Читать книгу Schaaf ermittelt - R.J. Simon - Страница 4

2.

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„Hier ist der Bericht des Fallanalytikers.“

„Ja, leg ihn zu den Akten“.

„Willst du es wieder nicht lesen?“

„Bert, ich habe es dir doch schon so oft erklärt: Ich will mich nicht durch so etwas beeinflussen lassen. Ich verlasse mich lieber auf meine eigene Nase, auf das, was ich sehe, die Fakten, meine Erfahrung und mein Gespür. Was ist, wenn der Herr Analytiker sich irrt und mir zum Beispiel einen Mann Anfang 20 beschreibt. Dann suche ich den und lasse vielleicht den wirklichen Täter außer Acht, weil der in Wirklichkeit über 40 ist.“

„Na gut, du bist der Boss.“

Bert war ein Mitarbeiter der ersten Stunde von Schäfchen. Als er seinerzeit die Stelle als Kommissar antrat, wurde ihm Bert zur Seite gestellt. Schon damals kannten sie sich bereits viele Jahre. Sie hatten ihre Ausbildung gemeinsam erlebt und auch ihre Dienstzeit von Anfang an zusammen durchgestanden. Inzwischen entwickelte sich daraus eine gute tiefgründige und feste Freundschaft. Schäfchen verließ sich auf Bert und teilte ihm oft innerhalb eines Falles Arbeiten zu, die er dann selbständig erledigte. Sie wirkten schon wie ein altes Ehepaar. Jeder kannte den anderen wie sich selbst; wusste, wie er tickte und was er dachte. Bert war der einzige Kollege im gesamten Kommissariat, der es sich erlauben durfte, eine leise Kritik an dem Chef anklingen zu lassen.

„Ja ich weiß, du willst nicht den Tunnelblick bei deinen Fällen bekommen.“

„Eben genau deswegen“, dann musste Schäfchen lachen und fügte hinzu: „Und das sagst du einem, der aus dem Tunnel kommt“.

Seinem Freund und Kollege Bert wurde erst dadurch bewusst, was er da ausgesprochen hatte. Der neue Herr Busch verstand diesen Insidergag nicht und das Unverständnis glänzte regelrecht aus seinem Blick. Der Chef verließ gleich darauf das Büro, weil er sich mit dem Pathologen noch einmal über die Spuren an der Leiche unterhalten wollte, was Busch die Gelegenheit gab, den Kollegen Bert zu fragen, was es mit dem Tunnel auf sich hatte.

„Wie meinte der Chef das eben mit dem Tunnel?“

„Weißt Du das noch nicht? Er wohnt in einem Tunnel. Vor einigen Jahren wurde eine Umgehungsstraße geplant, die durch den Berg gehen sollte. Mit dem Ziel den Verkehr aus den Städten umzuleiten und so den Bewohnern mehr Ruhe zu gönnen.

Es wurde eine Straße, am Rande der Rheinebene im Odenwald, nähe Weinheim zu dem Berg hin gebaut und begonnen, den Tunnel in den Fels zu bohren. Irgendwann ging das Geld aus, die veranschlagten Kosten waren viel zu tief angesetzt und aus Sparmaßnahmen wurde dieses Vorhaben dann komplett gestoppt. Die Bohrung war bereits fast 30 Meter in den Berg vorangetrieben worden. Über den Innenminister, den der Chef bei einer Tagung kennenlernte, bekam er die Möglichkeit den Tunnel zu kaufen, tat das auch und baute den innen zu einer Wohnung aus.“

„Ne, oder? Du willst mich verarschen?“

„Wirklich! Ich erzähle dir keinen Mist. Das ist eine echt abgefahrene Wohnung. Auf der einen Seite ist sozusagen der Flur und auf der anderen geht es in die Zimmer. Mit den rauen Felswänden sieht das echt toll aus. Den gesamten Flur entlang sind beiderseits an den rauen Wänden Lampen angebracht, die die Form von altertümlichen Fackeln haben. Das sieht super aus!

Die Einrichtung hat seine Frau ausgesucht und die passt ganz genau zu dem Flair, das in dem Tunnel herrscht. Natürlich gibt es in der Wohnung keine Fenster, aber die Beleuchtung ist hervorragend gelöst und es gibt ein erstklassiges Belüftungssystem. Es ist viel mit indirekter Beleuchtung gemacht. Da gibt es Nischen in denen Leuchtkörper sitzen, die mit Milchglasscheiben abgedeckt sind und die Tische werden mit Spots erhellt. Du wirst diese außergewöhnliche Wohnung sicherlich einmal sehen können.“

„Meinst du? Würde ich mir so etwas echt gerne mal ansehen.“

„Ja klar. Der Chef macht zum Jahresende hin immer ein Essen privat, um sich bei seinen Leuten für die Arbeit im vergangenen Jahr zu bedanken. Dazu lädt er jeden aus seiner Abteilung in sein außergewöhnliches Heim ein. Also wirst auch du das nächste Mal dabei sein.“

„Klasse! Da freue ich mich drauf. Und das sind richtige Räume in dem Tunnel?“

„Ja. Es geht durch eine massivhölzerne Tür, fast wie in einer Ritterburg in den Tunnel hinein. Dann kommt man in eine Vorhalle, die etwas von einem Burgverlies hat, wegen der rauen Wände, die bis hin zur gewölbten Decke reichen. Anschließend erstreckt sich der Flur bis zum Ende der Tunnelbohrung. Von dem aus geht es dann in die einzelnen Räume. Die Küche und das Esszimmer sind offen gebaut und die Arbeitsplatte ist als Theke ausgearbeitet. Echt toll, das sieht ähnlich aus, wie in einer Burg der Festsaal! Der Boden ist mit Naturstein ausgelegt und es gibt, so viel ich weiß darunter eine Fußbodenheizung. Das Klima in dem Tunnel ist unglaublich angenehm. Man fühlt sich darin richtig wohl“, schwärmte Bert weiter.

„Dann hat der Chef also auch gute Beziehungen zum Innenminister, wenn der ihm ermöglichte den Tunnel zu kaufen?“

„Soweit ich weiß sind sie inzwischen gute Freunde. Aber er nutzt das nicht aus, wenn du das meinst. Der Chef hatte auch schon vorher immer die beste Aufklärungsrate und war hier im Dezernat jemand, auf den gehört wurde. Nur unser großer Chef, der Dezernatsleiter meint er müsse ihn stets belehren und zweifelt oft an seinem Können. Es hat noch keiner so oft die goldene Lupe verliehen bekommen, wie unser Schäfchen.“

„Die goldene Lupe? Was soll denn das sein?“ fragte der neue Assistent, der mit den Gepflogenheiten natürlich noch nicht vertraut war.

„Das ist eine Auszeichnung, die bei der offiziellen Weihnachtsfeier am Ende des Jahres der erfolgreichste Ermittler als Anerkennung für seine Leistung überreicht bekommt. Der Einzige, der unserem Chef den Rang ab und zu streitig macht, ist der Kollege Schimmelbusch. Aber total gesehen hat unser Chef den Sieg öfter nach Hause getragen.“

„Nicht schlecht.“

„Ja, du ahnst nicht wie gut er ist. Du kannst eine Menge von ihm lernen wenn du aufpasst und Interesse zeigst.“

„Er soll aber auch teilweise seltsame Methoden haben wurde mir erzählt.“

„Stimmt! Er besteht zum Beispiel darauf, mit einer aufgefundenen Leiche einen Moment alleine zu sein, nachdem die Spurenaufnahme beendet ist. Dann beugt er sich meist zu dem toten Körper hinunter und verharrt für eine Weile so. Keiner weiß, was er da macht. Noch nicht einmal mit mir hat er jemals darüber gesprochen. Aber er klärt jeden Mord auf, das ist Fakt. Und das meistens in Rekordzeit.“

„Das habe ich jetzt selbst schon gesehen, bei unserer Mumienleiche. Mit der blieb er auch ein paar Minuten alleine und ungestört.“

Bert und Busch beendeten gerade ihr Gespräch über die außergewöhnliche Wohnung und die Eigenarten des Chefs, als der wieder das Büro betrat. Dass Bert und sein Assistent gerade über ihn sprachen, konnte er nicht mitbekommen haben, denn der letzte Satz dazu war längst ausgesprochen, bis er in der Tür stand. Herr Busch nahm das erleichtert zur Kenntnis, denn es wäre ihm sehr unangenehm gewesen, wenn er befürchten müsste, dass der Chef bemerkt hätte, wenn er in seiner Abwesenheit über ihn sprach.

„So Leute, wenn ihr gerade nicht etwas Dringendes erledigt, unterbrecht alle einmal, damit wir kurz über den neuesten Stand reden können“, rief Schäfchen in das kleine Büro, wo all seine Mitarbeiter gerade versammelt waren.

„Sie meinen ein Update“, fragte Herr Busch gleich übereifrig und weltklug grinsend zurück.

„Ich meine einen Abgleich über den aktuellen Stand und die neuesten Erkenntnisse. Warum müsst ihr jungen Leute alles in Englisch ausdrücken? Das werde ich nie verstehen.“

Kriminalhauptkommissar Schaaf stellte damit gleich seine Einstellung zu der „Verenglischung“ der deutschen Sprache klar, mit der er sich nicht abfinden konnte und unermüdlich dagegen ankämpfte. Herr Busch reagierte ein wenig verlegen, weil er mit seinem Vorpreschen und der Benutzung des modernen Ausdrucks die Aversion des Chefs auf dem Gebiet weckte. Wieder ein Fettnäpfchen, in das er mit beiden Beinen sprang!

„Also“, eröffnete Schäfchen die Gesprächsrunde, nachdem er seinen Unmut über den modernen Ausdruck geäußert hatte und sich seine Mitarbeiter um ihn versammelt hatten, „ich habe jetzt noch einmal mit dem Pathologen, dem Kollegen Bachmeier gesprochen. Die Fakten sind zurzeit folgende: Die Frau war zwischen 30 und 35 Jahre alt. Ihr Name ist uns noch unbekannt. In ihrem Blut wurden Restspuren von Betäubungsmittel gefunden und es gibt Fesselmale an den Handgelenken. Ich gehe davon aus, dass sie betäubt wurde, dann gefesselt und als sie wehrlos war, in dieses Klebeband eingewickelt wurde. Aufgrund der geringen Mengen Narkotika in ihrem Blut, dürfte sie während der Misshandlungen wieder bei vollem Bewusstsein gewesen sein. Sie starb an den Folgen der Verletzungen am Hals, wurde also bei lebendigem Leib zu Tode gefoltert und ist wohl verblutet! Der Täter ist Rechtshänder. Die Tatwaffe ist ein sehr scharfes Messer, wie ein Teppichschneider, oder gar ein Skalpell. Als wir sie fanden war sie bereits zwischen 24 und 36 Stunden tot. Die Fundstelle ist natürlich nicht der Tatort. Auf dem Klebeband befanden sich keine Fingerabdrücke es gibt aber eine menschliche DNA an der Leiche und eine von einem Hund. Weiter gibt es an der Leiche Spuren von Staub und wahrscheinlich Reste die von Mottenkugeln stammen. Was das zu bedeuten hat müssen wir erst noch sehen. Es gibt weiter keine Anzeichen für einen Sexualdelikt.“

Dann legte Kriminalhauptkommissar Schaaf eine Pause ein, damit das, was er da mitteilte bei seinen Mitarbeitern ankommen konnte. Er war stets bemüht, seine Informationen, die er weitergeben wollte so zu übermitteln, dass bei keinem etwas davon verloren ging.

„Hat einer Fragen dazu?“

Soweit schien alles klar, denn keiner meldete sich zu Wort. Und jeder seiner Mitarbeiter kannte genau den Standpunkt des Chefs, dass wenn einem etwas unklar war, er unbedingt fragen solle. Keiner würde ausgelacht deswegen und es war besser nachzufragen, als im entscheidenden Moment mangels Wissen einen Fehler zu begehen. Oft erzeugten Fragen auch einen ganz anderen Blickwinkel zu einem Fakt und regte zu einer Diskussion an, die ihnen allen weiterhalf.

Bei ihrem Job ging es um Mord! Um den Täter zu überführen war alles wichtiger als Stolz, unangebrachte Rücksichtnahme und Freundlichkeit oder gar tugendhaftes Benehmen. Das einzige, gemeinsame Ziel das Schäfchen und seine Truppe hatten war, den Mörder zu überführen und dafür setzten sie alles ein, was nicht gegen das Gesetz war.

Dann legte der Chef die unmittelbare Vorgehensweise fest. Seinen Mitarbeiter Schneider beauftragte er, die Identität der Frau herauszufinden. Dabei handelte es sich um Routinearbeit, die vom Büro aus, hauptsächlich am PC und am Telefon erledigt werden konnte. Bert bekam die Aufgabe sich die genauen Daten des Klebebandes von den Kollegen der Technik geben zu lassen, um eventuell die Sorte zu bestimmen oder gar den Baumarkt zu lokalisieren, in dem es gekauft wurde. Bei dem nötigen Datenabgleich mit der Datenbank, ob die gefundene DNA vielleicht dort schon gespeichert war, sollten sich Bert und Schneider absprechen. Wer von ihnen als Erster mit der beauftragen Aufgabe fertig war und Zeit hatte, sollte diesen Part dann übernehmen.

Er selbst gedachte mit Herr Busch Proben von dem Zeugen Bundschuh und dessen Hund zu besorgen, um einen Abgleich von deren DNA mit der an der Leiche erstellen zu lassen.

„Das hatten wir auch noch nicht oft, dass wir DNA von einem Hund untersuchen lassen“, witzelte Schneider.

„Stimmt, aber wir müssen wissen, ob die Spuren von dem Hund des Zeugen Bundschuh oder einem anderen sind. Es könnte ja sein, dass der Täter auch einen Hund hat. Das würde unsere Suche sehr einschränken.“

Seinen Assistenten Busch forderte er dann auf, kurz zu beschreiben, was bei seinen Besuchen im Park in Bezug auf die Hundebesitzer herauskam. Der begann, noch etwas unsicher und nervös, weil er vor allen direkt angesprochen wurde, sein kurzes Statement.

„Ja, also ich war jetzt, wie sie es sagten, also die letzten Tage“, weiter kam er nicht, weil der Chef ihn vorsichtig, aber bestimmt unterbrach.

„Herr Busch, ganz ruhig. Sie brauchen sich nicht genieren vor den Kollegen. Es wird keiner hier ausgelacht, wenn er sich verspricht oder etwas Unüberlegtes von sich gibt. Dazu ist die Sache zu ernst. Reden sie ganz normal ohne Aufregung. Bitte“ gab er das Wort wieder an ihn.

„Ja“, begann Busch wieder, aber merklich ruhiger „bei den Befragungen im Park habe ich nichts erfahren, was uns weiterhelfen könnte. Ich fand einige Personen, die um die fragliche Zeit normal ihre Hunderunde drehen, aber keinem von denen ist etwas aufgefallen. Ich habe mir natürlich alle Namen notiert. Der letzte, der vor der Meldung durch unseren Herrn Bundschuh wohl im Park unterwegs war, lief gute zwei Stunden zuvor seine Runde.“

„Sehr gut“, lobte Schäfchen. „Die Namen und Daten tragen sie noch in unsere Akten ein, damit wir bei Bedarf noch einmal nachsehen können.“

„Mache ich gleich.“

„Gut. Hat jemand noch eine Idee oder etwas anzumerken?“

Nachdem der Chef in der Runde nur Kopf schütteln sah, beendete er den kleinen Arbeitskreis. „Also dann geht wieder an eure Arbeit. Herr Busch, wir beide fahren nachher, wenn sie die Akten bearbeitet haben noch einmal zu Herrn Bundschuh.“

„Ok Chef, geht klar.“

Die Einträge der Namen und Zeiten der Parkspaziergänger in die Akte dauerte nicht sehr lange. Zur Sicherheit legte Busch das Ergebnis noch einmal Kriminalhauptkommissar Schaaf zur Begutachtung vor, damit er sicher war, alles zu dessen Zufriedenheit erledigt zu haben. Der segnete ab was Busch gefertigt hatte, womit er ihm bestätigte, alles verstanden zu haben und sie machten sich auf den Weg zu dem Zeugen Bundschuh.

Auf der Fahrt dorthin mit dem Dienstwagen, den wiederum Herr Busch steuerte mit seinem Chef auf dem Beifahrersitz, sprach Kriminalhauptkommissar Schaaf auch mit Busch. Die Fahrzeit von guten zwanzig Minuten nutzte der Kriminalhauptkommissar um seinen Assistenten auf den bevorstehenden Job vorzubereiten. Die Angelegenheit barg ein gewisses Potenzial an Zündstoff, denn sie mussten den Zeugen Bundschuh dazu bewegen eine Speichelprobe abzugeben, um seine DNA mit der auf der Leiche gefundenen, vergleichen zu können. Naturgemäß gab niemand eine solche Probe gerne und mit ruhigem Gewissen ab.

Zudem wollten sie auch noch eine Probe des Hundes von Herrn Bundschuh haben. Aus Erfahrung wusste Kriminalhauptkommissar Schaaf, dass manche Tierhalter energischer reagierten, wenn es um ihren Schützling ging, als wenn es sie persönlich betraf. Alles in Allem also ein heikles Unternehmen, bei dem ein unbedachtes Wort schnell die Stimmung negativ umschlagen lassen kann und sie ihre benötigten Proben nicht mit der freiwilligen Zustimmung bekommen könnten.

Nachdem Schäfchen dem Neuen die Problematik ausführlich mit dem Hintergrund der gesetzlichen Voraussetzungen und seinem Erfahrungsschatz erklärte, schloss er mit dem ausdrücklichen Befehl ab: „Sie sagen keinen Ton! Ich will keine Probleme wegen der Proben bekommen. Sie stehen nur dabei und machen ein ernstes Gesicht, dann wird das auch funktionieren. Zuhören und lernen.“

„Ja gut. Ich werde nichts sagen.“

Da sie ihren Besuch bei Herrn Bundschuh nicht angemeldet hatten, wussten sie nicht, ob dieser auch zu Hause sein würde. Nach dem Klingeln dauerte es eine ganze Weile, bis sie geöffnet bekamen, sodass sie schon befürchteten umsonst gekommen zu sein. Aber Herr Bundschuh war offensichtlich anwesend und begrüßte sie wenige Treppen später an seiner Wohnungstür.

„Hallo Herr Bundschuh, ich grüße sie. Konnten sie in der Nacht, als sie den schrecklichen Fund machten noch einigermaßen schlafen?“, begrüßte Kriminalhauptkommissar Schaaf den Zeugen und teilte ihm gleich sein Mitgefühl mit und stellte so eine emotionale Beziehung mit ihm her.

„Ja es ging gerade so. Hätte aber natürlich besser sein können. Das war schon eine grausame Erfahrung, auf die ich gerne verzichtet hätte“, erklärte der Zeuge freimütig, nachdem er die beiden Ermittler wieder in sein Wohnzimmer gebeten hatte.

„Das kann ich mir vorstellen. Ich verspreche ihnen aber, dass wir alles unternehmen um den Täter zu finden. Ist ihnen noch etwas eingefallen, was wichtig sein könnte von dem betreffenden Abend?“

„Nein, ich habe mir alles noch einmal durch den Kopf gehen lassen. Es war nichts Außergewöhnliches und mir ist absolut niemand begegnet.“

„Das dachte ich mir schon. Da kann man nichts machen. Wir haben inzwischen den Bericht des Pathologen vorliegen. Es wurden an der Toten DNA Spuren festgestellt. Sie könnten uns sehr helfen diese als Fremdspuren zu identifizieren, indem wir einen Abgleich mit ihren machen dürften, sodass ganz sicher ist, dass es sich nicht um die von ihnen handelt. Würden sie uns dabei helfen?“

„Ja natürlich helfe ich ihnen. Aber ich habe die Leiche doch gar nicht berührt!"

"Ja, aber sie sagten, dass sie sich herunter beugten, um ihren Hund zurückzuholen. Ihnen muss nur ein Haar, eine Hautschuppe auf die Leiche gefallen sein. Oder ihr Atem kondensierte auf dem kalten Klebeband. Das reicht schon aus. Wir können so was dann schon feststellen."

"Ach so? Ich bin doch auch daran interessiert, dass sie bei ihrer Arbeit vorwärts kommen. Was kann ich tun?“

„Wir bräuchten eine Speichelprobe von ihnen. Das haben sie bestimmt schon einmal im Fernsehen gesehen und ist überhaupt nicht unangenehm.“

„Eine Speichelprobe? Um meine DNA zu bestimmen?“

„Ja genau. Die werden wir dann mit der an der Leiche vergleichen. Wenn diese identisch sind, dann wissen wir dass sie nicht vom Täter ist. Sollte sie unterschiedlich sein, haben wir vermutlich den genetischen Fingerabdruck des Täters und somit könnten wir ihn eindeutig und ohne Zweifel überführen.“

„Ja, das verstehe ich. Dann machen wir das.“

Die erste Hürde war also genommen und der Zeuge kooperierte bereitwillig. Kriminalhauptkommissar Schaaf zog, nachdem Herr Bundschuh zustimmte, ein Plastikröhrchen aus der Tasche an dessen Deckel eine Art Wattestäbchen hinein ragte. Der Kommissar öffnete es behutsam und fasste den Deckel mit spitzen Fingern an, zog mit ihm das Stäbchen aus dem Röhrchen und ging damit bedächtig auf Herrn Bundschuh zu.

„Sie müssten bitte kurz den Mund öffnen.“

Der Zeuge tat, was ihm gesagt wurde und hielt still. Er schielte nur kurz zu Busch hinüber und sah dann wieder Kriminalhauptkommissar Schaaf an. Schäfchen fuhr vorsichtig mit der Spitze des Stäbchens die Innenseite einer Wange und das Zahnfleisch entlang, während er das Stäbchen mit der Bürste drehte. Diesen Vorgang wiederholte er dann gleich auf der anderen Seite. Die Entnahme dauerte insgesamt nicht einmal eine halbe Minute, dann schob der Kommissar das Stäbchen wieder in sein steriles Röhrchen und steckte es sofort wieder in seine Manteltasche.

„Das war’s. Danke. Jetzt hätten wir noch ein Anliegen. Es wurden auf der Toten ebenfalls Spuren von einem Hund gefunden. Wir würden auch gerne ihren Hund ausschließen. Vielleicht hat der Täter ebenfalls einen und wir besäßen damit einen weiteren Anhaltspunkt bei unserer Suche.“

„Wollen sie etwa eine Speichelprobe von meinem Hund nehmen?“, fragte Herr Bundschuh ein wenig belustigt. Das gefiel dem Kommissar auf alle Fälle mehr, als wenn er boshaft reagierte. Denn eine ablehnende Haltung konnte er in dieser Reaktion nicht erkennen.

„Nein“, lachte der Kommissar „wenn, dann würden sie ihm die entnehmen.“ Er machte eine abwehrende Geste, die anzeigte, dass er sich nicht unbedingt mit dem Gebiss eines Hundes anlegen wollte und lachte noch einmal. „Es würde auch reichen, wenn sie uns Haare von ihrem Hund zur Verfügung stellen könnten. Sie haben doch sicherlich eine Bürste für ihn.“

„Ja natürlich. Ich hole sie ihnen“, blieb er auch dabei kooperativ.

Als Herr Bundschuh sich abwandte, um aus dem Flur die Hundebürste beizubringen, nickte der Kommissar seinem Assistenten zufrieden zu. Er hatte beide Forderungen ohne Gegenwehr durchgesetzt. Als ihm der Hundehalter die Bürste überreichte, zupfte er sich ein Büschel Haare heraus. Zuvor drehte er sich eine Plastiktüte auf links, ohne dabei die Innenseite mit den Fingern zu berühren, zog sich diese über die Hand, sodass sich die sterile Seite außen befand und griff sich damit das Haarbüschel. Das hielt er dann zwischen Daumen und Zeigefinger fest und stülpte die Tüte wieder richtig herum, womit die Haarprobe dann im innern verblieb. Schäfchen verschloss die Tüte danach vorsichtig und deponierte sie ebenfalls in seiner Manteltasche.

„Wunderbar! Vielen Dank für Ihre Mithilfe. Wenn nur alle Leute so mitarbeiten würden, dann hätten wir viel weniger Probleme.“

„Nichts zu danken. Das ist doch selbstverständlich. Für mich zumindest. Meinem Hund ist das doch egal, ob ich ihnen Haare von ihm gebe und sie seine DNA kennen.“, ulkte Herr Bundschuh.

Der Kriminalhauptkommissar verabschiedete sich dann unverzüglich von Herrn Bundschuh und sein Assistent Herr Busch tat es ihm gleich. Dabei zeigte der Mitarbeiter von Schäfchen auch wieder ein freundliches Gesicht, denn die heikle Situation war gemeistert und er brauchte keine ernste Mine mehr zur Schau zu tragen.

Ein wenig Schauspielerei gehörte eben unbedingt auch zu dem Job dazu. Mit der Gesichtsmimik hatte man eine starke Waffe um Zeugen, oder im Besonderen Verdächtige, zu manipulieren. Mit Hilfe der Mimik und Körpersprache konnte man sehr gut Ungläubigkeit, nachlassende Geduld, ablehnende Haltung und Anerkennung als eine Art Lob übermitteln, wenn es von Nöten war. Sie spielte eine ganz wichtige Rolle bei der Ermittlungsarbeit und wirkte oft besser, als direkt ausgesprochene Worte.

Gleichzeitig musste ein Ermittler diese verdeckten Zeugnisse bei seinem Gegenüber genauestens deuten können, wodurch er dann Lügen entlarvte oder auch nur bemerkte, dass irgendetwas nicht ganz stimmte. Unstimmigkeiten hatten auch immer einen Grund, die ein Verdächtiger gerne zu verschleiern versuchte.

Das wurde Herrn Busch auch auf der Polizeischule und in unzähligen Weiterbildungslehrgängen vermittelt. Bei seinem Chef durfte er jetzt schon feststellen, dass der alle diese Dinge meisterhaft beherrschte. Es schien kein Wort und keine Körperregung bei ihm zu geben, die nicht genaustes überlegt und nur zum Zwecke der Wahrheitsfindung stattfand. Es war unglaublich mit welcher Perfektion Kriminalhauptkommissar Schaaf sich in Gegenwart von dem Zeugen Bundschuh verhielt und mit ihm sprach. Das gesamte Auftreten von seinem Chef und die Art, wie er den Zeugen mit Worten vorbereitete, war der Schlüssel zu den Proben ohne Gegenwehr gewesen. Davon war Busch überzeugt.

Busch war sehr gespannt darauf, wie er sich verhielt, wenn er den mutmaßlichen Täter vor sich sitzen hatte und ihn zu einem Geständnis bringen musste. Nur die beiden Gespräche, bei denen Herr Busch bis jetzt seinen Chef erlebte, zeigten ihm schon, dass er unglaublich viel von ihm lernen konnte und er freute sich auf die nächste Zeit, in der er mit Herrn Schaaf arbeiten durfte.

Während Herr Busch noch darüber sinnierte, gingen sie schweigend zum Auto zurück. Schäfchen stellte sich automatisch an die Beifahrertüre, weil er mit seinem Assistenten besprochen hatte, solange er nicht ausdrücklich etwas anderes sagte, immer Busch der Fahrer blieb. Busch ging dementsprechend um den Wagen herum an die Fahrertüre und schob den Schlüssel ins Schloss um aufzusperren. Sofort ging die eingebaute Alarmanlage mit lautem Hupen los. Busch erschrak sich fast zu Tode und sein Chef schüttelte nur den Kopf mit einem belustigten Grinsen.

„Ich habe ihnen doch gesagt“, schrie er gegen das Hupen über das Dach hinweg an „immer mit der Fernbedienung öffnen, sonst gibt es Alarm!“

Herr Busch konnte ihm in dem Moment gar nicht antworten, weil er zu sehr damit beschäftigt war, den Wagen wieder abzuschließen, den Schlüssel zu ziehen und den Knopf zu drücken, der das Auto per Fernbedienung öffnete. Erst dann hörte das Hupen endlich auf. Unsicher und ein wenig gehetzt sah sich Busch um und musste feststellen, dass alle Augen der Leute, die sich in ihrer Umgebung befanden, auf ihn gerichtet waren.

„Entschuldigung“, murmelte er, was nicht nur an seinen Chef, sondern anscheinend an alle Menschen um ihn herum gerichtet war und nahm schnell auf dem Fahrersitz Platz. Erst als er die Tür zugeworfen hatte fühlte er sich unbeobachtet und aus der peinlichen Situation befreit.

Kriminalhauptkommissar Schaaf kümmerte sich nicht um die gaffenden Leute. Sich um die Meinung anderer Menschen zu kümmern oder ob jemandem gefiel, wie er sich verhielt, gewöhnte ihm sein Beruf im Laufe der Jahre gründlich ab. Oft genug musste er Leuten mit Absicht auf die Füße treten und sich flegelhaft benehmen, um die Wahrheit zu finden. Schaaf stieg, ohne sich um das Umfeld zu kümmern, ebenfalls in den Wagen zu Busch ein.

„Fahren sie gleich direkt zum Labor, damit wir die Proben abgeben können. Dann haben wir sicherlich bis Morgen die Ergebnisse.“

„Ja natürlich“, stimmte Busch zu, während er sich anschnallte und den Motor startete.

Sie waren gerade losgefahren und Busch hatte sich in den fließenden Verkehr eingeordnet, als das Handy des Chefs losdudelte. „Ich hasse die Dinger“, war seine missfallende Reaktion schon beim ersten Ton, den das Telefon von sich gab. Diese Bemerkung bestätigte Busch in seiner Ansicht, dass der Chef von modernen Dingen wenig hielt und sich sehr konservativ, ja beinahe altmodisch verhielt. Das nahm er grinsend zu Kenntnis und konzentrierte sich wieder auf die Fahrt.

Der Chef telefonierte inzwischen mit Bert, wenn Busch das richtig deutete. Der gab ihm wohl die neuesten Ergebnisse durch, die bei seinen Recherchen herauskamen.

„Nein, das brauchst du noch nicht. Wir müssen erst einmal Klarheit darüber haben, wer die Frau ist und oder aus welchem Umfeld der Täter sein könnte. Wie weit ist denn Schneider? Es gibt viel zu viele Baumärkte und Schnäppchenläden in unserer Stadt. Das führt zu nichts“, sagte der Chef, bevor er das Gespräch beendete und Busch die Neuigkeiten mitteilte.

Demnach handelte es sich bei dem Klebeband um ein billiges Massenprodukt aus Fernost, wie es in beinahe jedem Baumarkt und auch in den Billigläden, die sich Restpostenmärkte oder Ein- Euro- Laden nannten, gab. Und natürlich wurden diese Klebebänder auch über das Internet vertrieben. Dort konnte man diese gleich kartonweise bestellen.

Bert wollte nur wissen, ob er für den Chef eine Aufstellung der Läden anfertigen oder sogar gleich mal losgehen sollte, um Erkundigungen einzuholen, was der ablehnte, weil es sie mit Sicherheit nicht weiterbrachte. Sie hatten noch keinen Anhaltspunkt, nach wem oder was sie zu suchen hatten. So war es sinnlos jeden Laden abzuklappern und nach eventuellen Käufern der Klebebandsorte zu fragen. Es gab sicherlich unzählige Kunden in jedem einzelnen Laden, die drei bis vier Rollen eines solchen Bandes kauften. Das entsprach nach der Spurensicherung in etwa der Menge, die um die Leiche gewickelt war. Falls die Rollen über das Internet gekauft wurden, hätten sie ohnehin keine Chance, das zu ermitteln. Das brächte nur Unmengen Informationen, die ihnen nicht nutzten. Diese Kleinarbeit würde aber auch sicherlich noch auf das Team zukommen, wenn ihr Wissenstand sich so weit entwickelt hatte, dass sie dadurch zu einem brauchbaren Ergebnis kommen würden.

Noch bevor sie vor dem riesigen Gebäude ankamen in dem sich das Gerichtsmedizinische Labor befand, störte das Handy des Chefs noch einmal. „Ich hasse das Ding“, schimpfte der auch prompt wieder los, noch bevor er auf das Display schaute, wer da anrief. „Das ist jetzt Schneider“, erklärte er bevor er dann das Gespräch annahm.

„Ja ich bin dran“, meldete er sich knapp. Dann folgten nur noch zustimmende Worte, um Schneider zu sagen, dass er weiter zuhörte. Alles was gesagt werden musste kam von Schneider und Schäfchen sog die Informationen lediglich auf. Anweisungen oder weitere Vorgehensweisen musste er nicht geben.

Auch nach diesem Telefonat klärte er dann seinen Assistenten auf, was er mitgeteilt bekam. Dabei standen sie bereits auf dem Parkplatz an ihrem Ziel. Sie stiegen erst aus, als der Chef alle Informationen, die er gerade erhalten hatte auch seinem Assistenten weitergegeben hatte. Er hielt es für sehr wichtig, dass alle Mitarbeiter immer möglichst auf demselben Wissenslevel waren, wie er selbst. So gingen keine Details verloren und jeder einzelne konnte bei seiner Arbeit über das gesamte, vorhandene Wissen, was den Fall betraf, verfügen. Dadurch war jeder Mitarbeiter in der Lage Unstimmigkeiten zu erkennen, bei Zeugenaussagen zum Beispiel, wenn es solche gab. Wenn man nicht alle Fakten und Bruchstücke kannte, konnte man diese auch nicht miteinander vergleichen.

Der Kollege Schneider war inzwischen, auf der Suche nach einer Frau im entsprechenden Alter, die Vermisstendateien durchgegangen. Unter den vielen Verschollenen fand er vier, die von den Daten her auf ihre aufgefundene Tote passen konnten. Die Bilder, die er im Polizeicomputer fand, waren leider nicht alle aktuelle Fotos der Frauen, sodass er von den Vorlagen her die Tote nicht einwandfrei zuordnen konnte. Dazu wollte er sich zusammen mit dem Chef die entsprechenden Meldungen später ansehen. Denn, das war auch eine unumstößliche Maßnahme des Chefs, sie würden niemals zu Angehörigen gehen, um ihnen die traurige Todesnachricht zu überbringen, wenn es nicht zweifelsfrei auch die betroffenen Personen waren. Ebenso wollten sie auch vermeiden mit einem Bild der Toten bei Angehörigen aufzukreuzen, um sie zu befragen, ob es sich dabei vielleicht um die Person handelte, die sie suchten. Solche Aktionen starteten sie wirklich nur, wenn es gar keine andere Möglichkeit mehr gab, die oder den Toten zu identifizieren.

Als nächstes gingen Schäfchen und Busch wie geplant in das Labor, um die Speichel- und die Haarprobe abzuliefern, damit diese mit denen an der Leiche gefundenen abgeglichen werden konnten. Busch folgte dabei seinem Chef auf dem Fuß und wurde im Labor von ihm einigen Leuten vorgestellt. Er würde in naher Zukunft noch viele Menschen im Polizeiapparat kennenlernen. Busch wurde von jedem freundlich begrüßt und in die Gemeinschaft der Fahnder aufgenommen. Allesamt trieb sie derselbe Ehrgeiz an. Nämlich den oder die Täter zu finden, sie zu überführen und dafür zu sorgen, dass diese ihrer gerechten Strafe erhielten.

Das Labor setzte sich aus unzähligen Räumen und Abteilungen zusammen. In jeder wurden bestimmte Untersuchungen durchgeführt. Alle waren sie mit Leuchtbändern blendungsfreier Neonlampen hell erleuchtet. In denen, die Busch mit seinem Chef durchwanderte, waren jeweils in einem sehr großen Raum mehrere Reihen Labortische und davon durch Glaselemente abgetrennt, spezielle Arbeitsplätze.

In einigen dieser kleineren Labors herrschte ein leichter Überdruck. Zu betreten waren diese nur durch eine Schleuse, womit vermieden wurde, dass von außen Staub oder sonstige Verunreinigungen hinein getragen wurden. Natürlich mussten die Mitarbeiter, die dort arbeiteten, dementsprechende, sterile Schutzkleidung anlegen. In diesen kleinen hochreinen Labors wurden unter anderem die DNA Untersuchungen durchgeführt. Da die Genauigkeit der Untersuchungen sich im Mikrobereich bewegte, konnte jedes Staubkorn oder geringstes biologisches Material, das Ergebnis verfälschen.

Der Leiter des Labors, der für ihren Fall zuständig war, versprach Schäfchen die Auswertung sofort in Angriff zu nehmen, damit er schnellstmöglich ein Ergebnis bekam. Sein Chef genoss auch überall hier einen erstklassigen Ruf, musste Busch erfahren. Egal wem sie begegneten, welchen Raum sie betraten, jeder begrüßte Kriminalhauptkommissar Schaaf höflich und schüttelte ihm freundlich die Hand. Und alle Reaktionen waren echt und nicht gespielt, darüber war sich Busch im Klaren. Es ergab ein gutes Gefühl ein Teil von dem Team zu sein, das um Kriminalhauptkommissar Schaaf seine Arbeit tat.

Nachdem sie die Proben abgeliefert hatten, beeilten sie sich zurück ins Kommissariat zu kommen. Dort ließ sich Schäfchen zunächst von jedem seiner Mitarbeiter den momentanen Stand ihrer Ermittlungen zeigen. Zuletzt suchte er Schneider auf, weil er mit ihm die fraglichen Vermisstenmeldungen durchgehen wollte, die der sicherlich bereits aussiebte. Schneider brauchte dazu etwas mehr Zeit. Der Kriminalhauptkommissar rechnete mit einem Ergebnis, auf das sie ihre Arbeit dann aufbauen konnten. Zu den Auswertungen mit Schneider nahm er Busch dann auch mit. Er sollte jeden Schritt der Ermittlungen erleben, kennenlernen worauf es ankommt und in die Arbeitsweise des Teams eingebunden werden.

Der Kollege Schneider hatte bereits die entsprechenden Meldungen ausgedruckt, sodass sie diese am Schreibtisch begutachten konnten und das nicht am PC machen mussten. Er kannte den Chef ja auch schon ein paar Jährchen und wusste genau, was er wollte und was ihm überhaupt nicht gefiel. Und sich die Beschreibungen und Bilder von einem Bildschirm anzeigen zu lassen mochte Kriminalhauptkommissar Schaaf überhaupt nicht leiden.

Gemeinsam saßen sie um einen kleinen Besprechungstisch in Schaafs Büro herum. Die Wände des Büros bestanden, wie die des gesamten Gebäudes, aus rötlichen Klinkern mit sichtbaren hellgrauen Fugen. An denen hingen lediglich Fotos und plakatartige weiße Blätter, auf denen die wichtigsten Daten des aktuellen Falls in großen Buchstaben aufgelistet waren. Diese wurden immer aktualisiert, wenn es neue Aspekte gab, um alles auf einen Blick abrufbereit zu haben.

Im hinteren Teil des großen Büros war Schaafs Büro durch eine Glasfront abgetrennt, sodass er, wenn er seine Ruhe brauchte oder ein Telefonat führen wollte, die Türe schließen konnte und ungestört war. Dort waren sie um den kleinen Tisch versammelt und versuchten anhand der Bilder, der Toten einen Namen zu geben.

Schneider legte die Ausdrucke mit den Gesichtern der vermissten Frauen, die er zur Verfügung hatte, nebeneinander auf die hölzerne Tischplatte. Ein Foto der Toten vom Polizeifotografen, auf dem ihr Gesicht sehr gut zu sehen war, nachdem der Gerichtsmediziner es von dem Klebeband befreit und ein wenig geschminkt hatte, legte Schneider daneben. So konnten sie alle einen direkten Vergleich ziehen.

Auf den ersten Blick sahen alle Frauen sich wirklich sehr ähnlich. Schneider traf eine sehr gute Vorauswahl. Busch hätte sich nicht gewagt eine verbindliche Aussage zu treffen, ob die Tote eine der Vermissten wäre. Aber der Chef forderte ihn dazu auf. Nachdem er Schneider fragte, welche für ihn am ehesten die Tote sein könnte und der seine Vermutung abgab, wand er sich direkt an Busch. Also musste der Neue sich äußern.

„Und was meinen sie?“

„Oh weh. Das ist schwer. Ich bin mir nicht sicher“, zögerte er eine Antwort hinaus.

„Sehen sie sich alle genau an. Achten sie auf die Augen, den Mund und die Nase!“

„Ja ich weiß. Aber das ist trotzdem unsagbar schwer, da die richtige Übereinstimmung zu finden.“

„Natürlich! Es hat niemand gesagt, dass es einfach ist.“

„Also ich würde mich dem Kollegen Schneider anschließen“, traf Busch eine diplomatische Entscheidung. Wenn er falsch lag, dann mit dem Kollegen Schneider zusammen.

„Ihr meint also, dass sie“, mit dem Finger tippte Schäfchen auf das Bild der Frau „die Tote ist!“ Er holte dann alle Ausdrucke genau vor sich und platzierte das Bild ihrer Leiche direkt darüber. Er sah sich jede Einzelne sehr ausgiebig an und verglich sie parallel mit der Fotografie der Toten, die sie im Park gefunden hatten.

Keiner sagte ein Wort. Schneider ebenso wie Busch verhielten sich absolut ruhig, um die Aufmerksamkeit des Chefs nicht zu stören. Je näher er seiner Entscheidung scheinbar kam, umso unruhiger wurde sein Blick. Schäfchen hielt auch alsbald seinen Ballon in der Hand und knetete ihn bedächtig während er die Gesichter der Frauen verglich. Er ließ sich lange Zeit für seine Entscheidung. Die Texte, die die Vermisste beschrieben, hatte er inzwischen unzählige Male durchgelesen. In ihnen fand er kein Merkmal, das eindeutig ihrer Leiche zuzuordnen gewesen wäre. Es waren bei allen Vermissten keine besonderen Kennzeichen vermerkt, wodurch sie sie erkennen oder eben ausschließen konnten.

„Ich glaube nicht, dass sie es ist. Ich vermute dass das unsere Tote ist“, dabei deutete der Kriminalhauptkommissar auf eine andere Frau als die, die sein Assistent und Schneider meinten erkannt zu haben. Diese wurde von ihrem Mann vor einigen Tagen als vermisst gemeldet.

„Bert“, rief Schäfchen dann in das größere Büro, in dem die Schreibtische seiner Mitarbeiter standen, seinem Freund zu, „Komm bitte mal gleich her. Ich will deine Meinung noch haben.“

Bert erschien unverzüglich bei ihnen am Tisch. Als er die Bilder sah, wusste er schon, was der Chef von ihm wollte und beugte sich über die Bilder. Auch er brauchte sehr lange um sich festzulegen. Seine Entscheidung stimmte mit der des Chefs überein. Dabei hatte er nicht gesehen, von welcher Frau der Chef glaubte, dass sie die gesuchte war.

„Warum denkst du, dass sie es ist?“

„Dieses kleine Fältchen über der Nase zur Stirn hin! Das hat unsere Tode und keine der anderen Frauen. Und mir scheint, das linke Ohr steht ein ganz klein wenig ab, wie es auch bei unserer Toten so ist.“

„Genau das habe ich auch bemerkt. Sie ist es ziemlich sicher. Danke dir. Ok, dann gehen wir davon aus, dass sie unser Opfer ist. Suche uns bitte die Adresse raus, wir fahren gleich dort vorbei.“

Schneider und Busch sahen sich kurz an und ärgerten sich gemeinsam darüber, dass ihnen diese Merkmale nicht aufgefallen waren und sie sich so täuschten. Da trat die Erfahrung des Chefs und von Bert in voller Wucht hervor. Genau das war es, auf was es bei ihrer Arbeit immer wieder ankam. Die kleinen Details zu erkennen und zu verstehen.

Der Chef wusste aber auch genau, dass er sich andererseits auf das Urteil von Schneider verlassen konnte. Er hatte ja bereits eingeräumt, dass er sich nicht sicher war und wollte die Meinung des Chefs noch hinzuziehen. Wenn er in solchen Fällen überzeugt war, teilte er dem Chef sein Ergebnis ohne zu zweifeln mit und der prüfte das dann nicht mehr. Das verlangte Schäfchen so. Er wollte sich voll und ganz auf seine Leute verlassen und wenn sie unsicher waren, blieb er mit seiner Erfahrung die letzte Instanz.

„So, dann kommt jetzt ein weiterer unangenehmer Teil unseres Jobs. Wir müssen dem Mann die traurige Mitteilung überbringen. Hoffentlich haben sie keine kleinen Kinder. Ein Freiwilliger?“, fragte Kriminalhauptkommissar Schaaf in die Runde. Obwohl die Angelegenheit sehr ernst war, erlaubte er sich diesen kleinen Scherz. Natürlich meldete sich für diese Aufgabe keiner freiwillig.

„Herr Busch, wir beide fahren jetzt gleich zum Ehemann und sagen ihm, dass wir wahrscheinlich seine Frau gefunden haben. Wahrscheinlich“, betonte Kriminalhauptkommissar Schaaf noch einmal ausdrücklich. „Sie sind wieder ganz ruhig und überlassen mir das Reden. Dass sie nicht fröhlich grinsend neben mir stehen sollten, brauche ich hoffentlich nicht extra zu erwähnen!“

„Nein, schon klar“, kam es etwas brüskiert.

Sie nahmen sich ihre Jacken und Busch fuhr mit dem Chef zu der angegebenen Adresse, wo der Ehemann und das mutmaßliche Opfer wohnten. Busch fuhr und Kriminalhauptkommissar Schaaf saß neben ihm. Weil er seinen Ballon knetete wusste Busch, dass es für diesen heiklen Job scheinbar keine Routine gab.

Dieses Verhalten verdeutlichte Busch, dass es für diese traurigen Pflichten niemals Gewöhnung geben wird, um sie emotionslos erledigen zu können. Wer weiß, wie vielen Menschen der Kriminalhauptkommissar schon die Todesnachricht eines geliebten Menschen überbringen musste. Und dennoch nagte die Überbringung dieser unheilvollen Mitteilung im Vorfeld noch extrem an den Nerven, was der Einsatz seines Knetballons bewies.

Busch grauste es jetzt schon bei dem Gedanken, dass er irgendwann auch diesen widerwärtigen Job würde bewältigen müssen. Selbst vor Menschen zu stehen, die ahnten was kommen würde und dann, wenn es ausgesprochen war, einem Zusammenbruch nahe waren. Die Weinkrämpfe und Hilflosigkeit, die einen Hinterbliebenen lähmten. Die Fragen nach dem "Warum", die Busch auch nicht würde beantworten können. Die Dramen, die sich da im Stillen abspielten. In Kinderaugen blicken zu müssen, die ihre Mutter oder ihren Vater nie mehr sehen werden. All das wird Busch irgendwann direkt miterleben müssen. Und er konnte sich bildlich ausmalen, wie das an seine eigenen Nerven zehren wird.

Wenn es dafür auch keine Routine gab, sodass die Gewohnheit einen dagegen abstumpfte, so hoffte Busch doch, dass ihm die Erfahrung zumindest einmal helfen würde, besser damit umgehen zu können, um die passenden, tröstenden Worte den Angehörigen zu spenden.

Das Haus, in dem der mutmaßliche Ehemann der Toten wohnte war ein gewöhnliches Mehrfamilienhaus in einer durchschnittlichen Wohngegend. Nachdem Kriminalhauptkommissar Schaaf aus dem Wagen ausgestiegen war, sah er sich das Haus von außen sehr genau an. Kommentarlos ging er auch auf die gegenüberliegende Seite schritt bedächtig ein wenig hin und her, so als ob er auch hier wieder das Umfeld auf sich wirken lassen wollte. Sein Assistent Busch stand derweil ein wenig hilflos abwartend neben dem Wagen und wusste nicht so genau, was er davon nun wieder halten und wie er sich verhalten sollte.

Dann nahm Kriminalhauptkommissar Schaaf direkt den Weg auf den Eingang zu. Er gab Busch weder ein Startsignal oder ein Zeichen. Dass sein Assistent allerdings nicht zurückbleiben würde, war auch ohne Aufforderung klar.

Herr Knipfer, der Ehemann der aufgefundenen Frau, verkraftete die Nachricht nach außen ganz gut. Er war sehr gefasst, als ihm der Kriminalhauptkommissar mit seiner beruhigenden Stimme mitteilte, dass seine Frau Sabine wahrscheinlich tot sei. Herr Knipfer ahnte wahrscheinlich in der Sekunde, als sie sich als Beamte der Mordkommission auswiesen, was auf ihn zukam. Seine Augen schalteten sofort auf alarmiert und bestürzt um, als Schäfchen sich vorstellte.

Mit leiser Stimme bat er sie dann in die Wohnung, wo der Kriminalhauptkommissar ihm dann vorsichtig und mit sorgfältig ausgewählten Worten die erschütternde Mitteilung machte, dass seine Frau ermordet wurde. Er beobachtete danach ganz genau die Reaktion und die Gefühlsregungen bei Herrn Knipfer, ließ ihm Zeit die Worte mit ihrer Tragweite zu erfassen, bevor er dann begann, noch einige Fragen zu stellen, die ihre Ermittlungen unterstützen konnten.

„Sind ihnen in letzter Zeit Veränderungen an ihrer Frau aufgefallen? Hat sie übliche Gewohnheiten abgelegt?“

„Nein, alles war wie sonst auch“, antwortete Herr Knipfer gedrückt und etwas apathisch.

„Hat sie etwas von einem Treffen mit jemandem erzählt, eine Verabredung?“

„Nein, nichts.“

"Trug ihre Frau eigentlich einen Ehering?"

"Wie bitte? Ja natürlich! Warum fragen sie das? Was ist mit Sabine passiert?", wurde Herr Knipfer hellhörig und begann seinerseits die für ihn offenen Fragen zustellen.

"Ihre Frau wurde ohne jegliche persönliche Dinge aufgefunden", gab Kriminalhauptkommissar Schaaf nur so viel preis, wie er musste. "Die Handtasche ist ebenfalls verschwunden. Wenn ihre Frau eine EC-Karte bei sich trug, sollten sie diese sofort sperren lassen und überprüfen, ob Abhebungen getätigt wurden! Falls ja geben sie uns bitte umgehend Bescheid. Das könnte uns helfen den Täter zu finden. Es wäre ebenso ratsam die Schlösser auszutauschen!"

"Was ist mit ihr passiert? Ich will sie sehen!"

Kriminalhauptkommissar Schaaf überging diese Fragen zunächst und stellte selbst eine weitere.

„Wie war das an dem Tag, als sie nicht nach Hause kam?“, musste der Kriminalhauptkommissar nachhaken, obwohl er genau wusste, dass damit die Erinnerung in dem Ehemann wachgerufen wurde, die zu diesem schmerzlichen Ende führte.

„Sie war wie immer donnerstags in ihrer Chorprobe vom Kirchenchor. Ich habe mich dort auch erkundigt. Sie war bis zum Schluss dort und verließ die Probe wie immer mit den anderen. Aber sie kam nie zu Hause an“, den letzten Satz sprach Herr Knipfer mit zunehmenden Schwierigkeiten. Die Tränen übermannten ihn zuletzt dann doch und ein wenig schämte er sich wohl dafür, konnte sie aber nicht zurückhalten.

„Wo finden diese Proben denn statt? Welchem Chor gehörte ihre Frau denn an?“

„Dem Gospelchor der evangelischen Kirche“, antwortete Herr Knipfer weiter unter Tränen. „Gospelgesang war ihre große Leidenschaft und als dieser Chor gegründet wurde, trat sie sofort bei.“

Kriminalhauptkommissar Schaaf verstand die Qualen von Herrn Knipfer sehr gut und konnte mitfühlen wie es sein muss einen nahestehenden Menschen durch ein Verbrechen zu verlieren. Wenn man über Tage hinweg noch die Hoffnung besaß, dass er wieder auftauchte, alles nur ein unguter Umstand war und sich alles zum Guten wenden würde. Wenn diese Hoffnung dann jäh zerbrach, war das ein harter Schlag, den man eigentlich niemandem wünschte.

Trotzdem mussten die Ermittler ihre Fragen stellen, um den Todesfall aufzuklären, was wiederum im Interesse des Hinterbliebenen war und genau auf dessen Mithilfe waren sie dabei am Meisten angewiesen. Dabei spielte der Faktor Zeit auch immer eine große Rolle. Je früher die Ermittler wichtige Informationen über das Opfer bekamen, umso schneller konnten sie handeln. Und wer sollte einen Menschen besser kennen, als der Ehepartner, oder die Eltern?

Kriminalhauptkommissar Schaaf konnte Herrn Knipfer damit auch schon seine Ruhe lassen und seine Trauerbewältigung konnte beginnen. Mehr als diese Fragen gab es nicht zustellen. Abschließend fragte er nur noch, ob er bereit wäre die Leiche zu identifizieren, um zu wissen, ob es sich bei der Toten wirklich um seine Frau handelte, wozu Herr Knipfer zur Verfügung stand.

Er fragte ja vorher schon danach seine Frau sehen zu dürfen. Schäfchen gab ihm einen Termin zwei später Tagen in der Pathologie auf, bei dem er selbst dann auch anwesend sein würde. Das, so hoffte Schäfchen, würde dem bedauernswerten Mann zumindest etwas helfen, diesen Gang zu bewältigen.

Herr Knipfer bedankte sich, nachdem er die Fassung wieder einigermaßen erlangte und verabschiedete die beiden Beamten, so freundlich, wie es seine Verfassung und die zunehmende Trauer es zuließ. Die Betroffenheit von Schäfchen und Busch hielt naturgemäß nicht allzu lange an. Da sie nur indirekt betroffen waren und ihre Arbeit im Vordergrund stand, die ihre volle Aufmerksamkeit forderte, rückte das Mitgefühl mit Herrn Knipfer bald schon wieder, langsam in den Hintergrund. Es würde sich erst wieder melden, wenn sie direkt mit dem Mann zu tun haben würden.

Wieder nebeneinander im Dienstwagen sitzend, galt ihre Konzentration der Aufarbeitung der neuen Erkenntnisse, die Herrn Busch nicht ganz einleuchteten. „Hätten sie nicht ein wenig mehr über das Umfeld der Toten abfragen müssen?“, erkundigte er sich ganz vorsichtig bei Kriminalhauptkommissar Schaaf. Denn er wollte nicht den Eindruck erwecken die Methoden seines Chefs zu kritisieren. Aber er wollte gerne die Beweggründe wissen, warum Schäfchen Herrn Knipfer nur relativ wenige Fragen stellte.

„Nein. Wir haben hier keinen Mord aus Leidenschaft. Der Mörder ist nicht aus dem direkten Umfeld und niemand, den das Opfer gut kannte. Allerhöchstens ist er ein flüchtiger Bekannter, den sie erst kürzlich kennenlernte. Deswegen die Frage nach veränderten Verhaltensweisen. Es könnte sein, dass sie jemanden kennenlernte. Einen Verehrer oder so ähnlich. Der Mörder ist sicherlich eine völlig fremde Person für Herrn Knipfer.“

„Ah so“, meinte Busch dann kleinlaut und fragte sich, woher der Chef das nun wieder zu wissen glaubte. Es ihn zu fragen traute er sich nicht. Wenn sich diese Einschätzung bei der Aufklärung bestätigte, würde die Hochachtung vor seinem Chef wieder ein Stück steigen.

„Wir fahren jetzt in die Pathologie. Wir müssen denen gleich den Termin für die Identifizierung mitteilen“, wies Schäfchen seinen Assistenten an. Der startete den Motor und fuhr auf kürzestem Weg zu dem angegebenen Ziel.

Kriminalhauptkommissar Schaaf sprach in der Pathologie dann nur kurz mit dem dafür zuständigen Pathologen Dr. Krawczick in dessen Büro. Ihm stellte er bei der Gelegenheit auch gleich seinen neuen Assistenten Busch vor. Der Abgleich von den DNA-Proben lag natürlich noch nicht vor. So etwas dauerte seine Zeit und ließ sich auch nicht beschleunigen. Sonst gab es auch keine Neuigkeiten, mit denen sie hätten weiter arbeiten können.

Dr. Krawczick erklärte Kriminalhauptkommissar Schaaf und seinem Assistenten in Kürze Details der Misshandlungen, die an der Toten vorgenommen wurden. Die Prozedur, der Frau die unzähligen Schnitte am Hals zuzufügen, kann über Stunden angedauert haben sagte er. Am Blutfluss lässt sich ablesen, dass das Opfer dabei gestanden, oder zumindest aufrecht gesessen haben muss. Das Klebeband ist im Bereich der Lenden überdehnt. Das könnte allerdings auch vom zusammensacken bei einer Ohnmacht herrühren. Der Mörder musste bei seinen unzähligen Schnitten vorsichtig sein, dass er nicht die Halsschlagader oder die Luftröhre erwischte. Denn offensichtlich wollte er die Frau so lange wie möglich am Leben halten. Hätte er die Ader erwischt wäre sie in kürzester Zeit verblutet, und wenn er die Luftröhre aufgeschlitzt hätte, erstickte sie an ihrem eigenen Blut. Also eine sehr blutrünstige und völlig perverse Handlung, die an dem Opfer vorgenommen wurde.

Busch blieb während der Darstellungen durch Dr. Krawczick ruhig. Er hörte sich die Schilderungen über die Quälereien des gefolterten Opfers scheinbar regungslos an. Äußerlich. Im Innern rumorte es in Busch, das bemerkte Kriminalkommissar Schaaf sehr deutlich. Sicher beging Busch den Fehler, dem viele unterliegen, dass er sich das Gesagte bildlich vorstellte. Aber Schäfchen gefiel, dass sein Assistent das ohne Klagen oder gar davonzulaufen durchstand. Denn schließlich würde ihm solcherlei immer wieder begegnen und das musste Busch aushalten, wenn er den Job machen wollte.

Schäfchen teilte Dr. Krawczick dann den Termin für die Identifizierung der Leiche durch den Ehemann mit. Dafür, so bat er den Kollegen, solle er doch die üblen Verletzungen am Hals ein wenig kaschieren und der Leiche ein Totenhemd mit einem Kragen anziehen, um es dem Witwer nicht noch schwerer zu machen, als es ohnehin schon für ihn war. Der Pathologe versprach sich darum zu kümmern, wenn ihm auch der angesetzte Termin grundsätzlich nicht so ganz in den Plan passte. Aber auf Schäfchen wurde eben überall gehört und so setzte er solch kleine Gefälligkeiten meist durch. Sobald das Ergebnis des DNA-Abgleichs vorlag, versprach der Pathologe dann noch, würde er ihn dem Kommissar per Mail zusenden.

Schäfchen verabschiedete sich von Dr. Krawczick, als der den letzten Satz noch nicht gänzlich beendet hatte, mit dem erhobenen Zeigefinger weit über dem Kopf, im Umdrehen. Eine wörtliche Verabschiedung ließ der Kommissar vermissen. Der Pathologe verstand aber die Geste richtig und nickte Schäfchen nur nach. Dr. Krawczick wusste genau, dass Schäfchen nicht unhöflich war oder das eine abwertende Geste ihm gegenüber sein sollte. Er war einfach nur mit seinen Gedanken beim Verarbeiten des Gehörten und ordnete alles ein.

„Haben sie auch Hunger?“, erkundigte sich Schäfchen bei seinem Assistenten auf dem Flur.

„Ja schon. Ich könnte etwas vertragen.“

„Gut. Hier gibt es eine ganz gute Kantine. Essen wir dort etwas. Sie müssen eben nur vergessen, dass wir in der Gerichtsmedizin sind“, schob er noch grinsend etwas gemein hinterher.

Das Tagesmenü, das sie dann in der Kantine der Gerichtsmedizin zu sich nahmen, war wirklich sehr gut für eine Großküche. Busch zog während des Essens alle Aufmerksamkeit auf sich, weil er wieder einmal mehr auffiel. Als er nämlich versuchte seine Serviette aufzunehmen und gleichzeitig durch einen Ruck direkt zu entfalten, bemerkte er nicht, dass sein Becher auf einer Ecke davon stand. Folglich kippte der Pappbecher um und die Cola, die Busch sich gönnen wollte, schoss als brauner Fluss über den Tisch, geradezu in Richtung seines Chefs. Der konnte dem Colaschwall gerade noch so ausweichen.

Wegen des dadurch entstehenden Stuhlrückens und Buschs erschrockenem Ausruf sah jeder in dem Saal zu dem Tisch an dem er und Schäfchen saßen. Unter der amüsierenden Beobachtung der Nachbarn reinigte Busch dann den Tisch mit Servietten, die er sich schnell von der Theke besorgte.

Am Ende sagte Busch dennoch, dass er sich an das Kantinenessen glatt gewöhnen könne, bevor sie zusammen ins Kommissariat zurückfuhren. Kriminalhauptkommissar Schaaf beauftragte Busch dort, die Aktivitäten und Informationen, die sie bis dahin an dem Tag zusammentrugen, in die Akten einzutragen. Er selbst erkundigte sich bei jedem einzelnen seiner Mitarbeiter, ob es bei den Fällen, die sie bearbeiteten, und speziell in dem aktuellen, neue Informationen für ihn gab.

Von dem Kollegen Schneider ließ er den Ansprechpartner des Gospelchores ausfindig machen und einen Termin mit ihm vereinbaren. Der Chor, so fand Schneider heraus, wird vom Herr Pfarrer selbst geleitet, der auch gerade im Pfarrhaus wäre und Zeit für die Beamten aufbringen könnte. Als er dies dem Chef mitteilte, holte er sich sofort seinen Assistenten und fuhr mit ihm gleich zum Pfarrhaus der Gemeinde. Wenn der Pfarrer ihnen so kurzfristig die Gelegenheit bot mit ihm zu sprechen, wollte er damit auch keine Zeit verlieren.

Kriminalhauptkommissar Schaaf richtete sich immer, wenn möglich, auch nach den Menschen, mit denen er sprechen wollte oder musste. Natürlich scheute er sich auch nicht davor, wenn es nötig war, von seinen polizeilichen Kompetenzen Gebrauch zu machen und jemanden vorzuladen oder unangekündigt irgendwo hineinzuplatzen und denjenigen in der Öffentlichkeit zu kompromittieren. Wenn er so einen Verdächtigen in die Enge treiben konnte, um ihn damit dann überführen zu können, griff Kriminalhauptkommissar Schaaf auch zu solchen Mitteln. Schlussendlich war ihm, wie er es auch schon Busch erklärte, jeder Weg recht, um einen Fall aufzuklären. Bei Kapitalverbrechen gab es nur die gesetzlichen Grenzen die ein Ermittler oder Staatsanwalt nicht überschritt. Moralische Barrieren waren dabei egal. Ein eiskalter Killer durfte keine Rücksicht erwarten. Und das Opfer hatte ein Recht darauf, dass sein Mörder oder Peiniger überführt und verurteilt wurde. Die Geschädigten würden ihn auch nicht mit Samthandschuhen anfassen wollen und auf einen anständigen Umgang mit dem Täter bestehen.

Den Opfern, oder deren Angehörigen, begegnete Kriminalhauptkommissar Schaaf hingegen immer mit der gebotenen Besonnenheit. Ihr Schicksal rührte ihn und ließ seine Gefühle nicht kalt. Trotz allen Abscheulichkeiten und kaltblütigen Menschen, denen er schon begegnet war, blieb Schäfchen Mensch.

Die Begrüßung des Pfarrers war sehr herzlich, obwohl er die beiden Beamten nicht kannte. Seinem Stand entsprechend, sprach er sie jeweils mit „Mein Sohn“ an und sein Händedruck fiel mehr als kräftig aus. Da der Kriminalhauptkommissar ihm zuerst die Hand reichte erfuhr er als erster den Griff, der wohl aussagen sollte: „Das ist die Hand Gottes, die du durch mich hältst“. Schäfchen beobachtete dann belustigt, wie Busch dem Pfarrer ebenfalls die Hand zur Begrüßung entgegen streckte und der ebenso beherzt zupackte, dass Busch sich regelrecht verkrampfte und die Schulter eindrehte. Es fehlte nur, dass Busch noch aufschrie. Für den zart gebauten Busch waren solch auftretende Kräfte eine Spur zu viel.

Ansonsten ergab das Gespräch mit Pfarrer Schönewald, bei dem sie offiziell nur wegen der Vermisstenanzeige recherchierten, weil die Tote noch nicht einwandfrei identifiziert war, keine neuen Aspekte. Auch er behauptete, wie der Ehemann, dass Frau Knipfer sich wie sonst auch verhielt. Ihm sei nichts Außergewöhnliches an ihr aufgefallen. Dass Frau Knipfer wahrscheinlich zu Tode kam, erwähnte der Kriminalhauptkommissar noch nicht.

Kriminalhauptkommissar Schaaf sagte dem Pfarrer, dass sie zur nächsten Chorprobe am Donnerstag hinzukommen wollten, um die restlichen Mitglieder ebenfalls zu befragen. Vielleicht würde einer oder eine von ihnen etwas wissen, was sonst keiner mitbekommen hatte. Natürlich sprach für den Pfarrer Herr Schönewald nichts dagegen und teilte ihnen mit, wann die Chorprobe begann.

„Dann sehen wir uns am Donnerstag wieder, vielen Dank“, verabschiedeten sich Schäfchen und Busch vom Herr Pfarrer und machten sich auf den Weg ins Büro. Der Händedruck des Herrn Pfarrer war dabei wieder genauso kräftig, wie bei der Begrüßung. Auch Schäfchen spürte danach seine gequetschte Hand. Da wollte er nicht wissen, wie die von Busch schmerzte, der ja bereits bei der Begrüßung sichtbare Schmerzen erduldete. Im Auto dann stellte Busch nur abschließend fest: „Ein ganz schön kräftiger Händedruck der Herr Pfarrer“. Schäfchen musste wieder schmunzeln und verkniff sich einen Kommentar dazu.

Schaaf ermittelt

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