Читать книгу The Great World Game - Örjan Persson - Страница 5

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Als Tobias aufwachte, hatte Brandi ihn bis zum Tempel geschleppt. Sein Gesicht war nass, und er fürchtete zunächst, es sei Blut, aber dann wurde ihm klar, dass das Mädchen ihm Wasser ins Gesicht geschüttet hatte, damit er wieder zu sich kam.

»Du bist ohnmächtig geworden, weil du so viel Blut verloren hast«, sagte Brandi. »Komm, ich helfe dir beim Aufstehen. Du kannst dich auf eine Bank im Tempelvorhof legen, ich will sehen, ob ich dir einen ordentlichen Verband anlegen kann.«

Sie legte sich seinen Arm über ihre Schultern und half ihm die Stufen hinauf. Es war jetzt sehr heiß, aber im Schatten des Dachs war es kühl und angenehm.

»Leg dich hier hin, ich mache etwas Wasser heiß«, sagte Brandi und führte ihn zu einer Steinbank, auf der ein abgewetzter, hellroter Teppich lag.

Tobias gehorchte ihr dankbar und spürte schon bald den scharfen Geruch von Rauch in der Nase.

Tempel und Vorhof waren aus Stein, grau und rissig. In der Mitte des Vorhofs stand ein Tisch, Tobias vermutete, dass es ein Altar war. In kleinen Nischen an den Wänden hatten Laternen oder Kerzen gestanden. Man sah es daran, dass die Flammen die Wand darüber geschwärzt hatten. Die Tür zum eigentlichen Tempel war mit einer schweren Eisenstange und einem riesigen Hängeschloss verriegelt.

Brandi kam mit einem Becher Wasser und einer kleinen, mit einem roten Kreuz versehenen Holzkiste zurück. Sie stellte die Kiste auf den Boden neben Tobias und reichte ihm das Wasser.

»Trink das. Ich habe es sicherheitshalber abgekocht.«

Er setzte den Becher an und trank gierig. Brandi ging noch einmal fort, um heißes Wasser zu holen.

Als sie zurückkam, schnitt sie seinen provisorischen Verband auf, reinigte die Wunde und wusch das blutverschmierte Bein.

»Es sieht ziemlich gut aus«, stellte sie fest, als sie fertig war. »Ich lege dir einen Druckverband an, dann heilt es von selbst.«

»Kennst du dich mit so etwas aus?«

Brandi lachte.

»Meine Eltern sind beide Ärzte. Ich habe also wohl oder übel so manches mitbekommen. Dein Glück, nicht wahr?«

»Ja, wirklich«, sagte Tobias. »Jetzt kann ich vielleicht meinen Health-Speicher wieder auffüllen. Wie steht es mit deinem?«

»Der lag bei 80%, als ich herkam«, antwortete Brandi. »An den 20%, die fehlten, war bestimmt die Psyche Schuld. Hier allein zu sitzen und nicht zu wissen, was man machen soll, das geht an die Nerven. Aber jetzt habe ich wieder 100%.«

»Heute Morgen hatte ich nur noch 20%«, sagte Tobias. »Gar nicht schlecht, wenn man die Schussverletzung bedenkt, den Blutverlust und so. Außerdem war ich ordentlich durchgeschüttelt nach dem Sturz. Wie kriegen wir bloß wieder Armor und Ammo

Brandi seufzte tief. »Ich habe alles abgesucht«, sagte sie besorgt. »Hier oben im Tempel gibt es natürlich nichts. Die Priester hatten wohl kaum Waffen, und wenn, dann haben sie alles mitgenommen bei ihrer Flucht.«

»Was glaubst du, wohin sind sie geflohen?«

»Vermutlich hinauf in die Berge«, sagte Brandi. »Vielleicht sind sie sogar jenseits der Berge. Ich habe mich allein nicht getraut hinaufzugehen, um zu sehen, was auf der anderen Seite ist.«

»Und warum sind sie geflohen?«

»Ich hoffe, dass wir im Verlauf des Spiels eine Erklärung dafür finden. Wenn es überhaupt weitergeht.«

»Ich würde am liebsten zurückgehen und noch einmal anfangen«, sagte Tobias. »Mit diesem Bein weiterzumachen, das bringt nichts.«

»Du, Tobias«, sagte Brandi, »das hier ist kein normales Spiel. Dazu ist es viel zu realistisch. Ich glaube auch nicht, dass man wieder zurückgehen kann. Wir müssen uns bestimmt noch durch einige Hindernisse schießen, um weiterzukommen.«

»Und dazu brauchen wir 100% Ammo und 100% Armor«, sagte Tobias. »Noch besser wären jeweils 200%, wenn das geht. Und jede Menge Glück.«

»Und wo finden wir Waffen und Munition?«, fragte sie.

Tobias dachte nach.

»Wenn nicht hier, dann bei den Leuten, die das Fort verteidigt haben.«

»Genau«, sagte Brandi. »So weit bin ich mit meinen Überlegungen auch schon gekommen. Ich glaube, die einzige Möglichkeit ist, sich zum Fort durchzuschlagen und Ammo und Armor zu erobern.«

»Aber wie finden wir zum Fort zurück?«

»Wenn man den Weg, auf dem ich dich gezogen habe, weitergeht, kommt man zu einem Pass. Ich vermute, es sind nur ein paar Meilen bis dort hinauf. Und wenn man erst einmal dort ist, müsste man sehen können, was sich auf der anderen Seite befindet. Wenn wir Glück haben, ist das Fort dort. Wenn man nämlich in die falsche Richtung geht, läuft man sich zu Tode. Und das kann wohl nicht der Sinn sein. Dieses Tal ist ewig lang und die seitlichen Berge sind hoch. Ich wette um hundert Dollar, dass der Weg über den Pass der richtige ist.«

»Ich werde nicht mit dir wetten«, sagte Tobias. »Du hast bestimmt Recht. Aber warum hast du dich hier niedergelassen? Und nicht beim Hof unten im Tal?«

»Wasser«, sagte Brandi.

»Wasser?«

»Unten im Tal gibt es nur ein ausgetrocknetes Flussbett«, sagte sie. »Hier oben gibt es eine Quelle, die in ein großes Becken läuft. Von da verschwindet das Wasser wieder in der Erde. Ohne Wasser überlebt man hier nicht sehr lange. Die Leute, die den Hof im Tal bewohnt haben, schleppten es von hier oben hinunter, das sieht man an den Tonkrügen, die vor den Häusern stehen.«

Brandi hatte die ganze Zeit gekniet, jetzt stand sie auf und streckte den Rücken.

»Das war das. Ich sammle jetzt nur noch die Sachen wieder ein und deine blutigen Fetzen.«

»Gibt es etwas zu essen hier?«, fragte Tobias.

»Reis«, sagte Brandi. »Einen halben Sack. Wenn der Herr geruhen, eine halbe Stunde zu warten, werde ich Wasser für den Reis kochen.«

»Warum dauert das so lange?«

Brandi lachte. »Es geht hier nicht so schnell wie zu Hause, einfach was in die Mikrowelle stellen oder zu Wimpy’s oder MacDonald’s zu fahren«, sagte sie. »Die Feuerstelle besteht aus ein paar Steinen hinter dem Haus. Das hier ist die reine Steinzeit, verstehst du.«

»Meinst du, dass wir auch in einer anderen Zeit sind?«, fragte Tobias erschrocken.

Brandi zeigte auf die Erste-Hilfe-Box zu ihren Füßen.

»Die sieht doch ziemlich modern aus, oder nicht? Und der Karren, auf dem ich dich gezogen habe, hatte Autoreifen. Aber es gibt hier keinen anderen Herd als diesen Ring aus Steinen. Es sind übrigens zwei gleiche Ringe nebeneinander.«

»Okay, ich warte, bis du etwas zu essen gemacht hast«, sagte Tobias und versuchte, seine Stimme zu beherrschen, obwohl sein Magen so vor Hunger knurrte, dass man es auf dem ganzen Tempelvorhof hörte. »Ich kann ja inzwischen mal aufs Klo gehen«, fügte er hinzu. »Wo ist das denn?«

»Wenn du ein Klo fändest, wäre das prima«, sagte Brandi und lächelte mitleidig.

»Gibt es denn keins?«

Brandi schüttelte den Kopf.

»Das ist hier noch nicht erfunden. Aber nach den Spuren zwischen den Büschen zu schließen, setzt man sich irgendwohin.«

»Wie eklig«, sagte Tobias voller Abscheu.

»Finde ich auch«, sagte Brandi. »Geh einfach auf die andere Seite vom Weg.«

»Und was ist mit Klopapier?«

Brandi lachte.

»Wir sind hier in der Dritten Welt. Glaubst du wirklich, dass sie hier Klopapier haben? Nein, sie waschen sich den Hintern mit der linken Hand. Hast du noch nie etwas darüber gelesen? Und die rechte Hand nehmen sie zum Essen. Es gibt nämlich auch keine Gabeln.«

Brandi verschwand hinter dem Tempel und kam mit einer Colaflasche, die mit Wasser gefüllt war, wieder.

»Bitte schön. Soll ich dir helfen?«

Tobias setzte sich auf der Bank auf. Ihm war schwindelig.

»Du solltest nach Möglichkeit nicht herumlaufen«, ermahnte Brandi ihn. »Aber in die Büsche musst du natürlich.«

Er legte einen Arm um ihre Schultern, und sie half ihm, die Stufen hinunter und über den Weg zu gehen.

»Ruf mich, wenn dir ich beim Hinaufsteigen helfen soll«, sagte sie und ließ ihn allein.

Es gelang Tobias nur mit Müh und Not, sich mit seinem pochenden Bein hinzuhocken, aber er konnte sich mit dem Rücken an einen Baum lehnen, und so ging es.

Da ein leises Gurgeln zu hören war, nahm er an, dass er sich in der Nähe des Wasserbeckens befand. Er wusch die linke Hand mit dem restlichen Wasser aus der Colaflasche und rief Brandi.

Als sie wieder im Tempelvorhof waren, ließ Brandi ihn einfach stehen, und er musste sehen, wie er allein zur Steinbank kam. Er war erstaunt, wie gut es ging. Zwar zog er das Bein nach, aber mit einer Krücke würde er ohne Hilfe gehen können.

»Ich koche jetzt Reis«, sagte Brandi und verschwand hinter dem Tempel.

Tobias legte sich auf die Bank und dachte an einen großen Hamburger mit Pommes und viel Ketchup und Röstzwiebeln. Und an ein paar große Becher Cola. Sein leerer Magen knurrte wie ein Wolf, und er war den Tränen nahe, als er an richtiges Essen dachte. Reis und Wasser, wie öde. Aber für den Augenblick musste er sich fügen, er hatte keine Wahl.

Tobias döste ein Weilchen und vergaß seinen Hunger, und als er wieder aufwachte, stand Brandi vor ihm mit zwei dampfenden Schalen Reis und zwei Bechern Wasser. Er stürzte sich aufs Essen und verschlang gierig seine Portion.

»Gibt es noch mehr?«, fragte er.

Brandi schaute ihn an mit einem Blick, als wäre sie seine große Schwester.

»Im Sack ist noch Reis«, sagte sie. »Aber was willst du machen, wenn der alle ist? Wir müssen sparsam sein und dürfen nicht alles auf einmal aufessen.«

»Aber von dem bisschen bin ich nicht satt geworden«, protestierte Tobias. »Die paar Reiskörner in meinem Bauch ...«

»Heute Abend kochen wir wieder Reis«, sagte Brandi. »Es ist besser, mehrmals kleine Portionen zu essen, als auf einmal große Mengen in sich hineinzustopfen. Wir wissen doch nicht, wie lange wir hier bleiben müssen.«

»Du bist hier der Boss, nicht wahr?«, sagte Tobias ironisch.

Brandi schaute ihm fest in die Augen.

»Ja«, sagte sie bestimmt. »Ich bin hier der Boss. Ich war zuerst da und ich habe dir das Leben gerettet. Du kannst ohne meine Hilfe noch nicht mal scheißen gehen. Tu mir also den Gefallen und spiel dich nicht auf.«

Tobias schaute in Richtung des Wegs und der Büsche. Sie hatte völlig Recht. Er musste sich fügen. Aber wenn sein Health erst wieder bei mindestens 70% war, würde er es ihr zeigen. Dann sollte sie sich bloß nicht mehr einbilden, wer zu sein!

Doch jetzt war es, wie es war, und er musste sie bestimmen lassen. Der Schwächere musste sich unterordnen. Sie sollten lieber über etwas anderes reden.

»Du wolltest mir erzählen, wie du hierher gekommen bist«, sagte er.

Brandi entspannte sich und ihr gerade noch hartes Gesicht bekam etwas weichere Züge.

»Ich habe The Great World Game gespielt«, sagte sie. »Genau wie du, nehme ich an.«

»Stimmt«, sagte Tobias.

»Ich kam auf die andere Seite des Forts, und wie ich schon gesagt habe, verlor ich sofort das Gleichgewicht. Ich fiel auf die Erde. Da waren haufenweise Leute, sie schrien und stürzten sich auf mich. Ich war sicher, dass ich sterben würde.«

»Hattest du dein Ammo und Armor aufgebraucht?«

»Nein, ich hatte noch 40% Ammo und 60% Armor

»Und Health

»90%.«

»Oha«, sagte Tobias beeindruckt. »Du musst ziemlich gut sein, wenn du mit so geringen Verlusten durchgekommen bist. Ich hatte nur noch ein leeres Gewehr und es ging mir beschissen.«

»Ich sitze mindestens vier Stunden pro Tag am Bildschirm und spiele Shoot ‘em up-Games«, sagte Brandi. »Ich bin Expertin. Ich konnte Quake und Doom mit verbundenen Augen spielen, als diese Spiele gerade in waren. Hätte ich es am Schluss nicht so eilig gehabt, ich wäre bestimmt weitergekommen und nicht hier gelandet.«

»Aber wie bist du ihnen denn entkommen?«

»Sie warfen sich auf mich, als ich am Boden lag. Ein Mann ging mit einem Schwert auf mich los. Er wollte mich töten. Aber ich parierte mit meiner Waffe, und er hat mir nur den Kratzer beigebracht, den ich dir gezeigt habe. Doch plötzlich riss mir jemand die Waffe aus der Hand und dann lag ich da mit 0% Ammo. Der Mann hob noch einmal sein Schwert und hätte mir bestimmt den Kopf abgehauen, wenn nicht eine Frau sich auf ihn gestürzt und er das Gleichgewicht verloren hätte. Der Hieb war so kräftig, dass das Schwert neben mir in der Erde verschwand, nur der Schaft schaute noch heraus. Aber ich überlebte. Der Mann schrie der Frau etwas zu, sie schrie zurück und stellte sich über mich und schützte mich mit ihrem Körper. Ich verstand zwar nicht, was sie sagte, aber sie schaffte es, dass die Leute sich zurückzogen und mich in Ruhe ließen. Dann nahm sie mich zu einer Hütte im Wald mit.«

»Und dann?«, fragte Tobias aufgeregt.

»In der Nacht schlichen wir uns im Schutz der Dunkelheit wieder zum Fort und stellten eine Leiter an die Mauer. Die Frau bedeutete mir, dass ich hinaufklettern und um die Ecke auf die andere Seite steigen solle. Als ich oben war, zog sie die Leiter weg und verschwand. Ich bog um die Ecke, aber es war so stockdunkel, dass ich nicht sah, wohin ich trat.«

»Du bist also gefallen.«

»Ja, ich bin hier oben im Wald gelandet. Da war unglaublich was los. Zuerst dachte ich, es ist wieder eine Menschenmenge, die mich töten will, aber dann sah ich, dass es eine Affenhorde war, die ich aufgescheucht hatte. Die Affen kreischten und rannten wild durcheinander. Aber sie beruhigten sich schnell wieder und ich blieb dort bis zum Morgen. Schließlich fand ich den Tempel. Gestern Abend kamen die Affen hierher und saßen die ganze Nacht hindurch auf einer Mauer. Sie sind eine recht angenehme Gesellschaft.«

»Und so verging die Zeit und dann kam ich«, sagte Tobias zusammenfassend.

»Ja«, sagte Brandi. »Es kommen bestimmt noch mehr Spieler. Es wäre merkwürdig, wenn nur wir zwei es geschafft hätten, durch das Fort hindurchzukommen.«

»Tja, mal sehen«, sagte Tobias.

Brandi nahm die leeren Schüsseln, um sie zu spülen, und Tobias legte sich auf die harte Pritsche.

Er war nicht mehr ganz so hungrig wie unmittelbar nach dem Essen und bald schlief er wieder ein.

Als er aufwachte, war es fast dunkel.

»Ich helfe dir, zum Wasserbecken zu gehen, damit du dich waschen kannst«, sagte Brandi. Sie saß mit gekreuzten Beinen auf der langen steineren Bank, die an der Wand befestigt war.

Sie nahm zwei abgenutzte Handtücher und zwei Stückchen Seife, die sie bereitgelegt hatte.

»Sie sind nicht gerade wie unsere dicken amerikanischen Frotteehandtücher«, sagte sie. »Aber besser als nichts. Ich habe auch ein Hemd für dich gefunden. Es wird hier nachts sehr kalt.«

Tobias zog das Hemd an, es war weiß und aus Baumwolle. Dann legte er wieder einen Arm um Brandis Schultern und humpelte los. Das Becken war näher, als er gedacht hatte. Sie half ihm zur untersten Stufe, dann ging sie auf die andere Seite des Beckens. Es war rasch dunkel geworden, Tobias konnte nur ahnen, dass Brandi sich ganz auszog, ehe sie ins Wasser glitt. Da bewegte sich etwas über ihr auf der Mauer oberhalb des Beckens – Schatten, die umherhüpften wie böse Geister.

Die Affen!

Auf dem Rückweg blieb Tobias stehen und hob einen Stock auf, über den er fast gestolpert wäre. Der Stock hatte am einen Ende eine Gabel, und wenn er ein bisschen kürzer gewesen wäre, hätte er sich ausgezeichnet als Krücke geeignet.

»Gibt es hier irgendwelches Werkzeug?«, fragte Tobias, als sie wieder im Tempelvorhof waren.

»Ja«, antwortete Brandi. Sie holte eine rostige Säge und ging dann zur Kochstelle, um Reis fürs Abendessen kochen.

Als Tobias den Stock abgesägt hatte, probierte er ihn aus. Damit würde er sich prima fortbewegen können. Aber er sagte Brandi nichts davon, als sie mit dem Essen kam. Sie aßen beide schweigend den faden geschmacklosen Reis.

Danach führte Brandi ihn zu einem kleinen Gebäude mit flachem Dach, das dem Tempel angeschlossen war. Es bestand aus einem einzigen Zimmer, auf dem Boden lagen zwei abgewetzte Matratzen und zwei Decken.

»Willkommen in unserer Hütte«, sagte Brandi. »Ich habe zusammengesucht, was ich hier oben und unten beim Hof gefunden habe. Du kannst hinten liegen.«

Tobias kroch zu dem ihm angewiesenen Lager. Brandi zog ihre Joggingschuhe aus, legte sich auf ihre Matratze und deckte sich zu.

Tobias konnte von seinem Lager durch die glaslose Fensteröffnung ein Stück des Sternenhimmels sehen.

»Ich denke gerade darüber nach, was es wohl bedeutet, dass wir ausgerechnet hier gelandet sind«, sagte er nachdenklich. »Es ist bestimmt kein Zufall.«

»Wer weiß«, sagte Brandi. »Wenn noch andere es geschafft haben, durch das Fort hindurchzukommen, sind sie vielleicht an ganz unterschiedlichen Orten gelandet. Es müssen doch viele das Spiel gefunden haben.«

»Die haben es vielleicht nicht mal geschafft, durch das Fort zu kommen«, sagte Tobias.

»Da kannst du Recht haben. Bestimmt sind nicht viele so gut darin, sich den Weg frei zu schießen. Aber etwas war doch merkwürdig. Das Spiel tauchte von ganz allein auf meinem Computer auf, ohne dass ich danach gesucht hätte.«

»Das war bei mir genauso«, sagte Tobias. »Ich habe das noch nie erlebt.«

»Es war ein bisschen unheimlich«, sagte Brandi. »Als ob jemand mich hineingelockt und ich gar nicht selbst entschieden hätte. Ich wüsste nur zu gerne, wie das zugegangen ist. Vielleicht sollte man mit dem Spielen aufhören. Sich was anderes einfallen lassen. Was machst du denn sonst in deiner Freizeit?«

»Tja, Ski fahren, Snowboard fahren ...«, sagte Tobias und dachte sehnsüchtig an die Årenbackarna, wo er viel Zeit zugebracht hatte, bevor er einen eigenen Computer bekommen hatte.

Wenn es ihm nur gelänge, durch das Fort und nach Hause zu kommen, würde er wieder mehr Ski fahren. Das Spiel war zwar spannend, aber im Moment kam ihm alles schwierig und ziemlich gefährlich vor. Fast nichts zu essen, und diese anhaltenden Schmerzen in seinem Bein! Und es schien fast aussichtslos, wieder durch das Fort zurückzukommen.

»Ich bin gespannt, was morgen passiert«, sagte Brandi. »Aber jetzt schlafen wir erst einmal. Gute Nacht.«

Tobias lag wach und dachte nach. In ähnlichen Virtual-Reality-Games musste man gegen andere Mitspieler kämpfen, die auch im Internet waren. Was war Brandis Rolle? Wenn sie einander helfen mussten, um weiterzukommen, dann wäre das eine völlig neue Spielvariante. Irgendetwas stimmte nicht. Zusammen statt gegeneinander zu arbeiten widersprach allem, was er bisher mit Computerspielen erlebt hatte.

Dann ging ihm allmählich ein Licht auf. Vielleicht hatte Brandi ihm nur geholfen, weil sie hoffte, dass er sie aus dem Spiel herausholen würde. Sie wollte ihn als Werkzeug benutzen! Vielleicht gehörte sie sogar zu den Gegnern, die es in so einem Spiel immer geben musste, und man hatte ihn in einen Hinterhalt gelockt. Er sehnte sich nach seinem Zuhause, nach Foxie und seinem schönen warmen Bett. Würde er je wieder heimkommen?

Von Brandi war kein Laut zu hören, deshalb nahm er an, dass sie noch wach war. Von draußen drangen jedoch Geräusche herein, das Zirpen der Zikaden und leises Geschnatter von der Affenherde.

Er wartete. Die Armbanduhr lag zu Hause neben dem Computer. Aber es war schließlich egal, ob es neun oder elf Uhr war. Brandi schnaufte laut und drehte sich um. Sie schien zu schlafen. Tobias wartete noch ein bisschen. Brandi hatte ihre Matratze so hingelegt, dass er über sie klettern musste. Es war also besser, noch ein wenig zu warten.

Als er sicher war, dass sie tief und fest schlief, erhob er sich leise. Er faltete die Decke zusammen und nahm sie unter den Arm. Dann setzte er vorsichtig einen Fuß auf Brandis Matratze. Nein, sie wachte nicht auf. Den anderen Fuß. Tobias wagte kaum zu atmen, stand lange da und sammelte sich. Dann machte er einen großen Schritt über das schlafende Mädchen hinweg und schlich hinaus auf den Weg. Im Tempel war alles ruhig.

In der einen Hand hielt er die Krücke, in der anderen Brandis Turnschuhe. Er hatte beobachtet, wohin sie sie gestellt hatte, bevor sie sich schlafen legte, er brauchte also nicht lange zu suchen. Sicherheitshalber ging er zuerst ein Stück barfuß, dann erst zog er die Schuhe an. Sie waren ein bisschen eng, aber er hatte bemerkt, dass Brandi ziemlich große Füße hatte. Und da die Alternative gewesen wäre, barfuß zu gehen, hatte er beschlossen, ihre Schuhe zu nehmen.

Wegen des verletzten Beins und der Dunkelheit kam er nicht gerade schnell voran. Und er bemerkte auch nicht den lautlosen Schatten, der sich aus dem Dunkel des Tempels gelöst hatte und ihm jetzt folgte.

Tobias kam nicht weit. Es pochte und schmerzte in seinem Bein und bald musste er sich hinsetzen und sich ausruhen. Ihm wurde klar, dass er wegen des Blutverlusts nicht sehr fit war. Und seine Kondition war auch nicht die beste, weil er nicht mehr trainierte und seit fast einem Jahr jeden Abend vor dem Computer saß.

Er war noch immer im Wald. Um ihn herum war es stockdunkel und unheimlich, und als er den Eindruck hatte, dass sich weiter unten auf dem Pfad etwas bewegte, bekam er eine Gänsehaut. Er versuchte zu sehen, was es war, aber wie sehr er sich auch konzentrierte, er konnte in der Dunkelheit nichts erkennen. Die langen Zweige der Bäume hingen über den Weg, es war wie in einem Tunnel. Nein, er konnte nicht sitzen bleiben. Egal wie weh es tat, er musste auf den Berg oberhalb des Waldes, von wo aus er eine bessere Sicht hatte.

Vielleicht gab es hier Schlangen? Tobias trat fest mit dem gesunden Bein auf, um eventuelle Reptilien zu verscheuchen, und stolperte weiter.

Keuchend und humpelnd kam er vorwärts. Endlich lichteten sich die Bäume und er sah die Umrisse der Berge im Sternenlicht. In die Erde waren Stufen gehauen und mit Zweigen verstärkt worden. Aber Tobias konnte kaum noch. Er war durstig und bereute, dass er nicht daran gedacht hatte, Wasser mitzunehmen.

Ein Stückchen weiter oben, etwas abseits vom Weg, lag ein großer Felsblock. An der Talseite des Felsens fand er eine Grube mit Sand. Er rollte die Decke aus, wickelte sie fest um sich und legte sich in die weiche Mulde.

Es waren vielleicht noch hundert Meter bis zum Pass. Sobald es zu dämmern anfing, würde er da hinaufsteigen, um zu sehen, was sich jenseits der Berge befand.

Im Sternenlicht konnte er den steilen Abhang zum Wald erkennen. Wenn Schnee gelegen und er seine Skier gehabt hätte und keine Wunde am Bein ...

Er zog die Decke übers Gesicht, ließ nur ein kleines Loch zum Atmen offen und versuchte zu schlafen.

Der Schatten, der ihm gefolgt war, näherte sich dem Felsblock. Aus der Nähe hätte man sehen können, dass dort kein Gespenst war, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut mit einem Gewehr in der Hand, der vorsichtig hinter dem Felsvorsprung hervorlugte.

The Great World Game

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