unersättlicher Kriegsmann gewesen bin«, so war das kein leerer Redezierat, sondern er empfing die Würde, die ihm zugefallen war, als Verantwortung und Vertiefung seiner Lebensauffassung. Der Ritt des dreiundsiebzigjährigen Kaisers, dem die Ärzte gesagt hatten, daß er nur noch kurze Zeit zu leben habe, von Germersheim nach Speyer, damit, wie er sagte, niemand ihn dahin zu führen brauche, wo seine Vorfahren ruhten, wurde von den bewundernden und wissenden Augen eines dankbaren Volkes begleitet und ergreift uns noch heute. Es war der 14. Juli 1291; am folgenden Tage starb er.
Kaum ein Kaiser hat es sich so sauer werden lassen wie Rudolf von Habsburg; man glaubt es von den Linien abzulesen, die sein melancholisches Gesicht durchfurchen. Was ihm fehlte, war die umfassende Bildung, die überlegene Geistesfreiheit der Staufer und war vielleicht mehr als alles die blühende Zeit, die jene trug. Das Reich, daß er kaiserlich vertreten sollte, war keine Weltmacht mehr, der Adler war gerupft und ein etwas schäbiger Vogel geworden. Der Papst und die Fürsten hatten ihn heruntergebracht, und beide wachten darüber, daß der Kaiser ihn nicht wieder schwungkräftig mache. Wenn das Volk Friedrich II. zurückwünschte, der als Person viel weniger volkstümlich gewesen war als Rudolf von Habsburg, viel weniger für Ordnung und Recht gesorgt hatte, so war es, weil die Kaisermacht als solche zu Friedrichs Zeit viel ansehnlicher gewesen war und alle dunkel fühlten, daß sie es nicht mehr war und nie mehr werden würde. Einen mächtigen Kaiser aber wollte das niedere Volk, einen Kaiser, der die Grenzen nach außen und im Inneren den Frieden erhielte, der über den Ständen stehend, einem jeden an Rechten und Freiheiten zuteilte, was ihm zukomme, der die Armen und Schwachen vor den Übergriffen der Großen schütze: Das Bild eines solchen Kaisers sah man an den Rathäusern und an den Toren, mit langem Bart und ernstem, sorgenvollem Antlitz, den Reichsapfel in der Hand, das Reichsschwert an der Seite, daneben der Adler mit herrischem Kopf und zermalmender Klaue, tödlich dem Räuber, dem fürstlichen und adligen wie dem niedriggeborenen. Ein solcher Richter an Gottes Statt, wie man ihn ersehnte, glaubte man gern, daß Friedrich gewesen sei. Da man sein fernes Grab nicht gesehen hatte, konnte man sich einbilden, er lebe noch und werde wiederkommen.
Friedrich II. war über hundert Jahre tot, als das Gedicht eines Meistersängers weissagte, wenn Streit und Krieg übergroß geworden wären, werde Kaiser Friedrich wiederkommen und seinen Schild an einen dürren Baum hängen, der dann erblühen werde. Er werde das Heilige Grab gewinnen, werde das Recht wiederherstellen, er werde nur den siebenten Teil der Pfaffen bestehen lassen, die Klöster zerstören und die Nonnen verheiraten, daß sie Wein und Korn bauten; dann würden gute, glückliche Jahre kommen. Es waren Wünsche aus dem Herzen des niederen Volkes. Aus solchen Kreisen war auch der falsche Friedrich gekommen, kamen auch die meisten seiner Anhänger und diejenigen, die nach seinem Tode dieselbe Rolle zu spielen versuchten. Einer von ihnen, der behauptete, er sei aus der Asche des vor Wetzlar Verbrannten erstanden, wurde in Utrecht erhängt, ein anderer in Lübeck ertränkt. Im Jahre 1295 wurde in Eßlingen der letzte falsche Friedrich verbrannt.