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2.

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Reichskanzler Zdenĕk von Lobkowicz gelangte beim Eingang zur kaiserlichen Wunderkammer an, als sich die Soldaten eben davor postierten. Er keuchte.

Wer glaubte, dass mit dem Tod eines Kaisers das Leben am Hof zu einem trauervollen Stillstand kam, war gut beraten, diese Theorie nicht ihm zu präsentieren; der kleine, harmlos aussehende Mann mit dem gesträubten Schnurrbart und dem glatt nach hinten gekämmten Haar hätte ihn vermutlich angesprungen. Zdenĕk von Lobkowicz war durch all die Jahre hindurch der höchste Beamte im Reich gewesen – Jahre, die vom Verfall Kaiser Rudolfs und von den plumpen Versuchen seines Bruders Matthias, nach der Reichskrone zu greifen, geprägt gewesen waren. Diese Erfahrung hatte ihn ein großes Maß an Verachtung gegenüber fast allen Kreaturen des Hofs gelehrt, die von Gott angeblich auserwählten Herren des Reichs absolut eingeschlossen. Er hatte versucht, dieser Verachtung mit höchster eigener Effizienz zu begegnen, um sie nicht auch noch eines Tages zu verspüren, während er gerade in den Spiegel blickte.

Nur gegenüber einem hochrangigen Mann im Dienst des Reichs hatte er sich Respekt bewahrt: Melchior Khlesl. Der alte Kardinal und Minister war zwar eigentlich als Unterstützer von Rudolfs Bruder Matthias im feindlichen Lager gewesen, doch in diesem Sumpf aus Hofschranzentum, Faulheit und Wichtigtuerei mussten die beiden einzigen kompetenten Beamten notgedrungen Achtung voreinander entwickeln, selbst wenn sie politische Gegner waren.

Der Kreuzherren-Hochmeister und Prager Weihbischof Jan Lohelius stand neben den Soldaten und trat von einem Bein auf das andere; der alte Mann hatte sich eine Soutane angezogen statt des Bischofsstaats und sah darin aus wie fetter, gichtkranker Dorfpfarrer; er war geradezu leuchtend blass. Ein junger Mann lehnte gegenüber neben einem Fenster an der Wand und wirkte so blasiert wie alle jungen Höflinge, die ihre verzweifelte Abhängigkeit von der Gunst eines einfältigen hohen Beamten oder einer ältlichen, nach junger Haut hungernden Hofdame mit Arroganz kaschierten. Ein zweiter Blick in die blauen Augen des jungen Mannes ließ ihn ahnen, dass er hier möglicherweise mit seiner Beurteilung danebenlag, aber warum sich weiter um einen Menschen Gedanken machen, der von keinerlei Wichtigkeit mehr war, wenn diese Aufgabe hier abgeschlossen war, und der mit der Auswahl seiner Kleiderfarben (gelb und rot) zu solch einer Zeit schlechten Geschmack bewies?

Er wandte sich an Lohelius. „Hat es geklappt?“, flüsterte er.

Hochmeister Lohelius nickte wie jemand, der nicht mehr damit aufhören kann.

Lobkowicz forschte in den Taschen seiner Kleidung und fand zwei kleine, metallene Kapseln, die mit abblätternder Farbe bemalt waren – rot und grün. Er starrte die grüne Kapsel an.

„Reichskanzler …“, wisperte Lohelius.

Lobkowicz zögerte, dann öffnete er die Kapsel und nahm das kleine Papierband heraus, das darin eingerollt war. Er hatte es in den letzten Stunden bestimmt ein Dutzend Mal herausgenommen, gelesen, wieder hineingesteckt und dann erneut herausgenommen und gelesen, um sicherzustellen, dass er die richtige Nachricht in die richtige Kapsel getan hatte. Er spähte auf die winzige Schrift. Arcimboldo hat das Gebäude verlassen.

„Reichskanzler …“

„Was denn, Ehrwürden?“

„Es hat geklappt, aber trotzdem … etwas ist geschehen …“

„Was?“ Lobkowicz versuchte, die Papierrolle wieder in die Kapsel zu stopfen. Er stellte fest, dass seine Finger zu stark zitterten, und verfluchte sich dafür. Irgendwo von jenseits des Fensters, das in die Gärten hinabführte, kamen gedämpfter Lärm und Geschrei. „Was ist denn da los, zum Teufel?“

„Ich … ich …“ Der Weihbischof würgte plötzlich und musste sich angestrengt räuspern. „Erzählen Sie es ihm, von Wallenstein.“

Der junge Mann stieß sich von der Mauer ab. Er glitt zu Lobkowicz heran, nahm ihm ungefragt Papier und Kapsel aus der Hand und verstaute die Botschaft mit einer flinken Bewegung. Der Reichskanzler schenkte ihm einen aufgebrachten Blick, hielt aber den Mund und nahm die geschlossene Kapsel wieder in Empfang. Der junge Mann lächelte. Er hatte Gesichtszüge, die man als Vorlage für eine Engelsstatue hätte verwenden können, doch das Lächeln ließ Lobkowicz trotz aller Ebenmäßigkeit, der blitzenden Zähne und feinen Grübchen auf den Wangen erschauern. Er fühlte sich eiskalt angeweht.

„Im geheimen Labor liegen ein paar Tote“, sagte der junge Mann.

„Sind Sie dafür verantwortlich, … äh …?“

„Heinrich von Wallenstein-Dobrowitz“, sagte der junge Mann und verneigte sich. „Nein, sie waren schon dort, als ich mit meinen Männern eintraf.“

„Der Schlüssel zur Tür hat gepasst …?“

„Es war offen“, sagte der junge Mann liebenswürdig.

Lobkowicz biss die Zähne zusammen. „Was sind das für Tote?“

„Des Kaisers Hofzwerge.“

Der Reichskanzler war fassungslos. „Wem sollte daran gelegen sein, die kleinen Missge… die kleinen Burschen umzubringen?“

„Lassen Sie uns annehmen, es war eine Art kollektiver Selbstmord“, sagte Lobkowicz’ Gesprächspartner. „Nachdem ihr Protektor Kaiser Rudolf verblichen war und so weiter …“

„Einer oder zwei waren regelrecht zerstückelt …“, brachte der Weihbischof heraus. „Selbstmord, von Wallenstein!?“

„Ich sage nicht, dass es so war, ich sage nur, dass wir das annehmen sollten. Laut und vernehmlich annehmen, meine ich.“

Lobkowicz, der in allen politischen Dingen von schneller Auffassung war, nickte. „Gut“, sagte er. „Es gibt genug Probleme, da müssen wir uns nicht noch ein paar erschlagene Zwerge ans Bein binden.“

„Auch das sind arme Seelen vor dem Herrn!“, protestierte Lohelius.

Lobkowicz musterte ihn. „Haben Sie einmal zugesehen, wie eine dieser armen Seelen Sie selbst nachgemacht hat, um den Kaiser zu belustigen, komplett mit Amtsgewand, das Seine Majestät dafür hat anfertigen lassen? Und in ein grinsendes Knollengesicht geblickt, von dem Sie ablesen konnten, dass sein Besitzer genau wusste, Sie würden ihn am liebsten in Stücke reißen, aber es nicht wagen, weil der Kaiser sonst noch einen freien Käfig im Hirschgraben für Sie gefunden hätte? Und haben Sie voller Scham festgestellt, dass Sie vor lauter Besorgnis um Ihr Amt zu dieser Komödie gelacht haben?“

Der Weihbischof stotterte.

„Nein, haben Sie nicht“, sagte Lobkowicz. „Ich schon. Lassen Sie mich also in Ruhe mit den armen Seelen. Nur weil sie klein waren, heißt das nicht, dass ihr Vergnügen an Bosheit nicht genauso ausgeprägt war wie das aller anderen.“

„Aber derjenige, der die Tür offen gelassen hat … das kann nur wenige Augenblicke vor der Ankunft von Herrn von Wallenstein gewesen sein … Wir haben sogar ein kaputtes Glas mit einer eingelegten Missgeburt gesehen …“

„Wenn nur mehr davon zerschlagen worden wären!“

„Aber, Herr Reichskanzler – es kann doch etwas aus der Wunderkammer gestohlen worden sein!“

„Was denn? Eine ausgestopfte Meerjungfrau, der jeder Trottel ansieht, dass sie eine Fälschung ist? Eine unwahrscheinlich wertvolle Nuss? Ein Automat, der so tut, als fresse er Perlen, und sie nach zehn Minuten wieder ausscheißt?“

Weihbischof Lohelius bemühte sich, Worte zu finden. Der Reichskanzler kam ihm zuvor.

„Von mir aus kann alles gestohlen werden, was da drin ist. Sobald Matthias Kaiser ist, wird er ohnehin das meiste davon verbrennen, in den Hirschgraben werfen lassen oder veräußern.“

„Ja, aber …“

„Ja, ja.“ Der Reichskanzler fühlte, wie der Zorn ihn langsam verließ. Er zuckte mit den Schultern. „Solange der König von Böhmen noch nicht Kaiser des Heiligen Römischen Reichs ist oder mir keiner etwas anderes gesagt hat, bin ich für die Bewahrung von Seiner Majestät Wunderkammer verantwortlich. Ich weiß schon. Und solange dies gilt, hänge ich jeden auf, der sich daran vergreift.“

„Meine Männer haben die Fracht ordnungsgemäß für die Übergabe vorbereitet“, sagte Heinrich von Wallenstein-Dobrowitz in die Pause hinein, die entstanden war.

„Ein Ledersack mit dem kaiserlichen Wappen darauf?“

„Eine unbezeichnete Kiste mit einem Kettenschloss.“ Heinrich von Wallenstein-Dobrowitz gestattete sich ein mitleidiges Lächeln.

„Haben Sie hineingesehen?“

„Wir hatten nur den Schlüssel zur Eingangstür.“

„War sie schwer?“

„Wie ein Sarg.“

Lobkowicz starrte den jungen Mann an. „Welch ein geschmackloser Vergleich.“

Heinrich von Wallenstein-Dobrowitz breitete die Hände aus. „Ich bitte vielmals um Entschuldigung.“

„Ich will die Kiste sehen.“ Lobkowicz drehte sich um und drückte dem Weihbischof die grüne Kapsel in die Hand. „Hier, Ehrwürden. Da Sie sich schon als einfacher Pfarrer verkleidet haben, können Sie auch die Taube auf den Weg schicken. Sie kennen ja den Weg zum Schlag.“

„Kann ich Ihnen sonst noch behilflich sein, Exzellenz?“, fragte Heinrich von Wallenstein-Dobrowitz.

Reichskanzler Lobkowicz schüttelte den Kopf. „Gott helfe uns allen“, sagte er. „Bringen Sie mich zu Ihren Männern, damit wir die verdammte Übergabe hinter uns bringen können.“ Irritiert blickte er zum Fenster, „Und sorge in Gottes Namen endlich jemand dafür, dass der Lärm da draußen aufhört. Man könnte ja meinen, jemand sei aus dem Fenster gefallen!“

Die Wächter der Teufelsbibel

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