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Ich finde es faszinierend, rückblickend den Weg zu betrachten, den ich gegangen bin – nicht nur in punkto Karriere, sondern auch im Privatleben. Was mir bisweilen unbegreiflich oder äußerst schwierig zu verstehen schien, sehe ich heute als etwas, das zwangsläufig geschehen musste. Alle meine Erfahrungen haben mich auf das vorbereitet, was kommen sollte – und noch kommen wird. Zunächst tat ich mich etwas schwer mit dieser Erkenntnis. Doch als ich sie erst einmal verinnerlicht hatte, konnte ich schließlich ein erfüllteres und befriedigenderes Leben führen. Denn ich habe akzeptiert, dass das Gute wie das Schlechte Teile eines Ganzen sind. Diese Vorstellung war für mich in vielerlei Hinsicht wie eine Befreiung. Sie gab mir die Kraft, sämtliche Schwierigkeiten zu meistern. Der Gedanke, dass ich, ohne es zu wissen, schon früh an meiner Identität, meiner ureigenen Geschichte gearbeitet habe, fasziniert mich.

Wie alles begann

Es begann mit einem Löffel.

Jeder in meiner Familie wird bestätigen, dass ich schon sehr früh mit Musik in Berührung kam. Meine Familie hatte mütterlicherseits schon immer ein Faible für Musik. An Sonntagnachmittagen versammelten wir uns im Haus meiner Großeltern, und früher oder später packte jemand eine Gitarre aus und begann zu singen. Mein Großvater zum Beispiel war ein begnadeter Dichter. Seine improvisierten Reime waren romantisch und sehr stilisiert, so wie ich es seitdem nie wieder gehört habe. Mein Großvater war ein strenger, sehr konservativer Mann, der sein Leben ganz der Familie widmete. Wie die meisten Männer seiner Generation war er ein ziemlicher Macho. Aber immerhin lehrte er uns Männer, die seinen Namen tragen, wie wichtig es ist, einer Frau Respekt zu erweisen, ihre Schönheit zu bewundern, für sie zu sorgen und sie zu beschützen. Er sagte immer zu uns: »Eine Frau muss man so behutsam und feinfühlig behandeln wie ein Rosenblatt.« Er war anscheinend ein hoffnungsloser Romantiker, eine Eigenschaft, die ich zweifellos von ihm geerbt habe.

Von meinem sechsten Lebensjahr an schnappte ich mir oft einen Holzlöffel und benutzte ihn als Gesangsmikrofon. Stundenlang sang ich mit dem Löffel in der Hand meine Lieblingssongs: Menudo-Songs oder Stücke amerikanischer Rockbands wie REO Speedwagon, Journey und Led Zeppelin. Diese Art von Musik hörten damals meine älteren Geschwister. Ich erinnere mich, wie wir oft alle zusammen bei meinen Großeltern waren. Während wir auf dem Balkon saßen, um frische Luft zu schnappen und Geschichten zu erzählen, legte ich irgendwelche Musik ein, nahm mein »Mikrofon« und begann zu singen.

Zu dieser Zeit hätte sicherlich keiner gedacht, dass ich einmal ein professioneller Künstler werden würde. Ich hatte jedoch einen Onkel, der immer zu mir sagte: »Wenn du berühmt bist, ruf mich an, dann komme ich und trage dir dein Gepäck.« Worauf ich mit vollem Ernst antwortete: »Klar doch!« (Es erübrigt sich zu erwähnen, dass er seinen Teil des Deals dann übrigens nicht erfüllte.) Jedenfalls bin ich sicher, dass sie es genossen, mir beim Singen und Tanzen zuzuschauen. Aber bestimmt hat damals keiner damit gerechnet, dass ich eines Tages genau dasselbe vor Hunderttausenden von Menschen tun würde.

So verwunderlich es auch scheinen mag, ich wusste schon von klein auf, dass ich für die Bühne bestimmt war. Es war keine bewusste Entscheidung. Ich bin auch nicht eines Tages aufgewacht und habe gesagt: »Ich will Künstler werden.« Doch ich kann sagen, dass ich mit der Zeit herausgefunden habe, was mir wirklich Spaß macht, und ich versuchte dann einfach, mein Hobby so oft wie möglich auszuüben. Ich weiß, dass einige Menschen viele Jahre brauchen, um zu entscheiden, was sie aus ihrem Leben machen wollen, um etwas zu finden, das sie antreibt. Dies kann zweifellos ein schwieriger Prozess sein. Ich hatte jedoch Glück. Bei mir war das Ganze eine sehr instinktive Angelegenheit. Auch wenn ich damals mit vorgehaltenem Löffel nur für meine Großeltern, Tanten und Onkel sang, so hat es mir doch großen Spaß gemacht. Deshalb war es meiner Meinung nach mehr als nur eine vorübergehende Phase. Es war viel stärker. Was als Spiel begann, wurde zu einer Leidenschaft. Es berauschte mich regelrecht, Aufmerksamkeit zu erregen und alle Blicke auf mich zu ziehen. Ich genoss es, die Leute zu unterhalten. Es war ein tolles Gefühl, wenn sie mir zuhörten, und der Applaus danach versetzte mich in Hochstimmung. Noch heute ist das Gefühl, auf der Bühne zu stehen, für mich eine Quelle der Kraft und der Inspiration. Bei jedem Auftritt, sei es vor zwanzig oder vor hunderttausend Leuten, spüre ich in mir wieder dieselbe Energie wie damals bei den Familientreffen in meiner Kindheit und Jugend.

Ich weiß nicht genau, woher meine Leidenschaft für die Bühne kommt. Jedenfalls verspüre ich einen starken Drang, im Rampenlicht zu stehen. Ich will gesehen werden. Irgendwann in meiner Kindheit inszenierte eine meiner Cousinen selbst geschriebene Theaterstücke, und dabei sammelte ich erste Erfahrungen als Schauspieler. Meine Cousine war damals höchstens acht oder neun Jahre alt, aber sie war unglaublich gut für ihr Alter. Es scheint mir gefallen zu haben. Denn jedes Mal, wenn später in der Schule ein Theaterstück aufgeführt wurde, war ich der Erste, der sich dafür meldete. Ich wurde sogar Ministrant. Dem Priester zu assistieren, war für mich wie ein Bühnenauftritt – er war schließlich so etwas wie der »Star« der ganzen Show. Auf der Bühne fühlte ich mich vollkommen und lebendig, und dieses Gefühl wollte ich mir natürlich so oft wie möglich verschaffen.

Ich denke sehr oft darüber nach, wie mein Leben wohl aussehen würde, wenn ich einen anderen Weg eingeschlagen hätte. Diese Frage stellt man sich zwangsläufig, und es ist durchaus interessant, sich damit zu beschäftigen. Welchen anderen Beruf hätte ich gewählt, wenn ich nicht Künstler geworden wäre? Psychologe? Zahnarzt? Oder Anwalt? Meine Großmutter hatte immer gehofft, dass ich Arzt werden würde. Doch leider konnte ich ihr diesen Wunsch nicht erfüllen. Von dem Augenblick an, in dem ich mich entschieden hatte, was ich aus meinem Leben machen wollte, arbeitete ich unermüdlich daran, mir diesen Traum zu erfüllen. Doch ich frage mich immer wieder, was aus mir geworden wäre, wenn ich den Rat meiner Großmutter befolgt oder irgendeine andere Laufbahn eingeschlagen hätte. Als ich achtzehn war, sprach ich bei der Tisch School der New York University vor, einer der renommiertesten Schauspielschulen des Landes. Doch nur wenige Monate vor Semesterbeginn ging ich, statt mich einzuschreiben, nach Mexiko, um ein paar Freunde zu treffen. Und dort landete ich im wahrsten Sinne des Wortes – denn es war der reinste Zufall – beim Theater.

Welche Richtung hätte mein Leben genommen, wenn ich tatsächlich auf die New York University gegangen und statt mit der Musik mit der Schauspielerei erfolgreich gewesen wäre? Mein Leben hätte zweifellos einen anderen Verlauf genommen. Aber ich weiß, dass ich, egal ob als Schauspieler, Musiker oder Tänzer, in jedem Fall einen Weg gewählt hätte, der mich beglückt und erfüllt. Was du tust, ist gar nicht so wichtig. Wichtig ist, dass du deine Sache liebst und sie so gut machst, wie du kannst.

Leidenschaft ist ein wesentlicher Aspekt meines Lebens. Ich betrachte mich als realistischen Träumer, und mein Leben ist voller starker Emotionen. Ich lebe und fühle sehr intensiv. Manche Menschen finden es vielleicht nicht richtig, das Leben mit solcher Leidenschaft zu leben. Doch von meiner frühesten Kindheit an trieb mich eben diese Leidenschaft dazu, den außergewöhnlichen Weg einzuschlagen, der mein Leben ist. Ich sehe also keinen Grund, die Leidenschaft aus meinem Leben zu verbannen. Wäre ich in jungen Jahren nicht meinem Instinkt gefolgt, wäre ich wahrscheinlich nie dorthin gekommen, wo ich heute bin. Für mich ist das Schöne an der Kindheit unter anderem, dass es eine Zeit der Extreme ist: Wenn wir glücklich sind, ist das Glück absolut, und wenn wir traurig sind, bringt uns der Schmerz fast um. Kinder leben sehr intensiv, aber zugleich auch völlig rein und authentisch. Später lernen wir, allzu heftige Emotionen unter Kontrolle zu halten. Und obschon auch ich wohl oder übel bis zu einem gewissen Grad erwachsen werden musste, habe ich mich doch stets bemüht, in Kontakt mit meinem inneren Kind zu bleiben – jenem leidenschaftlichen, lebhaften und glücklichen Kind, das sich vor nichts fürchtet.

Großmutter

Meine Eltern ließen sich scheiden, als ich zwei Jahre alt war. Logischerweise kann ich mich an nichts von alldem, was sich zu dieser Zeit in meinem Leben ereignete, erinnern. Aber ich weiß, dass ich von da an viel Zeit mit meinen Großeltern – sowohl mütterlicherseits als auch väterlicherseits – verbrachte. Meine Großeltern spielten eine wichtige Rolle in meinem Leben. Ich weiß nicht, ob es kulturell bedingt oder einfach nur eine spirituelle Sache ist, doch meine Beziehung zu ihnen bedeutete und bedeutet mir immer noch sehr viel. Niemals werde ich vergessen, was sie mir beigebracht haben. Und ich möchte all das auch an meine Söhne weitergeben.

Meine Großmutter väterlicherseits war eine intelligente, unabhängige und selbstbewusste Frau. Sie war ihrer Zeit weit voraus und befasste sich mit Metaphysik, lange bevor dies in Mode kam. Außerdem war sie Künstlerin: Sie malte und bildhauerte. Ich erinnere mich, dass sie immer beschäftigt war und sich für tausend Dinge interessierte. Die Vorstellung, einfach einmal nichts zu tun, war ihr völlig fremd. Immer hatte sie irgendein Projekt. Ihre Mutter – also meine Urgroßmutter – war Lehrerin, und so ist meine Großmutter praktisch im Klassenzimmer aufgewachsen, wo sie den Vorträgen ihrer Mutter lauschte. Mit vierzehn Jahren machte sie ihren High-School-Abschluss. Sie hat sogar zwei Bücher geschrieben und wurde Seniorprofessorin an der Universität von Puerto Rico. Man bedenke: Wir sprechen hier über eine Zeit, in der die Gesellschaft den meisten Frauen nichts anderes zugestand, als Hausfrau und Mutter zu werden. Meine Großmutter war eine bewundernswerte und mutige Frau. Eine Frau mit Visionen. Deshalb beschloss sie eines Tages, ihre Koffer zu packen und nach Boston zu ziehen, um Erziehungswissenschaft zu studieren. In dieser Zeit etwas sehr Ungewöhnliches! Doch sie zog nach Boston und blieb dort, bis sie ihren Abschluss in der Tasche hatte.

Vor Kurzem hatte ich Gelegenheit, mit Sonia Sotomayor, der ersten lateinamerikanischen Richterin am Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten, zu speisen. Als ich ihr von der Karriere meiner Großmutter erzählte, staunte sie nicht schlecht. »Eine Latina, die in den Vierzigerjahren in Boston studierte!«, rief sie aus. »Ihre Großmutter muss eine starke Frau gewesen sein.« Natürlich war ich unheimlich stolz. Schließlich hatte sie Recht: Meine Großmutter war zweifellos eine außergewöhnliche Frau.

Sie ist in Puerto Rico geboren, doch ihre Familie stammt ursprünglich aus Korsika. Wir Korsen sind berühmt für unsere Sturheit, und meine Großmutter bildete in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Sie war eine willensstarke und unerschrockene Frau. So merkte sie beispielsweise nach über fünfzig Ehejahren, dass in ihrem Leben etwas fehlte. Deshalb stand sie eines Tages auf und sagte zu meinem Großvater: »Weißt du was? Ich möchte, dass wir uns scheiden lassen.« Damals heiratete man normalerweise fürs Leben, »bis der Tod uns scheidet« – anders als heute, wo sich die Leute aus allen möglichen Gründen scheiden lassen. Meine Großmutter scherte sich jedoch nicht darum, was andere Leute sagten oder dachten. Sie war nicht glücklich und beschloss, etwas dagegen zu tun. Und so ließen sich meine Großeltern scheiden. Von da an besuchte mein Großvater sie jeden Tag. Die neuen häuslichen Vereinbarungen blieben davon jedoch unberührt: Sie lebte in ihrem Haus und er in seinem.

Meine Großmutter ist vor über zehn Jahren gestorben, nach einem langen, bis ins hohe Alter erfüllten Leben. Ich bin sehr dankbar dafür, dass sie lange genug gelebt hat, um meinen Erfolg mitzubekommen und an ihm teilzuhaben. Einmal ist sie sogar extra nach New York geflogen, um mich am Broadway bei Les Misérables spielen zu sehen. Und dabei flog sie alles andere als gern! Sie erzählte mir einmal, dass sie furchtbare Angst vorm Fliegen habe, und zwar seit dem Tag, als sie nach Abschluss ihres Studiums in Boston nach Puerto Rico zurückflog. Während des Fluges gab es offenbar einen Gewittersturm, und das Flugzeug wurde heftig durchgeschüttelt. Sie hat geschworen, von diesem Tag an nie wieder in ein Flugzeug zu steigen! Und dabei blieb sie auch. Sie reiste nur noch per Schiff, und jener Flug nach New York war die einzige Ausnahme.

Es macht mich traurig, dass ich sie in ihren letzten Lebensjahren nicht öfters sehen konnte. Ich war immer beschäftigt, immer unterwegs und in Eile, und hatte nie Zeit für die wirklich wichtigen Dinge. Zwar habe ich zwischendurch immer mal wieder eine Stippvisite bei ihr gemacht, doch ich konnte nie für mehrere Tage oder Wochen bei ihr bleiben, so wie in meiner Kindheit. Ich erinnere mich, wie ich sie einmal in Begleitung einer Polizeieskorte besuchte. Als ich mit der Sicherheitseinheit an ihrem Haus ankam, rief ich: »Oma, ich komme dich besuchen!«

»O mein Junge!«, sagte sie. »Wie schön!«

Aber ich musste mich sogleich korrigieren: »Ich komme dich besuchen, Oma, aber ich kann nicht lange bleiben. Ich muss bald wieder gehen.« Wie stets gab sie mir in keiner Weise das Gefühl, wegen meines frühzeitigen Aufbruchs ein schlechtes Gewissen haben zu müssen. Sie bedankte sich für meinen Besuch und umarmte mich herzlich.

»Okay«, sagte sie, »es war wirklich schön, dich zu sehen. Musst mehr essen, Junge, du bist zu dünn.«

So war sie, meine Großmutter.

Ein anderes Mal, als ich geschäftlich in Puerto Rico unterwegs war, ließ ich einen Hubschrauber auf dem Baseballfeld ihres Wohnviertels landen, um sie zu sehen. Es war die einzige Möglichkeit für mich, denn ich hatte partout keine Zeit. Während wir quer über die Insel flogen, sagte ich plötzlich zum Piloten: »Ich muss meine Großmutter sehen. Landen Sie auf dem Baseballfeld da unten!«

Und so konnte ich wieder einmal ein paar Minuten mit ihr verbringen.

Großmütter sind etwas ganz Besonderes. Noch heute ist mir all das, was sie mir beigebracht hat, von großem Nutzen. Eine der schönsten Erinnerungen an meine Großmutter ist die, wie wir beide dasitzen und ich meine Hausaufgaben mache, während sie malt oder an einem ihrer Projekte arbeitet. Oft denke ich an ihre klugen Worte und Ratschläge, und es kommt mir vor, als würde ich meine Großmutter in gewisser Weise in mir tragen. Es ist solch ein Segen, sie so nahe zu spüren.

Es bereitet mir Kummer, dass meine Kinder ihre Urgroßmutter nicht mehr kennengelernt haben. Es gibt so vieles, was meine Kinder über sie wissen sollten. Doch so viel ich auch über sie erzählen mag, ich spüre, dass ich es ihnen nicht wirklich vermitteln kann. Zum Beispiel hat sie mir und meinen Cousins und Cousinen früher immer ein wunderschönes Schlaflied vorgesungen. Ich schließe oft die Augen und versuche, mich an das Lied zu erinnern. Doch es gelingt mir einfach nicht. Das frustriert mich sehr. Ich kann mich genau an den Klang ihrer Stimme und ihren Gesichtsausdruck beim Singen erinnern, aber der Text und die Melodie des Liedes fallen mir nicht mehr ein, so sehr ich mich auch bemühe. Deshalb bete ich, dass mir das Lied eines Tages im Traum wieder zufliegen möge: »Lieber Gott, liebe Oma, wo immer ihr auch seid, bitte macht, dass mir das Lied wieder einfällt. Ich möchte es meinen Kindern vorsingen.«

Bisher hat es noch nicht geklappt, aber ich gebe die Hoffnung nicht auf. Ich glaube an ein Leben nach dem Tod. Und ich weiß, dass meine Großmutter mit einem Lächeln auf dem Gesicht auf mich herabblickt, weil sie sieht, dass ihr erster Enkelsohn mit derselben Zielstrebigkeit, die sie einst besaß, durchs Leben geht und jener starke und unabhängige Mann ist, zu dem sie mich erzogen hat.

Ein Vorgeschmack auf den Ruhm

Zu Beginn meiner Musikkarriere unterstützte mich meine Familie voll und ganz. Alle konnten schließlich erkennen, dass die Musik für mich mehr war als nur ein Hobby. Als sie sahen, mit welcher Leidenschaft ich die Sache betrieb, spornten sie mich an, weiterzumachen. Allein das gab mir unheimlich viel Kraft. Dass sie an mich glaubten, gab mir Sicherheit und stärkte mein Selbstvertrauen. Und so waren sie nicht überrascht, als ich im Alter von neun Jahren begann, in Puerto Rico in Fernsehwerbespots aufzutreten.

Eines Tages stand nämlich in der Zeitung die Anzeige: »Agentur sucht Talent für TV-Werbespots.« Mein Vater las die Annonce und fragte mich, was ich davon halte. Ich fand es eine großartige Idee und antwortete: »Lass es uns machen, Papi, lass uns hingehen!« Und so gingen wir an jenem Samstag zum Vorsprechen. Bei diesem ersten Termin ging es nur darum, ob ich für den Chef der Agentur überhaupt in Frage kam. Beim nächsten Vorsprechen erst ging es dann konkret um die Werbespots. Sie stellten mich vor eine Kamera, fragten mich nach meinem Namen und Alter sowie meiner Schule. Ehrlich gesagt, ich habe vergessen, was sie sonst noch wissen wollten. Wahrscheinlich ließen sie mich etwas vorsprechen oder vorlesen. Vielleicht eine kleine Szene, das Übliche eben, was man bei einem Casting so machen muss. Ich kann mich jedoch noch gut daran erinnern, dass ich mich unheimlich sicher fühlte. Ich war kein bisschen nervös. Nach dem Vorsprechen ging ich nach Hause. Und nur wenige Tage später erhielt ich einen Anruf und bekam die Zusage.

In meinem ersten Werbespot ging es um einen Softdrink. Der Dreh dauerte vier Tage. Vier intensive Tage, von sechs Uhr morgens bis zum späten Nachmittag. Leider bekam ich den Spot nie zu sehen, da er für das amerikanische Latino-Publikum sowie Mexiko bestimmt war. Aber ich weiß noch, dass sie mir am Schluss 1300 Dollar zahlten. Und das war nicht alles: Alle sechs Monate sollte ich einen weiteren Scheck über 900 Dollar (Tantiemen) erhalten. Es war ein fantastischer Job! Ich konnte etwas tun, das mir richtig Spaß machte, und wurde auch noch gut dafür bezahlt. Etwas Besseres hätte ich mir nicht vorstellen können. Eine ganz neue Welt hatte sich mir eröffnet.

Viele weitere Spots folgten, etwa für eine Zahnpasta oder ein Fast-Food-Restaurant. Aus einem Spot ergab sich der nächste und daraus der übernächste und so weiter. Als ich erst einmal den Einstig in dieses Business geschafft hatte, lief es wie am Schnürchen. Nach anderthalb Jahren hatte ich bereits elf Spots gedreht. Ich weiß es deshalb so genau, weil mein Vater alles exakt dokumentiert hat. Es ist so lange her, dass ich mich sonst bestimmt nicht mehr an alle erinnern könnte. Ich war sehr erfolgreich mit meinen Spots und verschaffte mir rasch Anerkennung in der Branche. Da ich mittlerweile einige Erfahrung hatte und es liebte, vor der Kamera zu stehen, engagierten mich die Produzenten gerne. Dadurch wuchs mein Selbstbewusstsein noch mehr, und zugleich konnte ich weitere Erfahrungen sammeln.

Die Werbespots gaben mir einen Vorgeschmack auf den Ruhm. Wenn ich die Straße entlangging, hörte ich manchmal, wie jemand sagte: »Da ist der Junge aus diesem oder jenem Werbespot!« Oder: »Schau mal! Da ist der Junge aus der Softdrink-Werbung.« Ich fand es damals unheimlich toll, erkannt zu werden. Zu dieser Zeit gab es noch keine Fernbedienungen, und die Leute mussten die Werbespots wohl oder übel über sich ergehen lassen – anders als heute, wo wir bequem vom Sofa aus auf ein anderes Programm umschalten können. So erkannten mich mit jedem Spot immer mehr Leute. Und ich muss zugeben, dass mir das gefiel. Heute kann ich mich manchmal nicht einmal für kurze Zeit in Ruhe in einen Park setzen oder mit meinen Kumpels Poolbillard spielen. Irgendjemand erkennt mich immer. Das bedeutet, ich muss einige Dinge aufgeben, die für andere Menschen normal sind: im Restaurant essen, spazieren gehen, am Strand entlangschlendern und so weiter. Es ist keineswegs so, dass ich diese Dinge nicht gerne tue. Doch ich finde dabei nicht die ersehnte Ruhe. Ich mache es trotzdem, aber ich werde überall erkannt. Anonymität ist etwas, das ich oft vermisse. Ich verdanke dem Ruhm jedoch so viel Schönes, dass ich mich nicht beklagen möchte. Bekannt zu sein gehört nun einmal zu meinem Beruf, und deshalb genieße ich es. Die meisten Menschen sind sehr freundlich und respektieren mein Recht auf Privatsphäre. Ich freue mich immer, wenn mir jemand sagt, dass ich ihm oder ihr etwas bedeute, sei es, weil einer meiner Songs ihnen geholfen hat, die Liebe zu finden, oder weil ihnen ein Konzert von mir besonders gut gefallen hat. Solche Sachen sind mir sehr wichtig. Denn der Grund, warum ich diesen Beruf ausübe, ist folgender: Ich liebe es, den Menschen ein wenig Freude zu bereiten. Und dabei habe ich noch jede Menge Spaß!

Der Ruhm ist ein eigenartiges Phänomen. Du kannst unheimlich viel daraus machen. Es geht ja nicht nur darum, auf der Straße erkannt zu werden oder sich von Fotografen ablichten zu lassen. Ruhm ist auch ein Instrument: Wenn du ihn klug einsetzt, kannst du Millionen von Menschen erreichen und ihnen eine Botschaft vermitteln. Das sage ich mir immer wieder. Natürlich musst du für den Ruhm viele Opfer bringen – im Privatleben wie in beruflicher Hinsicht. Doch das Entscheidende ist, den Ruhm für die wirklich wichtigen Dinge zu nutzen.

Menudo

Mein Vater sagte einmal zu mir: »Ich verfluche den Tag, an dem du bei Menudo eingestiegen bist. An diesem Tag habe ich meinen Sohn verloren.«

Er hatte absolut Recht. In gewisser Weise hat er damals seinen Sohn verloren – und ich meinen Vater.

Zu diesem Zeitpunkt konnten wir natürlich nicht ahnen, was die Zukunft für uns bereithielt. Ich sah lediglich die unzähligen Möglichkeiten, die großartigen, völlig neuen Perspektiven, die sich mir eröffneten. Keiner kann vorhersagen, was geschieht, wenn man einen neuen Weg einschlägt.

Ich hatte nicht die geringste Vorstellung davon, wie lange ich brauchen würde, um mein Ziel, Künstler zu werden, zu erreichen. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich nur, dass ich mir nichts sehnlicher wünschte. Ich hatte hart gearbeitet und war voller Ehrgeiz und Entschlossenheit. Auf der Bühne zu stehen, war mein Traum, und ich war bereit, alles zu tun, um ihn zu verwirklichen. Deshalb war ich geradezu besessen von Menudo und konnte an nichts anderes mehr denken. Im Alter von zehn bis zwölf Jahren konnte ich nachts vor Sehnsucht und Erregung kaum schlafen.

Mit meinem Einstieg bei Menudo wurde mein Traum Realität. Dieser Moment bestimmte den weiteren Verlauf meines Lebens.

Ich habe Menudo unglaublich viel zu verdanken: Erfahrungen und Emotionen, die mich zutiefst geprägt und einen besseren Menschen aus mir gemacht haben. Was ich dafür opfern musste, war meine Kindheit. Aber nicht nur durch die positiven Erlebnisse, sondern auch angesichts dessen, was ich verlor, gewann ich Erkenntnisse von unschätzbarem Wert. Ebenso wenig, wie ich auch nur eine einzige der schönen Erinnerungen an diese Jahre missen will, möchte ich die schwierigen Zeiten, die ich durchgemacht habe, vergessen. Denn diese haben mich abgehärtet. Und erst durch sie erlangte ich die Fähigkeit, die guten Zeiten bewusst zu genießen. So ist es doch im Leben: Ohne das Schlechte wüssten wir das Gute gar nicht zu schätzen.

Als ich klein war, sagte meine Mutter immer zu mir: »Mein Sohn, in diesem Leben ist alles möglich. Du musst nur wissen, wie du es anstellst.« Meine Mutter kennt mich sehr gut und wusste, dass ich schon damals das Maximum wollte. Und das Größte – das war zu dieser Zeit Menudo.

Ich trieb meinen Vater schier in den Wahnsinn, als ich ihn ständig bat, mich zum Vorsingen zu fahren. Ich flehte ihn an: »Fahr mich hin! Fahr mich hin! Bitte fahr mich hin!« Ich versuchte mit allen Mitteln, ihn dazu zu bringen, und nervte ihn so sehr, dass es mich nicht gewundert hätte, wenn er mich schließlich die Klippen hinabgestürzt hätte. Irgendwann sagte er dann: »Na gut, gehen wir.«

Ich war überglücklich.

Das war im Jahr 1983. Heute ist es schwer zu verstehen, welche Rolle Menudo damals spielte. Fest steht jedoch, dass die Band völlig anders war als alles, was es in der Musikszene sonst so gab. Ich würde sogar behaupten, dass Menudo bis zum heutigen Tag ein einzigartiges Kapitel in der Musikgeschichte darstellt. Bevor Bands wie New Edition, The Backstreet Boys, New Kids on the Block, ’N Sync oder Boyz II Men auftauchten, gab es Menudo – die erste lateinamerikanische Boygroup, die internationalen Ruhm erlangte. Die Band war so erfolgreich, dass man von »Menudomania« und »Menuditis« sprach. Es gab sogar Vergleiche mit den Beatles und der Beatlemania.

Menudo erblickte das Licht der Welt, als der Produzent Edgardo Díaz eine Gruppe aus fünf Jungs, alle Puerto Ricaner, zusammenstellte. Das Besondere an Menudo, das die Band unverwechselbar machte und meiner Meinung nach deren lang anhaltenden Ruhm begründete, war der Umstand, dass die Bandbesetzung ständig wechselte. Die Idee bestand darin, dass jedes Mitglied nur bis zum sechzehnten Lebensjahr in der Band bleiben und seinen Platz dann einem Newcomer überlassen sollte. Auf diese Weise blieb die Band stets jung und bewahrte sich die Frische und Unschuld der Jugend. Ursprünglich bestand Menudo aus den drei Meléndez-Brüdern (Carlos, Ricky und Oscar) und den zwei Sallaberry-Brüdern (Fernando und Nefty). Im Jahr 1977 veröffentlichte die Band ihr Debütalbum, und von da an ging es mit ihrer Karriere steil bergauf. Innerhalb weniger Jahren füllten die Jungs Stadien in ganz Lateinamerika, und ihre Fotos zierten die Zeitungen in aller Welt, selbst in Asien. Menudo wurde zu einem internationalen Phänomen. Als die Plattenfirma RCA Wind davon bekam, bot sie ihnen einen Vertrag über mehrere Millionen Dollar an. Dadurch wurden sie noch berühmter und gewannen Millionen junger Fans überall in den USA sowie dem Rest der Welt. Einer der wichtigsten englischsprachigen US-Fernsehsender nutzte die Musik der Band sogar dazu, den Zuschauern Spanisch beizubringen.

Als kleiner Junge (Ende der Siebziger-, Anfang der Achtzigerjahre) war ich ein riesiger Fan von Menudo. Menudo war ein weltweites Phänomen. Eine absolute Sensation! War es daher verwunderlich, dass ich ein Mitglied der Band werden wollte – vor allem auch, da diese in meiner Heimat Puerto Rico ihre Wurzeln hatte? Ich kannte sämtliche Menudo-Songs auswendig, schließlich hatte ich sie schon gesungen, solange ich denken kann. Ich liebte das Singen so sehr, dass ich voller Zuversicht war und spürte, dass es gar nicht so unrealistisch war, Mitglied von Menudo zu werden. Also tat ich alles, um meinen Traum zu verwirklichen.

Aber wie alles im Leben, so war auch mein Einstieg bei Menudo von mancherlei Widersprüchen geprägt. Die Jungs von Menudo waren meine Idole, und ich wünschte mir sehnlichst, Mitglied der Band zu werden. Doch für die meisten Kids in meinem Alter war Menudo reine Mädchensache. Wir waren kulturell und gesellschaftlich darauf gepolt, dass es als unmännlich galt, gerne zu singen und zu tanzen. Folglich machte sich ein Junge wie ich, der es mit Leidenschaft tat, lächerlich. Wenn mich meine Schulkameraden fragten, warum ich bei Menudo einsteigen wolle, lautete meine Antwort deshalb stets: »Wegen den Mädchen, dem Geld und den Reisen.« Ich hätte ihnen die Wahrheit sagen sollen, nämlich dass ich es liebte, auf der Bühne zu singen und zu tanzen. Doch zweifellos hätten sie sich dann über mich lustig gemacht. Für Jungs schickte es sich nicht, Menudo zu »mögen«. Deshalb sagte ich auch weiterhin das, was man von mir erwartete, und wählte somit den Weg des geringsten Widerstandes. Diese Erfahrung hat mich ganz gewiss nicht traumatisiert, doch ich bedaure es heute sehr, dass ich damals nicht den Mut hatte, zu der Sache zu stehen.

Nachdem ich meinem Vater monatelang in den Ohren gelegen hatte, bekam ich also endlich meine Chance. Er fuhr mich zum Casting. Ich erinnere mich noch genau daran, dass ich auf der Fahrt dorthin völlig ruhig und gelassen war. Eine leichte Nervosität wäre sicherlich normal gewesen. Doch ich war total entspannt, weil ich wusste, dass ich überzeugen würde und die Jury keine andere Wahl hätte, als mich zu nehmen.

Und so geschah es dann auch – das heißt fast. Ich kam bei der Jury sehr gut an. Es gefiel ihnen, wie ich sang und tanzte. Allerdings gab es ein Problem: Ich war zu klein. Die anderen Jungs waren anderthalb Köpfe größer als ich, und die Produzenten wollten, dass alle Bandmitglieder ungefähr gleich groß waren. Doch statt mich von dieser Niederlage entmutigen zu lassen, war ich nun noch entschlossener als zuvor. Neun Monate später erschien ich erneut zum Casting. Wieder ohne Erfolg – ich war immer noch zu klein. Einmal schlugen sie vor, ich solle Basketball spielen, vielleicht würde ich dadurch größer! Irgendwie zynisch, oder?

Aber natürlich gab ich nicht auf. Ich probierte es weiter, und beim dritten Anlauf klappte es dann schließlich. Zwar war ich zu diesem Zeitpunkt nicht wirklich viel größer als bei den ersten beiden Versuchen, doch aus welchem Grund auch immer, diesmal schienen sie sich an meiner Statur nicht zu stören. Vermutlich deshalb, weil sie merkten, wie wahnsinnig wichtig es mir war, in die Band zu kommen. »Sieht so aus, als würdest du nicht mehr weiter wachsen!«, meinten sie.

Noch am selben Tag erhielt ich einen Anruf und wurde zu einer weiteren Audition bei einer Assistentin des Bandmanagers bestellt. Ich ging also zu ihr nach Hause und sang ein paar Songs. Dann sagte sie zu mir: »Also, gehen wir ins Büro.« Ich wusste nicht so recht, was ich davon halten sollte, doch ich folgte ihr.

Im Büro der Band erlebte ich dann die erste große Überraschung, denn meine Eltern waren dort. Zuerst wunderte ich mich, warum sie gekommen waren, bis schließlich jemand die freudige Nachricht verkündete: »Du hast es geschafft! Du bist ein Mitglied von Menudo!« Ich war sprachlos. Natürlich freute ich mich riesig, doch zugleich konnte ich es gar nicht fassen. Sie gratulierten mir, und wir feierten meinen Erfolg. Aber was absolut unglaublich war: Sie teilten mir die frohe Botschaft um sieben Uhr abends mit, und um acht Uhr am nächsten Morgen saß ich bereits im Flugzeug nach Orlando, wo die Band ihren Sitz hatte. Gleich nach meiner Ankunft dort gab ich Interviews, traf mich mit Stylisten und wurde neu eingekleidet. In weniger als vierundzwanzig Stunden hatte sich mein Leben komplett geändert.

Ich ließ meine Familie zurück, meine Freunde, meine vertraute Umgebung. Diese schlagartige Veränderung hätte sich traumatisch auswirken können, doch ich fühlte mich wie im siebten Himmel. Ich spürte, dass ich mehr als genug Energie hatte für all das, was auf mich zukommen würde. Innerhalb von zehn Tagen musste ich beispielsweise achtzehn Tanzchoreographien erlernen. Und darauf bin ich mächtig stolz, schließlich brauchten einige Leute vier ganze Tage nur für eine einzige. Es war eine sehr intensive Zeit und bedeutete eine große Herausforderung. Doch ich war so glücklich, dass ich das Gefühl hatte, Bäume ausreißen zu können.

Gerade einmal einen Monat nach meinem Einstieg bei der Band gab ich mein Debüt im Luis A. Ferré Center for Fine Arts in San Juan, Puerto Rico. Ricky Meléndez (das letzte Mitglied der ursprünglichen Besetzung) verließ zu diesem Zeitpunkt die Band. Deshalb kam ihm auch die Aufgabe zu, mich an diesem Abend vorzustellen. Das war etwas ganz Besonderes für mich. Nach der Vorstellung durfte ich allein mitten auf der Bühne singen, während die anderen Bandmitglieder hinter mir auf einer Treppe saßen. Es war ein großartiger Moment. Ich war kein bisschen nervös. Im Gegenteil! Ich nahm das Mikrofon und begann zu singen. Dabei lief ich von einer Seite der Bühne zur anderen und bewegte mich im Rhythmus der Musik. Ich war sehr zufrieden mit meiner Performance, vor allem als das Publikum danach stürmisch applaudierte. Es war ein fantastisches Gefühl, und ich spürte, dass ich von nun an definitiv nichts anderes mehr machen wollte als singen und tanzen.

Doch an jenem Abend bekam ich auch zu spüren, was für eine Disziplin bei Menudo herrschte. Als ich nach meiner Performance von der Bühne ging, erwartete mich der Bandmanager im Backstage-Bereich. Ich war noch ganz berauscht von dem tosenden Applaus, da kam er mir entgegen und fuhr mich an: »Habe ich dir nicht gesagt, du sollst in der Mitte der Bühne bleiben?!«

Er hatte Recht. Ich hatte diese Anweisung wegen der Beleuchtung erhalten, doch im Eifer des Gefechts gar nicht mehr daran gedacht. Ich hätte an einer bestimmten Stelle performen sollen, damit die Jungs vom Beleuchtungsteam ihre Scheinwerfer ständig auf mich richten konnten. Wahrscheinlich verzweifelten sie schier bei dem Versuch, mir mit den Scheinwerfern über die Bühne zu folgen!

Um diesen Fehler wurde so viel Aufhebens gemacht, dass ich mich von da an auf der Bühne nur noch bewegte, wenn es ausdrücklich von mir verlangt wurde. Ich hatte meine Lektion gelernt und würde in den folgenden Jahren noch viele weitere lernen. Bei Menudo galt die Regel: Entweder du fügst dich den Anweisungen, oder du bist draußen. So einfach war das.

Das schöne Leben

Ich hatte sehr hart gearbeitet, um in die Band zu kommen. Aus diesem Grund war ich fest entschlossen, nichts zu tun – oder zu unterlassen –, was mich meinen Platz in der Gruppe kosten konnte. Menudo war nicht nur eine völlig neue Welt für mich, es war eine neue Galaxie! Für unsere Reisen hatten wir einen Privatjet – einen Jumbo 737! Und in den Städten, wo wir auftraten, hatten wir nicht nur eine Hotelsuite oder auch ein ganzes Stockwerk zu unserer Verfügung, sondern das ganze Hotel war für uns reserviert! Manchmal war eine komplette, mit Flipperautomaten und Videospielen äußerst großzügig ausgestattete Etage nur für unsere Unterhaltung bestimmt. Wir lebten in unserem eigenen Disney World – der größte Traum eines jeden Kindes. Wir hatten so viel Spaß! Jeder Tag war ein neues Abenteuer, und ich liebte jede einzelne Sekunde. Wir arbeiteten unheimlich hart, doch wenn dann einmal Entspannung angesagt war, wurden wir wie Könige behandelt.

Ein anderer Grund, warum ich Menudo so liebte, war der, dass die Band wie eine große Familie war. In unserer Freizeit alberten wir herum, quatschten – und zofften uns auch gelegentlich, wie fünf Brüder. Für mich als Jüngster und Kleinster waren die anderen Bandmitglieder wie ältere Brüder. Wenn wir uns in einer Menschenmenge befanden und die Fans uns vor lauter Euphorie schier niedertrampelten, hatten die anderen Jungs inmitten des wahnsinnigen Getümmels ein Auge auf mich. Dadurch fühlte ich mich als jemand ganz Besonderes.

Wir tourten durch die ganze Welt, hatten Gigs in Japan, auf den Philippinen, in Europa und Südamerika. Und zum ersten Mal in der Geschichte der Band machten wir auch eine Tour durch die USA. Im Rahmen dieser Tournee hatten wir auch vierundzwanzig Shows in der Radio City Music Hall in New York. Es war der absolute Hammer zu sehen, wie Abertausende von Menschen den gesamten Verkehr auf der 6th Avenue vor der Halle sowie um den ganzen Block herum zum Erliegen brachten. Von der Garderobe aus blickten wir auf ein riesiges Meer von Menschen hinab. Hunderte von Polizisten mussten an der 63rd Street und an der Ecke Lexington Avenue, wo sich unser Hotel befand, eine menschliche Absperrung bilden.

Unsere Fans waren außer Rand und Band. Sie machten vor nichts Halt. Als wir ein anderes Mal in Argentinien auftraten, tummelten sich vor unserem Hotel mindestens fünftausend Mädchen, mit Buttons, Fotos, Fahnen und all dem anderen Menudo-Zeug. Die Mädchen schrien und kreischten jedes Mal, wenn wir uns an den Fenstern zeigten. Wir brauchten nur einen Arm aus dem Fenster zu halten, und schon brachen sie in Hysterie aus. Sie sangen unsere Songs und bildeten Sprechchöre, so wie man es aus Fußballstadien kennt. Später tauchten dann ein paar Jungs auf. Vermutlich ärgerten sie sich darüber, dass Menudo so viel Aufmerksamkeit von den Mädchen bekam. Sie bildeten eigene Sprechchöre, mit denen sie uns beleidigten und beschimpften. Plötzlich ging einer der Jungs auf die Mädchenschar zu und versuchte, die puerto-ricanische Fahne herunterzureißen. Das hätte er lieber nicht tun sollen! Denn die Mädchen verprügelten ihn derart, dass er es fast nicht überlebt hätte.

Solche Dinge widerfuhren uns ständig – absolut crazy!

Die Veränderung war schon ziemlich krass. Vor meiner Zeit bei Menudo hatte ich in Puerto Rico ein einfaches Leben geführt, umgeben von meiner Familie und meinen Freunden. Ich war damals kaum je aus meinem Wohnviertel herausgekommen. Dann wurde ich quasi über Nacht in eine Welt des Ruhms, des Luxus und der Vergötterung durch die Fans katapultiert. Aus mir, dem von meinen Eltern und Großeltern innig geliebten Jungen, war ein internationaler Star geworden, der durch die ganze Welt reiste und auf einigen der wichtigsten Bühnen des Planeten auftrat. Natürlich gab es immer wieder Momente, in denen ich mich verloren fühlte und mir gewünscht hätte, dass meine Mutter oder mein Vater da wären, um mich zu trösten. Während meiner ganzen Zeit bei Menudo waren sie immer besorgt um mich. Wir telefonierten häufig, aber das reichte oft nicht aus. Ich weiß zum Beispiel noch, dass ich während einer Brasilien-Tour eines Nachts meine Mutter anrief und sagte: »Mami, ich kann nicht mehr. Ich bin fix und fertig. Ich will heim.«

Meine Mutter tröstete mich so gut sie konnte und meinte: »Mein Sohn, wenn du das wirklich willst, mach dir keine Sorgen. Wir sprechen morgen mit den Anwälten und sorgen dafür, dass du nach Hause kommen kannst.« Aber sogleich fügte sie hinzu: »Jetzt ist es zu spät dafür, aber wenn du willst, rufe ich den Anwalt gleich morgen früh an.«

Nach dem Gespräch mit ihr beruhigte ich mich und fiel in einen erholsamen Schlaf. Und am nächsten Morgen hatte ich völlig vergessen, warum ich am Vorabend so verzweifelt gewesen war. Ich rief in aller Frühe meine Mutter an und sagte: »Mami, es geht mir wieder gut! Mach dir keine Sorgen. Du brauchst die Anwälte nicht anzurufen. Es ist alles in Ordnung.«

Durch die Reaktion meiner Mutter fühlte ich mich gleich viel besser. Hätte ich mich zu diesem Zeitpunkt tatsächlich entschieden, aus der Band auszusteigen, wäre das eine ziemlich komplizierte Angelegenheit gewesen. Wahrscheinlich wäre ich wegen Vertragsbruch verklagt worden, und die Nachricht hätte sich wie ein Lauffeuer in den Medien verbreitet. Die Leute hätten mir alle möglichen Fragen gestellt, und es hätte Gerüchte darüber gegeben, warum ein Bandmitglied die Gruppe zu einem Zeitpunkt verließ, wo doch alles anscheinend perfekt lief. Heute ist mir klar, dass ich mir mit einem vorzeitigen Ausstieg aus der Band riesige Probleme eingehandelt hätte. Doch trotz der möglichen Konsequenzen war meine Mutter bereit, die Sache in die Hand zu nehmen. Ihr war nur wichtig, dass ich nicht mehr so niedergeschlagen war wie in jener Nacht am Telefon.

Ich machte also weiter. Ebenso wie alle anderen Menschen, die morgens aufstehen und zur Arbeit gehen müssen, hatte auch ich Augenblicke der Erschöpfung und der Angst. Doch die Euphorie, die mich permanent umgab, war ein ständiger Ansporn für mich. Ich spürte, dass etwas Außergewöhnliches mit mir geschah. Und deshalb wollte ich trotz gelegentlicher Krisen nichts von alldem missen.

Kontakt zu anderen Kids

Meiner harten Arbeit verdanke ich es, dass ich viele großartige Erfahrungen machen konnte und viele großartige Menschen kennengelernt habe. Dieser Zusammenhang wurde mir besonders deutlich bewusst, als wir UNICEF-Botschafter wurden. Die Bandmanager wollten unsere Reisen in die ganze Welt optimal nutzen. Deshalb luden wir in unserer Funktion als Botschafter unterprivilegierte Kinder, deren Realität eine völlig andere war als unsere, zu unseren Shows ein. Oft waren es Waisen oder Kinder, die auf der Straße lebten und schon sehr früh in ihrem Leben großes Leid erfahren mussten.

Ich glaube, zu diesem Zeitpunkt fand unser »kleinstes« Konzert vor rund 70 000 Zuhörern statt. Zugleich stellten wir bei unserem Auftritt im Morumbi-Stadion in São Paulo mit 200 000 Besuchern einen Weltrekord auf. Doch sobald wir dann Zeit mit diesen Kindern verbrachten, um ein wenig Freude in ihr Leben zu bringen, existierte der ganze Glamour – Privatjets, Luxushotels, Privatköche, eigene Bodyguards, Privatlehrer, Assistenten und so weiter – gar nicht mehr. Die Organisatoren sagten damals zu uns: »Hört mal zu! Ihr werdet jetzt Kinder kennenlernen, die nicht weniger wert sind als ihr. Nur führen sie ein völlig anderes Leben.« Die Chance, mit diesen Kindern zusammen zu sein, empfinde ich als eine der wertvollsten Erfahrungen überhaupt, die ich Menudo zu verdanken habe. Ich lernte, das Leben aus einer anderen Perspektive zu betrachten und Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Diese Lektion ist für einen Heranwachsenden, der von Reichtum und Luxus umgeben ist, von größter Bedeutung.

Mir wurde damals klar, wie viele Kinder vor allem die Schattenseiten des Lebens kannten. Das war nicht einfach für mich. Es war wohl so etwas wie ein Realitätsschock, doch die Erfahrung hat mir sehr viel gegeben. Es war auch deshalb etwas Besonderes, weil ich der Jüngste in der Band war – ich war damals zwölf. Das zweitjüngste Bandmitglied war vierzehn Jahre alt. Es ist ein großer Unterschied, ob man zwölf oder vierzehn ist. Und fast alle Kinder, die wir zu unseren Shows einluden, waren so alt wie ich oder noch jünger. Deshalb gelang es mir innerhalb kürzester Zeit, eine besondere Beziehung zu ihnen aufzubauen. Sie hatten eine völlig andere Lebenserfahrung als ich, und so konnte ich unglaublich viel von ihnen lernen.

Es war nicht so, dass ich ein schlechtes Gewissen bekam, weil es mir in materieller Hinsicht so viel besser ging als diesen Kindern. Im Gegenteil: Ich fühlte mich gut, weil ich etwas mit ihnen teilen konnte. Aber zugleich wurde mir bewusst, dass sie viele Dinge besaßen, die ich nicht hatte – zum Beispiel Freiheit. Alles im Leben ist relativ, und was für dich das Normalste der Welt ist, kann für einen anderen etwas sehr Wertvolles sein. Diese Kinder hatten trotz ihrer materiellen Armut die Freiheit, jederzeit dorthin gehen zu können, wo sie wollten. Und so sehr ich es auch genoss, auf der Bühne zu stehen und von den Fans umschwärmt zu werden, mir wurde damals klar, dass ich ein sehr streng geregeltes Leben führte. Ein typischer Tag begann für uns um acht Uhr morgens mit Schulunterricht. Vor dem Mittagessen mussten wir Platten signieren. Und am Nachmittag standen dann Fotoshootings, Proben und Interviews auf dem Programm. Diese Kinder dagegen konnten tun und lassen, was sie wollten, sie lebten schließlich auf der Straße. Zugegeben, diese Freiheit ist mit vielen Entbehrungen verbunden. Trotzdem wurde mir der Gegensatz zwischen uns damals voll bewusst: Ich selbst hatte, auch wenn ich nur eine Runde um den Block drehen wollte, jedes Mal um Erlaubnis zu fragen. Sie dagegen mussten zu niemandem hingehen. Wir wurden keinen Moment aus den Augen gelassen und mussten aus Sicherheitsgründen eine ganze Reihe von Regeln befolgen. Keine Frage: Ich hatte ein wunderbares, einzigartiges und glückliches Leben. Doch die absolute Freiheit dieser Kinder hatte in meinen Augen auch etwas für sich.

Ich bin nicht sicher, ob mir damals klar war, welche Auswirkungen diese Erfahrungen langfristig auf mein Leben haben würden. In diesem Moment dachte ich bestimmt nicht: »Diese Erfahrung wird mein Leben für immer beeinflussen.« Ich glaube, ich habe erst viele Jahre später erkannt, wie sehr mich die Zeit, die ich mit diesen Kindern verbrachte, geprägt hat. Denn diese Erfahrungen legten den Grundstein zu der philanthropischen Arbeit, die ich später begann und bis zum heutigen Tag fortführe.

Lektionen fürs Leben

Die Jahre bei Menudo waren für mich eine Zeit zahlreicher Veränderungen und lehrreicher Erfahrungen. Zum einen war Menudo gewissermaßen meine Jugend, eine sehr wichtige Entwicklungsphase eines jeden Menschen. Zum anderen lernte ich in dieser Zeit Disziplin und konnte an meiner Aufgabe wachsen. Was ich damals gelernt habe, bildete zweifellos die Basis für alles, was danach kam. Ohne meine ganzen Erlebnisse und Erfahrungen bei Menudo wäre ich nicht dort angelangt, wo ich heute bin.

Während des Schreibens wird mir klar, dass ich eine sehr intensive und ungewöhnliche Jugend hatte. Damals jedoch schien sich alles ganz natürlich zu entwickeln. Trotz des ganzen Rummels war und blieb ich ein Junge mit ganz ähnlichen Bedürfnissen, Interessen, Ängsten und Zweifeln wie andere Jungen in meinem Alter auch. Nur musste ich eben im Rampenlicht der Bühne erwachsen werden, weit weg von meinen Eltern und unter den Augen Tausender und Abertausender Menschen. Ich und die anderen Menudo-Mitglieder waren gerade mal vierzehn, fünfzehn und sechzehn Jahre alt und wurden von circa 250 000 Mädchen bestürmt. Konnte ich mit dieser Situation überhaupt umgehen? Damals hätte ich die Frage sofort bejaht. Doch später wurde mir klar, dass ich zu dieser Zeit meilenweit davon entfernt war.

Als ich in die Band einstieg, hatte ich von Sex keinen blassen Schimmer – für einen Zwölfjährigen sicherlich bis zu einem gewissen Grad völlig normal. Doch in meiner Familie wurde über dieses Thema auch nie gesprochen. Kaum zu glauben, nicht? Heute muss ich darüber schmunzeln. Denn mein Vater ist ein sehr attraktiver Mann, der das Leben genießt, seine Romanzen hatte und heute eine schöne Frau an seiner Seite hat. Da hätte er mich doch zumindest ein bisschen aufklären können. Doch das Thema Sexualität wurde – sei es aus Scheu oder aus Schamgefühl – konsequent gemieden.

Mein Vater war damals wahrscheinlich der Meinung, ich sei noch zu jung, um aufgeklärt zu werden. Verständlich. Doch Sexualität war ein Thema, das bereits von allen Seiten auf mich einstürmte: Durchs Fernsehen, durch Gespräche mit Schulkameraden oder älteren Geschwistern und Cousins. Die heutigen Kinder sind diesen Informationen viel stärker ausgesetzt als frühere Generationen. Dank Internet brauchst du nur eine Taste zu drücken, und schon landest du in einer Welt, von der du nie zu träumen gewagt hättest. Deshalb ist es wichtig zu wissen: Wenn dein Sohn oder deine Tochter zu dir kommt und dich so etwas fragt, was ich damals meinen Vater gefragt habe, kannst du dir fast sicher sein, dass er oder sie die Antwort schon kennt. Die Kinder wollen nur sehen, welche Antwort du ihnen darauf gibst. Sie wollen testen, ob du es draufhast. Deshalb sollte man unbedingt mit seinen Kindern offen über das Thema sprechen, bevor sie von einer wildfremden Person aufgeklärt werden.

In der Familie haben wir immer ganz offen über viele Dinge gesprochen. Mit meiner Mutter konnte ich schon immer gut reden, und auch zu meinem Vater habe ich heute einen sehr guten Draht. Doch das Thema Sex war damals aus irgendeinem Grund tabu. Mein Vater ist ein großartiger Mensch. Er ist von Beruf Psychologe und hat eine ganz eigene, sehr offene Sichtweise der Dinge. Alle lieben ihn. Er hat jahrelang mit psychisch Kranken in Puerto Rico gearbeitet, und der Himmel weiß, was für Geschichten er sich anhören musste. Doch ich bin davon überzeugt, dass er gerade aufgrund dieser Erfahrungen und natürlich seines besonderen Wesens so liebevoll zu seinen Mitmenschen ist. Er war schon immer ein absoluter Familienmensch, und die Beziehung, die wir heute zueinander haben, zeigt, wie viel er mir gegeben hat und immer noch gibt. Ich bin 39 Jahre alt, mein Vater ist 62. Und obwohl wir während eines großen Teils meiner Jugend voneinander getrennt waren, haben wir das Versäumte wettgemacht und stehen uns heute sehr nahe.

Obwohl ich also damals dank Menudo ein großer Star war, entpuppte ich mich in anderer Hinsicht als Spätzünder. Viele meiner Freunde hatten bereits Herzen gebrochen und sogar schon mit Mädchen geschlafen. Um ehrlich zu sein, alle außer mir. Das heißt, ich war von all meinen Freunden die einzige Jungfrau, und deshalb setzten sie mich permanent unter Druck. Ständig fragten sie: »Wann passiert’s? Wann bist du bereit dafür?« Bis schließlich der Tag kam, an dem ich mit einem Mädchen Sex hatte. Sie war ganz nett, doch ich machte es in erster Linie, weil meine Freunde mich dazu drängten. Zudem herrscht in unserer Gesellschaft ein gewisser Druck, dass man als Mann niemals nein sagen sollte, wenn man die Gelegenheit zum Sex hat. Das galt erst recht für mich als Mitglied von Menudo, denn in der Band gab es eine stillschweigende Übereinkunft, dass derjenige von uns am erfolgreichsten war, der die meisten Mädchen rumkriegte. Ich wusste, dass ich meine Pflicht erfüllen musste. Doch ich fühlte mich unwohl dabei und konnte diesen Moment, den ich mir romantischer, vielleicht auch etwas leidenschaftlicher vorgestellt hatte, überhaupt nicht genießen.

Sie war ein hübsches Mädchen, und ich mochte sie. Doch es bestand zwischen uns keinerlei Intimität, keine Nähe, nichts. Aus diesem Grund fand ich die Erfahrung nicht besonders spektakulär. Ich weiß noch, dass ich hinterher dachte: »Das war’s?« Und: »Ist es das, wovon alle gesprochen haben? O wie furchtbar!« Natürlich hatte es nichts mit dem Mädchen zu tun, sondern mit den damaligen Umständen. Ich empfand die ganze Situation als unangenehm und sogar ein wenig komisch. Ich bin sicher, es gibt eine ganze Menge Leute, egal ob homo oder hetero, die sich mit mir identifizieren können und ihr erstes Mal auch nicht gerade prickelnd fanden. Wie hätte das auch sein sollen? Schließlich hatten wir keine Ahnung von dem, was wir da taten. Später lernte ich dann natürlich Frauen kennen, für die ich wirklich etwas empfand und mit denen ich eine fantastische Beziehung hatte. Und als ich entdeckte, was für intensive Gefühle beim Sex zwischen Mann und Frau entstehen können, konnte ich das Zusammensein mit Frauen eher genießen.

Das Ende einer Ära

Menudo brachte in der Zwischenzeit weitere Alben heraus und ging weiterhin auf Tournee. Doch obwohl es nach außen hin so schien, als würde es für mich und die Band hervorragend laufen, machten sich im Inneren für beide Seiten Probleme bemerkbar. 1987 gingen unsere Albumverkäufe zurück, und wir mussten die Plattenfirma wechseln. Deshalb sahen wir uns gezwungen, uns ein komplett neues Image zuzulegen. In punkto Klamotten und Frisuren orientierten wir uns nun eher an der Rockmusik, und auch unser Musikstil veränderte sich. Wir ließen den Pop hinter uns und wandten uns einem härteren Genre zu. Wir veröffentlichten das spanischsprachige Album Somos los Hijos del Rock. Für unsere Fans auf den Philippinen nahmen wir eine Version mit dem Titel In Action auf, das Songs in Englisch sowie Tagalog, der am meisten verbreiteten Sprache auf den Philippinen, enthielt. Kurz darauf erschien das englischsprachige Album Sons of Rock, mit dem wir einen weiteren Hit landeten (»You Got Potential«). Diesem Erfolg verdankten wir eine Tour durch die Vereinigten Staaten, bei der wir in vierzig Städten auftraten. Es war eine total spannende Phase, da wir uns selbst neu erfinden und unseren Fans einen neuen Musikstil präsentieren konnten.

Was sich in diesen Jahren nicht änderte, war unsere Arbeitsweise. Von all den Dingen, die ich bei Menudo gelernt habe, hatte die Disziplin den größten Einfluss auf meine Karriere und meinen Charakter. Wir sagten niemals nein, ganz gleich, worum man uns bat. »Klar, machen wir!«, lautete unsere Antwort stets. Wir gingen überall hin, jeder Anlass war uns recht – Promo-Gigs, Radio-Interviews, Autogrammstunden im Plattenladen für die Fans, Bandproben. Wir nutzten jede Gelegenheit, uns der Öffentlichkeit zu präsentieren. Oft machten wir all diese Dinge an ein und demselben Tag: Morgens in aller Frühe starteten wir beispielsweise mit einem Radio-Interview. Anschließend hetzten wir zum Fotoshooting bei der Presse. Von dort aus ging es zum Plattenladen und später in ein Krankenhaus wegen einer Benefizveranstaltung. Danach standen Probe und Soundcheck für die abendliche Show auf dem Programm. Es war total anstrengend. Oft arbeiteten wir vierzehn Stunden am Stück, und das fünf oder sechs Tage hintereinander. Am siebten Tag stiegen wir dann ins Flugzeug oder in den Bus, um die nächste Stadt anzusteuern.

Ich hatte mich bei Menudo derart verausgabt, dass ich in meinem letzten Jahr dann die Schnauze voll hatte. Nach wie vor liebte ich die Auftritte, die Musik, das Gefühl, auf der Bühne zu stehen. Doch ich fühlte mich völlig ausgepowert. Ich konnte einfach nicht mehr. Der Bandmanager bat mich, noch ein Jahr dabeizubleiben, weil einige der anderen Jungs die Band gerade zu diesem Zeitpunkt verließen. Ich verspürte zwar nicht die geringste Lust dazu, aber ich willigte ein. Mein ursprünglicher Vertrag mit der Band lief über drei Jahre, doch ich war damals bereits vier Jahre dabei gewesen. Mit diesem letzten Jahr waren es also insgesamt fünf Jahre.

Um ehrlich zu sein, ich bin nur deshalb geblieben, weil ich die Band wie auch die Crew sehr mochte und großen Respekt vor allen Beteiligten hatte. Nach den vielen gemeinsamen Jahren auf Tour waren wir schließlich zu einer richtigen Familie zusammengewachsen. Auch abgesehen von der rein geschäftlichen Beziehung empfanden wir große Sympathien füreinander. Deshalb wollte ich die anderen zu einem Zeitpunkt, wo sie mich brauchten, nicht hängen lassen. Ich blieb also ein weiteres Jahr in der Band, allerdings zu meinen eigenen Bedingungen. Darauf hatte ich bestanden, und sie hatten es bereitwillig akzeptiert. In meiner ersten Zeit bei Menudo konnten beispielsweise nur zwei von uns, darunter ich, Englisch sprechen. Deshalb wurden mein Bandkollege und ich jedes Mal eingespannt, wenn wir ein Interview auf Englisch geben mussten. Die anderen Bandmitglieder durften währenddessen im Hotelzimmer entspannen und fernsehen. Das fand ich ziemlich unfair – auch ich hätte mich lieber ausgeruht! Deshalb bat ich den Manager, den Job in meinem letzten Jahr von jemand anderem machen zu lassen. Ich wollte nur noch bei den Auftritten dabei sein und sonst nichts. Zum Glück akzeptierten sie meine Bedingungen, und so haben wir es dann auch gehandhabt.

Dies war weder Arroganz meinerseits, noch wollte ich den anderen irgendwelche Schwierigkeiten machen. Ich wollte einfach nur raus aus der Band. Abgesehen davon, dass ich die Plackerei satt hatte, während die anderen Jungs sich mit Sportwagen, Motorrädern und dem ganzen Schnickschnack ein schönes Leben machten. Ich erhielt ein mageres Gehalt von 400 Dollar im Monat. Denn als ich der Gruppe beitrat, beschlossen meine Eltern und ihre Anwälte, mein Geld treuhänderisch zu verwalten, um jegliche Missverständnisse zu vermeiden. Von diesem Konto durfte ich monatlich 400 Dollar abheben. Das restliche Geld würde bis zu meinem achtzehnten Lebensjahr dort eingefroren bleiben. Ich war sauer, dass ich für meine harte Arbeit so schlecht bezahlt wurde. Sicherlich gibt es eine Menge Leute, die sehr viel härter arbeiten, als ich es damals tat, und noch weniger verdienen. Doch ich war ein Teenager, und mein Vergleichsmaßstab waren nun einmal die anderen Menudo-Mitglieder. Deshalb kam es mir vor, als bekäme ich überhaupt nichts.

In meinen Augen gab es viele Gründe, eine Veränderung in meinem Leben zu suchen: Ich wollte mir den ganzen Stress nicht mehr antun, war sauer, weil ich so kurzgehalten wurde, doch vor allem suchte ich einfach eine neue Herausforderung. Die jahrelange Zusammenarbeit mit Menudo hatte mich in vielerlei Hinsicht verändert. Ich wurde allmählich erwachsen und wünschte mir nichts sehnlicher, als in mich gehen und intensiv darüber nachdenken zu können, was ich aus meinem Leben machen wollte.

Ich verließ Menudo also im Juli 1989. Mein Abschiedskonzert mit der Band fand im Luis A. Ferré Center for Fine Arts in San Juan statt. Dies war für mich der perfekte Ort, um meine Karriere bei Menudo zu beenden. Schließlich hatte ich dort auch mein Debüt mit der Band gegeben. Es war nun Zeit, dieses Kapitel abzuschließen und mich neuen Dingen zuzuwenden.

Nach der Show kehrte ich nach Hause zurück, ohne die geringste Ahnung zu haben, was ich mit meinem Leben anfangen sollte. Klar, ich musste die High School beenden, doch was meine Karriere betraf, war meine Zukunft völlig ungewiss. Nun hatte ich mich erst einmal wieder an das Zusammenleben mit meiner Familie zu gewöhnen. Das ist zweifellos für jeden Teenager eine schwierige Sache. Doch in meinem Fall, denke ich, machten es mir die Umstände noch schwerer, mich anzupassen. Schließlich war es mittlerweile fünf Jahre her, dass ich das letzte Mal mit ihnen zusammengelebt hatte. Und die Erfahrungen, die ich bei Menudo machte, hatten mit meinem Leben zu Hause, im Schoß der Familie, nicht das Geringste zu tun. Ich fühlte mich ausgeschlossen, einsam, verloren.

Viele Leute glauben, dass mich der Song »Livin’ La Vida Loca« am besten charakterisiert. Das ist allerdings ein Irrtum. Der Song, der mein Leben am treffendsten beschreibt, stammt aus der Feder des großartigen Künstlers und Komponisten Ricardo Arjona. Das eigens für mich geschriebene Stück hat den Titel »Asignatura Pendiente« (»Anstehende Aufgabe«). Der Songtext schildert auf brillante Weise jenen Tag im Jahr 1984, an dem ich Puerto Rico zum ersten Mal verließ: Deine winzige Hand winkt zum Abschied / An jenem verregneten Nachmittag in San Juan / Mit den Küssen, die ich mitnehme. Ohne mir dessen bewusst zu sein, ließ ich am Tag meiner Abreise aus Puerto Rico diejenigen zurück, die mich liebten. Ich ließ meine Kindheit zurück. Ich blickte nach vorn und sah nichts als blauen Himmel und ein gewaltiges Universum unzähliger Möglichkeiten. Jetzt, wo ich wieder zu Hause war, sah derselbe Himmel grau und verschwommen aus, und die unzähligen Perspektiven, die sich mir zuvor eröffnet hatten, lösten sich in Luft auf.

Der Text von Arjonas Song beschreibt die Herausforderung und das Geheimnis des Erfolgs. Erfolg ist ein zweischneidiges Schwert. Denn für jede Sache, die man tut, muss man eine andere opfern. Für jeden Weg, den man einschlägt, bleibt ein anderer unerforscht. Das ist das Gesetz des Lebens. Ich habe mich bewusst für die Bühne entschieden. Ich wollte vor einem Publikum auftreten, den Applaus hören und bewundert werden. Dieses Gefühl erfüllt und beglückt mich ungemein. Doch heute weiß ich, dass die Liebe meiner Fans manchmal ihren Preis hat. Ihre überwältigende Liebe ist etwas Wunderbares, doch die Intensität des Ruhms kann manchmal auch schmerzlich sein.

In meinem Land gibt es das folgende Sprichwort: »No hay mal que por bien no venga« (»Es gibt kein Übel, das nicht auch zu etwas Gutem taugt«). Ich finde, wir sollten uns stattdessen lieber einen Spruch zu Eigen machen wie diesen hier: »Heute entscheide ich mich für den Weg, der schon immer meiner war.« Es als Fehler zu betrachten, dass ich Puerto Rico an jenem Tag verließ, hieße, all die wundervollen, außergewöhnlichen Dinge, die danach geschahen und die mir entgangen wären, wenn ich zu Hause geblieben wäre, zu ignorieren. Ich denke, es war weder völlig richtig noch völlig falsch, meine Heimat verlassen oder die Zeit bei Menudo verbracht zu haben. Es war richtig und falsch zugleich. Ich musste das tun, was ich tat, um dorthin zu gelangen, wo ich heute bin.

Wir werden alle unterschiedlich schnell erwachsen. Einige Menschen haben das Glück, unter der Anleitung und der liebenden Fürsorge ihrer Eltern aufzuwachsen, andere müssen sich den Umständen anpassen und schon sehr früh in ihrem Leben erwachsen werden. Ich gehöre zu den Letzteren. Im Alter von zwölf Jahren bot sich mir eine Chance, die mein ganzes Leben auf den Kopf stellte: Menudo. Es war eine der erfolgreichsten Bands der Musikgeschichte, und als ich schließlich ein Teil davon wurde, ging ein Traum in Erfüllung. Menudo war alles, was ich mir je gewünscht hatte. Doch wie alle großartigen Dinge im Leben war auch diese Erfahrung mit vielen Opfern verbunden: Ich musste meine Familie, meine Schule und meine Freunde zurücklassen – alles, was mir vertraut war. Ich opferte meine Jugend und meine Unschuld. Aber obwohl mir heute klar ist, dass ich mir diese Dinge niemals wieder zurückholen kann, bereue ich definitiv nichts. Es war zwar ein schwieriger Prozess, aber darum geht es schließlich beim Erwachsenwerden: Du stellst dich den Herausforderungen, die das Leben für dich bereithält, und wächst an ihnen.

Als ich damals das erste Mal nach Hause zurückkehrte, war mir selbst noch nicht bewusst, wie mich meine neuen Erfahrungen verändert hatten. Meine Entwicklung war noch längst nicht abgeschlossen. Zwar war ich in vielerlei Hinsicht schon sehr erwachsen – ich hatte intensiv gelebt, war viel gereist und hatte jede Menge Erfahrungen gesammelt. Jedoch war mir damals nicht klar, welchen spirituellen Weg ich einschlagen sollte, um zu mir selbst zu finden. Während meiner Zeit bei Menudo hatte ich eine Menge gelernt und mich in geradezu beängstigendem Tempo entwickelt. Ich lernte nicht nur zu singen, zu tanzen und all die anderen Dinge, die man für eine Karriere im Showbusiness braucht. Ich begann zugleich, die Welt auf eigene Faust zu erkunden, ohne Aufsicht durch meine Eltern, die mich beschützten. Natürlich resultierten daraus so manche Defizite, und schon bald nach meiner Heimkehr machten mir Unsicherheit, Angst und Orientierungslosigkeit, wie sie wohl jeder Teenager kennt, schwer zu schaffen. Erst nach der Rückkehr auf meine Heimatinsel und in den Schoß der Familie bemerkte ich diese innere Leere. Ebenso wie viele andere Menschen glaubte auch ich damals, Glück sei etwas, das ich außerhalb meiner selbst und nicht in mir finden konnte.

ICH

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