Читать книгу Ricarda Huch: Deutsche Geschichte – Untergang des Römischen Reiches Deutscher Nation – bei Jürgen Ruszkowski - Ricarda Huch - Страница 9

Stände und Städte

Оглавление

Stände und Städte

Nachdem die Fürsten die Zügel der kaiserlichen Oberhoheit im Westfälischen Frieden fast ganz abgeworfen hatten, gingen sie darauf aus, sich auch der von unten her durch die Stände ihnen gesetzten Einschränkungen zu entledigen. Eine gewisse Nötigung, die produktiven Kräfte ihrer Länder ganz in ihre Hand zu bringen, lag für die Fürsten darin, dass Frankreich sich in dieser Richtung entwickelt hatte. Folgerichtig wäre es allerdings gewesen, wenn die Gewalt des Kaisers sich im selben Maße wie die des französischen Königs verstärkt hätte, aber das war ausgeschlossen durch die Eigenart der Reichsverfassung, durch die Vielstämmigkeit der Deutschen und ihre Neigung zur Selbstbehauptung der Einzelkräfte. Auf der Grundlage des Verhältnisses zwischen Oberhaupt und Gliedern, wie es sich einmal herausgebildet hatte, nahm die kaiserliche Macht ab, wie die des französischen Königs zunahm, während die deutschen Fürsten dem Beispiel des benachbarten Monarchen zu folgen versuchten. Das Abendland bildete so sehr eine Einheit, dass eine wesentliche Veränderung seines Charakters, die sich auf einem Punkte durchsetzte, allmählich das Ganze ergreifen musste; meistens pflegte sie gleichzeitig an mehreren Orten aufzutreten. Die Zentralisierung der Macht vollendete sich zuerst in Frankreich; die Überlegenheit, die es dadurch erlangte, zeigte sich so deutlich und mit so verderblichen Folgen für Deutschland, dass die Landesherren darauf hingedrängt waren, dem Beispiel zu folgen, auch wenn es ihren persönlichen Neigungen und Bedürfnissen nicht entsprochen hätte.

An Kampf und Beraubung gewöhnt, begierig für erlittene Verluste sich zu entschädigen oder erbeuteten Gewinn zu vermehren, waren die Fürsten nach dem Dreißigjährigen Krieg Raubtieren im Käfig ähnlich, die hungrig und grimmig die Stäbe entlang streichen und mit dem Schweif die engen Wände peitschen. Sie trachteten alle nach dem miles perpetuus, wie man damals sagte, nach dem stehenden Heer, das sich im Krieg so nützlich erwiesen hatte, mit dem sie äußere und innere Feinde bezwingen konnten; aber der miles perpetuus kostete Geld, sehr viel Geld, und das Geld befand sich in einem Beutel, den die Stände öffnen und verschließen konnten. Die Stände, in der Regel bestehend aus Vertretern von Adel, Geistlichkeit und Städten, waren ebenso friedliebend, wie die Fürsten kriegerisch waren; sie wussten, wie schwer das Geld zu beschaffen war, sie waren selbst auf die Abgaben der Untertanen angewiesen und sahen es ungern, wenn diese auch noch vom Staat ausgebeutet wurden. Ihre eigenen Interessen waren stark im Spiel; aber sie vertraten doch auch die des Volkes, wenn sie sich der Prachtliebe, der sinnlosen Verschwendung und der Kriegspolitik der Fürsten widersetzten. Diese bevormundenden Stände loszuwerden und durch unterwürfige Beamte zu ersetzen, war der Wunsch aller Fürsten des 17. Jahrhunderts, und sie wurden darin durch ihre Beamten und Räte, namentlich soweit sie Juristen waren, unterstützt. Von jeher hatten die Juristen eine absolutistische Auffassung gepflegt, wie es ihrem Bildungsgang entsprach; die im Mittelalter so vielfach verflochtenen und zerstreuten Rechtstitel einem einzigen Prinzip, der landesfürstlichen Hoheit, unterzuordnen, war ihrem im Studium des Römischen Rechts geschulten Verstande einleuchtend und bequem. Die landesfürstliche Hoheit war ein Begriff, der, gerade weil er unbestimmt war, sich beliebig anfüllen und verwenden ließ.

Die seltene Einmütigkeit der Fürsten in diesem Punkt setzte im Jahr 1654 einen Reichsbeschluss durch, der die Stände verpflichtete, ihren Landesherren das nötige Geld zur Erhaltung ihrer Festungen und deren Besatzungen zu bewilligen. Damit war das Steuerbewilligungsrecht durchbrochen. Es genügte aber den Fürsten nicht, und sie versuchten einen neuen Reichsbeschluss durchzubringen, der die Stände anhielte, alles Geld, was von ihnen verlangt würde, „gehorsamlich und unweigerlich darzugeben“, damit sie den Verpflichtungen nachkommen könnten, die ihnen aus dem im Westfälischen Frieden erworbenen Recht, Bündnisse mit inneren und auswärtigen Mächten zu schließen, erwüchsen. Schon glaubten sie sich am Ziel, als der Kaiser, in dessen Interesse es nicht lag, die Fürsten noch unabhängiger zu machen, das Zustandekommen des Beschlusses verhinderte. Erbittert darüber schlossen mehrere Reichsstände, darunter Kur-Brandenburg, ein Bündnis, in welchem sie sich Beistand gegen ihre Stände und Untertanen versprachen, falls diese sich ihren militärischen Ansprüchen widersetzen sollten. Sie waren entschlossen, jede Schranke ihrer Macht zu beseitigen.

Unter den deutschen Fürsten des 17. Jahrhunderts hatte keiner ein so machtgieriges Herz und ein so ausgeprägtes Herrscherbewusstsein wie Friedrich Wilhelm von Brandenburg, den die dankbaren Nachkommen den Großen Kurfürsten genannt haben.


Friedrich Wilhelm, „der Große Kurfürst“ (* 16. Februar 1620; † 9. Mai 1688) 1640 – 1688 Sohn Georg Wilhelms, erließ 1685 das Potsdamer Edikt, indem er den in Frankreich wegen ihrer Religion.

Seine Stände waren ihm nicht nur im Wege, weil sie seine Kriegsführung und die Vereinheitlichung seiner weit auseinandergelegenen Provinzen erschwerten, sondern auch weil sie das ihm angeborene Herrschergefühl verletzten. Wenn er sagte, die Untertanen sollten mit der Regierung nicht a pari konkurrieren, so stimmte das mit der neuen Theorie von der Einheitlichkeit der Staatsgewalt überein, entsprang aber zugleich seinem despotischen Charakter. Es gab wohl nach seiner Meinung Fürsten und Stände; aber die Stände waren Untertanen und mussten gehorchen. Dass ein Vertrag zwischen ihm und den Ständen bestehe, leugnete er. Seine Gewalt war ihm, behauptete er, von Gott verliehen, und nur Gott sei er verantwortlich. Die Stände ihrerseits meinten, gleichfalls von Gott geordnet zu sein, sie bildeten nach mittelalterlicher Auffassung ein corpus mysticum, dessen Haupt der Landesherr sei. Sie konnten sich darauf berufen, dass Friedrich Wilhelm beim Antritt seiner Regierung ihre Privilegien beschworen hatte, wohingegen er das Staatswohl anführte, nach dessen Erfordernissen er seine Gewalt gebrauchen müsse. Dass seine Ansicht vom Staatswohl die gültige sei, verstand sich von selbst. Zweifelsohne waren die Stände im Recht, wenn sie ihre Privilegien verteidigten, Unrecht hatten sie nur insofern, als der Geist der Zeit ihnen entgegen war, und als sie selbst von ihm beeinflusst waren. Ihre Lage wäre besser gewesen, wenn sie ein breiteres, sicheres Fundament gehabt hätten; aber der Adel hatte das bürgerliche Element hochmütig zurückgedrängt, von den Bauern ganz zu schweigen. Den ernstesten Widerstand hatte der Kurfürst in Preußen zu besorgen. Hatte er im Jahr 1659 die polnische Oberhoheit abwerfen können, so war doch im Land das Gefühl der Zugehörigkeit zu Polen noch nicht ausgelöscht. Auch rechtliche Bande gab es noch, insofern Polen die Rechte der preußischen Stände garantiert hatte. Adel und Städte hatten sich im Allgemeinen bei der Verbindung mit Polen wohl gefühlt, sie liebten den Kurfürsten nicht, überhaupt reflektierten sie, wie sie sagten, wenig auf das deutsche Wesen. Seit der unglücklichen Schlacht bei Tannenberg hatte Preußen in keiner Verbindung mehr mit dem Reich gestanden, Polen war ihm vertrauter als Brandenburg.

Nicht alle Räte des Kurfürsten billigten sein rechtswidriges Verfahren im Verkehr mit den Ständen; denn schließlich waren sie auch Adlige und hatten Verständnis für die Interessen ihrer Schicht. Aber Friedrich Wilhelm griff durch; er erhob Steuern, die nicht bewilligt waren, und ließ sie mit Härte gewaltsam eintreiben. Träger des Widerstandes waren auf Seiten des Adels Christian Ludwig von Kalkstein (Christian Ludwig von Kalckstein (* 1630; † 8. November 1672 in Memel) war ein kurbrandenburger Obrist.) und auf Seiten der Städte der Königsberger Schöffe Hieronymus Roth (Hieronymus Roth (* 1606; † 1678 in der Festung Peitz, Lausitz) war Schöffenmeister in Kneiphof, einer der drei Städte von Königsberg.), ein ehemals begüterter Kaufmann, dessen Verhältnisse zurückgegangen waren. Er wurde in einem durchaus ungesetzlichen Verfahren zu ewiger Gefangenschaft verurteilt. Während des Prozesses und der langen Haft zeigte er würdigen Stolz, um Gnade zu bitten verschmähte er, weil er sich im Recht wusste. Kalkstein flüchtete nach Polen und konnte nur durch Verrat in die Hände des Kurfürsten geliefert werden. Ein Adliger, Eusebius von Brandt, gab sich dazu her. Er spiegelte Kalkstein die Möglichkeit der Versöhnung mit dem Kurfürsten vor und lockte ihn damit auf preußisches Gebiet; später verbreitete er, Kalkstein sei aus eigenem Antrieb gekommen, um seine Frau zu besuchen. Friedrich Wilhelm ließ sein Opfer nicht nur hinrichten, sondern vorher, um geeignete Aussagen zu erpressen, foltern, was ganz ungesetzlich war. Wenn er sagte: Ich habe nichts Unbilliges begehrt, ich wollte nur Herr, und sie sollten Untertanen sein, so mag man annehmen, dass er bei dieser naiven Äußerung gutgläubig war. Daraus, dass nur zwei Männer sich ernstlich für die Sache der Stände einsetzten, ist ersichtlich, wie wenig Selbstbewusstsein mehr in ihnen war. Kalkstein und Roth waren die unglücklichen Vertreter von Körperschaften, in welchen der Lebenskraft einer aufkommenden Gewalt gegenüber nicht genügend Widerstandskraft mehr vorhanden war. Sie gingen zwiefach unter; denn die Nachkommen, die dem neuen Gestirn huldigten, schwiegen von ihnen oder schmähten sie, um den Sieger nicht zu beeinträchtigen. Sie mussten ihm gegenüber unrecht haben.

Die Kämpfe mit den Ständen zogen sich durch Friedrich Wilhelms lange Regierung hin. In Preußen, wo der Widerstand mit Anhänglichkeit an Polen verknüpft gewesen war, konnte er als Landesverrat nachdrücklicher als anderswo angegriffen werden; aber ihn mit einem Schlag auszurotten gelang nirgends. In Cleve, wo die Selbstverwaltung viel fester eingewurzelt war als im Osten, wurden während des Großen Kurfürsten langer Regierungszeit Landtage abgehalten. Auch in seinem Bestreben, sich ein ganz von ihm abhängiges Beamtenheer zu schaffen, war er nicht ohne Ausnahmen erfolgreich. Um die Beamten aus jedem Zusammenhang mit den Ständen und mit dem Interesse der Provinz zu lösen, besetzte er die Stellen nach Möglichkeit nicht mit Eingeborenen, wie es den Privilegien entsprochen hätte, sondern mit Fremden, Angehörigen anderer Provinzen, die als Ausländer empfunden und oft gehasst wurden. Bei alledem gelang es ihm nicht, die Mitwirkung der Stände ganz auszuschließen.

Das allerwirksamste Mittel, den ständischen Adel in einen dienenden Hofadel umzuwandeln, waren die mit dieser Umwandlung verbundenen Vorteile, für die der Landesherr sorgte. Sie bestanden darin, dass dem Adel alle hohen und einträglichen Stellen im Heer und in der Beamtenschaft vorbehalten blieben und dass ihm die Bauern preisgegeben wurden. Man könnte meinen, es habe im Interesse der Fürsten gelegen, die gedrückten Bauern gegen Adel und Städte aufzuwiegeln und mit ihrer Hilfe diese Stände zu schwächen; allein der Gedanke einer derartigen Umwälzung lag ihnen fern. Sie wollten das Ansehen und die Macht des Adels erhalten, etwa noch vermehren, aber er sollte ihnen zur Verfügung stehen. Grade weil er mächtig war, wollten sie sich auf ihn stützen. Ihn sich zu unterjochen und zugleich auf Kosten der schwächeren Stände zu stärken, war ihre Politik.

Erst seit dieser Zeit waren die Bauern vollständig entrechtet, zum Teil eigentliche Leibeigene. Sie hingen von der Willkür ihres adligen Grundherrn ab, der die Rechtsprechung über sie hatte, es gab für sie keine höhere Instanz, an die sie hätten appellieren können. Alle Übergriffe, die sich die Grundherren mit der Zeit im Verhältnis zu den Bauern herausgenommen hatten, die Ausbeutung, den unmenschlichen Druck ließ der Kurfürst nicht nur geschehen, alles das wurde in vielen Paragraphen eines Landtagsabschieds den adligen Herren als ihr Recht bestätigt. Anstatt dass der Landesherr den Bauern hilfreiche Hand reichte, verdoppelte er ihre Bürde, indem er ihnen zu den übrigen noch die Militärlasten auflegte. Die Bürgerlichen unterstanden zwar nicht der Gerichtsbarkeit des Adels, hingen überhaupt in keiner Weise rechtlich von ihm ab, aber sie bildeten einen geringeren Stand und durften keine adligen Güter erwerben. Dennoch drangen zuweilen Bürgerliche in die höheren Staatsämter ein, wenn man ihrer Intelligenz und ihres Fleißes bedurfte; sie wurden dann geadelt, um der Ehre des Hofes fähig zu werden. Einigermaßen hoben sich die zünftigen Gelehrten von dem verachteten Kreis des Bürgertums ab.

In Österreich vollzog sich die Umwandlung des Staatswesens dem Charakter der Dynastie und der Bevölkerung entsprechend langsamer und weniger gewaltsam als in Preußen. Auch hier hatten die Stände im siebzehnten Jahrhundert das Bewusstsein ihres Rechts und das Gefühl ihrer Macht eingebüßt. Schon bei Leopolds I. Thronbesteigung wurde die Huldigung nur durch Abgeordnete und nicht mehr unter freiem Himmel geleistet; sein Sohn Karl leistete keinen Eid mehr, sondern versprach nur, die Privilegien zu halten. Bald in dem einen, bald in dem anderen Punkt gingen die Befugnisse des ständischen Adels in die Hände neugeschaffener fürstlicher Behörden über. Immerhin machte es sich geltend, dass die gesellschaftliche Stellung des österreichischen Adels nicht so leicht erschüttert werden konnte, dass auf die reichen und stolzen Familien, die den Thron umgaben, Rücksicht genommen werden musste. Wenn es bald keine ständische Behörde mehr gab, die Statthalter, Gubernatoren, Oberstburggrafen und wie sie alle hießen, die nicht auch dem Landesherrn verpflichtet gewesen wäre, so erleichterte doch die unsichere Begrenzung der beiderseitigen Befugnisse den Ständen die Einmischung. Der Landesherr hatte in den militärischen Dingen die Oberhoheit, aber die Aushebung und die Verpflegung der Soldaten stand den Ständen zu, und in allen finanziellen Angelegenheiten hatten sie sogar den größeren Anteil der Rechte. In Ungarn vollends, wo die feudalen Verhältnisse noch herrschten und wo der Abfall beständig drohte, musste man die mächtigen Magnaten schonen. Auch als ihre Unzuverlässigkeit Gelegenheit gab, mit blutiger Härte gegen sie vorzugehen, gelang es doch nicht, ihr Ansehen und ihren Einfluss ganz zu unterdrücken.

In Schwaben waren die ständischen Rechte im Besitz einer selbstbewussten, gewissenhaften, charaktervollen Bürgerschaft. Überhaupt hatte sich hier das ständische Wesen viel folgerichtiger als anderswo in Deutschland entwickelt und gesetzlich gefestigt, und wenn die Stände im erbitterten Kampf mit despotischen Fürsten vorübergehend zurückweichen mussten, behaupteten sie sich doch in Ehren. Stände erhielten sich bis in die neuere Zeit in Sachsen und in Mecklenburg, wo die Ritterschaft sich nicht zum Segen des Landes ihrer Rechte bediente.

Als Staaten im Staat waren die Städte den Fürsten ein Dorn im Auge. Nach dem Beispiel, das sie ihnen in früherer Zeit gegeben hatten, suchten jetzt die Fürsten aus ihren Territorien abgeschlossene Wirtschaftsräume zu machen, und dabei waren ihnen die Städte mit ihren Zöllen und Stapelrechten im Wege. Wie hätte nicht auch der Reichtum der großen Städte und die Menge ihrer gewerbstätigen Einwohner und ihre Handelsbeziehungen die Fürsten anlocken sollen? Wagten sie sich nicht an den eigentlichen Reichsstädten zu vergreifen, machten sie umso mehr Jagd auf diejenigen Städte, die an Macht und Ansehen Reichsstädten glichen, auch sich als solche fühlten und gebärdeten, aber versäumt hatten, sich die Reichsstandschaft rechtmäßig zu sichern in Zeiten, wo diese Würde Kosten mit sich brachte, ohne dass ein Gewinn damit verbunden zu sein schien. Zu diesen gehörte Magdeburg, das sich zur Zeit Karls V. durch Überzeugungstreue und Standhaftigkeit ausgezeichnet hatte und im Dreißigjährigen Krieg ein Opfer seines protestantischen Charakters geworden war; die Stadt hatte verdient, auf dem Friedenskongress berücksichtigt zu werden. Wirklich brachten es die Bemühungen der protestantischen Mächte zuwege, dass ein Artikel des Westfälischen Friedensinstrumentes ihren Ansprüchen Rechnung trug.


Stadt Magdeburg um 1600

„Der Stadt Magdeburg“, hieß es da, „wird ihre alte Freiheit und das Privilegium Ottos I. vom Jahre 940, obwohl es durch die Ungunst der Zeit verlorengegangen ist, von der Kaiserlichen Majestät erneuert werden, ebenso das ihr von Ferdinand II. verliehene Festungsprivilegium.“ Die Erneuerung des sagenhaften Privilegs Ottos I. bedeutete jedoch nichts weiter als einen vorläufig aufgestellten Grundsatz, dessen Verwirklichung erkämpft werden musste. Das zu früh triumphierende Magdeburg sah ein, dass es seine Anstrengungen fortsetzen, womöglich verdoppeln musste, wenn es sein Ziel erreichen wollte. Niemand konnte seine Interessen besser vertreten als der Bürgermeister Otto von Guerike, dessen physikalische Untersuchungen und Entdeckungen ihm die Teilnahme der hohen Häupter sicherte. Wie fast alle wissenschaftlich begabten Menschen des 17. Jahrhunderts war er erfüllt von der Einsicht, dass nur die Mathematik unumstößliche Wahrheitsbeweise bringen könne, dazu noch Erfahrung und Experiment im Gegensatz zu den flatterhaften Hypothesen. Seine Beobachtung der Luft führte ihn zu der Erfindung des Wettermännchens, eines Barometers, mit dessen Hilfe einmal ein Sturm vorausgesagt wurde, ferner der Luftpumpe und der sogenannten Magdeburger Halbkugeln, mittels welcher er die Gewalt des Luftdrucks anschaulich machte. Es waren luftleer gemachte kupferne Kugeln von einer Elle im Durchmesser, die von 24 Pferden nicht auseinandergerissen werden konnten.


Otto Guericke, ab 1666 von Guericke (Aussprache und ursprüngliche Schreibung: „Gericke“) (* in Magdeburg; † in Hamburg) war ein deutscher Politiker, Jurist, Physiker und Erfinder. Bekannt ist er vor allem für seine Experimente zum Luftdruck mit den Magdeburger Halbkugeln,

Guerike verwandte seine Zeit und sein Geld am liebsten auf derartige wissenschaftliche Versuche; aber er war patriotisch genug, um einstweilen darauf zu verzichten und anstatt dessen als diplomatischer Vertreter seiner Stadt bei Kaiser und Reich für sie zu wirken. Dabei legte er seinen Ruf und seine Künste mit in die Waagschale und führte in Regensburg dem versammelten Reichstag das Schauspiel der Luftkugeln vor. Dem Kurfürsten von Mainz, Joh. Phil, von Schönborn, gefiel es so gut, dass er dem Bürgermeister seine Instrumente abkaufte. Auch das Wohlwollen des Kaisers Ferdinand III. und seines Sohnes und Nachfolgers erwarb er; aber er musste erfahren, dass alle seine Reisen, sein Aufwand, sein Betteln und Antichambrieren sowie sein berühmter Name die Sache nicht vom Fleck brachten. Der Kaiser hatte nicht den Mut, dem Kurfürsten von Brandenburg entscheidend entgegenzutreten; denn dieser war es, der mit angeblichen Ansprüchen auf den Besitz Magdeburgs auftrat. Immerhin konnte derselbe auf dem Weg des Rechts auch nichts erlangen, und gegen den Weg der Gewalt sprachen sich seine Räte aus. Friedrich Wilhelm berief sich ihnen gegenüber auf das Staatswohl, das immer herhalten musste: im Jahr 1666 zwang er die Stadt, eine Besatzung aufzunehmen und ihm zu huldigen, ihr blieb nichts übrig, als sich zu fügen. Otto von Guerike entging dem Verdacht nicht, er habe sich vom Kurfürsten bestechen lassen; denn dieser hatte sich für seine physikalischen Versuche interessiert und ihn in seinen Dienst gezogen.

Ungefähr um dieselbe Zeit unterwarf sich der Kurfürst von Mainz mit französischer Hilfe die Stadt Erfurt und versuchte Schweden, sich Bremen einzuverleiben; in beiden Fällen wäre Friedrich Wilhelm gern den Bedrohten zu Hilfe gekommen; aber das Bewusstsein seiner Absichten auf Magdeburg, das ihn gleichsam zum Mitschuldigen jener Missetäter machte, hielt ihn zurück.

Mit großer Standhaftigkeit wehrte sich die stolze Stadt Münster gegen ihren Bischof, am Ende aber doch vergeblich.


Stadt Münster


Braunschweig

Braunschweig, die mächtige Hansestadt, die früher die Zwietracht der welfischen Herzoge hatte ausnützen können, um ihre Freiheit zu erhalten, stand im 17. Jahrhundert nicht mehr abenteuernden Fürsten, sondern einer methodisch geschlossenen Staatsgewalt gegenüber. Einem Heer unter Führung des Grafen Waldeck, der damals im Dienst der welfischen Herren stand, konnte die von keiner Seite unterstützte Stadt auf die Dauer nicht widerstehen. Denn das war eben der Charakter der Zeit: die Städte, die einst so fest zusammengehalten und sich gegenseitig Hilfe geleistet hatten, ließen einander im Stich und konnten einzeln besiegt werden; die Fürsten, die sich einst befehdet hatten und auch jetzt noch einander missgünstig bekämpften, hielten zusammen, wenn es galt, eine Stadt zu unterjochen. Rettete sich eine bedrängte Stadt, wie das zum Beispiel dem tapferen Bremen, wie es Hamburg und Köln gelang, so geschah das, weil das eigene Interesse der benachbarten Mächte mit dem der Städte zusammenfiel. Die Hanse, die im Jahr 1669 ihre allerletzte Versammlung abhielt, hatte tatlos zugesehen, wie sich Schweden und Dänemark, die nordischen Staaten, über die sie einst glänzende Siege erfochten hatte, sich ihrer stolzesten Glieder, Bremens und Hamburgs, zu bemächtigen suchten.

Es ist nicht anzunehmen, dass die deutschen Fürsten aus Scheu vor einem Rechtsbruch die eigentlichen Reichsstädte nicht anfochten; sie vermieden aber wohl den Rechtsbruch, weil er vermutlich zu einem ernstlichen Konflikt mit dem Kaiser und mit allen den Fürsten geführt hätte, die, weil sie leer ausgegangen wären, sich dem Kaiser angeschlossen hätten. So erhielten Nürnberg, Frankfurt, Hamburg, Lübeck, Bremen und noch viele andere, die zu unbedeutend waren, um begehrt zu werden, ihre Selbständigkeit und manche den alten Flor; Hamburg ging sogar inmitten allgemeiner Verarmung stetigem Wachstum, zunehmendem Reichtum und Ansehen entgegen. Im Allgemeinen aber nahm der Wohlstand der einst so weitberühmten deutschen Städte ab. Er hatte auf den handeltreibenden und gewerbstätigen Bürgern, auf ihrer Wehrfähigkeit und ihrer politischen Macht beruht; Wohlstand und politische Macht waren durch den Krieg, der 30 Jahre lang währte, zugleich erschüttert. Waren sie immer noch begehrenswerte Vorratskammern für die geldlosen Fürsten, so war ihr Zustand mit der mittelalterlichen Blüte doch nicht zu vergleichen. Neben den neu entstehenden fürstlichen Territorien befanden sie sich in dem Nachteil solcher Gebilde, deren an sich gute und kräftige Organe mit der Umgebung nicht mehr zusammenpassen und deshalb verkümmern.

* * *

Ricarda Huch: Deutsche Geschichte – Untergang des Römischen Reiches Deutscher Nation – bei Jürgen Ruszkowski

Подняться наверх