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1. Savonarola

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Inhaltsverzeichnis

»Man kann nicht wissen, was das Morgen bringt.« Lorenzo selbst sollte es noch erfahren. Als er am Schlusse seines Lebens die »Laudi« dichtete, war eine seltsame Wandlung in ihm vorgegangen. Der übermütige Sänger der Karnevalslieder erörtert die düsteren Probleme des Menschenschicksals, fragt nach dem Wozu des Lebens, spricht von den bösen Stunden innerer Leere, von dem bleichen Grauen, das die Seele packt. In einem solchen Moment innerer Leere mag es gewesen sein, daß er hinüberschickte von seinem Krankenbett in der Villa Careggi nach dem Kloster von San Marco, um den Dominikanerprior Girolamo Savonarola zu sich zu bitten, daß er ihm Trost bringe und die Absolution erteile. Savonarola kommt. An dem Sterbelager des Lieblings der Grazien steht die düstere Gestalt des Mönchs von San Marco. Lange steht er, schweigend, ein ernstes drohendes Phantom durchbohrt mit seinem Falkenauge den Sterbenden. Wendet sich ab, geht – ohne zu verzeihen.

Und die Jahre des theokratischen Regiments brechen an. Der Platonismus der aristokratischen Kreise hatte das Gemüt nicht ausfüllen können. Es herrschte Uebersättigungsstimmung nach all der Schönheitstrunkenheit, glühendes Heilsverlangen nach all den weltlichen Freuden, puritanischer Fanatismus nach all dem Sinnenkult, dem genußfrohen Epikuräertum von früher. Savonarola gehörte zu den seltenen Männern, die zu ihrer Stunde kommen. Dasselbe kleine Kloster von San Marco, wo zu Fiesoles Zeiten der heilige Antonin gewirkt, warf sich von neuem zum Bollwerk des Christentums auf. Jene Ideen von Askese und Weltverneinung, die damals nur in engen Mönchskreisen ihr Dasein fristeten – Savonarola trug sie wieder in die leidenschaftlich erregten Massen hinaus. Den lockenden Idealen des Altertums, dem Sirenensang der Sinnenfreude und antiken Schönheit trat die Macht der tausendjährigen kirchlichen Ueberlieferungen, das dunkle Gefühlswalten religiösen Lebens entgegen. Schon im Januar 1491 hatte er seine Bußpredigten in Santa Maria del Fiore begonnen, und in wenig Monaten war Florenz verändert. Gleich einem Hagelwetter platzte sein dämonisches Wort auf die lebenslustige Menge nieder. Ein von Gott gesendeter Prophet schien herabgestiegen, die üppige Stadt zur Buße, zur Zerknirschung zu rufen. An die Stelle weltlicher Lustbarkeiten traten kirchliche Umzüge. Statt mutwilliger Karnevalslieder tönten geistliche Lobgesänge zum Himmel. Täglich vergrößerte sich die Zahl seiner Anhänger. Mochte der Papst mit dem Bannfluch drohen und die vornehmen Kreise gegen den Demagogen wüten – mit dem Kampfruf »Viva Cristo« stürmten die elektrisierten Massen daher, derwischhafte Scenen, die an die Geißlerfahrten des Mittelalters mahnen, begannen. Nicht mehr das Haus Medici herrschte, sondern Jesus Christus populi Florentini decreto creatus war in eigener Person König und Schutzherr von Florenz. Das »Autodafé der Eitelkeiten«, am Karnevalstag 1497 veranstaltet, bezeichnet wohl den Höhepunkt seiner agitatorischen Thätigkeit. 1300 Kinder hatten Haus für Haus den Tand der Welt eingefordert. Seidene Kleider und Musikinstrumente, Teppiche und Ausgaben des Decamerone, antike Klassiker und mythologische Bilder – alles wurde zu hoher Pyramide getürmt, und der Rauch stieg lohend gen Himmel. Frauen und Mädchen, mit Olivenzweigen bekränzt, umtanzten in mystischer Verzückung den Scheiterhaufen, opferten Ringe, Armbänder oder was sie noch besaßen an Schmuck, den Flammen. Eine dämonische hypnotisierende Kraft muß von dem Zeloten ausgegangen sein. Selbst Mirandola, der Freund des Magnifico, erzählt, daß er zitterte, daß seine Haare sich sträubten, als er eine der fanatischen Predigten des Dominikanermönchs hörte.

Auch auf die Kunst schleuderte er seinen Bannstrahl. »Aristoteles, der ein Heide war, sagt in seiner Poetik, daß unzüchtige Figuren nicht gemalt werden dürften, damit die Kinder nicht verdorben würden durch den Anblick. Was soll ich dann von euch sagen, ihr christlichen Maler, die ihr halbnackte Figuren dem Auge darbietet! Das ist vom Uebel. Laßt davon ab! Ihr aber, die ihr solche Malereien besitzt, zerstört sie, übertüncht sie, ihr thut dann ein Werk, das Gott und der heiligen Jungfrau gefallen wird.« Wie gegen die Darstellung des Nackten eiferte er gegen die Einführung zeitgenössischer Bildnisse. »Die Figuren, die ihr in euren Kirchen malen laßt, sind die Gestalten eurer Götter. Trotzdem können die jungen Leute sagen, wenn sie diesem oder jenem Weib begegnen: das ist Magdalena, das der heilige Johannes. Denn die Bilder eurer Dirnen von der Straße laßt ihr malen als Heilige in den Kirchen. Damit zieht ihr das Göttliche in den Staub, bringt alle Eitelkeit in das Haus des Ewigen. Glaubt ihr, daß die Jungfrau Maria so gekleidet ging, wie ihr sie malt! Ich sage euch, sie trug die Kleidung der Armen ihr aber malt sie wie eine Dirne.«

Wie viel diese große kirchliche Reaktion der Kunst geschadet hat, wurde oft geschildert. Sie hat das neue Athen in ein zweites Genf verwandelt, ebenso intolerant wie die spätere Hauptstadt Calvins. Wenn die Darstellung der Antike im 15. Jahrhundert nicht über Ansätze hinauskam, die Götter Griechenlands, denen Lorenzo ein Heim bereitet, wieder aus Italien flüchten mußten, so geht das ausschließlich auf die Lehren Savonarolas zurück. Ebenso wurde durch sein Eifern gegen die zeitgenössischen Bildnisse und gegen das moderne Kostüm der frische Zusammenhang der Kunst mit dem Leben zerrissen. Andererseits gab er für das, was er zerstörte, auch Ersatz, schenkte der Kunst das zurück, was sie in den Tagen Lorenzos verloren hatte: ihre christlichen Ideale, zeigte diese Ideale in einem Licht, daß sie plötzlich wieder ganz neue geworden schienen. Wenn er in seinen Predigten von der Mutterliebe Marias spricht, ihrer bangen ahnungsvollen Seele, die mit prophetischem Blick die Zukunft schaut, wenn er sie schildert als Somnambule, die tagaus tagein in qualvollem Vorempfinden eines kommenden Schicksals lebt, oder sie darstellt als das arme einfache Mädchen, das die Gnade gar nicht fassen kann, die Erwählte des Himmels zu sein, so verrät sich schon darin, welch viel tieferes Madonnenideal er den Malern brachte. »Schön ist nur die Schönheit der Seele. Betrachtet einen frommen Menschen, gleichviel ob Mann oder Weib, der vom Heiligen Geist beseelt ist, betrachtet ihn, wenn er betet und himmlische Begeisterung ihn durchströmt, da werdet ihr die Schönheit Gottes aus seinem Antlitz leuchten sehen, und seine Züge werden den Ausdruck eines Engels haben.« In solchen Worten war ein ganzes Programm gegeben. Und die Künstler – jeder in seiner Art – nehmen zu dem Bußprediger Stellung. Für den einen ist er der böse Dämon, für den anderen der Heilige Geist. Dem raubt er seine Ideale, jenem verhilft er dazu, sich selbst zu entdecken. Mitten in den leidenschaftlichen Zeitwirren stehend, ist auch die Kunst durchschüttelt von dem geistigen Fieber, das durch die Adern des ganzen Volkes stürmte.

Geschichte der Malerei (Alle 5 Bände)

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