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TEIL 2

Annahme

Auf einen Berg zu wandern kann eine heilsame Erfahrung sein: das schlichte Gehen, die Natürlichkeit der Landschaft und die Weite, die uns sichtbar und spürbar umgibt. Das Tal mit seinen alltäglichen Sorgen und Nöten lassen wir weit unter uns und mit der Zeit bekommen wir wieder ein Gefühl für uns als Mensch in unserer Einfachheit und Natürlichkeit.

Gehen ist eine Urerfahrung unseres Menschseins. Wir haben dabei die Freiheit, uns in jede Himmelsrichtung zu bewegen und doch stehen wir immer auf festem Grund. Die Erde trägt uns. Sie vermittelt uns, dass es etwas Verlässliches gibt, einen festen Boden unter den Füßen, der jeden Schritt aufnimmt.

Unsere Schritte können schnell oder langsam sein, unsicher oder fest, sanft oder kräftig, die Erde ist verlässlich da. Sie macht keinen Unterschied, wer darauf geht und wie unsere Schritte heute sind, sondern beantwortet diese mit ihrem Dasein – kontinuierlich, verlässlich und annehmend –, und mit der Zeit, durch das schlichte Gehen, werden unsere Schritte sicherer, natürlicher und freier.

Beim Wandern tanken wir mit jedem Schritt Angenommensein und wir können mit der Zeit entspannen. Was immer uns gerade beschäftigt, verliert an Bedeutung. Nicht, weil die Probleme unseres Lebens dadurch verschwinden oder gelöst sind, sondern weil wir spüren, dass wir auch mit dem, was uns seelisch beschäftigt, angenommen sind.

Wie oft ist uns im Alltag die Erde bewusst? Meist erscheint uns die Urerfahrung des Gehens und des Getragenseins als selbstverständlich. So selbstverständlich, dass wir sie vollkommen aus dem Blick verlieren. Den Kopf voller Gedanken und Probleme vergessen wir unsere Füße und den schlichten, wohltuenden Kontakt zum tragenden Boden. Daher gibt es manchmal, besonders wenn wir uns in Problemen verloren haben, nichts Heilsameres, als in der Natur zu wandern, bis wir im wahrsten Sinne des Wortes den Boden unter unseren Füßen wieder spüren können. Gehen erinnert uns daran, dass wir angenommen sind.

Anerkennen, was ist

Annahme ist eine Grundeigenschaft des SEINS. Die Dinge sind angenommen, weil sie sind. Wir sind angenommen, weil wir sind. Alles ist in seiner Existenz angenommen. „Es ist“ ist daher eine der grundsätzlichsten Aussagen, die wir treffen können. Nicht „Es ist gut“ oder „Es ist schlecht“, sondern einfach nur „Es ist“. Wir erkennen damit die Existenz der Dinge an und empfinden ihr fundamentales Angenommensein.

Dieses Anerkennen der Existenz der Dinge, so wie sie sind, ist grundlegender als alles, was wir sonst über das Leben sagen oder denken können. Alle Meinungen, alle Urteile und Vorlieben drücken nur einen subjektiven, individuellen Blickwinkel aufs Leben aus. Wenn wir etwas „gut“ finden, zeigt dies nur, welche Vorliebe wir haben. Genauso verhält es sich, wenn wir etwas „schlecht“ oder „schwierig“ finden.

Für einen Gärtner, der Zierblumen züchten will, ist eine Pflanze, die nicht ins Bild passt, ein Unkraut und damit ein Problem. Er ärgert sich vielleicht sogar über diese „unnütze“ Pflanze und versucht sie loszuwerden. Und doch gibt es etwas Grundsätzlicheres als die Ablehnung des Gärtners – die Existenz der Pflanze. Und dieses Sein ist unabhängig vom Urteil des Gärtners.

Natürlich könnten wir nun fragen: „Was heißt hier unabhängig? Der Gärtner wird die Pflanze ausrupfen.“ Doch auch dieser Vorgang ist angenommen, weil er ist. Die Pflanze, der Gärtner, das Urteil des Gärtners, die Handlung des Ausrupfens und der Tod der Pflanze sind. Alles ist Ausdruck der Schöpfung und tritt in Erscheinung. Daher ist das Grundsätzlichste, das wir „tun“ können, die Existenz all dieser Vorgänge anzuerkennen: Sie sind.

Anerkennen, was ist, ist ein natürlicher und einfacher Vorgang, wenn auch keineswegs selbstverständlich für uns. Unser Ego ist ständig dabei, Dinge zu wollen oder abzulehnen, zu lieben oder zu hassen, den Dingen Wert zuzuschreiben oder abzusprechen. Und genauso gehen wir mit uns selbst um. Alles, was in uns auftaucht und was uns ausmacht, wird sofort aussortiert, für gut oder schlecht empfunden, hervorgehoben und ausgedrückt oder kontrolliert, versteckt und bekämpft.

Dabei wird dieser unablässige Vorgang des Aussortierens für uns zu einem Dschungel aus Meinungen und Vorlieben, in dem wir uns verstricken und verlieren. Am Ende glauben wir subjektiven Meinungen mehr als der Existenz des Lebens und kommen zu der Ansicht, dass diese Schöpfung unvollkommen ist. Und auch uns selbst betrachten wir als fehlerhaft und damit nicht in Ordnung.

Das Gefühl, die Existenz und auch wir selbst seien fehlerhaft, also nicht in Ordnung, ist ein zentrales Urgefühl des Egos. Es ist der Ausdruck dafür, dass wir den Zugang zur schlichten Tatsache der Existenz und damit dem Angenommensein aller Dinge verloren haben. Um aus dieser Verblendung auszusteigen und das grundsätzliche In-Ordnung-Sein aller Dinge wieder spüren zu können, gibt es einen einfachen, aber wirkungsvollen Schlüssel: anerkennen, was ist.

Experimentiere:

Gehe in die Natur und schaue in einer kontemplativen (betrachtenden) Haltung verschiedene Elemente an. Betrachte zum Beispiel eine Pflanze oder einen Stein und sage dir dabei:

„Es ist.“ Was breitet sich mit der Zeit in dir aus?

Annahme und Gegenwärtigsein

Anerkennen, was ist, ist eine Praxis. Es ist ein sich stetiges Erinnern und Einstimmen auf das Angenommensein und damit das In-Ordnung-Sein aller Dinge. Anerkennen, was ist, ist die Praxis des Gegenwärtigseins.

Dabei sollten wir uns bewusst machen, dass Gegenwärtigsein wiederum das Herzstück jeglicher Meditation ist. Gleich ob unsere Meditation buddhistisch, christlich oder durch eine andere Religion gefärbt ist, ob wir Achtsamkeit auf den Atem oder offenes Gewahrsein praktizieren, ob wir dabei auf dem Kissen sitzen oder achtsam Gehmeditation betreiben, immer steht die Gegenwart im Zentrum unserer Aufmerksamkeit. Sie ist der Dreh- und Angelpunkt, auf den wir uns immer wieder ausrichten.

Im Buddhismus beispielsweise nimmt der Meditierende zu Beginn der Meditationspraxis Zuflucht zu Buddha, Dharma und Sangha. Dharma wird häufig übersetzt als die Mittel und Lehren des Buddhismus. Eine tiefgründigere Übersetzung von Dharma spricht jedoch von Dharma als der „Wirklichkeit, wie sie sich von Moment zu Moment zeigt“. Wir nehmen damit Zuflucht zur gegenwärtigen Wirklichkeit. Die eigentliche Lehre ist also das Leben selbst.

Hier wird das Herzstück der Meditation beschrieben: die Hinwendung zur Gegenwart. Wir beziehen uns auf den konkreten Augenblick und nicht auf unsere Wünsche und Vorstellungen. Diese Haltung ist vollkommen unbedingt, unvoreingenommen, offen und annehmend. Sie ist das Wesen der Meditation: mit dem sein, was ist. Oder anders gesagt: anerkennen, was ist. Zu sein mit dem Angenehmen genauso wie mit dem Unangenehmen, mit dem Erwünschten wie mit dem Unerwünschten, mit dem scheinbar Falschen wie mit dem scheinbar Richtigen, mit dem „Profanen“ genauso wie mit dem „Spirituellen“. Wir öffnen uns für alles, was Schöpfung ist und in der Gegenwart in Erscheinung tritt.

Gegenwärtigsein – ein Mit-der-Gegenwart-Sein – ist daher nichts anderes als Annahme. Gegenwärtigsein und Annahme sind zwei Aspekte einer sehr einfachen und grundlegenden Praxis: die Praxis, mit den Dingen zu sein. Dadurch kommen wir in Einklang mit der Schöpfung und dem SEIN. Wenn wir Meditation auf diese Weise verstehen, wird sie zu einer Lebenshaltung, die weit über eine „Übung auf dem Kissen“ hinausgeht. Gegenwärtigsein ist die grundlegende spirituelle Haltung dem Leben gegenüber: Es ist eine unbedingte Haltung, die nichts ausgrenzt, sondern alles einschließt und annimmt.

Experimentiere:

Gehe durch den Tag und sage innerlich zu allem, was geschieht oder dir begegnet: „Es ist.“ Wenn Urteile oder Gefühle zu den Situationen auftauchen, lass das Urteil oder die Gefühle zu und sage dazu: „Es ist.“

Reflektiere am Ende des Tages, wie diese Übung deine Haltung dem Leben gegenüber und dein Erleben verändert hat.

Im Einklang leben

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