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Calvin und der Abfall der Niederlande
ОглавлениеLoyola ist 10 Jahre nach Luther, Calvin 16 Jahre nach Loyola geboren; die beiden letzteren scheinen ins Leben gerufen, um die Wirksamkeit des jeweiligen Vorläufers aufzuheben oder auszugleichen. Beide, Loyola und Calvin, waren nichtdeutschen Ursprungs und nichtdeutsch von Charakter, haben aber stark auf Deutschland, Calvin hat überhaupt stärker auf germanische als auf romanische Länder gewirkt. Doch hat Calvin, der Nordfranzose war, entscheidende Einwirkungen in Deutschland und von Deutschen erfahren. Als er ein Jüngling war, hatte das Luthertum bereits Anhänger in Frankreich gefunden, vorher schon war im Anschluß an den Humanismus das Bibelstudium in Aufnahme gekommen. Man nimmt an, daß ein Deutscher, Michael Wolmar aus Rottweil, der in Bourges Lehrer des Griechischen war, ihn beeinflußt habe, aber etwas Gewisses ist darüber nicht bekannt; Calvin selbst spricht von einer plötzlichen Bekehrung. Nachdem ein Versuch, in Paris für den neuen Glauben zu wirken, gescheitert war, verließ er Frankreich und kam auf dem Wege nach Basel durch Genf, wo er, um ein Predigeramt zu übernehmen, festgehalten wurde. Von dort vertrieben, fand er Zuflucht in Straßburg und schloß sich sehr an Martin Butzer, dem er in mancher Beziehung ähnlich war; Luther mochte Butzers Betriebsamkeit nicht leiden.
Calvin stand dem Protestantismus anders gegenüber als Luther und auch als Zwingli, die das Neue ins Leben riefen; er fand etwas Fertiges vor und hatte es leichter, ein System zu bilden; doch entsprach es auch seiner Geistesart. Seine Institutio christiana ist ein berühmt gewordenes Lehrbuch des evangelischen Glaubens, das er später erweiterte, das sich durch Klarheit und Prägnanz auszeichnet und heute wie damals von Theologen bewundert wird. Wie Luther war Calvin ein Meister des Wortes, sowohl in lateinischer wie in französischer Sprache; aber nicht wie Luther ein Dichter. Er bewunderte Luther, hatte Ehrfurcht vor ihm und Verständnis für ihn, vielleicht von Butzer beeinflußt, war aber an Persönlichkeit und Geist ganz von Luther verschieden. Wie fest und sicher Luther auch die Linien seines Glaubens zog, sah er doch, das Sinnliche und Übersinnliche zugleich erfassend, das Schwankende, Vielseitige, Tiefgründige aller Dinge, die Rätsel und Untiefen des Daseins und der menschlichen Seele. Für Calvin, der überwiegend mit dem Verstand sah, war alles klar und durchsichtig. Luther glaubte wie Calvin, daß Gott einen Teil der Menschen zum Heil, einen anderen zum Verderben ausgewählt habe, ohne deren Verdienst oder Verschulden, aus seinem allmächtigen und unergründlichen Willen, begriff aber das Gefährliche dieser Ansicht, dem er dadurch zu begegnen suchte, daß er den Grübelnden riet, sich zu den zum Heil Erwählten zu zählen; übrigens hielt er es für richtiger, nicht bei diesem uns unzugänglichen Geheimnis Gottes zu verweilen. Calvin rückte die Prädestination in den Vordergrund seiner Lehre; für ihn fielen die Auserwählten Gottes zusammen mit den Gliedern seiner Kirche, so wie der Wille Christi, des einzigen Herrn der Kirche, zusammenfiel mit dem Willen der jeweiligen irdischen Leiter derselben, zunächst mit dem seinigen. Um seine in Genf, das ihn reuig zurückrief, begründete Kirche einem Kreise von Erwählten gleichstellen zu können, führte er eine strenge Kirchenzucht ein, derart, daß kein Sünder in ihr geduldet wurde. Aus zuverlässigen Gemeindegliedern gewählte Älteste hatten das Recht und die Pflicht der Überwachung, unbelehrbare Sünder wurden aus der Kirche ausgestoßen. In der Versinnlichung des Göttlichen näherte sich Calvin den Wiedertäufern und den Jesuiten. Die Katholiken waren logisch, wenn sie alle, die dem Papst gehorchten und sich treu zur Kirche hielten, als Gotteskinder bezeichneten, die sichtbare Kirche der unsichtbaren gleichsetzend; wie aber konnte ein Evangelischer, dem eine Ahnung von der Unergründlichkeit der Wege Gottes aufgegangen ist, sich anmaßen, der Verwalter seiner grauenvollen Geheimnisse zu sein? Gerade die strenge Calvinische Kirchenzucht haben viele lutherische Geistliche bewundert, und Luther selbst hat sich viel mit dem Problem beschäftigt, wie eine Gemeinde von wahren Christen heranzuziehen sei; aber in seinem Sinne war Glaube zu sehr mit Freiwilligkeit, also mit Gnade verbunden, Religion zu sehr von Moral verschieden, als daß er ein Züchten von Heiligen, wie Calvin es wollte, hätte unternehmen mögen. Luther hatte, obwohl er den geknechteten Willen lehrte, große Achtung vor der menschlichen Freiheit, die ja mit der göttlichen Gnade zusammenfiel, und große Nachsicht mit Vergehungen; konnte doch der nach menschlichen Begriffen ärgste Sünder von Gott erwählt sein und im nächsten Augenblick von der göttlichen Gnade ergriffen werden. Er war kein Organisator und kein Zuchtmeister; beides war Calvin. Calvin hatte in dieser Beziehung wie überhaupt viel mehr Ähnlichkeit mit Loyola als mit Luther, der das schöpferische Vermögen anregte, den Geist lockerte, das Herz erwärmte, wie Musik es tut. Loyola verbannte Musik und Gesang aus den Jesuitenschulen, wie Calvin die Bilder aus den Kirchen. Vielleicht konnte Calvin eben deshalb Loyola entgegenwirken, weil er ihm in mancher Hinsicht verwandt war. Beide waren, obwohl große Kirchenmänner und Religionsstifter, überwiegend rational, und dem Rationalismus gehörte die Zukunft, die die Phantasie hinter sich ließ. Auch in ihrer Auffassung von der Christusherrschaft waren sie einander ähnlich. Beide sahen in Christus einen Heerführer, dem die Auserwählten in unbedingtem Gehorsam bis zum Tode nachfolgen, kämpfend, erobernd. Das Heer der Calvinisten war wie das der Jesuiten an strenge religiös-moralische Vorschriften und an eine Askese gebunden, die in der Vermeidung weltlich-sinnlicher Genüsse bestand, deren Stil bei den Jesuiten süßlich-demütig, bei den Calvinisten stolz und herbe war.
In einem Punkte, nämlich in der Beziehung seiner Kirche zum Staat, war Calvin den anderen protestantischen Kirchen überlegen. Als Franzose hatte er natürlicherweise immer Frankreich und die protestantische Kirche in Frankreich im Auge, und da diese einem katholischen, jede Abweichung unerbittlich niederzwingenden Staat gegenüberstand, war seine Kirche dem Staat gegenüber durchaus kämpferisch und ihre Selbständigkeit betonend eingestellt. Diese zu bewahren, ist ihm allerdings nicht in dem Grade, wie er es wünschte, gelungen; doch konnte er wenigstens eine Verschmelzung herstellen in der Weise, daß Mitglieder der Kirche einen Platz im Rat hatten, die Kirchenältesten aber aus dem Rat vom Rate gewählt wurden. Auch um das Recht der Exkommunikation, das heißt Sünder aus der Kirche auszustoßen, wurde lange gekämpft, bis Calvin es für die Kirche eroberte. Die Ältesten waren Laien, die im Kirchenregiment vertreten waren; insofern hat Calvin Luthers Lehre vom allgemeinen Priestertum wirklich eingeführt, was Luther unterlassen hatte. Wenn Luther sich in diesem Falle wie in anderen mit der Roheit der Deutschen entschuldigte, mochte er nicht ganz unrecht haben; in den kleinen eidgenössischen Republiken fand sich gewiß ein politisch und sittlich besser durchgebildetes Bürgertum als in den kleinen sächsischen Städten, mit denen Luther zu tun hatte.
Ein starker, herrschbegieriger Wille findet immer Anhänger und Diener; immerhin bedurfte es mehrjähriger, hartnäckiger Kämpfe, bis sich das freie, fröhliche, lebenslustige Gemeinwesen Genf der Tyrannei des Fremden unterwarf, der sich auf eine Schar Fremder, französischer Emigranten, stützte. Mit Hilfe von Eindringlingen richtete der Flüchtling eine Diktatur auf, wie sie im Papsttum unbekannt gewesen war. Predigt, Warnung, Geldstrafen bis zur Einkerkerung, Folterung, Verbannung, Enthauptung und Verbrennung waren die Mittel, deren er sich dabei bediente; niemand stand zu hoch und nichts war zu gering, um der Überwachung und Regulierung zu entgehen. Nicht die geringste Abweichung von Calvins Lehre wurde geduldet, das harmloseste Zeichen auch von fast unbewußter Anhänglichkeit an den alten Glauben, etwa ein lateinisches Gebet, wurde streng geahndet; den Papst nicht für den Antichrist zu halten, hätte niemand wagen dürfen. Wie der Glaube, waren die Sitten dem Zwang unterstellt. Singen, Tanzen, Ballspiel, Würfelspiel waren verboten; eine Frau wurde eingekerkert und verbannt, weil sie ein leichtfertiges Lied gesungen hatte. Nicht nur Kritik an Calvins Lehre, sondern auch Kritik an seiner Person, Äußerungen über ihn, die der Ehrerbietung ermangelten, wurden streng bestraft. Seine Person war geheiligt. Ihm fehlte ganz der Humor, der Luther so anziehend und überlegen machte; Calvin sah sich selbst nie anders als in pathetisch-feierlicher Beleuchtung.
Für die verlorenen Güter der Freiheit und der Breite des Lebens tauschte Genf Stärke, Macht und Einfluß auf das Ausland ein. Da, wo man seine vorzüglichen Bücher kannte, wo man seine glühenden Briefe las, gelangte Calvin bald zu hohem Ansehen. Zahlreiche junge Männer besuchten die von ihm nach dem Muster des Straßburger Gymnasium illustre gegründete Akademie, aus der später die Universität erwuchs, und hörten seine Vorträge. Durch diese wirkte er ungetrübt. Weil er systematischer war als Luther, konnte er besser eine feste, klare, eindeutige Überzeugung einpflanzen. Zu seinen Hörern gehörten Kaspar Olevianus, der den Heidelberger Katechismus im Anschluß an den Calvins verfaßte, und die Brüder Marnix von Ste. Aldegonde, die ihre bedeutende Kraft für die Befreiung der Niederlande einsetzen sollten.
Der erste deutsche Fürst, der das Calvinische Bekenntnis annahm, war Friedrich III. von der Pfalz, den seine Frau Maria, Tochter Kasimirs von Brandenburg, zum Protestantismus bekehrt hatte. Seit dem Jahre 1559 besorgte die fromme Frau, der Teufel werde den Zwinglischen Samen zwischen ihren guten Weizen säen, und ihr Mann werde durch das subtile Gift verführt werden. Seine Liebe zu ihr und das Abraten befreundeter Fürsten brachte Friedrich nicht von dem Entschluß ab, sich zu Calvin zu bekennen, nachdem er sich von der Richtigkeit seiner Lehre überzeugt hatte. Es gefiel ihm, daß der Calvinismus den Greuel der Abgötterei, wie er sich ausdrückte, aus der Kirche rein ausgefegt habe, und daß man dem Verstand mehr Recht gebe, als Luther getan habe. Man solle wohl der menschlichen Vernunft nicht zu viel geben, darum aber doch nicht ein Esel sein oder bleiben; habe doch der Apostel Paulus zu seinen Corinthern gesagt: mit euch, als mit den Klugen rede ich, als wolle er sagen: nicht mit tollen Eseln. Die Betonung des Moralischen im Calvinismus zog ihn mehr an als die lutherische Mystik. Offenbar bestimmte ihn auch der französische Einfluß. Er war so sehr ein Freund Frankreichs, daß er wünschte, es möchte jederzeit ein Vertreter Frankreichs an den Reichstagen zugelassen werden, und die Wiedergewinnung der drei verlorenen Bistümer und der Stadt Metz, um die man sich damals bemühte, kümmerte ihn wenig. Befanden sich auch die Reformierten Frankreichs, die Hugenotten, im Kampf mit der Krone, so redeten sich die protestantischen Fürsten ein, das Blatt könne sich wenden, der König könne für den neuen Glauben gewonnen werden. Seiner tatkräftigen Natur sagte das heroische Leiden und Kämpfen der Hugenotten mehr zu als das tatenscheue Wesen der lutherischen Fürsten. Die Deutschen, sagte er, hätten bisher in Rosen gesessen, die anderen aber mitten im Blut, darum wären sie einiger, entschlossener, opferwilliger. Die Calvinisten in England, Schottland, den Niederlanden, der Schweiz erregten seine Bewunderung. Um der Religion willen zu kämpfen, erschien ihm natürlich und rühmlich. Seine Lage war gefährlich, weil der Calvinismus weder in die Augsburger Konfession noch in den Augsburger Religionsfrieden eingeschlossen, also eigentlich rechtlos war. Sowohl seine eigenen Untertanen wie der Kaiser, nach dem Tode Ferdinands war es sein Sohn, Maximilian II., haßten den Calvinismus als ein friedestörendes, drachengiftiges Element. Friedrich blieb inmitten aller Angriffe und Gefährdungen mit seiner Überzeugung unerschütterlich. Das Ketzergeschrei, sagte er, fechte ihn so wenig an, als wenn ihn eine Gans anpfeifen täte. Die anderen protestantischen Fürsten hatten Mitgefühl mit ihren unglücklichen Glaubensgenossen in Frankreich und den Niederlanden; aber ebenso stark war das Bewußtsein, daß es sich um eine Auflehnung von Untertanen gegen ihr rechtsmäßiges Oberhaupt handelte und daß sie im gleichen Falle Unterstützung ihrer Untertanen sehr übel aufnehmen würden. Sie beschränkten sich also darauf, Fürbitten für ihre Glaubensgenossen einzulegen, die natürlich nicht beachtet wurden, oder höchstens Geld, nicht viel, zur Anwerbung von Soldaten herzugeben. Friedrich III. kannte solche Bedenken nicht: in diesem Falle hatten ja die Untertanen den wahren Glauben, der König hatte den falschen, abgöttischen. Auch er konnte allerdings nicht geradezu mit der Tat für die Bedrängten eintreten; aber wenn er auf Umwegen dem Feinde, besonders Spanien, Schaden zufügen konnte, tat er es gern. So konfiszierte er einmal eine Summe Geld, die von Spanien aus durch die Pfalz an Alba gebracht werden sollte, und sein Lieblingssohn, Johann Casimir, teilte selbst dem Kaiser mit, daß er einen aus kaiserlichen Zeughäusern stammenden, für Alba bestimmten Pulvertransport angezündet habe. Allein er und sein Bruder Christoph hätten diese Handlung vorgenommen, »wie ich denn derselben gar keine Scheu trage«.
Denn um diese Zeit war der Kampf zwischen Spanien und den Niederlanden offen ausgebrochen. Es war ein verhängnisvoller Gedanke Karls V., die Niederlande, sein burgundisches Erbe, seinem Sohne Philipp zuzuwenden. Er trennte den Burgundischen Kreis förmlich vom Reiche ab, nahm dadurch der Reichsregierung und den Reichskreisen die Möglichkeit der Einmischung und beraubte die Untertanen der einzigen Freiheit, die den Reichsangehörigen gegenüber dem jus reformandi des Landesherren blieb, nämlich mit ihrem Vermögen auszuwandern. Der feindliche Gegensatz, der die Völker Europas spaltete, kam dadurch im nordwestlichen Winkel des Reiches, wo die Pole nah aneinander gezwängt wurden, zu einem furchtbaren und großartigen Ausbruch. Der Schmalkaldische Krieg war in der Hauptsache ein Krieg zwischen zwei Heeren, der nach kurzem Kampf der einen Partei das Übergewicht verschaffte und schließlich zu einem Ausgleich führte; in den Niederlanden kämpfte das ganze Volk, ging es um Leben und Tod. In den Niederlanden standen Haß gegen Haß, Glut gegen Glut nackt, ohne Mittel, die äußersten Spitzen des alten und des neuen Glaubens, Calvinismus und spanischer Katholizismus Auge in Auge gegeneinander ohne Möglichkeit der Versöhnung. Beide Parteien faßten vorübergehend den verzweifelten Plan, das Land, um das gekämpft wurde, durch Feuer oder Wasser zu verderben, damit es der anderen nicht zur Beute fiele. Dieser mörderische Charakter des Gegensatzes kam daher, daß er durch den nationalen verschärft wurde. Auf Seiten der katholischen Niederländer war er nicht weniger heftig als auf seiten der reformierten. Im ganzen Abendlande wurden die Spanier als ein fremdes Element angesehen, man fand sie stolz, grausam und verschlossen. Die Spanier hatten den Ehrbegriff auf die Spitze getrieben, er bildete eigentlich den Kern ihres geistigen Lebens. Auch bei den Germanen, insbesondere bei den Deutschen, war die Ehre ein Maßstab; aber etwas ganz Verschiedenes wurde von den beiden Nationen unter Ehre verstanden. In Spanien hatte sich in langen Kämpfen gegen Mauren und Juden die Reinheit des Blutes und die Reinheit des Glaubens als Ehre herausgebildet. Es war nicht immer so gewesen: die hohe mittelalterliche Kultur Spaniens beruhte auf dem Zusammenwirken christlich-spanischer, maurischer und jüdischer Elemente, noch im 15. Jahrhundert waren bekehrte Juden, die Marranen, gern in die Reihen des hohen Adels aufgenommen worden. Erst als Ferdinand und Isabella einer aus den unteren Volksschichten hervorgehenden nationalistischen Strömung nachgaben, wurden Mauren und Juden vertrieben und wurde jede Vermischung mit ihnen als schändlich betrachtet; was nicht hinderte, daß Papst Paul die Spanier haßerfüllt als eine von Juden und Mauren abstammende Nation bezeichnete. Nach germanischer Anschauung beruhte die Ehre hauptsächlich auf der Freiheit. Der Hörige, der dem Zwang unterworfen war, wurde verachtet. »Ehr is dwang nog«, Ehre ist Zwang genug, stand als Inschrift auf dem Kamin eines Zunfthauses in Münster. Eheliche Verbindungen mit slawischen oder ungarischen Edeln entehrte die adeligen Deutschen nicht, wohl aber die mit einem christlichen, deutschen Bauern. In den Niederlanden hatten sich viele Züge germanischen Wesens reiner erhalten als in Deutschland; Freiheitsliebe, Lebenslust, ein breites, derbes, übermütiges Sichgehenlassen, Selbständigkeit im Glauben. Karl V. hatte man im allgemeinen als geborenen Niederländer geliebt: in seinem Sohne haßte und fürchtete man sofort den Spanier. Philipp nahm es sehr übel, daß man in den Niederlanden die Spanier als Ausländer betrachtete, die Deutschen nicht. Auch den deutschen Individualismus hatten sich die Niederländer bewahrt, obwohl sie als Königreich Burgund und als burgundischer Reichskreis eine Einheit gebildet hatten. Weder die burgundische noch die habsburgische Herrschaft war imstande gewesen, aus den verschiedenen Ländern, die sie als Niederlande zusammengebracht hatten, einen von Beamten des Landesherrn einheitlich regierten Staat zu machen. Noch waren die Provinzen selbständige Länder, die eifersüchtig ihre Privilegien hüteten und ihre Sonderrechte zur Geltung brachten, noch behaupteten gewisse Länder das Recht, den Souverän zu verlassen, wenn er die beschworenen Freiheiten nicht hielte. Die Einheit wurde repräsentiert durch den Statthalter, der in Brüssel residierte, ein Amt, das unter Karl V. seine Schwester Maria, unter Philipp II. Karls natürliche Tochter Margarethe innehatte; sie war in zweiter Ehe mit einem Prinzen von Parma verheiratet. Dem Statthalter standen die Staatsräte, Gouverneure der Provinzen, zur Seite, die aber nur eine beratende Stimme hatten, ferner ein Finanzrat und ein Gerichtsrat, die verwaltende Tätigkeit ausübten.
Das Schicksal wollte es, daß in diesem Kampfe das Licht fast ganz auf die Seite der Reformation, der Schatten auf die des spanischen Katholizismus fällt: ein historischer Augenblick sollte den Freiheitsgedanken, den Luther ausgesprochen und den die Entwicklung so vielfach entstellt hatte, ewig ruhmreich verwirklichen. In den Figuren Philipps II. und Albas auf der einen, Wilhelms von Oranien auf der anderen Seite hat die Geschichte Vorbilder des Despotismus und der Freiheit aufgestellt, die den, der ihre Taten nacherlebt, zur Bewunderung oder zum Abscheu hinreißt, trotzdem auch hier dem Häßlichen Größe und dem Hohen das Niedrige beigemischt ist.
Auch Philipp II. hatte bei seinem Regierungsantritt die Privilegien der Provinzen beschworen; aber er hatte nichtsdestoweniger die Absicht, die Niederlande zu einer spanischen Provinz zu machen. Das wurde offenbar, als er eine neue Kirchenorganisation in den Niederlanden einrichtete, wonach es künftig an Stelle von vier Bistümern, die es bisher gab, dreizehn geben sollte und dazu drei Erzbistümer, deren überhaupt noch keine vorhanden waren, da die Niederlande in dieser Hinsicht von Reims und Köln abhingen. Der Zweck dieser Neuorganisation war erstens die Loslösung der Niederlande in kirchlicher Hinsicht von Frankreich und Deutschland, zweitens die Möglichkeit einer genaueren Überwachung des kirchlichen Lebens und gründlicheren Ausrottung der Ketzer; denn die Bischöfe standen zugleich an der Spitze der Inquisition. Unwillen erregte es auch, daß der König spanische Truppen im Lande ließ, was mit den Privilegien nicht vereinbar war. Er versuchte diese Maßregel dadurch populär zu machen, daß er Oranien und Egmont das Kommando über die Truppen anbot; diese aber entzogen sich der Schlinge und lehnten ab. Philipp mußte nachgeben: zum Jubel der Bevölkerung verließen die spanischen Soldaten das Land. Die Statthalter waren große Herren, sehr selbständig und selbstbewußt, vor allen Wilhelm von Nassau und Egmont. Wilhelm von Nassau, der Sohn Wilhelms des Reichen von Nassau-Dillenburg und der Juliane von Stolberg-Wernigerode, war in seiner Person das Abbild des universalen, locker gefügten, viele Gegensätze umfassenden Reiches. Von einer verwandten Linie, die mit Renatus, dem Sohne jenes Heinrich von Nassau, dessen treue Bemühungen dazu beigetragen hatten, daß Karl V. die Kaiserkrone erhielt, ausstarb, erbte er das Fürstentum Orange in Frankreich und die reichen niederländischen Besitzungen der Familie. Von seinen Eltern, gläubigen Lutheranern, fromm erzogen, wurde er doch, um das Erbe übernehmen zu können, an den Hof der Statthalterin Maria in Brüssel geschickt, um dort im katholischen Glauben vollends ausgebildet zu werden. Die in der Familie herkömmliche Anhänglichkeit an den Kaiser war besonders lebhaft in ihm, und wie er Karl verehrte, so vertraute ihm und schützte ihn Karl; als er seine Titel niederlegte, bestimmte er ihn zum Statthalter der Provinzen Utrecht, Holland und Seeland. Statthalter von Flandern und Artois war Lamoral Graf Egmont, der seine Abkunft auf die Friesenherzöge des 8. Jahrhunderts, Radbold und Aldgild, zurückführte. Das Stammschloß Egmont, uralt, liegt im Nordwesten Hollands am Meer. Im Jahre 1545 verheiratete er sich in Speyer mit einer Schwester Friedrichs von der Pfalz, des späteren Kurfürsten, in Gegenwart des Kaisers und seines Bruders Ferdinand, im Jahre darauf wurde er Ritter vom Vlies, später warb er in England um die Hand der Maria für Karls Sohn Philipp. Im Jahre 1559 fügte er zu seiner hohen Abstammung und allen Ehrungen eine Ruhmestat, den Sieg bei St. Quentin, der Frankreich zu einem für Spanien sehr vorteilhaften Frieden nötigte. Er durfte glauben, sich dadurch Anspruch auf verschwenderische und unveränderliche Gunst des Monarchen erworben zu haben. Egmont war Katholik; aber er wußte, daß sein Sekretär, Herr von Beckerzeel, Protestant war, und hatte nichts dagegen. Diese Kavaliere, die katholisch waren oder die katholischen Gebräuche mitmachten, waren aufgewachsen in der Atmosphäre eines Landes, in dem altgermanische Bauernfreiheit, Freiheit des Welthandels und Weltverkehrs, die Duldsamkeit großer bewegter Seestädte heimisch waren, die Inquisition war ihnen zuwider. In seiner letzten Regierungszeit hatte Karl V. die spanische Inquisition in den Niederlanden einführen wollen, um der wachsenden protestantischen Bewegung entgegenzuwirken. Der Schrecken und die Wut des Volkes darüber waren so groß, daß die Statthalterin Maria eigens nach Augsburg reiste, um ihren Bruder zur Zurücknahme dieser Maßnahme zu bewegen, und sie erreichte auch eine Milderung der Gesetze, besonders aber sorgte sie dafür, daß ihre Handhabung nicht allzusehr von der üblichen abwich. In der spanischen Inquisition sah das Volk den Inbegriff ruchloser Gewaltherrschaft. Allerdings wurden bei der in den Niederlanden geltenden gewisse Rechtsformen beobachtet, es bestanden Vorschriften, nach denen man sich richten konnte; die spanische dagegen spürte die Schuldigen auf, ermunterte zur Denunziation und übte ihre schauerliche Tätigkeit im geheimen und ganz willkürlich aus. Als im Jahre 1563 das Konzil von Trient zum Abschlusse kam, verkündete Philipp II. die Beschlüsse desselben in den Niederlanden und verlangte zugleich, daß die Inquisition schärfer als bisher zugreife; Privilegien sollten ihr gegenüber unwirksam sein. Der hohe Adel war durch die Inquisition nicht unmittelbar betroffen; denn der Protestantismus breitete sich überwiegend in den unteren Schichten des Volkes aus, namentlich in Handwerkerkreisen; aber er nahm die Partei des Volkes, teils weil der religiöse Fanatismus seinem Geiste widersprach, teils um jeden Eingriff der spanischen Regierung in die niederländischen Freiheiten abzuwehren. Als in Antwerpen ein Karmeliter verbrannt wurde, der zum Calvinismus übergetreten war, brach ein Volksaufstand aus: Die Regentin war durch die allgemeine Unzufriedenheit so beunruhigt, daß sie Egmont nach Madrid absandte, um den König zur Milderung der die Inquisition betreffenden Maßnahmen zu bewegen und ihm die Wünsche des Adels vorzutragen. Diese gingen auf Vermehrung der Macht des Staatsrates. Da viel über Übergriffe der Behörden, namentlich in Hinblick auf finanzielle Ausbeutung geklagt wurde, wünschte man sie in Abhängigkeit vom Staatsrat zu bringen; Machterweiterung und Verselbständigung des Staatsrates, in dem die Statthalter der Provinzen vertreten waren, bedeutete zugleich Verselbständigung der Niederlande gegenüber Spanien. Gegen die Absicht des Königs, die Niederlande zu einer spanischen Provinz zu machen, erhob sich der Wille der Niederlande, ihre Freiheiten und ihre Selbständigkeit zu bewahren. Die Seele dieser Bewegung war Wilhelm von Oranien. Als Kind im lutherischen Glauben erzogen, am katholischen Hofe als Katholik aufwachsend, Herr niederländischer und südfranzösischer Besitzungen, dem Kaiser von Herzen zugetan, die französische Sprache bevorzugend, so tritt Wilhelm als eine schwankende Erscheinung in die Geschichte ein, er, von dem das Lied singt: »Wilhelmus von Nassauwe – Bin ick von dütschem Blut – dem Vaterland getrowe – Blew ick tot in den Duudt!« Unter den genußfrohen niederländischen Kavalieren war er einer der reichsten, der vornehmsten, der geselligsten und liebenswürdigsten; als einen charakteristischen Zug bemerkte man an ihm seine Freundlichkeit im Umgange mit Untergebenen. Eine Rückwendung zum Luthertum schien sich zum erstenmal im Jahre 1561 in seiner Heirat mit Anna, der Tochter des verstorbenen Moritz von Sachsen, auszudrücken, die er trotz des Widerstandes des Königs von Spanien und des alten Landgrafen Philipp von Hessen mit beinah erschreckendem diplomatischem Geschick durchsetzte. Philipp von Hessen, der seine durch Moritzens Sieg erwirkte Befreiung um mehr als ein Jahrzehnt überlebt hat, mißtraute dem Abtrünnigen oder Zweizüngigen; Philipp von Spanien konnte eine Verbindung mit der Tochter jenes Moritz, der seinen Vater verraten hatte, eines Ketzers, unmöglich billigen. Es ist anzunehmen, daß Oranien damals schon für alle Fälle sich einen Rückhalt bei den protestantischen Fürsten im Reich zu sichern gedachte. Nicht geringen Einfluß hatte wohl sein jüngerer Bruder Ludwig auf ihn. Dieser, in der festen Gläubigkeit des elterlichen Hauses aufgewachsen, der Liebling der Mutter, ein einfacher, gerader Charakter, immer unbedenklich bereit, sich für seine Überzeugung einzusetzen, hielt sich viel bei dem älteren Bruder auf, dem Familienoberhaupt seit dem Tode des Vaters, und vermittelte den Zusammenhang mit der deutschen lutherischen Familie.
Zwischen dem Lächeln des Königs und seiner Ungnade liegt nur die Breite eines Messerrückens, sagte man in Spanien. Es war eine Eigentümlichkeit Philipps, daß er diejenigen, deren Untergang er beschlossen hatte, mit ausgesuchter Herablassung behandelte. Wie ein Freund ausgezeichnet kehrte Egmont siegessicher zurück; indessen ließ Philipp die Regentin wissen, daß keinerlei Zugeständnisse gemacht werden sollten. Der Staatsrat sollte nicht gestärkt, die Inquisition sollte nicht gemildert werden. Die Regentin zögerte, den harten Beschluß bekanntzumachen, Oranien, der es offenbar zu einer Entscheidung kommen lassen wollte, bewirkte, daß es doch geschah. In dieser Stunde allgemeiner Besorgnis und Unruhe, grollenden Unwillens im Volke, trat der niedere Adel handelnd auf. Er war geführt von Heinrich von Brederode und Philipp Marnix, Herr von Ste. Aldegonde. Brederode, ein Abkömmling der holländischen Grafen, gehörte durch Geburt dem hohen Adel an, hielt sich aber zum niederen. In ihm kam das niederländische Tafeln und Bankettieren, die elementare Freiheits- und Kampflust nordischen Meervolks zum Ausdruck. Er haßte das Wasser und die Inquisition. »In Eurem Brief«, schrieb er einmal an Ludwig von Nassau, »sprecht Ihr von nichts als von diesen Spitzbuben von Bischöfen und Präsidenten. Ich wollte, die Rasse würde ausgerottet wie die der grünen Hunde: Sie werden immer mit den Waffen kämpfen, die sie von alters her angewandt haben, und bis zu Ende habsüchtig, brutal, eigensinnig et cetera bleiben.« Marnix, aus altem savoyischem Adel, war gebildet und geistvoll, ein Gelehrter, ein Dichter, tapferer Soldat und von der unbeugsamen Leidenschaft des Calvinismus durchdrungen. Seine Devise war Repos ailleurs. Er soll der Verfasser des sogenannten Kompromiß sein, der Bundesurkunde, in welcher der niedere Adel, seine aufrichtige Anhänglichkeit an den König betonend, Zurücknahme der Plakate forderte, durch welche die Inquisition verschärft wurde, und Zusammenberufung der Generalstaaten. Der Kompromiß wurde von einer großen Zahl von Adligen, katholischen wie protestantischen, unterschrieben. Die Unterschrift Ludwigs von Nassau verriet, daß Wilhelm dem Unternehmen nicht fernstand, obwohl der hohe Adel bei diesem Schritt nicht beteiligt war. Anfang April 1566 zogen 300 Edelleute in Brüssel ein, in feierlichem Aufzug, ohne Waffen, um der Regentin ihre Wünsche vorzutragen. Margarethe, entrüstet, aber furchtsam, versprach, sie an den König weiterzuleiten und zu befürworten. Bei dieser Gelegenheit soll das Wort gueux, Bettler, gefallen sein, um die Verschworenen verächtlich zu machen; sie bemächtigten sich seiner und führten es seitdem zur Bezeichnung ihrer Partei. Lange Jahre des Kampfes haben dem Namen der Geusen einen Metallklang von Rebellion, Abenteuer und Ruhm beigemischt. Einige Abende nach dem Empfang im Schlosse veranstaltete Brederode ein Bankett, um den günstigen Bescheid zu feiern; in ausgelassener Stimmung wählte er einen Schnappsack und einen Holznapf als Abzeichen der Geusen. Jeder Anwesende schlug zum Zeichen der Verbrüderung einen Nagel in den Napf, aus dem alle tranken. Es war bedeutungsvoll, daß Oranien und Egmont als zufällig Vorübergehende beim Bankett vorsprachen. Brederode ließ auch einen Pfennig schlagen, auf dem eine Hand mit dem Dolche, von Flammen umgeben, mit Beziehung auf Mucius Scävola, geprägt war. Die Umschrift hieß: agere et pati fortiora. Es war deutlich, welche Glut die zur Schau getragene loyale Gesinnung verhüllte.
Die Tatsache, daß sich ein Bund von Adligen gebildet hatte, der die Forderungen des Volkes vertrat, wurde vom Volke als ein Sieg aufgefaßt. Sie wirkte wie eine Bresche in einer Festung, durch welche die Masse der harrenden, aufs äußerste erhitzten Belagerer eindringen kann. Viele Jahre lang hatte das Volk seinen Glauben verstecken oder die Bekenner seines Glaubens martern und verbrennen sehen müssen: der erste Schritt öffentlichen Widerstandes gab das Zeichen zum Ausbruch der Revolution. In Antwerpen wurde der Schmuck im Innern der schönen Kathedrale zerstört; von Antwerpen aus raste der Bildersturm weiter, so daß in wenigen Tagen in allen Provinzen mit Ausnahme von Hennegau und Luxemburg die Ausstattung von Hunderten von Kirchen und Klöstern vernichtet war. Was Andacht und Kunst der Väter in Jahrhunderten zur Verehrung des Heiligen zusammengetragen hatten, zertrümmerte in wenigen Tagen der durch Fanatismus erregte Fanatismus eines verzweifelten Volkes.
Der Ausbruch der Volkswut gab dem Könige Anlaß, die von ihm beabsichtigte Umwandlung der bis zu einem hohen Grade selbständigen Niederlande in eine spanische Provinz auszuführen, aus einem Grafen von Holland, Grafen von Flandern, Herzog von Brabant und so weiter König der Niederlande zu werden. Um die Unterwürfigkeit seiner niederländischen Untertanen zu erproben und sie zugleich zu binden, forderte er von allen Beamten, herab vom Statthalter bis zu den niedersten Graden auch im Heere, einen neuen bis dahin nicht üblichen Eid, der sie verpflichtete, die Befehle des Königs überall und gegen jedermann, ohne Ausnahme und Einschränkung, auszuführen. Im allgemeinen wurde der Eid geleistet; Oranien, Egmont, Hoorne, Hoogstraaten, Brederode weigerten sich. Oranien, der wußte, daß in Madrid beschlossen war, den Herzog von Alba an der Spitze eines Heeres in die Niederlande zu schicken, dachte an bewaffneten Widerstand, großartige Pläne wurden besprochen; sie beruhten auf dem Beistande der Stadt Antwerpen und auf der Teilnahme Egmonts. Antwerpen war bereit, Egmont nicht. Im Anfang des Jahres 1567 leistete er, trotz der anfänglichen Ablehnung, den Eid, ihm folgten Hoogstraaten und Hoorne; einzig Oranien und Brederode beharrten. Mit Aufbietung aller Kraft, bittend und beschwörend von einem zum anderen eilend, bis er ohnmächtig zusammenbrach, setzte Oranien die Einigung der Religionsparteien in Antwerpen durch. Trotzdem glückte die erhoffte Erhebung nicht. Wie es so oft zu gehen pflegt, wurde freiwillig das Geld für die eigenen Interessen nicht aufgebracht, das ein Wink des siegreichen Feindes später zehnfach zutage förderte. Ohne Geld konnte kein Heer geworben werden. Die protestantischen Fürsten des Reiches forderten von Oranien, daß er sich zu Luther bekenne; dadurch, daß er es tat, vermehrte er die Zerwürfnisse unter seinen Anhängern, die überwiegend Calvinisten waren. Zu einer durchgreifenden Hilfe entschlossen sich die Reichsfürsten doch nicht, einzig der alte Philipp von Hessen, immer noch kampflustig, stand nun ganz auf seiner Seite und warnte ihn, kurz vor seinem Tode, vor Albas Tücke. Oranien sah ein, daß er das Feld räumen müsse. Nachdem er Antwerpen beruhigt hatte, zog er sich nach Nassau zurück, begleitet von den letzten treugebliebenen Anhängern des Adelsbundes. Brederode ging nach Emden, der ostfriesischen Stadt, die unter der Regierung Ezards des Großen zu einem Asyl für die niederländischen Emigranten wurde. Er starb im Jahre darauf als Gast eines Freundes Jost von Schaumburg. Seine Witwe heiratete Kurfürst Friedrich III. von der Pfalz, der kurz vorher seine Frau verloren hatte.
Nicht leichten Herzens gab Wilhelm von Oranien die Niederlande auf. Er fühlte sich als ihr geborener Schutzherr, dort war er heimisch, dort hatte er seine Besitzungen, seine Interessen, dort war eine große Aufgabe. Man weiß nicht, wann er den Beschluß faßte, die Niederlande von dem spanischen Druck zu befreien; nun hatten ihn die Ereignisse in den Kampf verwickelt und an das Ziel gebunden. Wie aber und mit welchen Mitteln sollte er dem gewiegten Feldherrn Alba, der mit den sieggewohnten spanischen Truppen heranzog, entgegentreten! Er verfügte über kein Heer und über kein einmütig zum Widerstande entschlossenes Volk. Die Bilderstürmer waren ein Haufe von Menschen aus den unteren Schichten, die schon von den einheimischen Truppen, die Margarethe zur Verfügung hatte, unterworfen und bestraft waren. Die Stimmung in den Provinzen war ungleich; so war zum Beispiel die mächtige und reiche Stadt Amsterdam überwiegend katholisch und königstreu. Es blieb Wilhelm nichts anderes übrig, als zu warten und inzwischen in Deutschland zu werben.
Da entzündete die rohe Herrschaft Albas, der an Margarethens Stelle Statthalter wurde, den Widerstand, auf den Oranien sich stützen konnte. Sein Grundsatz war, Furcht zu verbreiten und Geld zu erpressen. Der trostlosen Geldnot seines Königs glaubte er durch Ausbeutung der reichen Niederlande abhelfen zu können. Diesem Zweck dienten die Konfiskationen der Güter von Flüchtlingen und Hingerichteten. Der sogenannte Blutrat soll in drei Monaten 1800 Menschen zum Tode verurteilt haben. »Man sieht's an seinem Maul, daß er hat Blut gesoffen«, hieß es auf einer Inschrift, die man an einer in Brüssel ihm errichteten Statue fand. Aber fast mehr noch als die Masse der Hinrichtungen, die mit ganz unzureichender Begründung und auch ganz ohne Grund vorgenommen wurden, erbitterte die Erhebung des zehnten Pfennigs, einer Abgabe, die bei jedem Verkauf beweglicher Güter zu leisten war, die auf den agrarischen Besitzungen des Herzogs in Spanien niemanden drückte, die aber in den Niederlanden als unerträglich empfunden wurde und den König und seinen Vertreter verhaßt machte. Die Amnestie, die im Jahre 1570 endlich verkündet wurde, war durch so viele Ausnahmen eingeschränkt, daß sie wie Hohn wirkte. Auf einheitlichere Zustimmung in den Niederlanden konnte Wilhelm infolge von Albas plumper Verwaltung rechnen; aber die spanische Herrschaft war mit solcher Gewalt befestigt, daß jeder Versuch, sie zu stürzen, unmöglich schien, der nicht von einer bedeutenden europäischen Macht unterstützt wurde. Keine war dazu geneigt. Kaiser Maximilian II. hatte keine Sympathien für die Calvinisten und war durch Familienbeziehung zu Philipp II. gehemmt. Frankreich war durch die Hugenottenkriege beschäftigt, Elisabeth von England wollte sich damals noch in keinen Kampf mit Spanien verwickeln. Oranien war auf die verstohlene Hilfe einiger fürstlicher Glaubensgenossen, auf die opferbereite Unterstützung seiner Familie und auf seine eigene Kraft angewiesen. Mit dem Geld, das sein Bruder Johann durch Verpfändung seines Fürstentums und durch Verkauf seines Silbers aufbrachte, wurde ein Heer geworben, das er und sein Bruder Ludwig gegen die Truppen Albas führten. In diesem Feldzuge verloren die Nassauer die Schlacht und einen ihrer Brüder. Mit dem Rest ihrer geschlagenen Armee zogen Wilhelm, Ludwig und Heinrich nach Frankreich in der Hoffnung, bei den Hugenotten Hilfe zu finden.
Kaum jemals ist der Führer einer Bewegung mit so geringen Mitteln einem so mächtigen Feinde gegenüber, unter so unaufhörlichen Entmutigungen und Verlusten zum Siege gelangt. Oranien hatte Augenblicke, wo er an dem glücklichen Ausgang der Sache, ja an der Sache selbst verzweifelte; mußte er doch nicht nur die spanische Übermacht, sondern auch die Uneinigkeit der aufständischen Provinzen überwinden, von denen jede auf ihren Sonderinteressen so fest gegen die Bundesgenossen stand wie gegen den Feind. Mit der Pariser Bluthochzeit im Jahre 1572 verlor er jede Aussicht auf französische Hilfe. Im Jahre darauf gelang den Wassergeusen die Eroberung der Stadt Briel. Die Wassergeusen waren auf das Meer gedrängte Aufständische, im erbitterten Kampfe verwilderte, nichts fürchtende, vor nichts zurückschreckende Menschen, die die spanische Grausamkeit mit ebensolcher vergalten. Sie ließen sie sehr wider den Willen und zum Schmerz Oraniens hauptsächlich an den katholischen Geistlichen aus. Dem ersten Erfolge reihte sich eine furchtbare Niederlage an; in der Schlacht auf der Mookerheide fielen Wilhelms Brüder Ludwig und Heinrich und der schönste und liebenswürdigste von den Söhnen des Kurfürsten von der Pfalz, Christoph, der es sich nicht hatte nehmen lassen, dem Fürsten von Oranien einen Reiterdienst zu tun. In seinem Bruder Ludwig verlor Wilhelm den getreuen, unentwegten Mitstreiter und vertrautesten Freund. Auch daß Philipp II. sich endlich entschloß, Alba abzuberufen und einen verständigeren Statthalter zu schicken, dem er erlaubte, den zehnten Pfennig aufzuheben, war ein gefährlicher Umstand für Oranien. Sogar der ritterliche Marnix glaubte ihm raten zu müssen, die Amnestie anzunehmen, die der Papst selbst für richtig hielt auf ihn auszudehnen. So sehr schien dieser einzige Mann der Inbegriff der Revolution, daß Freund und Feind überzeugt waren, ohne ihn könnten sie nicht siegen, mit ihm nicht überwunden werden. Oranien blieb fest; er nahm den Wahlspruch an: Je maintiendrai. Im selben Jahre, wo er seinen Bruder verlor, sah er die Belagerung und den Entsatz der Stadt Leyden, die, als Oranien ihr zum Lohn für den bewiesenen Heldenmut entweder Steuerbefreiung oder die Gründung einer Universität anbot, die Universität wählte. Sie wurde noch im selben Jahre eröffnet. Nun übertrug ihm die Provinz Holland die Regentschaft, die er bis jetzt im Namen des Königs von Spanien geführt hatte, im Namen des holländischen Volkes. Es war ein denkwürdiger Akt, durch welchen Holland nun endlich den vollen Besitz seiner Freiheit betätigte, um den es das ganze Mittelalter hindurch gerungen hatte. Die südlichen Provinzen, von denen die Bewegung ausgegangen war, ließen sich von Spanien zurückgewinnen, die übrigen nördlichen: Nord-Holland, Zeeland, Groningen, Friesland, Drenthe, Utrecht, Geldern, Overijsel, schlossen sich in den nächsten Jahren Holland an. Auch die reiche und mächtige Stadt Amsterdam, wo bisher die katholische Partei das Übergewicht gehabt hatte, trat dem Bunde der Nordstaaten bei.
Oranien, der durch Einfluß der Familie und die sächsische Heirat zum Luthertum geneigt hatte, fand es nötig, Calvinist zu werden, weil der Nerv der Revolution durchaus calvinistisch war; aber er bemühte sich um Duldung aller christlichen Glaubensbekenntnisse, auch des katholischen, nicht nur weil das seiner Auffassung entsprach, sondern auch weil er nur unter diesem Titel die südlichen Staaten dem Bunde der freien niederländischen Staaten einverleiben konnte, was zunächst noch sein Ziel war. Nur vorübergehend gelang ihm das noch einmal. Trotz der gänzlichen finanziellen Erschöpfung Spaniens brachte es der tüchtige Sohn der Margarethe, der Prinz Alessandro Farnese, dazu, die südlichen Provinzen unter dem Zepter Philipps zu vereinigen. Die Toleranz entsprach so wenig der in sämtlichen Staaten herrschenden Gesinnung, daß das Bündnis aller ohnehin nicht von Dauer gewesen wäre. Die neue Gestaltung der Staaten ging auf Schleichwegen, unter verwickelten diplomatischen Unterhandlungen und unter entsetzlichem Blutvergießen vor sich. Tausende von Menschen wurden bei den Erstürmungen von Haarlem, Antwerpen, Maestricht hingemordet, Tausende vernichtete die Pest, Tausende fielen in Schlachten. Die Verbindung der endlich unabhängig zusammengeschlossenen Staaten ging mit behutsamster Schonung der Selbständigkeit jedes einzelnen vor sich, mehr zur Abwehr des spanischen Feindes als zur Bildung eines einigen Staatswesens. Die künftige Republik Holland, ein blühender, reicher, hochkultivierter, machtvoller Staat, bestand im Geiste Wilhelms von Oranien und lag in seiner Hand, als die Provinzen, die ihn bilden sollten, noch mehr die Unabhängigkeit einer jeden als ihre Verbindung im Sinne hatten.
Im Jahre 1580 erklärte Philipp II. den Prinzen von Oranien in die Acht. »Wir geben«, hieß es in diesem Aktenstück, »besagten Wilhelm Nassau preis als einen Feind des Menschengeschlechts und überliefern sein Eigentum allen, die desselben habhaft werden können. Wenn einer genug Mut hat, ihn lebend oder tot auszuliefern oder ihn zu töten, bekommt er sofort 25 000 Kronen. Ist er ein Verbrecher, wird ihm verziehen, ist er noch nicht adlig, so wird ihm der Adel verliehen.« Fünf Jahre darauf wurde Oranien ermordet; die Staaten hatten inzwischen förmlich ihre Unabhängigkeit erklärt und Philipp für ewig den Gehorsam aufgekündigt. Wilhelms Söhne, Moritz und Friedrich Heinrich, setzten den Kampf fort.
Anna von Büren, Wilhelms erste Frau, sagte einige Zeit vor ihrem Tode, sie kenne jetzt, nach siebenjähriger Ehe, ihren Gatten nicht besser als an dem Tage, wo sie ihn zuerst gesehen habe. Dieser gesellige, fröhliche Kavalier hatte etwas Undurchdringliches für die Zeitgenossen sowohl als für die Nachkommen. Uns aber steht zu Gebote, was die in der Jugend Sterbende nicht hatte, der Überblick über ein ganzes Leben, in dessen verschlungenen Linien doch eine dauernde Richtung sich ausprägt. Durch die verschiedenen Strömungen, die in seinem Geschick zusammentrafen, war er darauf hingewiesen, Gegensätzliches zu vereinen, was auf einfachen Wegen nicht möglich war. Er hatte zu viel persönliches Selbstbewußtsein und zu viel Gefühl für die Ehre seines Standes und seines Hauses, um schlechtweg ein Rebell sein zu können: er wollte dem König von Spanien als der rechtmäßige Vertreter der in ihren Freiheiten gekränkten Niederländer gegenüberstehen. Als er ihn bekriegte, tat er es als deutscher Fürst und Stand des Reiches, der den auf Deutschland übergreifenden Alba abwehrte. Sogar in dem berühmten Wilhelmusliede wird betont, daß er den König von Spanien allezeit geehrt habe. Daß er daneben den üblichen diplomatischen Trug weitgehend ausübte, konnte ihm niemand vorwerfen. In der Religion ist er vom Luthertum zum Katholizismus und von diesem zum Luthertum, schließlich zum Calvinismus übergetreten, und zwar immer aus äußeren Gründen. Er hat sicherlich das Bekenntnis mehrmals als Mittel zum Zweck benutzt. Dennoch darf man ihn nicht unfromm nennen. Als man ihn in einer Zeit schwerer Niederlagen mahnte, daß es ohne den Beistand einer ausländischen Macht nicht weitergehe, gab er die berühmt gewordene Antwort: »Ihr fragt, ob ich mit dem einen oder anderen mächtigen König oder Potentaten ein Bündnis geschlossen habe! Darauf antworte ich, daß ich, ehe ich die Sache der unterdrückten Christen in diesen Provinzen auf mich genommen habe, mit dem König der Könige einen engen Bund geschlossen habe, und ich bin fest überzeugt, daß alle, die ihr Vertrauen auf ihn stellen, durch seine allmächtige Hand erlöst werden sollen. Der Herr der Heerscharen wird Heere für uns auf die Beine bringen.« Das war im Munde eines so unrhetorischen Mannes keine schönklingende Phrase, kein berechnetes Pathos, sondern der Ausdruck des Bewußtseins, zu einer Aufgabe berufen zu sein. Seine Frömmigkeit war anders als die seiner Zeitgenossen, frei von konfessioneller Bestimmung, hervorgegangen aus dem Gefühl des göttlichen Willens in der eigenen Brust. Daß er zu einer Aufgabe auserwählt war, empfanden wohl auch die unterdrückten Christen in diesen Provinzen, von denen er spricht; sie waren, wie der unglückliche Don Juan d'Austria, der doch auch Anziehungskraft hatte, klagt, wie behext von ihm, liebten und fürchteten ihn und wollten ihn zum Herrn. Auf den Bildern von ihm aus seinen letzten Lebensjahren entdeckt man nichts von dem, was eine Volksmenge bezaubern könnte, es sei denn unbedingte Zuverlässigkeit und Uneigennützigkeit. In diesen Zügen liegt ein tragischer Ernst und ein bitteres Entsagen. Er ist alt, nicht an Jahren, denn er war erst 51 Jahre alt, als er ermordet wurde, aber am Übermaß der Kämpfe und Opfer und der Verantwortung. Er hatte Genossen, Freunde und Brüder hingegeben, und vielleicht hatte er eine angeborene Lust zu herrschen und Macht auszuüben geopfert. Nachdem er in den Unabhängigkeitskampf eingetreten war, vermied er es, die souveräne Stellung an der Spitze der befreiten Staaten einzunehmen, die ihm mehrfach angeboten wurde. Vielleicht, wenn er persönlichen Machtwillen hätte spielen lassen, daß es ihm gelungen wäre, die sämtlichen Provinzen zusammenzufassen. Wollte er nicht, daß man ihm vorwerfen könne, er sei aus persönlichem Machttrieb in den Kampf eingetreten, oder fehlte ihm dieser Trieb? Auf seinem Bilde sieht er aus, als habe er das ursprüngliche Feuer seiner Seele in grausamer Askese gedämpft und mehr noch als über andere über sich selbst zu herrschen gelernt. Daneben glaubt man einen leisen Zug von Zweifel und Enttäuschung zu lesen. Er hatte erfahren, aus welchem Schlamm von Schwäche, Selbstsucht und Gemeinheit das Gute und Lebenskräftige herausgerungen werden muß. Nessuno pensa qunto sangue costa – keiner denkt daran, wieviel Blut es kostet, hatte sein älterer Zeitgenosse Michelangelo auf ein Kruzifix geschrieben.