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Kapitel 4

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Als Rohrbach die Anzeige über den tragischen Tod der deutschen Jäger im Altai las, dachte er sofort an die Burg-Firma im Ort und an Dalheim, den Direktor für Finanzen. Er kannte ihn und war mit dem Chef der Firma befreundet. Er war auch mit dem Chef der Tal-Firma, dem Vater, freundschaftlich verbunden. Rohrbach erinnerte sich in diesem Moment an die ein Jahr zurückliegenden Vorgänge der zwei Firmen im Ort - die Tal-Firma und die Burg-Firma - wie sie von den Einheimischen genannt wurden. Vater und Sohn Beckstein waren jeweils die Chefs.

In der Firma des Vaters, der Tal-Firma, befanden sich die Labors für Biotechnik, rote Biotechnologie, medizinische Analytik. Es wurden Biosensoren und Biochips entwickelt und produziert. Walter Beckstein, ein Mann in den Sechzigern mit Schnauzbart und etwas strähnigem, rotblonden Kopfhaar führte seine Firma nach einem strengen, despotischen Regime. Meist war er mit einem gestreiften Jackett und blauen abgetragenen Jeans gekleidet. Am Hosenbund hing ein Schlüsselbund mit verschieden großen und kleinen Schlüsseln und einem kleinen Glöckchen. Bei jedem Schritt waren Klimper- und Bimmelgeräusche zu hören. Schon von weitem sollte so der Chef angekündigt werden. Beckstein senior hielt das Geld zusammen – privat wie in der Firma. Der Kauf eine Maschine für die Produktion war stets eine langwierige Prozedur mit zahlreichen Vergleichen anderer Anbieter. Es folgten zähe Verhandlungen mit den Herstellern der Maschinen und systematisches Suchen nach Schwachstellen, um den Preis noch drücken zu können.

Er sparte auch im privaten Bereich. Es war schon eine Sensation, wenn er in einem neuen Jackett erschien. Jacken, Hosen, Strickjacken, Schuhe wurden über Jahrzehnte getragen. Diese Einstellung färbte auch auf die Belegschaft ab, so dass diese in einfacher, strapazierfähiger, ja rustikaler Kleidung zur Arbeit erschien

Auf dem Berg – in der vom Sohn geleiteten Burg-Firma – wurden Geräte für die Messtechnik und Bilderkennung gefertigt. Jan Beckstein, ein großer sportlicher Mann, Anfang Dreißig, meist mit leicht zerzausten Haaren, zeigte sich meist in salopper Haltung. Beckmann junior hatte keinen Berufsabschluss. Als Gymnasiast schrieb er verschiedene Computerprogramme, die an Großfirmen verkauft und als gut eingeschätzt wurden. So nahm er sein erstes Geld ein. Aus dem schlaksigen Jugendlichen wurde ein von seinen Ideen Getriebener. Er machte Geld, viel Geld. Er träumte von schnellen sportlichen Autos. Die Firma entwickelte sich prächtig. Die Zahl der Mitarbeiter wuchs kontinuierlich. Es standen mehrere Porschefahrzeuge in seiner Garage, ein Privatflugzeug ergänzte den Fuhrpark.

In der Burg-Firma wurden die zugehörigen Quelltexte, Zwischencodes, die Maschinensprache und Computerprogramme geschrieben.

Beides zusammen – Präparat der Tal-Firma plus Messeinrichtung der Burg-Firma – ergaben das Produkt.

Vater Beckstein rügte seinen Sohn: „Jan, deine Firma ist ein 'Krämerladen', du brauchst weltmarktfähige Produkte.“

„Papa, täusche dich mal nicht. Du orientierst dich kurzfristig, ich habe Visionen. Wir arbeiten dran, Weltmarktführer zu werden. Schon bald wirst du unseren leuchtenden Schweif am Himmel der Finanzwelt sehen.“

Ein Lächeln zog über Walter Becksteins Gesicht, es war wohl mehr ein spöttisches Lächeln, ein Belächeln. Er hielt die Träume seines Sohnes für Spinnereien.

„Junge, du setzt Instinkt über den Verstand.“

„Ich will das große Glück, … Selbstverwirklichung … Global-Player in unserer Branche sein - ich will nach oben. Papa, du hast dir immer kleine überschaubare Ziele für das Nächste, dann für das Übernächste gestellt.“

„Und war das falsch?“

„Mit Leisetreterei kann man nicht die Höhen ersteigen. Freilich brauchen wir Produkte … aber etwas Großmaul … etwas Angeben, selbstbewusstes Auftreten, ein wenig Prahlen und Aufschneiden, eben Public Relations, gehören auch dazu, um die wahre Größe zu erreichen. Das Mittelmaß schafft es selten zur Größe, Mittelmaß ist grauenhaft langweilig.“

„Man muss seine Grenzen kennen.“

„Ein Unternehmer muss einen Traum und einen starken Willen haben, sein eigenes Imperium zu schaffen.“

Jan Beckstein war nicht zu bremsen, mit Begeisterung, verstärkt mit starker Gestik, malte er seine Zukunftsvisionen aus. Walter Beckstein unterbrach ihn.

„Junge, du bist ja ein Größenwahnsinniger.“

„Papa, mit Demut, mit Gut-Freund hat es bisher selten einer zur ersten Liga in der Welt geschafft. Ich – Kleinprogrammierer – habe gigantische Gedanken, ich weiß, was ich will. Ja, größenwahnsinnige Künstler stürmen die Bühne in der Hoffnung, die Größten in der Welt zu werden – warum nicht auch ein Unternehmer in der Wirtschaft? Ich nehme den Kampf auf. Ich habe Lust zur Macht. ... Der kleine schmächtige David, dieser Winzling in der Bibelgeschichte hat auch den großen Goliath besiegt – militärische Stärke allein waren wohl nicht ausreichend.“

„Aber Junge, du hast doch ein gutes Einkommen mit deiner gediegenen kleinen Firma. Du brauchst kein Risiko einzugehen.“

„Ich will nicht nur Layouts für Leiterplatten entwerfen oder Platinen fertigen, ich trachte nach Großartigem. Und jetzt wirst du sicher fragen, woher nimmst du das Geld für die Umsetzung der Visionen, der vollmundigen Pläne? Ich sage es dir – den Weg zur Macht kann nur Geborgtes ebnen. Ein Visionär muss Dinge tun, die andere vielleicht verwerfen. Ich sage mir, wer sich hinten anstellt, zeigt nur, dass er nichts wert ist. Der Börsengang ist schon angekurbelt. Meine Leute arbeiten bereits am Businessplan.“

Seit mehreren Wochen ging es auf der Vogelfelsburg sehr geschäftig zu. Die Mannschaft wurde aufgebläht. Ein großer Stab von Mitarbeitern verfasste Dokumente für die Prüfung der Börsenreife. Freie Mitarbeiter wurden hierfür beschäftigt.

Ein externer IPO-Berater wurde verpflichtet, das Unternehmen zu prüfen. Er wurde für eine erste Beratung eingeladen. Der Raum war gefüllt mit den Mitarbeitern der Firma. Der IPO-Berater äußerte sich: „Ich werde meist nur mit der Abkürzung vorgestellt. Manche werden fragen, was heißt IPO – ja englisch … Initial Public Offering – also das erstmalige Angebot der Aktie eines Unternehmens – vielleicht einfach Börsengang.“

Er fuhr fort: „Börse – das Wort kommt aus dem Niederländischen und heißt einfach 'Geldbeutel'. Der Mann auf der Straße fragt vielleicht: 'Was spielt sich an der Börse ab?' Dazu brachte die Rundfunkanstalt ARD neulich eine Anekdote unter 'Die besten Lehmann Sprüche': Wird ein Bauer gefragt, was Börse ist, sagt er: 'Ich hatte zwei Hühner und habe einen Hahn dazu genommen. So wurden es immer mehr Hühner und Eier, und ich war ein reicher Mann! Dann kam eine Flut, alle sind ersoffen. Ach – hätte ich nur Enten gehabt! Siehst du, das ist Börse.'“

Langsam und sehr betont sprechend, erläuterte der IPO-Berater was im Börsenreifetest enthalten sein soll. Reizworte wie Darstellung des Unternehmens … unternehmerische Vorhaben … Strategie … Ziele ... Businessplan … Produkt- und Wettbewerbsanalyse … Stärken-Schwächen-Analyse … technologische Situation … Finanzanalyse ... und weitere Leitworte wirbelten in den Raum.

„Sie werden entsprechend den gegebenen Schwerpunkten eine umfassende Dokumentation erarbeiten, die von Wirtschaftsprüfern detailliert der Kontrolle unterzogen wird“, sagte der gut bezahlte Berater zu den Anwesenden.

Er schmetterte noch weitere nebulöse Begriffe den braven Zuhörern entgegen:

„Nach Abschluss der Konditionsverhandlungen wird eine Bank als Konsortialführer beauftragt, die die Wertpapiergeschäfte abwickelt. Eine Agentur sorgt anschließend für die Finanzkommunikation, sie stellt eine Pressemappe zusammen und schreibt eine Equity Story, in der die Erfolgsgeschichte Ihres Unternehmens von der Vergangenheit in die Zukunft projiziert wird. Diese Vermittlungsstelle verfasst Pressemitteilungen, mit denen sie an die Öffentlichkeit tritt. Sie wird eine Presse-Road-Show organisieren und so Ihr Unternehmen im Kapitalmarkt bekannt machen. So soll dann eine positive Medienpräsenz bewirkt werden. Finanzjournalisten werden mit Darstellungen der Strategie, der Philosophie, der Visionen des Unternehmens das Interesse der Investoren wecken und so eine möglichst hohe Nachfrage nach Aktien auslösen.“

Dann unterbrach Jan Beckstein spontan und warf ein, hier werde er tatkräftig mitarbeiten, Visionen habe er genügend. Nun müssten alle fleißig die geforderten Dokumente erarbeiten. Alle Mitarbeiter würden zu günstigen Konditionen das Wertpapier erwerben können und einen großzügigen Rabatt erhalten.

Auf der Burg hatten die Mitarbeiter, die an den Dokumenten für den Börsengang schrieben, ihre Hausaufgaben gemacht. Die Pressemappe mit den umfangreichen Mitteilungen für die Presse-Road-Show lag vor.

Die Pre-Marketing-Phase begann. Im Bookbuilding-Stadium wurden die Wertpapiere platziert, die Zeichnungsfrist und die Spanne für den Emissionspreis festgelegt.

Am Vorabend des Börsenganges wurde die Belegschaft in den Rittersaal geladen. Im weiten Halbkreis waren im Raum um den Kamin, in dem Holzscheite brennend knisterten, so Tische gestellt, dass eine größere Parkettfläche noch frei blieb. Florian Dalheim, Vice President der Firma, die rechte Hand von Jan Beckstein, sein Gehilfe, sein engster Vertrauter, sein emsig schaffender, unermüdlich arbeitender Organisator, Kalkulator, Rechnungsführer und Controller sollte die Mannschaft informieren. Er trat auf das Parkett. Aber Jan Beckstein, mit einem leichten Lächeln auf seinem spitzbübischen Gesicht, riss das Wort an sich. Von der freien Parkettfläche, den Kamin im Rücken, verkündete Jan Beckstein großsprecherisch seine Träume. „Ihr könnt alle sehr froh sein, in einer Spitzenfirma zu arbeiten, weit und breit gibt es keine Konkurrenz. Ab morgen können wir endlich alle unsere Visionen, unsere Geschäftsträume, unsere Wünsche und Hoffnungen erfüllen. Gemeinsam sind wir stark. Wir werden einen fulminanten Start an der Börse hinlegen. Das Interesse an unseren Aktien ist riesengroß. Und ihr könnt alle zum Vorzugspreis Aktien erwerben.“

Jan Beckstein schritt zu der neben dem Kamin postierten Ritterrüstung, griff sich den Helm und stülpte ihn sich über, nahm das große Schwert und gestikulierte damit. Bei heruntergeklapptem Visier verkündete er: „Jetzt werden wir in vorderster internationaler Liga mitspielen, wir werden gegen die Konkurrenz kämpfen.“ Seine Stimme war dumpf wahrnehmbar. Dann hob er das Visier: „Auf geht’s zu einem prächtigen Börsenstart.“

An diesem Abend wurde gefeiert. Seitlich an der Fensterwand war ein üppiges Büfett mit erlesenen kulinarischen Spezialitäten aus dem renommierten Feinschmeckerlokal der Kreisstadt aufgebaut. Es gab Köstlichkeiten, die sich privat kaum einer gönnte. Alle waren in Vorfreuden-Stimmung. In der angrenzenden, im rustikalen Bauernstil eingerichteten Bar konnte sich jeder reichlich mit Bier und anderen Getränken versorgen. Es kam prächtige Stimmung auf. Alle fühlten sich als Mitglied eines Bundes Gleichgesinnter. Es wurde spät, ehe der Letzte gegangen war.

Am Folgetag – am ersten Handelstag der Aktie – wurde Jan Beckstein vom Gezwitscher der Vögel geweckt, er hatte verschlafen. Eilig zog er sich an, band einen 'Kulturstrick' um, der farblich nicht recht zum Anzug passen wollte und fuhr nach Frankfurt a.M. zur Börse, in die Stadt, über die Luther als ‚des Reiches Gold- und Silberloch‘ des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation aufgrund des gigantischen Zahlungsverkehrs wetterte. Der damalige hohe Umfang finanzieller Transaktionen führte zur Knappheit der ‚guten‘ Münzen, die zum Einwechseln nicht ausreichten. Stattdessen wurden minderwertige Sorten in den Handel gebracht. Um diese Zeit entstand das Börsenwesen. So konnte sich im sechzehnten Jahrhundert Kaiser Karl V. die Stimmen deutscher Kurfürsten mit der in jener Zeit ungeheuren Summe von weit über einer dreiviertel Millionen Gulden – teils in bar, teils als Wechsel für seine Wahl kaufen. Das handelbare Wertpapier war eingeführt.

Während sich Jan Beckstein sonst nur um die großen Themen zu kümmern brauchte, war er in dem Fall einer Verspätung schlecht auf die praktischen Einzelheiten vorbereitet. Er suchte den Großen Handelssaal der Börse. Er fragte sich durch und erreichte im Laufe des Vormittags in der Frankfurter Börse die Tafel mit der Kursanzeige. Er konnte es nicht fassen, der Kurs seiner Aktie stieg von Minute zu Minute steil nach oben, innerhalb weniger Stunden hatte der Kurs das Fünffache, wenig später das Achtfache des Ausgabepreises erreicht. Wie einem Kind blieb ihm quasi der ‚Mund offen stehen‘. Noch während er auf die Anzeigetafel blickte, hielten ihm Reporter des Fernsehens und der internationalen Presse die Mikrofone hin und baten ihn um Kommentare. Schnell hatte er sich gefasst, sein Körper straffte sich, das Burschikose verschwand langsam. Er strahlte gut gelaunt, voller Energie in die Kameras, mit originellen Wendungen fütterte er die Medienmaschine: „Ja, das ist ein fulminanter Börsenstart. Dieser großartige Erfolg hat uns nicht wie aus heiterem Himmel überrascht, schon im Vorfeld stellten wir ein großes Interesse der Anleger fest, an unserem Wachstum teilhaben zu wollen. Dieses Vertrauen spornt uns an, wir werden alle unsere Kraft, Energie und unseren Einfallsreichtum in die Forschung und Entwicklung neuer Produkte stecken. Auf unserem traditionellen Sektor werden wir unsere Marktposition als international führender Spezialist ausbauen und auf der Überholspur mit hohem Tempo davonziehen. Unsere spezielle Informatik-Erfahrung wenden wir auf verschiedenen Gebieten an: biotechnologische Messtechnik, Biosensoren, Bilderkennung. Gemeinsam mit unserer Schwesterfirma haben wir einen neuartigen Test zum frühzeitigen Erkennen der Alzheimer Krankheit in der Entwicklung. Vorerst mit einem winzigen Teststreifen, später mit einem Protein-Chip und einem kleinen, etwa streichholzschachtelgroßen Gerät wird man in wenigen Minuten feststellen können, ob sich im Körper schädliche Eiweißbruchstücke befinden, die vielleicht diese Krankheit auslösen können. Das soll eine Weltneuheit werden.“

Eine Schar von Reportern drängte sich um ihn. Jeder versuchte, durch die Gruppe sein Mikrofon an den Held des Tages zu schieben, um Informationen aus erster Hand zu erhaschen:

„Wie sind die Umsatzerwartungen dieser neuen Analysenmethode?“

„Schon heute dämmern allein in Deutschland etwa eine Million Menschen mit Defiziten im Kopf dahin, und es werden von Jahr zu Jahr mehr. Die Testmethode werden nicht nur medizinische Einrichtungen anwenden, jeder wird sich selbst inspizieren können. Es sind also hohe Umsätze in Sicht.“

„Wird die neue Testmethode dazu beitragen, die Häufigkeit der Erkrankung an Alzheimer einzudämmen?“, wurde Beckstein gefragt.

„Man kann zwar die Krankheit nicht heilen, aber zeitig mit der Verabreichung von Medikamenten beginnen, um das kritische Stadium der Krankheit, in dem sich die Verwüstungen im Kopf stärker bemerkbar machen, weit hinauszuschieben.“

Immer mehr Reporter – vom europäischen, vom amerikanischen, vom japanischen Kontinent - gruppierten sich um den Jungunternehmer. Fragen über Fragen wurden gestellt. Er verbreitete seine Visionen, beschrieb seine Luftschlösser. Er meisterte die Kunst, mit wenig Substanz großen Eindruck zu machen, sehr gut. Er wechselte vom Deutsch in astreines Geschäftsenglisch. Die Medienvertreter verlangten Informationen zum Unternehmen, zu den Produkten, zu Vorhaben, zur Geschäftsstrategie und Zukunft. Beckstein war wie noch nie so in seinem Element, Bilder seiner Einbildung, seiner Fantasie mit Umrissen, mit Farbe, mit gewisser optischer Täuschung zu versehen. Sein unkonventioneller, ansprechender, salopper, witziger Redestrom wollte nicht enden, nie kam er ins Stocken, er wechselte die Themen, verband sie geschickt miteinander. Er spielte auf seinen weltumspannenden Brettern, für ihn war es Schauspiel höchster Vollendung.

Unter die Medienvertreter hatte sich auch Sergej Mautner, ein Russlanddeutscher, gemischt. Während einer kurzen Pause fragte er den Protagonisten des Tages, wie sich die Belegschaftsstärke entwickeln werde.

„Natürlich stellen wir hochqualifizierte Kräfte ein.“

Mautner verwickelte den abseitsstehenden Dalheim, den Vice President, in ein Gespräch, saugte Informationen über die Arbeitsatmosphäre in der Firma, über das Management, über Handelsbeziehungen, Steigerungsraten und anderes aus ihm heraus. Über Mautners Gesicht huschte ein leichtes Lächeln, eine innere Aufbruchsstimmung, eine Gier bohrte in ihm.

Der Börsenneuling wurde umgarnt wie ein Popstar. Beschwatzte hier ein Mann die Medien? Oder stachelten ihn die Medien an? Die Medien reizten seine schillernde Lebensgeschichte, seine Jugendlichkeit, seine Wendigkeit, seine Schlagfertigkeit und gleichzeitig seinen Charme. Er beherrschte die Inszenierung. Er beendete die Vorstellung, in dem er auf die Symbolfigur der Börse, auf die Skulptur des Börsenbullens stieg und ihn an den Hörnern packte. Mehrere Fernsehkameras von Anstalten aus aller Welt waren auf ihn gerichtet. Der Bulle mit seinem erhobenen Kopf, die Körperlast auf die Vorderbeine stützend, symbolisierte Optimismus, steigende Kurse, Hoffnung, Aufschwung. Beckstein wollte den Anlegern seines Wertpapiers die Aussicht nach lang anhaltender Hausse, nach rasantem Steigen des Kurses des Wertpapiers seines Unternehmens nahebringen.

In den folgenden Tagen belagerten gewissermaßen die Medien die Burg-Firma, um brandneue Interviews zu erhalten. Die Sonne schien. Es wehte eine ganz leichte Brise. Kleine Schönwetterwolken zogen am Himmel vorbei. Auf dem Innenhof durchdrangen die Sonnenstrahlen das Blätterwerk der alten, in der Mitte des Hofes stehenden Linde. Die Vermittler der neuesten Nachrichten, der Meinungen, der Ereignisse hatten ihre Kameras auf dem Innengelände aufgebaut und schwenkten sie nach allen Seiten auf die rekonstruierten Gebäude der Burg-Firma. Nachdem Jan Beckstein die Reporter durch die Firma geführt hatte, ging er mit den Berichterstattern über den Burghof, durch das Burgtor, die steinerne Treppe hinab in den Park. Unten angekommen, stieg er die Steinstufen wieder hinauf und setzte sich auf die obere letzte Stufe – er ganz oben, die Interviewer unten auf der Wiese. Welch eine Symbolik? Wollte er Coolness, Lässigkeit demonstrieren? Sollte das Negieren der Senkrechten, das ungezwungene Thronen das Aufbegehren gegen Konventionen deutlich machen? In seinen Gesprächen versicherte er den Aktionären die Transparenz seines Unternehmens für die Öffentlichkeit zu. Er hielt den neuen Aktionärsbrief hoch. Mit diesem wichtigen Informationsmaterial wolle das Unternehmen für eine jederzeit durchschaubare Öffentlichkeitsarbeit sorgen und in bestimmter Folge über das Unternehmen und die Entwicklungen auf dem Markt berichten.

Auf der Treppe, strotzend vor Selbstbewusstsein, über den Reportern stehend – wie ein Verkündiger, ein Prophezeier die Arme abspreizend – pries er neue Produkte an, platzierte die Umsätze in schwebenden Höhen, deutete weltweite Expansionen und Niederlassungen auf allen Kontinenten an.

In seinem Einfallsreichtum glich er dem süditalienischen Abenteurer, Cagliostro. Dieser Hochstapler und Alchemist, Guiseppe Balsamo, der sich ‚Graf von Cagliostro‘ nannte, dachte sich mit großer Findigkeit stets neue Betrügereien aus. Er soll die ‚Halsbandaffäre‘ am französischen Hof Ludwigs XV. in Gang gebracht haben. Durch Spiritismus, Wunderkuren, angebliche Goldmacherei, durch den Verkauf von Liebestränken, Elixieren, Schönheitsmixturen habe er hohe Profite erzielt und großen Einfluss in der Gesellschaft gewonnen. Analog diesem Scharlatan verbreitete der Star an der Börse unerschütterlich seine großen Visionen. Er kündete ‚Weltneuheiten‘ an und versprach hohe Dividenden. Die Medien sogen diese Informationen auf wie ein Schwamm. Pure Lobeshymnen wurden danach der Öffentlichkeit präsentiert.

Tage später war das regionale Fernsehen mit einer Schar von Assistenten und Helfern auf der Burg.

Jan Beckstein empfing das Geschwader: „Ich begrüße die Vertreter des Leitmediums auf der Vogelfelsburg. Die Statistik sagt, im Schnitt sieht jeder Bundesbürger am Tag über zweihundert Minuten fern, deshalb freue ich mich besonders über den Besuch unseres Hauptmeinungsbildners.“

Beckstein führte, von der Kamera verfolgt, durch die Burganlage. Aus verschiedenen Blickrichtungen und Perspektiven wurden die Gebäude, der Turm, der Innenhof, der Arkadengang, der Park, die Nebengebäude, die vielen Innenräume der Burg und die Arbeitsräume der Firma aufgenommen. So stellte Beckstein sein Unternehmen vor. Im Konferenzraum waren Vorbereitungen für eine Demonstration getroffen worden. Sie sollte zeigen, wie sich leicht mit einer Miniprobe eines biologischen Materials mehrere tausend Einzelnachweise auf einem Chip automatisiert durchführen ließen.


Herrschaft der Hyänen

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