Читать книгу Die Rettung des grauen Ponys - Örjan Persson - Страница 5

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Malin blieb noch lange bei Amie in der Box. Stumm setzte sie sich ins Stroh neben die kleine Stute. Malin mochte einfach noch nicht nach Hause gehen, zu Migräne und bedrücktem Herumschleichen. Aber schließlich knurrte ihr der Magen vor Hunger, und sie stand auf und verabschiedete sich von Amie. Ganz langsam radelte sie nach Hause, an den Supermärkten vorbei, die an der Landstraße lagen.

Vom Kiosk her roch es nach Bratwurst, und ein Schild warb mit einem Sonderpreis für Pfefferminzschokolade.

Noch ein Schlenker nach rechts, und sie war zu Hause. Zwischen den parkenden Autos spielten Emil und Karin mit ein paar Freunden. Malin fragte im Vorbeifahren, ob sie Mittag gegessen hätten.

„Schon lange!“ war die Antwort. „Überbackener Fisch. Aber wir haben dir was übriggelassen.“

„Wie geht es Mama?“ fragte Malin die beiden.

„Pst!“ Karin legte den Zeigefinger auf den Mund, und Malin brauchte keine weiteren Erklärungen.

Dann aß sie ihren überbackenen Fisch. Von draußen tönten die fröhlichen Schreie der spielenden Kinder herein, aber hier drinnen in der Wohnung wurde die Stille nur von Hans unterbrochen, der im Wohnzimmer saß und in der Zeitung blätterte.

Malin und Hans sprachen wenig miteinander. Alle praktischen Fragen klärte Malin mit ihrer Mutter. Und wenn die Mutter in einer Angelegenheit, bei der es um Malin ging, Hilfe brauchte, fragte sie Hans.

Vor Jahren war Malin mit der Mutter nach Hälledal gezogen. Vorher hatte sie bei ihrer Großmutter in dem kleinen Haus in Nyvallen gelebt. Malins Mutter hatte auch dort gewohnt, bis sie Hans getroffen hatte und mit ihm zusammengezogen war. Sie hatte wieder ein Kind erwartet, und Malin mußte bei der Großmutter bleiben. Anfangs war es so geplant gewesen, daß sie zu den beiden ziehen sollte, wenn das neue Kind geboren war. Aber es sollte noch Jahre dauern, ehe sie Nyvallen verließ.

Daß sie so lange blieb, lag daran, daß die Mutter kaum mit Emil und Karin fertig wurde. Und die Großmutter war froh, daß sie Malin noch bei sich hatte. Aber als Malin elf wurde, wurde entschieden, daß sie endlich nach Hälledal ziehen sollte.

Der Tag, an dem die Mutter mit Hans’ grünem Saab nach Nyvallen hinaufkam, war ein richtiger Festtag für Malin. Sie freute sich. In ihrem Körper sang es, als sie die Koffer zum Auto trug. Sie hatte schon an Wochenenden und in den Ferien bei der Mutter und Hans gewohnt, aber jetzt sollte sie für immer hinziehen! Sie würde zur Familie gehören.

Daß die Großmutter weinte, als sie davonfuhren, konnte Malins Freude kaum dämpfen. Sie wollte, daß sie so schnell wie möglich abfuhren. Ungeduldig wartete sie, während die Erwachsenen eine Tasse Kaffee nach der anderen tranken. Und erst sehr viel später schämte sich Malin, wenn sie an die Großmutter dachte, daß sie so froh gewesen war, von ihr fortzuziehen.

Am Morgen nach dem Krach mit der Lehrerin Lappenlisa frühstückte Malin allein gegen sechs Uhr. Das war ein Tag, an dem Hans schon um vier bei der Bäckerei anfangen mußte. Die Mutter und die Kinder standen immer erst um sieben auf.

Malin schlug ihr Physikbuch auf, während der Kakao auf dem Herd warm wurde. Es ging um Atome, das war langweilig. Sie klappte das Buch zu, ohne sich die Bilder angesehen zu haben.

Nachts hatte es geschneit. Nur eine hauchdünne Schicht Schnee war liegengeblieben. Aber es reichte, um den Boden zu bedecken, die Zweige der Bäume, die Hausdächer, die Autos auf dem Parkplatz, die Fahrräder im Fahrradstand und alle vergessenen, verstreuten Spielsachen der kleinen Kinder vom Abend vorher.

Malin hatte den ersten Schnee gern. Es wurde gleichsam innen und außen heller. Es dämmerte gerade, als sie auf den Hof kam. Der Himmel war nach dem Schneefall aufgerissen, und sie sah einige blasse Sterne hoch oben leuchten. Sie erriet, daß es ein strahlender Morgen werden würde, wenn die Sonne sich endlich für ein paar Stunden zeigte.

Den Rucksack auf dem Gepäckträger festgezurrt, fuhr Malin zum Stall. Es war Freitag, der letzte Schultag vor den Herbstferien in der kommenden Woche. Sie wollte schnell nach Amie sehen, bevor die Schule begann. Während der Ferien würde sie nachmittags Sara reiten und darauf achten, daß auch Amie genügend Bewegung bekam, wenn sie wieder auftreten konnte. Vielleicht würde sie mit Longierübungen anfangen, mehr war nicht geplant. Wenn Elofsson Amie nur nicht verkaufte!

Die Mutter wollte einige Tage zu einer von Hans’ Schwestern in Härnösand fahren, zusammen mit den beiden Kleinen, Emil und Karin. Malin freute sich darauf, einmal allein zu sein, ohne Mutter und jüngere Geschwister. Dann war es ruhiger. Hans störte Malin nicht. Wenn er und Malin allein zu Hause waren, gingen sie sich meistens aus dem Weg. Jeder kümmerte sich um sich selbst und redete nicht mehr als das Notwendigste mit dem anderen.

Im Stall traf Malin Kattis. Das Mädchen hatte nach Silver geschaut, der schon eine Zeitlang müde wirkte und wenig gefressen hatte.

„Was ist mit dir los?“ fragte Kattis. „Das ist doch nicht dein Tag heute? Annelie ist schon hier gewesen und hat gefüttert.“

„Ich wollte bloß nach Amie sehen“, sagte Malin. „Weißt du übrigens, ob Elofsson gestern wieder versucht hat, sie zu verkaufen?“

„Nein. An wen denn?“

„An den Vater von Eva Andersson.“

„Ja, also, du ...“ Kattis zögerte, sie zeichnete mit dem Schuh ein Sternenmuster in den Schnee. In den Abdrücken quoll Schmelzwasser hoch. „Aber ich weiß was anderes“, sagte sie dann und betrachtete angestrengt ihr Kunstwerk. „Nächste Woche kommt ein neues Pferd! Ein englisches Vollblut. Es gehört einer Familie aus dem Süden, die hierher zieht. Es soll ein ganz tolles Pferd sein.“

„Aber da ist ja keine Box mehr frei“, sagte Malin.

„Er nimmt Amie weg!“

„Wie ... wegnehmen?“

„Er bringt sie zum Schlachthof. Heute morgen war er im Stall und hat es Annelie erzählt. Sie war ganz verzweifelt, als sie es mir wiedererzählte. Und ich finde das auch entsetzlich. Nur weil Amie diesem neuen Pferd im Weg ist, soll sie sterben.“

Malin war sprachlos. Konnte das stimmen? Aber es konnte stimmen – was kümmerte Gustav Elofsson so ein Pony? Oder daß sie und Annelie und die anderen, die Amie versorgten und sie ritten, traurig wurden.

„Es wird noch mehr Veränderungen geben“, sagte Kattis. „Die, denen ein Pferd gehört, sollen sich morgens mit dem Füttern abwechseln. Elofsson hat zu Annelie gesagt, er ist es leid, daß hier dauernd ein Haufen Kinder rumstehen. Ich nehm an, er gibt Sara auch bald weg, jetzt wo er keine Fohlen mehr haben will, weder von ihr noch von Amie. Aber ich muß los. Tschüs!“

Der Schnee war naß und matschig, und Kattis Fahrrad hinterließ dunkle Spuren. Malin bereute es, daß sie Eva Anderssons Vater daran gehindert hatte, Amie zu kaufen. Wenn sie den Mund gehalten und nicht die Wahrheit gesagt hätte, hätte das Pony weiterleben können.

Gustav Elofsson war ein gewissenloser Mörder! Malin stampfte mit dem Fuß im Schneematsch auf, daß es ihr bis zu den Hosenbeinen hinauf spritzte.

Da kam er aus seinem Haus, schloß die Tür. Er war auf dem Weg zu seiner Arbeit als Wachmann bei der Gemeindeverwaltung.

Malin schnitt ihm den Weg zu seinem Auto ab. „Stimmt es, daß Sie Amie schlachten lassen wollen?“ fragte sie.

„Ja!“ Elofsson schloß die Autotür auf.

„Warum können Sie nicht ein bißchen warten und sie verkaufen, wenn sie gesund ist? Sie haben doch selbst zu diesem Andersson gesagt, daß es ihr in wenigen Tagen wieder gut geht!“ Malin war überrascht von ihrem eigenen Mut. Keines der anderen Mädchen, die nur bei Elofsson ritten und kein eigenes Pferd besaßen, hätten sich getraut, ihm mit solchen Vorwürfen zu kommen.

„In gut einer Woche kommt ein neues Pferd. Bis dahin muß sie weg sein!“ Elofsson ließ sich in den Fahrersitz seines grauen Volvo fallen. Das Auto ging richtig ein bißchen in die Knie von seinem Gewicht.

„Ja, aber kann sie nicht solange auf der Stallgasse stehen ... bis sie wieder gesund ist?“ sagte Malin drängend.

„Sie hat ein gewisses Alter, da ist es schwer, sie zu verkaufen!“ Er legte den Sicherheitsgurt an und startete den Motor. „Wenn ich sie verkaufe, kriege ich sowieso nicht mehr als den Schlachtpreis für sie“, sagte er. „Jetzt muß ich fahren.“

„Und wieviel ist das?“ fragte Malin mit einem Kloß im Hals.

„Ein paar Tausend. Aber sie würde mich eine Menge mehr kosten, wenn ich sie jetzt nicht verkaufe. Futter, entgangene Stallmiete für das neue Pferd, Tierarzt und Hufschmied. Ich muß auch mal an mich denken, nicht nur an dich und deine Freundinnen.“

„Aber wenn ich sie kaufe?“ Das war Malin plötzlich so herausgerutscht, als Elofsson den Rückwärtsgang einlegte und die Tür zuschlug.

„Warten Sie!“ Malin klopfte gegen das Seitenfenster.

Elofsson drehte es herunter.

„Wenn ich sie für zweitausend kaufe?“ schrie Malin.

„Hast du das Geld denn? Und wo hast du einen Stallplatz?“ fragte Gustav Elofsson mißtrauisch.

„Das kriege ich schon hin“, sagte Malin. „Wenn Sie sie nur nicht zum Schlachthof bringen!“

„Also gut. Ich bin ja kein Unmensch. Wenn du das Geld bis Montag bringst, geht es in Ordnung. Um vier Uhr am Montagnachmittag kommt der Wagen vom Schlachthof!“ Die Scheibe ging hoch, und Elofsson fuhr davon zu seiner Arbeit.

Amie hatte ihr Morgenfutter gefressen und wirkte munterer als sonst so oft. Malin betastete ihr Bein, aber Amie schien immer noch Schmerzen zu haben und zog das Bein zurück, sobald Malin sie etwas fester abtastete.

Zweitausend, und noch ein Haufen Geld für die Stallmiete und das Futter! Wie sollte sie das schaffen? Sie hatte zwar achttausend Kronen auf dem Sparkonto, aber die hatte die Mutter für sie vom Kindergeld gespart. Die würde Malin nie kriegen, um Amie zu kaufen. Vielleicht mußte sie sich einen Job suchen? Putzen oder Babysitten. Wenn sie nur Geld dafür bekam!

Die Rettung des grauen Ponys

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