Читать книгу Das resiliente Gehirn - Rick Hanson - Страница 10
ОглавлениеKAPITEL 2
Achtsamkeit
Die Erziehung zur Aufmerksamkeit würde die Erziehung par excellence sein.
WILLIAM JAMES
Achtsam zu sein bedeutet, in diesem Augenblick, so wie er ist, gegenwärtig zu sein, Moment für Moment, anstatt Tagträumen nachzuhängen, sich Gedanken zu machen und zu grübeln oder abgelenkt zu sein. Achtsamkeit von Moment zu Moment aufrechtzuerhalten, ist leicht – zumindest einen oder zwei Atemzüge lang. Der Schlüssel liegt darin, achtsam zu bleiben –, was, wie viele Forschungsergebnisse gezeigt haben, Stress reduziert, die Gesundheit schützt und die Stimmung hebt.
Es ist ziemlich einfach, achtsam zu sein, während man auf einem Kissen sitzt und eine Tasse warmen Tee in der Hand hält. Es ist schwerer, achtsam zu bleiben, wenn Dinge stressig oder emotional fordernd sind, wie etwa während eines Streitgesprächs mit jemandem, den man liebt. Achtsamkeit kann gerade dann als unerreichbar empfunden werden, wenn wir sie am meisten benötigen.
Um die innere Stärke der Achtsamkeit zu entwickeln, beginnen wir, auf praktische Weise, eine stabile und beständige Aufmerksamkeit zu entwickeln. Dies hilft uns, uns zu zentrieren, um nicht von stressigen oder aufwühlenden Erfahrungen abgelenkt oder mitgerissen zu werden. Nun werden wir 3 Hauptwege erkunden, um mit dem eigenen Geist in Beziehung zu treten und ihn zu leiten, sowie die Rolle der Achtsamkeit in jedem dieser Wege.
Im Anschluss betrachten wir, wie wir Achtsamkeit nutzen können, um uns um die Grundbedürfnisse zu kümmern, die wir alle haben: uns sicher, zufrieden und verbunden fühlen zu wollen. Im letzten Abschnitt werden wir die beiden unterschiedlichen Wege erkunden, auf die das Gehirn mit herausfordernden Situationen umgeht, und wie Achtsamkeit Ihnen helfen kann, diesen mit einem zugrunde liegenden Gefühl des Friedens, der Zufriedenheit und der Liebe zu begegnen, anstatt aus einer Position der Angst, Frustration und Verletzung heraus.
Festigen Sie den Geist
Ihr Nervensystem ist dazu bestimmt, von Ihren Erfahrungen verändert zu werden – der Fachausdruck hierfür lautet erfahrungsabhängige Neuroplastizität (engl. „experience-dependent neuroplasticity“, A.d.Ü.) – und Ihre Erfahrungen hängen davon ab, wem oder was Sie Ihre Aufmerksamkeit schenken. Es gibt eine alte Redensart: „Du wirst, was du isst.“ Das ist für Ihren Körper wahr, aber Sie – die Person, die Sie sind – werden allmählich zu dem, auf das Sie Ihre Aufmerksamkeit richten. Können Sie Ihre Aufmerksamkeit auf die vielen Dinge ausrichten und dort verweilen lassen, die nützlich und angenehm in Ihrem Alltag sind, und sie in Ihr Inneres aufnehmen?
Um vorübergehende Erfahrungen in beständige innere Stärken umzuwandeln, müssen wir in der Lage sein, unsere Aufmerksamkeit genügend lange auf eine Erfahrung zu fokussieren, damit sie sich im Nervensystem zu konsolidieren beginnen kann. Unglücklicherweise besitzen die meisten von uns eine unstete Aufmerksamkeit mit einem huschenden Geist, der hin und her wandert.
Dafür gibt es eine Vielzahl an Gründen. Wir leben in einer hochtourigen, von den Medien bombardierten, von Multitasking und Reizüberflutung geprägten Kultur. Persönlicher Stress, Angst, Depression und Trauma können es einem schwerer machen, sich zu fokussieren. Und einige Menschen sind einfach von Natur aus ablenkbarer als andere.
Wie Achtsamkeit funktioniert
Achtsamkeit ist der Schlüssel, um Ihre Aufmerksamkeit zu regulieren, sodass Sie das Beste aus wohltuenden Erfahrungen herausholen, während Sie den Einfluss der stressvollen, schädlichen Erfahrungen einschränken. Sie befähigt Sie, zu erkennen, wo Ihre Aufmerksamkeit sich hingewandt hat. Die Wortwurzel für Achtsamkeit in Pali, der Sprache des frühen Buddhismus, verweist auf das Wort Erinnerung. Mit Hilfe von Achtsamkeit können Sie sich Ihrer Selbst erinnern, statt in Gedanken verloren zu sein und sie wirkt sich darüber hinaus auch auf Ihr Gedächtnis aus; statt vergesslich und zerstreut zu sein, sind Sie gefasst und gesammelt.
Sie können achtsam sein im Hinblick auf ein enges Aufmerksamkeitsfeld, wie etwa beim Einfädeln eines Fadens durch ein Nadelöhr, oder auf ein sehr breites Aufmerksamkeitsfeld, wie etwa beim Beobachten des stattfindenden Bewusstseinstromes insgesamt. Und Sie können achtsames Gewahrsein sowohl für Ihre Innenwelt als auch für die Außenwelt entwickeln, wie etwa im Falle schmerzvoller Gefühle, wenn jemand Sie im Stich lässt oder wenn ein Lastwagen bei Regen sich Ihrem Auto zu sehr nähert.
Auch andere Dinge können mit Achtsamkeit einhergehen, wie etwa Mitgefühl für Ihre verletzten Gefühle oder Vorsicht, wenn Ihnen ein schnelles Auto auf einer stark befahrenen Autobahn zu nahe kommt, doch Achtsamkeit an sich versucht nicht, Ihre Erfahrung oder Ihr Verhalten zu verändern. Sie ist offen und annehmend, nicht urteilend oder lenkend. Achtsamkeit hält Ihre Reaktionen in einem weiträumigen Gewahrsein, das selbst nie durch etwas gestört wird, was auch immer es durchströmt. Mit Hilfe von Achtsamkeit können Sie Abstand zu Ihren Reaktionen gewinnen und sie aus einer friedlicheren und zentrierteren Position beobachten. Sie können sie in ihrem Sosein akzeptieren, ohne sich dabei mit ihnen zu identifizieren. Natürlich bedeutet dies nicht, dass der einzige Weg, achtsam zu sein, darin besteht, auf passive Art und Weise Zeuge Ihrer vorbeiziehenden Erfahrungen zu sein. Sie können achtsam sein, auch wenn Sie mit anderen sprechen, Entscheidungen treffen und eine Sache nach der anderen ausführen.
Achtsamkeit stärken
Achtsamkeit ist eine Art mentaler Muskel, und Sie können sie stärken, indem Sie sie zu einem regelmäßigen Teil Ihres Alltags machen. Eine Kontinuität in Achtsamkeit zu entwickeln wird Ihnen mit der Zeit die Qualität einer anhaltenden Präsenz vermitteln, die fest verankert und unerschütterlich ist.
Seien Sie achtsam beim Achtsamsein
Haben Sie sich schon mal in eine mentale Träumerei verloren, wie etwa sich Sorgen über das Geld zu machen oder darüber, was ein Freund von Ihnen denkt, und haben Sie dann das Gefühl gehabt, als ob Sie daraus „erwachten“? Dies ist eine Erfahrung von Achtsamkeit. Sie könnten auch ein Gefühl des Augenblicksbewusstseins haben, während Sie zur Arbeit gehen, eine Pause einlegen, um aus dem Fenster zu schauen, oder Ihren Tag reflektieren, während Sie zu Bett gehen.
Wann immer Sie diese Erfahrung auch machen, seien Sie sich dessen, wie Achtsamkeit sich anfühlt, bewusst. Sie kehren zu sich selbst nach Hause. Sie sind einfach hier, einfach jetzt … ununterbrochen. Seien Sie sich auch des Nicht-Achtsamseins bewusst. Versuchen Sie schneller mitzubekommen, wenn Ihre Aufmerksamkeit wandert. Sie könnten beispielsweise Ihr Telefon so einstellen, dass zu unregelmäßigen Zeiten ein leiser Gong erklingt, um Sie daran zu erinnern, während des Tages achtsam zu sein. Mit ein wenig Übung werden Sie bereits beim nächsten Ertönen des Gongs zentriert im gegenwärtigen Augenblick ruhen.
Verringern Sie Ablenkungen
Sie könnten auch die Nicht-stören-Funktion Ihres Telefons benutzen, um Textnachrichten und Anrufe, die Sie unterbrechen, zu reduzieren. In gewissem Sinne ist Ihre Aufmerksamkeit Ihr Eigentum. Lassen Sie, so gut Sie können, nicht zu, dass andere Menschen oder Ihre vorbeirauschende Umwelt es Ihnen ohne Ihre Erlaubnis wegnimmt. Versuchen Sie, zu verlangsamen und jeweils eine Sache mit Ihrer ganzen Aufmerksamkeit zu verrichten.
Flechten Sie Achtsamkeit in Ihren Tag ein
Stellen Sie sich auf Ihre Atmung ein, während Sie mit anderen sprechen oder Aufgaben erledigen. Dies wird Ihnen helfen, in sich selbst und im gegenwärtigen Augenblick verankert zu bleiben. Kehren Sie zur Wahrnehmung Ihrer Atmung viele Male am Tag zurück. Sie können regelmäßige Ereignisse wie Mahlzeiten dafür nutzen, eine Pause einzulegen, sich selbst zu sammeln und in die Gegenwart zu kommen. Und Sie können Ihre Aufmerksamkeit kräftigen, indem Sie etwas tun, das Sie mögen, wie etwa ein Handwerk oder ein Kreuzworträtsel, das Ihre Konzentration erfordert.
Meditieren Sie
Es gibt viele Methoden, Traditionen und Lehrer der Meditation, sowohl in säkularen Formen als auch in Gestalt eines Gebets. Menschen stellen die Frage: „Was ist die beste Meditation?“ Ich denke, die beste Meditation ist jene, die eine Person tatsächlich und regelmäßig ausübt. Finden Sie daher heraus, was Ihnen Freude macht und wirkungsvoll ist. Sie könnten sich selbst dazu verpflichten, jeden Tag eine Minute oder mehr zu meditieren – selbst wenn es die letzte Minute sein sollte, bevor Sie sich aufs Ohr legen. Ich bin diese Verpflichtung selbst eingegangen, und sie hat, ehrlich gesagt, mein Leben verändert. Ich habe 1974 zu meditieren begonnen und entdeckt, dass die wirkungsvollsten Meditationen die einfachsten sind, und ich schlage Ihnen vor, dass Sie jene im Kasten auszuprobieren.
EINE EINFACHE MEDITATION Nehmen Sie sich ein paar Minuten oder mehr an einen ruhigen Ort Zeit. Finden Sie für sich eine bequeme Haltung im Sitzen, Stehen oder Liegen. Oder Sie könnten, vielleicht in einem Raum, langsam hin und her gehen. Fokussieren Sie sich auf etwas, das Ihnen hilft, präsent zu bleiben, wie etwa auf eine Sinneswahrnehmung, ein Wort, ein Bild oder ein Gefühl. Hier werde ich den Atem benutzen; passen Sie meine Vorschläge entsprechend an, wenn Sie ein anderes Objekt für Ihre Aufmerksamkeit wählen.
Nehmen Sie die Empfindungen des Atmens in Ihrem Gesicht, Ihrer Brust, Ihrem Magen oder Ihrem Körper im Allgemeinen bewusst wahr. Wenden Sie dem Beginn des Einatmens Aufmerksamkeit zu, halten Sie die Aufmerksamkeit im Verlauf der Einatmung aufrecht und wenden Sie sie dann dem Ausatmen zu und halten Sie sie während der Ausatmung aufrecht… Atemzug für Atemzug. Wenn es Ihnen hilft, zählen Sie im Geist jeden Atemzug. Vielleicht vier oder zehn Atemzüge lang und danach beginnen Sie von Neuem. Wenn Sie die Übersicht über das Zählen verlieren, beginnen Sie einfach wieder mit eins. Oder Sie sagen sich sanfte Worte, wie etwa „ein … aus … heben … senken“. Wenn Ihr Geist umherwandert, ist das normal; wenn Sie es bemerken, kehren Sie einfach zum Objekt Ihrer Aufmerksamkeit zurück.
Entspannen Sie sich, während Sie atmen. Geräusche und Gedanken, Erinnerungen und Gefühle werden kommen und gehen, Ihr Gewahrsein durchlaufen. Versuchen Sie nicht, Ihren Geist abzuschalten. Stattdessen machen Sie sich von Ablenkungen frei, indem Sie den Dingen, die unangenehm sind, keinen Widerstand leisten, und indem Sie keine Dinge verfolgen, die angenehm sind. Sie lassen sich im gegenwärtigen Moment des Seins nieder. Lassen Sie die Vergangenheit los, hegen Sie keinerlei Ängste um die Zukunft und planen Sie diese auch nicht. Es gibt nichts, worum Sie sich kümmern oder das Sie in Ordnung bringen müssen, keinen anderen Ort, an dem Sie sein sollen und niemand, den es darzustellen gibt. Ruhen Sie sich aus und entspannen Sie sich, während Ihr gesamter Körper atmet.
Ohne Anstrengung und Stress schauen Sie einmal, ob Sie sich einem wachsenden inneren Frieden öffnen können. Dann, in Ihren eigenem Tempo, schauen Sie, ob Sie ein Gefühl der Zufriedenheit entdecken können. Und wenn Sie möchten, öffnen Sie sich einem Gefühl der Liebe. Andere Dinge könnten in Ihrem Bewusstsein gegenwärtig sein, wie etwa Schmerz oder Sorge, und das ist in Ordnung. Lassen Sie sie gewähren, während Sie sich des Atems bewusst bleiben, vielleicht mit einem wachsenden Gefühl allumfassenden Wohlbefindens.
Fühlen Sie, während der Meditation, wie Entspannung und andere positive Erfahrungen in Sie einsinken und ein Teil von Ihnen werden. Während Sie sich dem Ende der Übung nähern, empfangen Sie innerlich, was an ihr positiv gewesen ist.
Finden Sie Zuflucht
Achtsamkeit hilft Ihnen, sich den tieferen Schichten Ihrer selbst zu öffnen. Normalerweise fühlt sich dies ziemlich gut an. Doch manchmal, wenn Sie nicht dazu bereit sind, kann es sich anfühlen wie das Öffnen einer Falltür zu unangenehmen und beängstigenden Dingen. Beispielsweise hieß es damals, als ich am College Ende der 1960er-Jahre zu studieren begann: „Hey Mann, fühle deine Gefühle, erfahre deine Erfahrungen.“ Ich dachte, die wären verrückt. Meine Gefühle schmerzten. Warum sollte ich sie fühlen wollen? Trotzdem wusste ich, dass ich mich öffnen musste. Aber natürlich war es beängstigend. Ich musste einen Weg finden, um mich sicher zu fühlen, was immer auch aus der Falltür emporkäme. Ich musste Zuflucht finden.
Ich dachte an die Zeit zurück, als ich ein Kind war und unserem Haus entfloh und in den nahegelegenen Orangenhainen und auf den Hügeln spazieren ging. Auf Bäume zu klettern und draußen zu sein half mir, mich zu entspannen und stark zu fühlen. Ich trug diese guten Gefühle mit nach Hause, als ob die Bäume und Hügel in meinem Inneren wären, und ich konnte sie in meinem Geist zum Trost und zur Unterstützung besuchen. Jahre später auf dem College kehrte ich zu jenem Gefühl der Zuflucht, die ich in der Natur gefunden hatte, zurück, und es half mir, mutig genug zu sein, um den dunklen und gruseligen Keller meines Geistes zu erforschen – was kaum so schmerzvoll war, wie ich befürchtet hatte.
Ihre Zufluchten kennen
Eine Zuflucht ist alles, was Sie beschützt, nährt oder aufbaut. Das Leben kann hart sein und jeder hat schwere, unangenehme Erfahrungen. Wir alle brauchen Zufluchten. Was sind Ihre?
Ein Haustier oder andere Menschen könnten eine Zuflucht für Sie sein. Meine Frau ist eine Zuflucht für mich und Forrests Freunde sind eine Zuflucht für ihn. Orte können Zufluchten sein, wie etwa ein Lieblingscafé oder eine Kirche oder eine Buchhandlung oder ein Park. Bestimmte Dinge können sich wie eine Zuflucht anfühlen, wie etwa eine Tasse Kaffee, ein kuscheliger Pullover oder ein gutes Buch am Ende eines langen Tages. Sie könnten Zuflucht auch bei verschiedenen Tätigkeiten finden – vielleicht beim Ausführen des Hundes, beim Gitarrespielen oder beim Fernsehen vor dem Zubettgehen.
Manche Zufluchten sind immateriell. Erinnerungen ans Draußensein sind wichtige Zufluchten für mich gewesen, von den Orangenbäumen meiner Kindheit bis zu den Reisen in die tiefe Wildnis als Erwachsener. Sie könnten sich an den Eindruck erinnern, den die Küche Ihrer Großmutter auf Sie gemacht hat, oder an Ihren eigenen Enkelsohn, der in Ihrem Schoß einschläft. Für viele Menschen ist die Empfindung von etwas Heiligem oder Göttlichem eine tiefe Zuflucht. Ideen können Zufluchten sein, wie etwa die Entdeckungen von Wissenschaftlern oder die Weisheit von Heiligen – oder einfach zu wissen, dass Ihre Kinder Sie wirklich lieben.
Genauso gibt es eine ganz wesentliche und zentrale Zuflucht, nämlich an das Gute in Ihnen zu glauben, was immer es auch sein mag. Dies bedeutet nicht, den Rest zu übersehen. Sie sehen einfach Ihre Anständigkeit, Wärme und Freundlichkeit, Ihre guten Absichten, Fertigkeiten und Bemühungen. Diese sind, was Ihre Person angeht, Tatsachen, und sie zu erkennen ist eine zuverlässige Quelle der Zuflucht.
Ihre Zufluchten nutzen
Finden Sie im Laufe Ihres Tages Zufluchten, wie etwa Zeit für sich selbst bei der Morgendusche, die freundschaftlichen Beziehungen zu Menschen in der Arbeit, das Musikhören auf dem Heimweg oder Gedanken der Dankbarkeit beim Zubettgehen. Sie können auch etwas Zeit dafür vorsehen, kontinuierliche Erfahrungen der Zuflucht zu schaffen, wie etwa durch die Übung im Kasten.
Wenn Sie eine Zuflucht finden, verlangsamen Sie. Werden Sie sich gewahr, wie sich diese Zuflucht anfühlt: vielleicht als ein Gefühl der Entspannung, Beruhigung und Erleichterung. Bleiben Sie bei der Erfahrung für einen Atemzug oder länger. Bemerken Sie, was sich dabei gut anfühlt. Lassen Sie das Gefühl der Zuflucht in Sie einsinken, sich in Ihnen als etwas festsetzen, das Sie, wann immer Sie möchten, aufsuchen können.
Wenn Sie achtsam sind und anfangen, sich von einer Sache, die in Ihrem Bewusstsein auftaucht, überwältigt zu fühlen, fokussieren Sie sich auf eine Zuflucht und auf das Gefühl, das sie Ihnen vermittelt. Es ist, wie an einem geschützten Ort zu stehen und einem Sturm zuzuschauen. Irgendwann wird der Sturm vorüberziehen, wie es alle Erfahrungen tun, und Ihre friedvolle, intakte Mitte wird bestehen bleiben.
ZUFLUCHT NEHMEN Suchen Sie sich etwas aus, das eine Zuflucht für Sie darstellt, wie etwa das Bild einer schönen Wiese, die Erinnerung an eine geliebte Person oder die Weisheit einer Redensart. Öffnen Sie sich für die Gefühle und Empfindungen, die in Verbindung mit dieser Zuflucht stehen. Spüren Sie wie es ist, eine Zuflucht zu haben, bleiben Sie bei diesem Erleben und nehmen Sie es in sich auf.
Versuchen Sie, die Zuflucht für sich zu benennen, wie etwa, „Ich nehme Zuflucht zu/in _____________________.“ Nehmen Sie wahr, wie es sich anfühlt, und erlauben Sie dem Gefühl der Zuflucht, sich in Ihrem Inneren auszuweiten. Versuchen Sie dieses Benennen mit anderen Zufluchten.
Erkunden Sie, wie es ist, eine Zuflucht als etwas anzusehen, das nicht „dort drüben“, nicht von Ihnen getrennt ist, sondern vielmehr als etwas, das bereits in Ihnen präsent ist. Sie könnten sich selbst Dinge sagen wie: „Möge ich _____________________ in mir tragen“ oder „Ich verweile in _____________________ “ oder „Möge ich durch _____________________ gehalten sein; möge er/sie/es mich erheben“. Auf diese Art und Weise betrachtet, kann eine Zuflucht sich als ein heilsamer, wohltuender Strom anfühlen, der Sie trägt.
Versuchen Sie, in Dankbarkeit Zuflucht zu nehmen … in dem Gefühl, von Menschen gemocht zu werden, denen Sie wichtig sind, … im Gefühl Ihrer eigenen Freundlichkeit und Anständigkeit … oder in irgendetwas anderem, was immer Sie gerne möchten.
Geben Sie an Ihre Zufluchten ab. Geben Sie sich ihnen hin. Lassen Sie sich von ihnen leben.
Seinlassen, loslassen, hereinlassen
Die klinische Psychologie, die Personalmanagementschulung, die Seminare für Persönlichkeitsentwicklung und die kontemplativen Traditionen der Welt bieten viele verschiedene Wege an, glücklich, geliebt, effektiv und weise zu sein. Doch bei aller Vielfalt dieser Herangehensweisen und Methoden ergeben sich drei Gruppen, drei Hauptwege, sich mit Ihrem Geist zu beschäftigen.
Erstens können Sie mit dem sein, was dort ist. Fühlen Sie die Gefühle, erfahren Sie die Erfahrungen, die bitteren genauso wie die süßen. Sie könnten verschiedene Aspekte einer Erfahrung erkunden – wie etwa die Körperempfindungen dabei, genauso die Emotionen, Gedanken und Wünsche – und vielleicht tiefer zu verletzlicheren Schichten vorstoßen, wie dem häufig hinter der Wut empfundenen Schmerz. Im Prozess des Dabeibleibens könnte sich eine Erfahrung verändern, aber Sie versuchen nicht absichtlich, Veränderung zu bewirken.
Zweitens können Sie das Negative – was auch immer schmerzvoll oder schädlich ist – verkleinern –, indem Sie es unterbinden, reduzieren oder beenden. Beispielsweise könnten Sie Gefühle einer Freundin gegenüber Luft machen, von selbstkritischen Gedanken Abstand nehmen, aufhören, Kekse nach Hause zu bringen, die das Verlangen nach Zucker schüren, oder die Anspannung lösen, indem Sie Ihren Körper entspannen.
Drittens können Sie das Positive – was immer angenehm oder wohltuend ist – vergrößern, indem Sie es kultivieren, entwickeln oder bewahren. Sie könnten schneller atmen, um Ihre Energie zu erhöhen, sich an Zeiten mit Freunden erinnern, die Sie glücklich fühlen lassen, realistische und nützliche Gedanken über eine Situation bei der Arbeit haben oder sich selbst motivieren, indem Sie sich vorstellen, wie gut es sich anfühlen wird, gesunde Lebensmittel zu essen.
Mit anderen Worten, gut zu werden im Bewältigen, Heilen und Erleben von Wohlbefinden heißt, gut zu werden im Seinlassen, Loslassen und Hereinlassen. Achtsamkeit ist für alle drei notwendig, da wir ohne Achtsamkeit nicht sein-, los- und hereinlassen können. Zudem wirken diese Wege, mit dem Geist zu üben, zusammen. Beispielsweise könnten Sie den dritten Weg benutzen – das Positive vergrößern –, um innere Ressourcen zu entwickeln, wie etwa Selbstmitgefühl, um bei schmerzvollen Gefühlen bleiben zu können.
Stellen Sie sich vor, Ihr Geist ist ein Garten. Sie können sich auf drei Arten und Weisen um ihn kümmern: ihn beobachten, Unkraut jäten und Blumen pflanzen. Ihn zu beobachten ist von grundlegender Bedeutung, und manchmal ist dies das Einzige, was Sie tun können. Vielleicht ist etwas Schreckliches geschehen und alles, was sie tun können, ist den Sturm vorüberziehen zu lassen. Aber einzig mit dem Geist zu sein reicht nicht aus; wir müssen auch mit ihm arbeiten. Der Geist ist im Gehirn verankert, das ein physisches System ist, das sich nicht von selbst zum Besseren hin verändert. Unkraut wird nicht gejätet und Blumen werden nicht gepflanzt durch einfaches Beobachten des Gartens.
Eine Aufregung durchstehen
Die drei Wege, sich mit dem Geist zu beschäftigen, umfassen einen Schritt-für-Schritt-Plan, um eine Aufregung durchzustehen. Angenommen, Sie fühlen sich gestresst, verletzt oder wütend. Beginnen Sie, indem Sie bei dem bleiben, das in Ihrem Inneren vor sich geht, was es auch sei. Stimmen Sie sich auf Ihren Körper ein, vielleicht auf Ihre sich verengende Brust oder auf ein flaues Gefühl in Ihrem Magen. Erkunden Sie Ihre Emotionen, Gedanken und Wünsche. Halten Sie auch nach dem Ausschau, was tiefer und verletzlicher sein könnte, wie etwa der Schmerz einer kürzlich erfolgten Trennung der unter den Ängsten verborgen liegt, wieder auszugehen, um jemand Neuen kennenzulernen. Versuchen Sie, Ihre Erfahrung, so wie sie ist, zu akzeptieren, ohne Ihr Widerstand zu leisten, selbst wenn es unangenehm ist. Stehen Sie sich bei und haben Sie Mitgefühl mit sich selbst.
Zweitens, gehen Sie zum Loslassen über, wenn es sich richtig anfühlt. Nehmen Sie ein paar Atemzüge, indem Sie langsam ausatmen und alle Spannung aus Ihrem Körper herausfließen lassen. Gegebenenfalls können Sie sich von Emotionen befreien, indem Sie sie einer Freundin gegenüber äußern, unter der Dusche schreien, weinen oder indem Sie sich einen Fluss aus Licht vorstellen, der Sie durchströmt und alle traurigen oder aufgebrachten Gefühle fortspült. Ziehen Sie Ihre Aufmerksamkeit von negativen Gedankenschleifen weg. Stellen Sie Glaubenssätze in Frage, die übertrieben oder unwahr sind, indem Sie an die Gründe denken, warum sie falsch sind. Versuchen Sie, über den Tellerrand hinaus zu schauen. Was immer auch geschehen ist, ist wahrscheinlich ein kurzes Kapitel im langen Buch Ihres Lebens. Erkennen Sie, wie ein problematisches Verlangen – wie etwa um sich zu schlagen – Sie oder andere verletzen könnte. Stellen Sie sich vor, dieses Verlangen in Ihren Händen wie einen Stein zu halten und ihn dann fallen zu lassen.
Drittens, gehen Sie, wenn Sie bereit sind, zum Hereinlassen über. Erkennen Sie, dass Sie etwas Schweres durchgemacht haben, und wertschätzen Sie sich dafür. Lassen Sie ein Gefühl der Linderung und Entspannung sich in Ihrem Körper ausbreiten. Bemerken Sie oder erinnern Sie sich an Gefühle, die einen natürlichen Ersatz für das sind, was Sie losgelassen haben, wie etwa eine Beruhigung, die sich in Ihrem Inneren ausbreitet, wenn die Angst verschwindet. Fokussieren Sie sich auf Gedanken, die richtig und nützlich sind, indem Sie jene ersetzen, die falsch und schädlich sind. Sehen Sie, ob es irgendwelche Lektionen gibt, die Sie lernen können, wie etwa Wege, zu sich selbst freundlicher oder klarer mit anderen zu sein. Entscheiden Sie, ob es irgendetwas gibt, das Sie von nun an anders machen, wie etwa früher zum Flughafen aufzubrechen oder mit Ihrem Partner vor dem Zubettgehen nicht über Geld zu sprechen.
Vertrauen Sie Ihrer Intuition, wann es für Sie an der Zeit ist, von einem Schritt zum nächsten überzugehen. Es ist wie die Geschichte von Goldlöckchen und den drei Bären* , in der ein Bett zu hart, eines zu weich und eines genau richtig war. Was sich „genau richtig“ anfühlt, wird von der Erfahrung selbst abhängen. Beispielsweise könnten Sie bei einem wertenden Gedanken für ein paar Sekunden verweilen und sein bekanntes Gekläffe erkennen („Oh, hier ist er wieder, sich darüber auslassend, wie andere fahren“), und dann rasch dazu übergehen, ihn loszulassen. Es hat keinen Wert, seinem Gequassel immer weiter zuzuhören; Sie haben die Botschaft bereits verstanden, legen Sie daher den Telefonhörer auf.
Doch manchmal sind die Dinge wirklich schwer, und das Beste, das Sie tun können, ist einfach, sie zu ertragen. Vielleicht ist Ihr Partner verstorben, und es braucht Jahre, um Schritt eins und zwei zu machen – seinlassen und loslassen –, bevor Sie sich auch nur vorstellen können, jemand anderen in Ihr Herz zu lassen. Andere wollen Sie vielleicht drängen, gehen Sie jedoch in Ihrem eigenen Tempo voran. Vielleicht besteht alles, was Sie tun können, darin, den Schmerz für ein paar Sekunden zu berühren, und dann müssen Sie sich für eine Weile von ihm zurückziehen, bevor Sie erneut mit ihm sein können. Was mich persönlich betrifft, so trat ich ins Erwachsenenalter ein mit einem großen Eimer voller Tränen tief in meinem Inneren. Alles auf einmal zu fühlen wäre überwältigend gewesen, daher habe ich ihn nach und nach, Löffel für Löffel, geleert.
Wenn Sie das Loslassen und Hereinlassen versuchen, aber entdecken, dass es sich oberflächlich oder nicht authentisch anfühlt, kehren Sie zum ersten Schritt zurück und seien Sie ganz bei Ihrem Geist. Erkunden Sie, was es dort sonst noch in vollem Maße zu erfahren gibt, vielleicht etwas Sanfteres und Jüngeres. Der Prozess des Seinlassens, Loslassens und Hereinlassens kann manchmal die nächste Schicht psychologischen Materials aufdecken. Dann können Sie die drei Schritte anwenden, um jene Schicht, und vielleicht weitere Schichten in einer sich vertiefenden Spirale, zu durchqueren. Bleiben Sie achtsam, und Sie werden Unkraut jäten, Blumen pflanzen und Ihren Garten in diesem Prozess besser kennenlernen.
Achten Sie auf Ihre Bedürfnisse
Bald nachdem Forrest geboren wurde, kamen meine Eltern zu Besuch, und meine Mutter war aufgeregt, ihr erstes Enkelkind in den Armen zu halten. Sie setze ihn auf ihre Brust, in die Nähe ihres Gesichts, und blubberte: „Oh, was für ein süßes Baby, was für ein gutes Baby du bist!“ Aber er konnte seinen Kopf nicht hochhalten, um sie anzuschauen, und fing zu jammern an. Meine Mutter redete weiter, während er sich mehr und mehr beunruhigte. Ich murmelte: „Ähm, Mama, ich denke, er möchte, dass du ihn seitlich hältst, sodass es angenehmer für ihn ist.“ Sie sagte ganz glücklich: „Er weiß nicht, was er möchte.“ Verwundert entgegnete ich, dass er sehr wohl anders gehalten werden möchte, denn es sei ihm ja gut gegangen, bis sie ihn auf den Arm nahm. Sie antwortete mit fröhlicher Begeisterung: „Oh, wen kümmert es, was er möchte?!“ Ich murrte, dass ich es tat, und holte unseren Sohn zurück.
In dieser Geschichte steckt viel drin. Meine Mutter war eine sehr liebevolle Person und davon begeistert, Forrest zu sehen. Sie brachte einfach zwei Glaubensvorstellungen zum Ausdruck, die sie bei ihrer Erziehung geleitet hatten: Kinder sind eigentlich keine Wesen, die wissen, was sie möchten, und selbst wenn sie es tun, spielt das im Vergleich zu Erwachsenen keine große Rolle.
Realistischerweise wird keinem Kind oder Erwachsenen jeder Willen zu jeder Zeit erfüllt. Auch sollte dies nicht geschehen, da einige Wünsche schädlich sind. Trotzdem, auf dem Grund jeden Wunsches findet sich ein gesundes Bedürfnis. Für meine Mutter war es sehr wichtig, sich eng mit ihrer Familie verbunden zu fühlen; sie musste Liebe geben und sie empfangen: Sie musste das Gefühl haben, dass sie wichtig war und respektiert wurde. Dies sind völlig normale Bedürfnisse. Aufgeregt, uns zu sehen, und selbst auf eine bestimmte Art und Weise aufgewachsen, ging sie daran, ihre Bedürfnisse auf Arten und Weisen zu befriedigen, die problematisch waren – ungeschickt im Umgang mit einem Baby und unsensibel gegenüber ihrem Sohn und ihrer Schwiegertochter –, aber ihre zugrunde liegenden Absichten waren gut.
Bedürfnisse und Wünsche verschwimmen ineinander, und das, was für eine Person ein Bedürfnis ist, könnte für eine andere Person ein Wunsch sein, daher werde ich keine scharfe Trennungslinie zwischen ihnen ziehen. Jede lebende Kreatur – einschließlich einer großen, komplizierten menschlichen Kreatur –, ist motiviert, ihre Wünsche zu verfolgen und ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Zu wünschen ist fundamental und unumgänglich. Infolgedessen kann eine vertieftes Bewusstsein über Ihre Wünsche und Bedürfnisse – und Ihre Gedanken und Gefühle über sie – Ihnen helfen, sie besser zu erfüllen und sich selbst in größerem Maße zu akzeptieren.
Übers Wollen lernen
Seien Sie achtsam im Hinblick auf Ihre mit dem Wünschen verbundenen Erfahrungen. Diese Erfahrungen schließen mehrere Dinge ein: eine Sache einer anderen Sache gegenüber vorzuziehen, ein Ziel zu verfolgen, eine Bitte zu stellen und auf etwas zu bestehen. Achten Sie insbesondere darauf, wie Sie von den Reaktionen anderer auf Ihre Wünsche und Bedürfnisse beeinflusst werden. Wenn sie unterstützend sind, fühlt sich das wahrscheinlich gut an. Doch wenn sie Sie ignorieren, ablehnen oder ausbremsen, ist es normal, das Gefühl zu haben, dass Ihre Wünsche und Bedürfnisse unbedeutend und unangenehm, ja sogar abstoßend sein könnten – und im weiteren Sinne, dass Sie nicht wichtig sind und dass etwas mit Ihnen nicht in Ordnung sein könnte, etwas, das Sie unterdrücken und verstecken sollten.
Die Rückstände dieser und anderer Erfahrungen werden im Gehirn als emotionales, soziales und körperliches Lernen gespeichert. Dies beginnt zu einem Zeitpunkt, zudem wir sehr jung und sehr abhängig davon sind, dass andere unsere Wünsche und Bedürfnisse sorgfältig lesen und freundlich und effektiv auf sie reagieren. Wir lernen über das Wünschen selbst: Welche Wünsche sind erlaubt und können unmittelbar verfolgt werden, welchen sollte man getarnt und heimlich nachgehen und welche gelten als beschämend und müssen geleugnet werden?
Mit Achtsamkeit können Sie in Ihr Inneres blicken und sich selbst besser verstehen. Nehmen Sie sich ein wenig Zeit und finden Sie die Antworten auf diese Fragen:
• Wie reagierten Ihre Eltern auf Ihre Wünsche? Was lernten Sie über das Wünschen, als Sie aufwuchsen?
• Wie haben andere auf Ihre Wünsche als Erwachsener reagiert? Inwiefern wurden Sie unterstützt? Inwiefern wurden Ihre Wünsche ignoriert, kritisiert oder abgelehnt? Wie haben Sie sich bei all dem gefühlt?
• Wie hat Ihre Vergangenheit die Art und Weise beeinflusst, wie Sie heutzutage versuchen, Ihren Wünschen und Bedürfnissen nachzugehen? Sind Sie beispielsweise im Hinblick auf einige der Dinge, die Sie möchten, bloßgestellt oder beschämt worden?
• All dies überdenkend, gibt es irgendwelche Änderungen, die Sie vornehmen möchten? Vielleicht könnten Sie in Bezug auf etwas, das Sie möchten, offener oder geradliniger bei der Suche danach sein.
Ihre drei Bedürfnisse
Achtsamkeit im Hinblick auf Ihre Vergangenheit hilft Ihnen, sich selbst in der Gegenwart besser zu kennen und effektiver dabei zu sein, sich um Ihre Bedürfnisse in Zukunft zu kümmern. Was brauchen Sie also? Psychologische Theorien klassifizieren Bedürfnisse auf verschiedene Arten und Weisen. Diese Ideen zusammenfassend, habe ich sie in drei Grundbedürfnisse eingeteilt:
1. Wir brauchen Sicherheit, vom kruden Überleben bis hin zur Kenntnis, dass wir nicht angegriffen werden, wenn wir den Mund aufmachen. Wir erfüllen dieses Bedürfnis, indem wir Schäden vermeiden, wie etwa einen heißen Herd zu berühren oder um bestimmte Menschen einen Bogen machen.
2. Wir brauchen Befriedigung, angefangen damit, genug zu essen zu haben, bis hin zum Gefühl, dass das Leben lebenswert ist. Wir schaffen das, indem wir Belohnungen anstreben, wie etwa an Rosen zu riechen, die Wäsche zu erledigen oder ein Geschäft aufzubauen.
3. Wir brauchen Verbundenheit, vom Ausdrücken der Sexualität bis hin zum Gefühl, wertvoll zu sein und geliebt zu werden. Wir kümmern uns um diese Bedürfnisse, indem wir uns mit anderen verbinden, wie etwa indem wir einem Freund eine SMS senden, uns verstanden fühlen oder Mitgefühl vermitteln.
Jede Tierart, einschließlich des Menschen, braucht ihre Version der Sicherheit, Befriedigung und Verbundenheit. Diese Grundbedürfnisse sind im Leben selbst verankert, und wie wir mit ihnen heute umgehen, basiert auf der Evolution des Nervensystems in den letzten 600 Millionen Jahren. Um einen langen, komplexen Prozess zu vereinfachen: Das Gehirn hat sich von unten nach oben entwickelt, ähnlich einem Haus mit seinen Stockwerken.
Im „Haus“ des Gehirns ist das erste und älteste Stockwerk der Hirnstamm, der sich während des Reptilienstadiums der Evolution entwickelt hat, und zwar mit einem Fokus auf Sicherheit: im Zentrum das fundamentalste Bedürfnis von allen, nämlich zu überleben. Das zweite Stockwerk ist die subkortikale Region, die den Hypothalamus, den Thalamus, die Amygdala, den Hippocampus und die Basalganglien umfasst. Dieser Teil Ihres Gehirns formte sich während des Säugetierstadiums der Evolution, das vor rund 200 Millionen Jahren begann. Die subkortikale Region hilft uns, effektiver im Streben nach Befriedigung zu sein. Das oberste Stockwerk ist der Neokortex, der sich mit den ersten Primaten vor rund 50 Millionen Jahren auszudehnen begann; er hat sein Volumen verdreifacht, seit die ersten Hominiden vor 2,5 Millionen Jahren anfingen, Werkzeuge herzustellen. Der Neokortex hat Menschen dazu befähigt, die sozialste Spezies auf dem Planeten zu sein. Er ist die neuronale Basis für Empathie, Sprache, gemeinsames Planen und Mitgefühl – ausgeklügelte Wege, um unser Bedürfnis nach Verbundenheit zu erfüllen.
In gewisser Hinsicht gehen wir mit einem Zoo in unserem Kopf herum. Lösungen in lebensgefährlichen Situationen zu finden, denen unsere Urahnen ausgesetzt waren, als sie in dunklen Ozeanen schwammen, sich vor Dinosauriern versteckten oder gegen andere Steinzeitmenschen kämpften sind in unser Gehirn von heute eingebaut. Obgleich die Teile des Gehirns zusammenarbeiten, um unsere Bedürfnisse zu erfüllen, verfügen sie über spezialisierte Funktionen, die von unserer Evolutionsgeschichte geformt wurden. Um die Metapher weiterzuspinnen, es ist so, also ob jede und jeder von uns eine innere Eidechse hätte, die vor Gefahr erstarrt oder flieht, eine innere Maus, die nach Käse schnuppert, und einen inneren Affen, der nach seiner Herde Ausschau hält.
Ihre Bedürfnisse umarmen
Es kann sich beschämend anfühlen, zuzugeben, dass Sie Bedürfnisse haben. Ein Land oder eine Kultur mag eine robuste Unabhängigkeit wertschätzen, aber die Wirklichkeit ist, dass wir alle von vielen Dingen abhängen, um zu überleben, erfolgreich und glücklich zu sein, von der Luft, die wir atmen, über die Freundlichkeit seitens Fremder bis hin zu der Infrastruktur der Zivilisation. Wahre Robustheit bedeutet, unerschrocken genug zu sein, um sich die Tatsache gewöhnlicher menschlicher Bedürftigkeit einzugestehen.
Ein gesunder Körper und Geist rühren nicht vom Leugnen, „Überwinden“ oder Transzendieren von Bedürfnissen. Sie sind vielmehr das natürliche Resultat davon, dass Sie sich um Ihre Bedürfnisse kümmern und achtsam im Hinblick auf die Bedürfnisse anderer sind. Dementsprechend sind die Bedürfnisse, die wir beiseiteschieben, häufig jene, von denen es am wichtigsten ist, sie zu umarmen.
Versuchen Sie sich daher, Ihrer Bedürfnisse oder Aspekte Ihrer Bedürfnisse gewahr zu werden, die unerfüllt sind. Lauschen Sie den Sehnsüchten Ihres Herzens. Wenn Sie Ihren Alltag beschreiben, seien Sie achtsam hinsichtlich Ihrer Bedürfnisse nach:
• Sicherheit. Nehmen Sie zur Kenntnis, wenn Sie sich beunruhigt, irritiert oder überwältigt fühlen. Sehen Sie, ob irgendwelche Glaubenssätze, die tatsächlich nicht wahr sind, sie verängstigen. Wenn es sich richtig anfühlt, gehen Sie zum Los- und Hereinlassen über, etwa indem Sie Zufluchten finden und sich, so gut Sie können, an einen Ort des Friedens begeben.
• Befriedigung. Werden Sie sich jedweder Gefühle von Langeweile, Enttäuschung, Frustration oder Verlust bewusst. Nachdem Sie diese Erfahrung erkundet haben, könnten Sie an Dinge denken, für die Sie dankbar oder froh sind. Schauen Sie, ob Sie ein Gefühl der Zufriedenheit finden können.
• Verbundenheit. Nehmen Sie zur Kenntnis, wenn Sie Schmerz, Feindseligkeit, Neid, Einsamkeit oder Unzulänglichkeit fühlen. Dann erinnern Sie sich an Zeiten, als Sie sich liebevoll umsorgt fühlten – und an Zeiten, in denen Sie selbst Freundlichkeit spürten oder liebevolle Fürsorge in sich trugen. Ruhen Sie in der ein- und ausströmenden Liebe.
Antworten oder reagieren
Das Leben fordert unsere Bedürfnisse die ganze Zeit über heraus. Doch wir können die Erfahrung machen, dass unsere Bedürfnisse noch während wir praktische Schritte unternehmen, um starke Herausforderungen zu bewältigen, erfüllt werden. Ich bin beispielsweise beim Felsklettern an vielen gefährlichen Orten gewesen, bin an schmalen Kanten so breit wie ein Bleistift gestanden und wäre bei einem Ausrutscher tief gefallen. Mein Bedürfnis nach Sicherheit war zu diesen Zeiten durchaus herausgefordert. Doch in meinem Inneren fühlte ich mich fast immer völlig sicher. Ich bin viel herumgeklettert und fühlte mich dabei wohl, und ich wusste, dass ich an ein Seil festgebunden war, dessen anderes Ende von einem kompetenten Partner gehalten wurde. Ich war in höchster Alarmbereitschaft, war vorsichtig und behutsam, hatte mit vielen Bedrohungen zu tun – und dabei meistens die beste Zeit meines Lebens.
Sie haben wahrscheinlich Ihre eigenen Beispiele für das ruhige Meistern und sogar Genießen überaus herausfordernder Aktivitäten oder Situationen. Das Leben ist turbulent und unvorhersehbar, wunderbare Gelegenheiten bereithaltend, die aber trotzdem viel Arbeit und unvermeidliche Verluste und Schmerzen fordern. Wir können Herausforderungen nicht aus dem Weg gehen. Die einzige Frage ist, wie wir mit ihnen fertigwerden. Es gibt einen grundlegenden Unterschied in der Erfahrung vor Herausforderungen zu stehen, während Sie erleben, dass Ihre Bedürfnisse in ausreichendem Maß erfüllt sind, und die Erfahrung zu machen, vor Herausforderungen zu stehen und zu erleben, dass Ihre Bedürfnisse nicht erfüllt sind.
Grüner Bereich, roter Bereich
Wenn wir die Erfahrung machen, dass Bedürfnisse in ausreichendem Maß erfüllt sind, stellt sich ein Gefühl der Fülle und des Gleichgewichts ein. Der Körper und der Geist greifen auf ihren Ruhezustand zurück, den ich als den „anpassungsfähigen“ Modus oder den „grünen Bereich“ bezeichne. Der Körper bewahrt seine Ressourcen, tankt auf, stellt sich selbst wieder her und erholt sich vom Stress. Im Geist herrscht ein Gefühl des Friedens, der Zufriedenheit und Liebe vor – weitgefasste Überbegriffe in Bezug auf unsere Bedürfnisse nach Sicherheit, Befriedigung und Verbundenheit. Dies ist verkörpertes Wohlbefinden.
Wenn wir andererseits die Erfahrung machen, dass ein Bedürfnis nicht erfüllt ist, kommt es zu einem Gefühl des Mangels und der Störung. Etwas fehlt, etwas ist falsch. Der Körper und der Geist werden aus ihrem Ruhezustand in den „reaktiven“ Modus oder den „roten Bereich“ versetzt. Der Körper löst Kampf-Flucht- oder Erstarrungsreaktionen aus, indem er sein Immun-, Hormon-, Herz-Kreislauf und Verdauungssystem wachrüttelt. Im Geist herrscht ein Gefühl der Angst, der Frustration und der Verletzung vor – Überbegriffe bezogen auf unsere Bedürfnisse nach Sicherheit, Befriedigung und Verbundenheit. Dies stellt Stress, Not und Störung dar.
Der Unterschied zwischen dem anpassungsfähigen und dem reaktiven Modus ist an sich unscharf. Trotzdem kennen wir alle den Unterschied zwischen dem Gefühl der Kompetenz und Selbstsicherheit, während wir eine Herausforderung meistern, oder dem Gefühl der Verunsicherung und Sorge. Im Folgenden eine Zusammenfassung dieser beiden Modi:
Unsere Bedürfnisse erfüllen
Es ist möglich, die Erfahrung zu machen, dass eines dieser Grundbedürfnis nicht erfüllt ist, während die anderen beiden gestillt sind. Beispielsweise könnten sich zwei Eltern von ihrem rebellischen Jugendlichen in emotionaler Hinsicht abgekoppelt fühlen, während sie zugleich wissen, dass alle Familienmitglieder in körperlicher Hinsicht in Sicherheit sind und in der Lage, Möglichkeiten zu ergreifen, um in anderen Bereichen Dinge anzustreben, die ihnen Erfüllung bringen und lohnend für sie sind. Wenn ein Bedürfnis „rot wird“, während die anderen „grün bleiben“, dann können Reaktionen auf das unerfüllte Bedürfnis sich ausdehnen und andere Bedürfnisse einschließen; in diesem Beispiel könnten die Eltern anfangen, Angst um die Sicherheit des Jugendlichen zu entwickeln und Frustration im Hinblick auf das Ziel, ihr Kind durchs Gymnasium zu bringen, verspüren. Andererseits kann das Gefühl, in anderen Bereichen über Ressourcen zu verfügen, helfen, ein besonderes Bedürfnis anzugehen, das rot aufleuchtet; die Eltern könnten hier vom Gefühl ihres Augenmerks für die Sicherheit des Jugendlichen und vom Wissen, dass sie sehr wohl über effektive Möglichkeiten verfügen, die Anforderungen der High School zu erfüllen, zehren. Manchmal besteht alles, was Sie tun können, darin, sich eine winzig kleine grüne Zuflucht in Ihrem Inneren zu bewahren, die ruhig und stark bleibt, während der Rest von Ihnen sich in Aufruhr befindet. Doch das Gefühl dieses kleinen Zufluchtsorts macht den großen Unterschied aus, und mit der Zeit können Sie schrittweise nach draußen gehen und sich um den Rest Ihres Geistes kümmern.
Der anpassungsfähige und der reaktive Modus sind nicht bloß die Folge der Erfahrung, dass Bedürfnisse erfüllt oder unerfüllt sind. Sie sind auch zwei verschiedene Wege, Ihre Bedürfnisse zu stillen. Um ein Beispiel aus Robert Sapolskys Buch Warum Zebras keine Migräne kriegen anzuführen: Stellen Sie sich vor, Sie sind ein Zebra in einer großen Herde in Afrika. Sie fressen Gras, haben ein wachsames Auge für Löwen, bleiben jedoch ruhig, interagieren mit anderen Zebras und vergnügen sich, während sie Ihre Bedürfnisse aus dem anpassungsfähigen Modus heraus erledigen. Plötzlich greifen ein paar Löwen an und Ihre Herde bricht in einen reaktiven Fluchtmodus panischer Aktivität aus, welcher rasch endet … auf die eine oder andere Art. Und dann kehren Sie und die – übriggebliebenen – anderen Zebras zu Weisen, mit dem Leben in der Savanne umzugehen, zurück, die aus dem anpassungsfähigen Modus hervorgehen.
Kurz gesagt, dies ist die Blaupause von Mutter Natur: lange Perioden der Handhabung von Bedürfnissen aus dem anpassungsfähigen Modus heraus, durchbrochen, falls nötig, von gelegentlichen Spitzen des reaktiven Stress-Reaktionsmodus, gefolgt von rascher Wiederherstellung des grünen Bereichs. Dieser Antwortmodus fühlt sich gut an, weil er gut ist: Der Körper ist geschützt und „aufgefüllt“ und der Geist fühlt sich behaglich und zufrieden. Andererseits fühlt sich der reaktive Modus schlecht an, weil er schlecht ist, vor allem auf Dauer: der Geist wird von Angst, Gereiztheit, Enttäuschung, Verletzung, Schmerz und Feindseligkeit besetzt.
Der reaktive Modus zerstört uns, während der anpassungsfähige Modus uns aufbaut. Widrigkeiten sind zweifellos eine Gelegenheit, um Resilienz, Widerstandsfähigkeit gegen Stress und sogar posttraumatisches Wachstum zu entwickeln. Doch damit eine Person aufgrund von Widrigkeiten wächst, müssen auch Ressourcen aus dem anpassungsfähigen Bereich vorhanden sein, wie etwa Entschlossenheit und Verbundenheit mit einem Sinn. Außerdem schließen die meisten Gelegenheiten im Alltagsleben, mentale Ressourcen zu erfahren und zu entwickeln, Widrigkeiten nicht ein: wir erfahren schlichtweg einen Augenblick der Entspannung, der Dankbarkeit, der Begeisterung, des Selbstwertgefühls oder der Freundlichkeit. Währenddessen sind die meisten Augenblicke der Angst, der Frustration oder des Schmerzes einfach unangenehm und stressvoll, ohne erkennbaren Nutzen, der aus ihnen resultiert. Den Widrigkeiten muss man sich stellen und von ihnen lernen, aber ich denke, dass die Menschen ihren Wert manchmal überschätzen. Im Ganzen gesehen, machen uns reaktive Erfahrungen mit der Zeit schwächer und fragiler, während Erfahrungen aus dem anpassungsfähigen Bereich dazu neigen, uns resilienter zu machen.
Der reaktive Modus entwickelte sich als eine kurzzeitige Lösung im Hinblick auf unmittelbare Lebensbedrohungen – und nicht etwa als eine Lebensweise. Obwohl wir nicht länger vor Säbelzahntigern davonlaufen, treiben uns das Multitasking, das Gerenne und der regelmäßige Stress unglücklicherweise in den roten Bereich. Dann ist es aufgrund dessen, was Forscher als Negativitätsverzerrung/Negativitätstendenz des Gehirns bezeichnen, schwer, da wieder herauszukommen.
Die Negativitätstendenz/Negativitätsverzerrung
Unsere Vorfahren mussten sich „Zuckerbrote“ in Form von Nahrung und Sex verdienen und „Peitschen“ in Gestalt von Raubtieren und Aggressionen in und zwischen ihren Gruppen entkommen. Beide sind wichtig, aber „Peitschen“ verfügen über größere Dringlichkeit und Einfluss auf das Überleben. Zurück zu den Serengeti-Ebenen: Wenn Sie dabei scheiterten, ein „Zuckerbrot“ zu bekommen, hatten Sie immer noch die Chance, ein anderes zu ergattern, doch wenn Sie dabei scheiterten, eine „Peitsche“ zu vermeiden – Aus und vorbei, niemals wieder Zuckerbrot!
Infolgedessen tut das Gehirn natürlicher- und üblicherweise Folgendes:
1. Es sucht die Außen- und die Innenwelt des Körpers und Geistes nach schlechten Nachrichten ab.
2. Es fokussiert sich stark auf diese und verliert das große Ganze aus dem Blick.
3. Es überreagiert auf sie.
4. Es überführt die Erfahrung rasch ins emotionale, körperliche und soziale Gedächtnis.
5. Es wird aufgrund wiederholter Dosen des Stresshormons Cortisol sensibilisiert, so dass es sogar noch reaktiver in Bezug auf negative Erfahrungen wird – was das Gehirn in noch größeren Mengen an Cortisol badet und einen Teufelskreis schafft.
Tatsächlich verhält sich unser Gehirn im Hinblick auf schlechte Nachrichten wie ein Klettband, auf gute Nachrichten jedoch wie Teflon. Wenn Ihnen beispielsweise zehn Dinge im Laufe eines Arbeitstages oder in einer Beziehung geschehen und neun davon sind positiv, während eins negativ ist, an was denken Sie am meisten? Wahrscheinlich an das Negative. Angenehme, nützliche, wohltuende Erfahrungen kommen viele Male an einem Tag vor – eine Tasse Kaffee genießen, etwas zu Hause oder bei der Arbeit erledigen, sich abends mit einem guten Buch ins Bett kuscheln –, doch sie fließen normalerweise durch das Gehirn wie Wasser, das durch ein Sieb läuft, während jede stressvolle oder abträgliche Erfahrung hängen bleibt. Wir sind darauf getrimmt, von schlechten Erfahrungen zu „überlernen“*, während wir von guten Erfahrungen sozusagen „unterlernen“. Die Negativitätstendenz war sinnvoll für das Überleben während Millionen von Jahren der Evolution, aber heute ist es eine Art universeller Lernschwäche in einem Gehirn, das für Höchstleistungen unter Steinzeitumständen vorgesehen ist.
Die Effekte dieser Tendenz werden verschlimmert durch die jüngste Evolution neuronaler Netzwerke auf der Mittellinie des Kortex, die mentale Zeitreisen ermöglichen: über die Vergangenheit nachzudenken und für die Zukunft zu planen. Diese Netzwerke ermöglichen auch negatives Wiederkäuen. Anders als unsere tierischen Vettern, die durch Beinahe-Unfälle lernen, sich jedoch nicht in sie hineinsteigern, neigen wir dazu, unsere Sorgen, unseren Ärger und unsere Selbstkritik durchzukauen: „So viele Dinge könnten danebengehen.“ – „Wie können Sie es wagen, mich auf diese Art und Weise zu behandeln?“ – „Ich bin solch ein Idiot!“ Die Gedanken und Gefühle, die wir während des Wiederkäuens haben, verändern das Gehirn genauso, wie es andere negative Erfahrungen tun. Diese Schleifen wiederholt zu durchlaufen, ist wie im Sand im Kreis herum zu laufen, wobei die Spur mit jeder Umrundung vertieft wird – was es leichter macht, künftig in negatives Wiederkäuen zu verfallen.
Nach Hause kommen, zu Hause bleiben
Zusammengefasst, wir haben keine andere Wahl im Hinblick auf unsere drei Bedürfnisse oder auf die Art und Weise, wie die Evolutionsstufen der Reptilien, Säugetiere und Primaten die Wege geformt haben, auf denen wir unsere Bedürfnisse zu erfüllen versuchen. Unsere einzige Wahl besteht darin, wie wir unsere Bedürfnis erfüllen: aus dem grünen Bereich oder dem roten Bereich heraus, mit einem zugrunde liegenden Gefühl des Friedens, der Zufriedenheit und der Liebe oder mit einem Gefühl der Angst, der Frustration und des Schmerzes.
Der anpassungsfähige Modus ist unser Heimatstandort, ein gesundes Gleichgewicht von Körper und Geist. Es ist die Essenz des Wohlbefindens und die Basis nachhaltiger Resilienz. Doch werden wir leicht von diesem Zuhause weg in den roten Bereich getrieben. Dann ist es aufgrund der Negativitätstendenz und des negativen Wiederkäuens leicht, dort in einer Art chronischer innerer Heimatlosigkeit stecken zu bleiben.
Es ist nicht unser Fehler, dass wir so sind. Es ist unsere biologische Ausstattung, es sind unterschiedliche Gaben von Mutter Natur. Aber es gibt viel, was wir dagegen tun können.
Verlassen Sie den roten Bereich
Manchmal ist es notwendig, Herausforderungen auf reaktive Weisen zu begegnen. Vielleicht müssen Sie einem Auto, das auf Sie zukommt, ausweichen oder selbst laut werden, wenn jemand allzu aggressiv auftritt. Menschen sind zäh, und wir können Reisen in den roten Bereich dulden. Doch verlassen Sie diesen, so schnell Sie können. Die drei Wege, den Geist einzubeziehen, stellen eine gute Blaupause bereit, um dies zu tun.
Seinlassen
Seien Sie achtsam, wenn Sie anfangen, sich gedrängt, unbehaglich, verzweifelt, frustriert, gestresst oder verärgert zu fühlen. Bleiben Sie bei der Erfahrung und erkunden Sie ihre verschiedenen Anteile. Geben Sie ihnen einen Namen: angespannt … besorgt… verärgert… traurig. Dies wird die Aktivität im präfrontalen Kortex (dem Teil des Gehirns hinter Ihrer Stirn) steigern, was der Top-down-Selbstkontrolle helfen wird. Das für sich selbst zu benennen, was Sie erfahren, wird desgleichen die Aktivität in der Amygdala – die wie eine Alarmglocke im Gehirn funktioniert – verringern und Ihnen helfen, sich zu beruhigen.
Erforschen Sie, was sich auf tieferen Schichten verletzlich und weich anfühlen könnte, wie etwa eine Traurigkeit verbunden mit dem Erlebnis, auf der High School ausgeschlossen worden zu sein, die sich unter einer lodernden Wut verbirgt, bei einer Besprechung in der Arbeit nicht einbezogen worden zu sein. Bleiben Sie einfach bei dem, was Ihr Gewahrsein durchströmt, ohne es wiederzukäuen oder ein Drama daraus zu machen. Nehmen Sie Abstand von den Reaktionen des roten Bereiches, und beobachten Sie sie, als ob Sie aus einem Film heraustreten und sich in einem Kino zwanzig Reihen nach hinten setzen würden, um ihn sich anzusehen.
Loslassen
Gehen Sie zum Loslassen über. Verstehen Sie, dass reaktive Gedanken und Gefühle generell nicht gut für Sie sind – und genauso wenig für andere. Entscheiden Sie sich, ob Sie an diesen Gedanken und Gefühlen festhalten oder sie loslassen wollen.
Atmen Sie langsam aus und entspannen Sie Ihren Körper. Lassen Sie die Gefühle fließen. Wenn es angemessen ist, weinen Sie, schreien Sie und verleihen Sie – in der Gegenwart eines verständnisvollen Freundes – Ihrem Groll Ausdruck oder fühlen Sie einfach, dass die Angst, die Irritation und der Schmerz aus Ihnen abfließen. Seien Sie skeptisch gegenüber den Annahmen, Erwartungen oder Glaubensvorstellungen, die Sie bekümmert, gestresst, frustriert oder wütend gemacht haben. Überdenken Sie die Bedeutung, die Sie Situationen gegeben haben oder die Art und Weise, wie Sie die Absichten anderer interpretieren, und lassen Sie los, was immer unwahr, unnötig alarmierend oder kleinlich ist. Spüren Sie achtsam was Sie fühlen, wenn Sie den reaktiven Modus verlassen.
Hereinlassen
Beginnen Sie, all das hereinzulassen, was Ihnen das Gefühl verschafft, dass Ihre Bedürfnisse erfüllt werden. Stellen Sie sich auf das Gefühl der Entschlossenheit und des inneren Vermögens ein. Tun sie etwas Angenehmes: Waschen Sie Ihre Hände in warmem Wasser, essen Sie einen Apfel oder hören Sie Musik. Angenehmes setzt natürliche körpereigene Opioide frei, die den Stressmechanismus des Gehirns besänftigen und beruhigen. Denken Sie an Dinge, für die Sie dankbar oder über die Sie froh sind, Dinge, die Ihnen ein kleines Lächeln auf die Lippen zaubern. Kontaktieren Sie jemanden, den Sie mögen, entweder direkt oder in Ihrer Vorstellung. Lassen Sie das Gefühl zu, Fürsorge zu empfangen; erkennen Sie auch Ihre eigene Warmherzigkeit. Identifizieren Sie Gedanken oder Sichtweisen, die zutreffend, nützlich und weise sind. Spüren Sie achtsam was Sie fühlen, wenn Sie in den anpassungsfähigen Modus eintreten.
Bauen Sie anpassungsfähige Ressourcen auf
Die meisten Menschen erfahren den anpassungsfähigen Modus viele Male am Tag, gehen jedoch darüber hinweg, bevor er die Chance hat, in sie einzusinken. Halten Sie deshalb nach Gelegenheiten Ausschau, die Ihnen das Gefühl vermitteln, dass Ihre Bedürfnisse erfüllt werden. Bemerken Sie beispielsweise beim Einatmen, dass es eine Menge an Luft zum Atmen gibt. Zumindest jetzt in diesem Augenblick sind Sie in Sicherheit – Augenblick für Augenblick für Augenblick. Sobald Sie die eine oder andere Aufgabe erledigt haben, wie etwa, eine E-Mail versendet, das Haar eines Kindes gekämmt oder ein Auto betankt haben, bleiben Sie bei dem Gefühl der Erfüllung und Zufriedenheit. Wenn jemand Sie anlächelt oder Sie sich an eine Person erinnern, die Sie lieben, behalten Sie das Gefühl der Verbundenheit bei. Seien Sie achtsam in Bezug auf Erfahrungen aus dem grünen Bereich, wertschätzen Sie sie und halten Sie sie aufrecht. Lassen Sie sie in Ihr Inneres, indem Sie sich ein halbes Dutzend Sekunden oder länger Zeit nehmen, um ihnen zu helfen, zu beginnen ihre Bahn in Ihrem Gehirn zu verschalten.
Auf diese Art und Weise werden Sie in Ihrem Inneren die zugrunde liegende Fülle und Balance entwickeln, welche die Basis des anpassungsfähigen Modus bilden. Sie werden zudem das Gefühl des Mangels und der Störung, welches den reaktiven Modus auslöst, allmählich reduzieren. Erfahrungen des grünen Bereichs zu verinnerlichen baut eine Mitte innerer Stärken auf. In einem positiven Kreislauf fördert dies weitere Erfahrungen des anpassungsfähigen Modus und bietet daher mehr Gelegenheiten, innere Ressourcen zu entwickeln. Dann können Sie mit immer größeren Herausforderungen umgehen, innerlich im grünen Bereich bleiben, selbst wenn die Welt um Sie herum rot aufblinkt, mit einem tiefen resilienten Wohlbefinden, das nichts zu durchdringen oder zu überwältigen vermag.
Wenn Sie vor einer Herausforderung stehen, seien Sie achtsam im Hinblick darauf, was auf dem Spiel steht – Sicherheit, Zufriedenheit oder Verbundenheit. Nehmen Sie bewusst Ihre inneren Stärken in Anspruch, um diese spezifischen Bedürfnisse zu befriedigen, und ich werde Ihnen auf den nächsten Seiten viele Möglichkeiten aufzeigen, um dies zu tun. Wenn Sie dann mentale Ressourcen erfahren, können Sie diese in Ihrem Nervensystem verstärken.
Ich bin ein paar Mal gesegelt, und es ist mir gelungen, ein Boot zum Kentern zu bringen, das keinen Kiel hatte. Wenn der Geist wie ein Segelboot ist, ist das Entwickeln innerer Ressourcen wie das Stärken und Verbreitern eines Kiels. Dann können Sie kühner leben, indem Sie das Vertrauen haben, dass Sie die tieferen Gewässer des Lebens erkunden und genießen können, und mit allen Stürmen, die Ihren Weg kreuzen, zurechtkommen.
Schlüsselpunkte
• Ihr Gehirn wird durch Ihre Erfahrungen geformt, die wiederum durch das geformt werden, mit dem Sie sich befassen. Mit Achtsamkeit können Sie Ihre Aufmerksamkeit auf Erfahrungen psychologischer Ressourcen wie etwa Mitgefühl und Dankbarkeit ruhen lassen und sie in Ihrem Nervensystem verschalten.
• Es gibt drei Hauptwege, sich auf den Geist zu beziehen und sich mit ihm zu beschäftigen: mit ihm sein, Schmerzhaftes und Schädliches verringern und Angenehmes und Wohltuendes vermehren.
• Wir haben drei Grundbedürfnisse – Sicherheit, Zufriedenheit und Verbindung –, die wir bedienen, indem wir Schäden vermeiden, Belohnungen anstreben und uns an andere binden. Diese Bedürfnisse und die Arten und Weisen, wie wir sie erfüllen, sind jeweils lose verknüpft mit dem Hirnstamm der Reptilien, der subkortikalen Region der Säugetiere und dem Neokortex des Primaten/Menschen.
• Wohlbefinden resultiert aus der Befriedigung unsere Bedürfnisse, nicht aus deren Leugnung. Wenn wir die Erfahrung machen, dass unsere Bedürfnisse ausreichend befriedigt werden, betreten Körper und Geist den „grünen Bereich“ des anpassungsfähigen Modus, und dort herrscht ein Gefühl des Friedens, der Zufriedenheit und der Liebe. Fühlen sich Bedürfnisse unerfüllt an, verstört uns dies und wir werden in den von Kampf, Flucht oder Erstarrung geprägten „roten Bereich“ des reaktiven Modus getrieben. Dort herrscht ein Gefühl der Angst, der Frustration und des Schmerzes.
• Der anpassungsfähige Modus ist unser Heimatort, doch werden wir leicht aus unserer Heimat vertrieben und sind anfällig dafür, im roten Bereich stecken zu bleiben. Grund dafür ist die Negativitätstendenz des Gehirns, die wie ein Klettband bei schlechten Erfahrungen, aber wie Teflon bei guten Erfahrungen wirkt.
• Um im grünen Bereich zu bleiben, nehmen Sie Erfahrungen Ihrer befriedigten Bedürfnisse in sich auf. Dies wird innere Ressourcen aufbauen. Dann können Sie immer größere Herausforderungen mit resilientem Wohlbefinden bewältigen.
* Im englischen Original Goldilocks and the Three Bears. Dabei handelt es sich um ein Märchen, das zuerst vom englischen Dichter und Autor Robert Southey in Erzählform aufgezeichnet sowie 1837 anonym veröffentlicht wurde, A.d.Ü.
* Mit dem aus dem englischen „overlearning“ übernommenen Begriff „Überlernen“ wird in der Psychologie die Fortsetzung des Übens bezeichnet, nachdem das Lernziel bereits erreicht worden ist (A.d.Ü.)