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Karl IV.

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Inhaltsverzeichnis

Karl IV., der Enkel Kaiser Heinrichs VII., der Sohn König Johanns von Böhmen, seit seiner Kindheit Bewunderer des Papstes, ging auf alle die Forderungen des Papstes ein, die die Fürsten als untragbar für das Reich zurückgewiesen hatten. Daß er versprach, alle Regierungshandlungen seines Vorgängers Ludwig zu annullieren, war fast selbstverständlich, ebenso daß er sich zum Schutz des gesamten päpstlichen Gebietes, mit Einschluß von Sizilien, verpflichtete. Demütigend war das Versprechen, Rom vor der Kaiserkrönung nicht zu betreten und am Tage derselben wieder zu verlassen, verhängnisvoll aber das Bekenntnis, der Kaiser werde erst durch die Kaiserkrönung und Approbation des Papstes König von Italien, und das Gelöbnis, dem Papst und seinen Nachfolgern in allen Streitigkeiten römischer Könige mit den französischen Königen das Schiedsrichteramt zu überlassen. Daß die Mehrzahl der Kurfürsten acht Jahre nach den stolzen Beschlüssen zu Frankfurt sich zusammentaten, noch dazu auf Befehl des Papstes, um dessen unterwürfigen Freund zu wählen, zeigt die ganze Grundsatzlosigkeit und Haltlosigkeit der Säulen des Reiches. Treu geblieben waren Ludwig nur der Kurfürst von Brandenburg, der sein eigener Sohn war, der Kurfürst von der Pfalz, ein Wittelsbacher, und der Erzbischof von Mainz; diesen erklärte der Papst für seiner Würde verlustig und ersetzte ihn durch einen Anhänger.

Karl war schon äußerlich eine ganz von den bisherigen Kaisern abweichende Erscheinung: mittelgroß, schwarzhaarig, breit und vollwangig im Gesicht, in den dunklen Augen, die niemanden grade ansahen, war ein Ausdruck unköniglicher Schlauheit und tiefversteckter Grausamkeit. Der Charakter und die Handlungsweise der früheren Könige, selbst eines so eigenartigen Menschen wie Friedrichs II., ließ sich durch einige klare, feste Linien bezeichnen, denen sich etwaige Widersprüche, wie sie in der menschlichen Natur liegen, einfügten; Karl war unklar und undurchdringlich, weil Unaufrichtigkeit und Verstellung seine Natur waren oder geworden waren. Er war merkwürdig, durchaus nicht unbedeutend und durchaus nicht ganz unsympathisch, wenn auch fremdartig; ungeliebt, ungehaßt, verschlossen und unheimlich stiehlt er sich über die deutschen Lande. Sprößling einer unglücklichen Verbindung zwischen dem lebenslustigen, unüberlegten Johann von Luxemburg und der Elisabeth von Böhmen, Schwester des ermordeten Wenzel, letzten Königs von Böhmen, einer, wie es heißt, männlichen und herrschsüchtigen Frau, glich er eher dieser als dem Vater. Durch ihr Bestreben, die Regierung an sich zu bringen, verfeindete sich Elisabeth mit dem böhmischen Adel, der bis dahin die herrschende Macht gewesen war, und dem es gelang, sich der Königin dadurch zu entledigen, daß er Johann mißtrauisch machte, als wolle sie ihn ausschalten und mittels ihres kleinen Sohnes, als dessen Vormünderin, herrschen. Johann ließ sie fangen und verbannte Frau und Sohn auf eine Burg, wo der Kleine in einer finsteren Kammer eingesperrt gelebt haben soll, die nur durch ein Loch in der Mauer Licht erhielt. Nachdem der König von der Prager Bürgerschaft gezwungen war, sich mit Elisabeth zu versöhnen, brachte er das Kind nach einem Schlosse, wo es inmitten wilder Wälder weltabgeschieden leben mußte. Es ist, als habe sich die Verborgenheit, das dunkle Sausen, das seine Tage und Nächte erfüllte, in seine Seele geschlichen und sie verfärbt. Das nicht zu besiegende Mißtrauen seines Vaters, den er teils fürchtete, teils bewunderte und vielleicht auch haßte, obwohl er stets, auch wo die Umstände Ungehorsam herausforderten, als der gehorsame Sohn erschien, machte ihn verschlossen, wie andererseits diese Verschlossenheit das Mißtrauen des so anders gearteten, freimütigen und gewalttätigen Vaters genährt haben mag. Wenn sein Wesen überwiegend slawisch war und seine Umgebung in der Kindheit wohl auch slawisch, so ging vom Vater deutscher Einfluß aus, wenigstens wurde am Hofe Johanns trotz lebhaften Zusammenhangs mit Frankreich deutsch gesprochen. Als Erwachsener sprach er deutsch und französisch, hatte aber das Böhmische während längeren Aufenthaltes in Frankreich, Deutschland und Italien verlernt. Fortwährend besorgt, sein Sohn könnte ihn in Böhmen verdrängen, brachte Johann den Siebenjährigen nach Frankreich, dessen König Karl IV. mit seiner Schwester Maria verheiratet war. Dort wurde der Name des Kindes, Wenzel, mit dem Namen des Königs, Karl, vertauscht. Die päpstliche Politik des französischen Hofes beeinflußte naturgemäß den Knaben, der ohnehin eine Vorliebe für alles Kirchliche, für den Umgang mit Kirchenmännern und die Beobachtung kirchlicher Gebräuche hatte. Da seine Tante schon im folgenden Jahre, bald danach auch der König von Frankreich und dann seine Mutter, die Königin von Böhmen, starben, die Beziehung zu Johann aber immer unsicher blieb, war der vierzehnjährige Knabe ganz auf sich, seine Klugheit und Vorsicht angewiesen. Mit der französischen Prinzessin, die man ihm zur Frau gegeben hatte, scheint er glücklich gelebt zu haben.

Seine Bildung war umfassend, er hatte einen offenen Sinn und ein aufrichtiges Interesse für alle Erscheinungen des Lebens. Galt auch seine Vorliebe der Theologie, so hatte er doch auch Verständnis für die Künste; in Avignon sah er den kolossalen Palast entstehen, den die Päpste sich bauten, und gewann die Baumeister, die daran tätig waren, zur Errichtung eines Domes in Prag. Ebenso empfänglich wie für die Kunst war er für das Schöne in der Natur; auf einsamen Ritten versank er wohl in Träumerei, und aufgewühlt vom Anhauch der Landschaft wie von Musik entwarf er Pläne zu Taten. Er glaubte Empfänglichkeit für das Übersinnliche zu haben; daß er einmal den Tod eines französischen Prinzen vorausgeträumt hatte, sah er als Zeichen seiner besonderen Verbindung mit dem Jenseits an. Einmal, als er in seinen jungen Jahren auf der alten Burg in Prag wohnte, glaubte er nachts Schritte zu hören. Er stand auf, schürte Feuer im Kamin und zündete Kerzen an: nichts war zu sehen. In seinen Mantel gehüllt saß er aufrecht im Bett und sah, daß der Becher mit Wein umgestürzt wurde, der neben ihm stand; aber die Hand, die es tat, sah er nicht. Das erzählte er später in der Geschichte seiner Jugend mit einem Gefühl für das Schaurige, wie es niemand vorher auszudrücken gewußt hatte. Auch daß er sich selbst so interessant war, daß er sein Leben beschrieb, war sehr ungewöhnlich. Was er erlebte, hatte etwas Außerordentliches oder er wußte es so zu gestalten. Einmal ging er, weil er Nachstellungen fürchtete, als Knappe verkleidet von Trier nach Böhmen, einmal reiste er als Kaufmann. Ein anderes Mal, als er infolge italienischer Verwickelungen mit Venedig verfeindet war und doch nach Italien wollte, wurde sein Schiff im Golf von Venedig von venezianischen Kaperschiffen umstellt. Da schickte er Unterhändler an die venezianischen Hauptleute, die seine Ergebung anbieten sollten, und schlüpfte unterdessen mit dem Grafen Frangipani, der ihn begleitete, durch die Luken des Schiffes in eine Barke, die sie beide unter Netzen und Säcken versteckt mitten durch die venezianische Flotte nach Grado brachte. Von dort gingen sie zu Fuß nach Aquileja, wo sie vom Patriarchen ehrenvoll aufgenommen wurden. Neben diesem Hang zu romantischer Einkleidung seiner Taten, neben dem Hang, sich undurchsichtig zu machen, war er doch auch im Kampfe tapfer und bewährte sich in der Schlacht. Und derselbe Mensch, der es liebte, sich in theologische Probleme zu vertiefen, von dem erzählt wird, er habe, als ihm Mystiker in Straßburg ihre verketzerten Gedanken enthüllten, zugestanden, das seien auch seine, derselbe Mensch war ein tüchtiger Rechner und Wirtschafter.

Die ersten Jahre nach der Erwählung Karls zum römischen König waren düster und unsicher. Vom Süden her kam die Pest, sie wütete hauptsächlich in Tirol, Kärnten und Steiermark, durch das Rhonetal kam sie nach Hochburgund. Schlimmer als das waren die wirtschaftlichen Erschütterungen und die Judenverfolgungen, die damit zusammenhingen. Wie ein vom Winde getriebenes Feuer jagte die Raserei, von Südfrankreich kommend, durch das westliche und südliche Deutschland. In Köln und Straßburg und in vielen anderen Städten bemühte sich der Rat, die Juden zu schützen; aber es war nicht möglich, der Wut der Zünfte Einhalt zu gebieten. In Eßlingen, Wien, Speyer verbrannten sich die verzweifelten Juden selbst. Der Herzog von Braunschweig, die Reichsstädte Goslar und Mühlhausen wehrten den Mördern, ebenso der Herzog von Österreich, wenigstens ließ er sie hängen oder einkerkern; in den kleinen elsässischen Reichsstädten dagegen siegte der Blutdurst der Zünfte. In Basel setzten die Zünfte dem Rat zum Trotz durch, daß Hunderte von Juden in ein Bretterhaus auf der Rheininsel gesperrt und damit verbrannt wurden. Wenn die notleidende Bevölkerung, die den Juden verschuldet war, den Regierungen vorwarf, sie seien von den Juden bestochen, so war das insofern verständlich, als sie vom Judenschutz, der ihnen verpfändet oder übertragen war, beträchtlichen Vorteil hatten; die adligen Herren dagegen, über und über verschuldet, machten mit den Zünften gemeinsame Sache. In Zeiten der Krise, wo Geldmangel allgemein ist, pflegt mit dem Gelde die Rechtlichkeit der Menschen zu schwinden.

Um die Zeit, als Mord und Brand den Rhein entlanglief, wählten in Rense die drei geistlichen Kurfürsten und Herzog Rudolf von Sachsen-Wittenberg den Schützling des Papstes, Karl von Mähren, zum König. Markgraf Ludwig von Brandenburg, Kaiser Ludwigs Sohn, der Pfalzgraf Rupprecht der Ältere und der Herzog von Sachsen-Lauenburg, der mit dem von Sachsen-Wittenberg um das Wahlrecht stritt, anerkannten Karl natürlich nicht und trugen nach Ludwigs Tode erst dem König von England, dann dem Markgrafen von Thüringen und Meißen, schließlich dem Grafen Günther von Schwarzburg die Krone an. Inzwischen hatten Karl und seine Anhänger ein seltsames Märchen ausgeheckt, um dem Markgrafen von Brandenburg Schwierigkeiten zu bereiten. Das Gerücht tauchte auf, der letzte Askanier, Markgraf Waldemar, der im Jahre 1319 gestorben und in Chorin begraben war, sei noch am Leben. Er sei, wegen verbotener Verwandtschaft mit seiner Frau von Gewissensbissen gefoltert, ins Heilige Land gezogen und habe dort 28 Jahre lang gebüßt. Herzog Rudolf von Sachsen, der Waldemar persönlich gekannt hatte, erklärte, ihn wiederzuerkennen, worauf auch der Erzbischof von Magdeburg sich für seine Echtheit verbürgte. Es ist anzunehmen, daß Herzog Rudolf einen Mann, der sich durch eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Verstorbenen dazu empfahl, auf Grund seiner persönlichen Bekanntschaft mit demselben für die zu spielende Rolle abgerichtet hatte. Der Zweck der Komödie war nicht nur die Beseitigung des Markgrafen Ludwig, sondern die Teilung Brandenburgs unter die Verschworenen nach des falschen Waldemars Tode. Nachdem eine Kommission den Prätendenten als echten Waldemar bestätigt und Karl ihn feierlich belehnt hatte, trat der Wiedererstandene ihm sofort die Lausitz ab. Überall freudig empfangen, durchzog der alte Büßer die Mark, durch reichliche Zuwendungen die Städte an sich fesselnd.

Graf Günther von Schwarzburg, der wohl als ein rechtlicher Mann bekannt, aber doch ein zu kleiner Herr war, um seinem Gegner, dem König von Böhmen, gewachsen zu sein, trug immerhin einen nicht zu unterschätzenden Erfolg davon: die Stadt Frankfurt erkannte ihn an und öffnete ihm im Februar 1349 die Tore. Er konnte auf dem Römerberg die Huldigung entgegennehmen. Karl hielt sich in der Nähe auf und beschäftigte sich damit, dem Nebenbuhler seine Anhänger abspenstig zu machen. Es traf sich, daß kurz zuvor seine Frau gestorben war, so daß er sich um die Hand der Tochter des Pfalzgrafen Rupprecht, der zwanzigjährigen schönen Anna, bewerben und dadurch diesen Wittelsbacher auf seine Seite bringen konnte. Eilig wurde in Bacharach die Hochzeit gefeiert. Dann handelte es sich darum, die Wähler zu bezahlen, die noch sich Zurückhaltenden zu gewinnen. Wie sollte er alle die ungeheuren Ansprüche befriedigen, da er sich doch nur einmal gleichzeitig verheiraten konnte? Vielleicht in Bacharach, irgendwo vielleicht am Rhein, während er seinen Phantasien nachhing und mit den Augen, die das Schöne liebten, dem Lauf des edlen Stromes folgte, kam ihm ein feiner, ein grauenvoller Gedanke. An den Ufern des Rheines zuckten die Flammen, in denen die Juden verbrannten; das ließ sich verwerten. Er, der Kaiser, war der Herr der Juden, ihm zahlten sie Abgaben dafür, daß er ihnen die Niederlassung erlaubte und sie beschützte, ihm gehörten die nachgelassenen Güter der Getöteten, ihm die Bußgelder der wegen des widerrechtlichen Mordes Gestraften. Je mehr Juden ermordet wurden, desto vorteilhafter für ihn; man konnte den Regierungen zu verstehen geben, daß sie nicht in seinem Interesse handelten, wenn sie den Judenmord verhinderten. Seinem Großoheim, dem Erzbischof Baldewin, der am meisten für die Wahl getan hatte und die größte Entschädigung erwartete, schenkte er das hinterlassene Gut aller der bei der Verfolgung im Elsaß erschlagenen Juden, die dem Kaiser zustehenden Bußgelder derer, die die Juden ermordet und beraubt hatten, schließlich die Güter der Juden, die etwa noch erschlagen werden würden. Dem Grafen von Hohenstein schenkte er die Güter der in den Reichsstädten Mühlhausen und Nordhausen erschlagenen Juden und erlaubte ihm, die Schuldforderungen der Ermordeten einzutreiben. Eine Edelfrau in Hirschhorn bekam das Haus eines reichen Juden in Heilbronn, den Bischöfen von Bamberg und Würzburg versprach er die Güter der Juden, die etwa in ihren Bistümern ermordet werden würden. Die Städte St. Gallen und Nördlingen wurden von der Verantwortung wegen der bei ihnen erschlagenen Juden befreit. Als Markgraf Ludwig von Brandenburg erkannte, daß sein Gegenkönig, Graf Günther von Schwarzburg, sich nicht würde halten können und sich geneigt zeigte, Karl anzuerkennen, erlaubte ihm Karl, sich in Nürnberg bei der voraussichtlich bald dort stattfindenden Judenverfolgung drei der besten Judenhäuser auszusuchen.

Damit war aber der vom Kaiser aus den Judenverfolgungen zu ziehende Vorteil noch nicht erschöpft. Die Regierenden hatten fast durchweg, wenn man von einigen fanatischen Fürsten absieht, die Juden zu beschützen versucht, zum Teil weil sie ihnen nützlich waren, zum Teil wohl auch aus Gerechtigkeits- und Ordnungsliebe. Der Herzog von Braunschweig-Lüneburg zum Beispiel, die Städte Goslar und Regensburg hatten keine Verfolgung aufkommen lassen, König Karl selbst hatte sie in seinem Erblande Luxemburg zu unterdrücken gewußt. Diejenigen, die die Ausrottung und Vertreibung der Juden nicht hatten verhindern können, wünschten sehr bald wieder welche zu haben. Karl konnte sich also wieder Landesherren und Städte verpflichten, indem er ihnen erlaubte, Juden zuzulassen oder ihnen den künftigen Judenschutz bald verpfändete, bald schenkte. Merkwürdig und fast grauenhaft ist es, daß schon nach kurzer Zeit Juden wieder um Aufnahme nachsuchten, obwohl die Bedingungen um vieles härter geworden waren; erst jetzt wurden sie in besondere Quartiere abgesondert.

Als der unglückliche Graf Günther, der ohnehin krank war, sich von allen verlassen sah, brauste er im Zorn gegen die treulosen Wähler auf; aber wehren konnte der Sterbende sich nicht mehr. Auch der Erzbischof von Mainz verließ ihn; Karl hatte zwar versprochen, zwischen den beiden Erzbischöfen neutral zu bleiben, schwur aber bald danach auf das Evangelium, daß er den vom Papst ernannten Gerlach gegen Heinrich beschützen werde. Günther entsagte dem Thron und entband die Bürger Frankfurts von dem Treueid, den sie ihm geleistet hatten. Dann starb er. Drei Tage später, am 17. Juni, zog Karl in Frankfurt ein, am 19. wurde die Leiche des betrogenen Kaisers aus dem Johanniterkloster, wo er gestorben war, in den Dom überführt. Karl selbst folgte dem Sarge, den zwanzig in Trauer gekleidete Grafen trugen; er liebte altherkömmliche, feierliche Gebräuche. Der Stadt Frankfurt verzieh er ihre Anhänglichkeit an den Verstorbenen, machte beim Rat eine Anleihe und versprach, ihn nicht zur Rechenschaft zu ziehen, wenn etwa die Frankfurter Juden sollten ermordet oder vertrieben werden, sondern ihm ihre Güter zu überlassen, damit er sich daran schadlos hielte. Nur wenn der Erlös die geliehene Summe überstiege, sollte der Überschuß dem König zustehen.

Mitten durch Blut und Brandgeruch rückte der nun anerkannte Kaiser nach Aachen vor. In Bonn erhielt er die Meldung, die Krönungsstadt sei so von Geißlern erfüllt, daß kein Platz für einen festlichen Einzug sei, und er entschloß sich zu warten. Die Geißler waren zuerst nach der Pest in Österreich aufgetreten als eine Bruderschaft, die durch Bußübungen den zürnenden Gott versöhnen wollten. Wer sich ihnen anschloß, mußte sich verpflichten, die 33 Tage der Geißelfahrt mitzumachen und dem Führer gehorsam zu sein. Die öffentliche Geißelung wurde nach bestimmten Regeln in bestimmter Reihenfolge ausgeführt, nirgends blieben sie länger als einen Tag und eine Nacht. Allmählich sammelte sich allerlei verzweifeltes Gesindel zu den Geißlern, und sie entarteten. Daß sie sich der Geistlichkeit feindlich zeigten, machte sie beim niederen Volke beliebt, mit dem sie auch in der Wut auf die Juden übereinstimmten. Papst und Kaiser erkannten, daß die Bewegung die schon gelockerte Ordnung noch mehr auflöste, und unterdrückten sie durch Bann und Verfolgung. Sowie die Geißler Aachen verlassen hatten, zog Karl ein und ließ sich krönen.

Es war die Stadt Karls des Großen, das alte Gepränge, ein Kaiser, der den den Deutschen heiligen Namen trug und sich gern mit überlieferten Formen umgab; aber der Geist der großen Kaiserzeit erfüllte sie nicht mehr. In den letzten Ereignissen hatte sich kraß offenbart, daß die Führenden nicht mehr aus überlegener Größe handelten, sondern daß wilde, dumpfe und gemeine Leidenschaften, wie sie in den Tiefen eines jeden Volkes verborgen sind, der Herrschenden Herr geworden waren. Es war so weit gekommen, daß, während das Volk die Juden verbrannte, weil sie Wucher trieben, die ersten Fürsten des Reiches ihre Stimmen verkauften und das Gewissen der Großen um Geld feil war. Oft weiß man nicht, ob man von Fürsten spricht oder von Gaunern, die sich gegenseitig übers Ohr hauen, ob man einen Kaiser vor sich hat oder einen Mörder, der sich nicht selbst die Hände blutig macht, aber durch ein Augenblinzeln die Totschläger ermuntert. Es ist kaum eine Milderung dieser Tatsache, daß derselbe Kaiser ein tüchtiger Regent war, nicht nur in seinem angestammten Lande Böhmen, sondern auch im Reich, soweit die Verhältnisse ihm dort ein Eingreifen ermöglichten.

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