Читать книгу Fear Street 44 - Der Augenzeuge - R.L Stine - Страница 5
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Оглавление„Was ist mit deiner Zahnbürste? Hast du deine Zahnbürste eingepackt? “
Leise zählte Della bis drei. Dann sagte sie mit beherrschter Stimme: „Ja, Mama. Ich habe meine Zahnbürste eingepackt. Meinst du, dass ich auch den Föhn mitnehmen sollte? Und noch drei oder vier Garnituren Kleidung zum Wechseln? Es geht ja schließlich um eine ganze Übernachtung!“
„Kein Grund zum Sarkasmus“, sagte Mrs O’Connor und drückte auf Dellas eingerollten Schlafsack. „Ist der fest genug zusammengerollt? Meinst du, du kannst ihn tragen?“ Dellas Mutter war klein und sehr dünn, und sie bewegte sich immer schnell. Außerdem sprach sie, ohne Luft zu holen, und stellte zehn Fragen in der Zeit, die andere brauchten, um eine zu stellen. Sie erinnerte Della an einen Schmetterling, der ohne Pause von Blume zu Blume flatterte. Jetzt, am Samstagmorgen, flatterte sie geschäftig durch Dellas Zimmer, während Della für die Übernachtung packte.
„Mama, weswegen bist du so ängstlich?“, fragte Della. „Wir haben doch oft gecampt, als Papa noch bei uns war.“
Sofort tat es ihr leid. Sie hätte ihren Vater nicht so beiläufig erwähnen sollen. Ihre Eltern waren vor zwei Jahren geschieden worden, und ihr Vater hatte sofort wieder geheiratet.
Ihre Mutter reagierte nicht. Sie war zu sehr damit beschäftigt, den Schlafsack zusammenzudrücken. „Dieser Mr Abner“, sagte sie. „Du hast nicht viel von ihm erzählt.“
„Das kommt daher, dass ich keinen Unterricht bei ihm habe. Er ist nur unser Klubleiter. Er ist großartig. Wirklich. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, Mama.“
„Aber warum gerade die Fear-Street-Insel?“, fragte Mrs O’Connor. „Das ist so ein unheimlicher Ort.“
„Genau deswegen“, sagte Della, ging zum Spiegel und kämmte mit der Haarbürste ihr langes, glattes Haar. „Es soll aufregend sein, verstehst du?“
„Aber ausgerechnet diese Insel … Man hört so scheußliche Geschichten.“ Ihre Mutter stellte ein paar Bücher in einem Regal richtig hin, dann schüttelte sie das Kissen auf Dellas Bett auf.
Die Fear-Street-Insel war eine kleine, unbewohnte, mit Kiefern bewachsene Insel in der Mitte des Sees hinter dem Fear-Street-Wald. Selbst wenn sie für Picknicks und Camping wie geschaffen war, trauten sich nur wenige Leute dorthin, weil so scheußliche Geschichten über die Insel erzählt wurden.
Zum Beispiel, dass seltsame Tiermutationen, scheußliche, gefährliche Kreaturen, die nirgendwo sonst existierten, den Wald durchstreiften. Oder dass die Insel von giftigen Schlangen verseucht sei. Und dann gab es das Gerücht, dass die Insel vor langer Zeit als indianischer Friedhof genutzt worden sei und dass Geister nachts durch den Wald wanderten, um Rache für ihr Schicksal zu nehmen.
Della glaubte eigentlich nicht an diese Geschichten. Sie war sich sicher, dass sie von Campern erfunden worden waren, um andere davon abzuhalten, auf die Insel zu kommen. Aber ganz bestimmt gaben sie einer Übernachtung dort einen Hauch von Abenteuer. Und das konnte auf keinen Fall schaden.
„So ein öder Naturpark ist doch langweilig“, sagte Della zu ihrer Mutter. „In einer gruseligen Umgebung ist Campen viel aufregender.“
„Nun, ich hoffe, es ist nicht zu aufregend“, erwiderte ihre Mutter, ging hinter ihr her und zog ihr Sweatshirt glatt. „Wenn irgendetwas Schlimmes passiert, rufst du mich sofort an, okay?“
Lachend wirbelte Della herum. „Dich anrufen? Womit denn? Ich sag dir was – ich werde Rauchsignale schicken, okay?“
„Das ist nicht lustig“, sagte Mrs O’Connor. Aber sie musste auch lachen.
Der Klang einer Hupe von der Straße beendete ihre Unterhaltung. „Das ist Pete“, sagte Della zu ihrer Mutter. Sie warf sich den Rucksack über die Schulter und griff nach dem blauen Schlafsack.
„Wer ist Pete?“, fragte ihre Mutter misstrauisch.
„Ein Junge aus dem Klub.“ Della beugte sich zu ihrer Mutter, küsste sie auf die Wangen und schleppte sich unter dem Gewicht des ausgebeulten Rucksacks aus der Tür.
Sie winkte Pete, der aus dem blauen Subaru-Kombi stieg, um ihr mit ihren Sachen zu helfen. Er trug Jeans und ein bunt kariertes Flanellhemd. „Hallo“, sagte er und riss die Hintertür auf. „Schöner Tag.“ Die Sonne stand hoch an einem kräftig blauen Himmel.
„Ja. Es ist so friedlich hier draußen.“
„Friedlich?“ Er sah verwirrt aus.
„Meine Mutter ist nicht hier und stellt tausend Fragen.“
Er lachte.
„Er hat einfach perfekte Zähne“, dachte sie. „Einfach zu perfekt.“
Dann rief sie sich zur Ordnung. Sie durfte ihm gegenüber nicht immer so kritisch sein. Er war eigentlich ein netter Junge. Schließlich hatte er ihr angeboten, sie zum Fear-Street-See mitzunehmen. Er konnte nichts dafür, dass seine Zähne zu gerade waren, dass seine Nase zu gerade und perfekt war, dass sein Haar zu ordentlich war und dass er sich besser als alle anderen kleidete.
Und er schien sie wirklich zu mögen. Vielleicht, dachte sie, als sie auf den Vordersitz neben ihn kletterte, sollte sie versuchen, ihn auch zu mögen.
Aber ihre Unterhaltung auf dem Weg zum See kam nur stockend in Gang. Pete erzählte ihr von einer Camptour, die er mit seiner Familie gemacht hatte, doch sie konnte sich nicht konzentrieren. Seine Stimme ging zum einen Ohr hinein und zum anderen wieder hinaus. Sie dachte an Gary. Daran, was sie ihm sagen würde, wie sie sich mit ihm versöhnen würde, wenn sie erst allein im Wald wären.
„Hast du?“, fragte Pete.
„Was?“ Ihr wurde klar, dass sie Pete überhaupt nicht mehr zugehört hatte.
„Hast du mit Gary Schluss gemacht?“ Er starrte geradeaus auf die Straße.
„Nun, ja. Ich schätze. Ich meine nein. Ich weiß nicht.“
Pete lachte verlegen. „Soll ich das Thema wechseln?“
„Entschuldige“, sagte Della. Die Frage hatte sie total verwirrt. „Gary und ich … ich meine, wir haben nicht richtig Schluss gemacht.“
„Oh.“ Pete verbarg nicht seine Enttäuschung. „Die Nacht im Freien wird bestimmt lustig“, wechselte er das Thema. „Du hast doch keine Angst, die Nacht auf der Fear-Street-Insel zu verbringen, oder?“
„Nein. Ich glaube nicht.“
„Halt dich an mich. Ich werde dich beschützen“, sagte er mit übertrieben tiefer, männlicher Stimme.
„Beschützen vor was? Vor Rickys blöden Witzen?“
„Ich denke, er ist schon irgendwie komisch“, meinte Pete und bog in die Fear Street ein, hinunter in Richtung Wald. „Auf eine plumpe, seltsame Art.“
Das Auto holperte über die Straße, die an der Ecke des Fear-Street-Waldes endete, ungefähr fünfzig Meter vom Wasser entfernt. Pete hupte, als die anderen ins Blickfeld kamen. „Alle sind schon da“, sagte Della.
Sie konnte sehen, dass Gary und Ricky sich über etwas stritten. Maia saß am Wasser. Suki stand neben Gary. Pete hielt das Auto an und stellte den Motor ab. Neben den beiden Kanus, die Gary mitgebracht hatte, waren Rucksäcke und Schlafsäcke aufgetürmt.
Della winkte ihren Freunden zu und half Pete, ihre Sachen aus dem Kofferraum des Kombis zu holen.
„Der See sieht so schön aus heute“, sagte sie. Das Wasser war ganz still. Weiße Wolken spiegelten sich darin. Zwei Enten kreischten laut und bewegten ruckartig ihre Köpfe, als sie in der Nähe des Ufers vorbeischwammen. Die Insel war ein niedriger, grüner Hügel am Horizont.
„Okay. Wir sind alle da. Es kann losgehen“, sagte Gary und sah Della an. Er trug eine verblichene Denim-Jacke über einem roten T-Shirt. Sein blondes, welliges Haar funkelte in der Sonne wie Gold.
„Er sieht hinreißend aus“, dachte sie. Sie lächelte ihn warm an, und er lächelte zurück. „Gary, ich möchte …“, begann sie.
Aber Suki stellte sich schnell vor sie. „Ich hab noch nie ein Kanu gepaddelt. Zeigst du mir, wie das geht?“, fragte sie Gary mit kindlicher Stimme.
„Klar“, sagte er. „Setz dich einfach in die Mitte, und sieh zu. Wer in der Mitte sitzt, paddelt nicht.“
„Ich nehme dieses Kanu. Ihr könnt das da nehmen“, sagte Ricky. Er sprang in das linke, legte sich auf den Rücken und nahm das ganze Kanu ein.
„Sehr lustig, Schorr. Erinnere uns später daran zu lachen“, sagte Suki.
Della musste über Sukis Outfit lächeln. Es war nicht gerade campingmäßig. Ihre Jeans hatten silberne Nieten an den Hosenbeinen. Sie trug ein langes, schwarzes T-Shirt mit einem kürzeren, weißen Guns-N’-Roses-T-Shirt darüber. Wie üblich hatte sie vier verschiedene Ohrringe in jedem Ohr.
„Hallo, Della. Hier bin ich.“ Maia lief zu Della; obwohl sie lächelte, sah sie besorgt aus.
„Super“, sagte Della. „Hattest du es schwer mit deinen Eltern?“
„Nein. Nicht wirklich“, sagte Maia. „Sie wollten nur nicht fahren, als sie mich hier abgesetzt hatten. Sie wollten erst mit Mr Abner sprechen.“
„Oh nein. Was hast du gemacht?“
„Schorr hat ein paar Witze gerissen, und sie haben sich entschlossen, lieber das Weite zu suchen“, witzelte Suki.
„Lass mich in Ruhe“, schrie Ricky aus dem Kanu. „He, wo ist in dem Ding das Gaspedal?“
„Nein, jetzt mal im Ernst, sie haben es sich anders überlegt“, sagte Maia zu Della. „Aber ich weiß, dass sie herausfinden werden, was wir hier machen.“ Nervös ballte sie ihre Hände zu Fäusten.
„Sei nicht albern“, sagte Della. „Wie sollen sie das herausfinden?“
Einige Minuten später paddelten sie, jeweils drei in einem Boot, über den stillen, blauen See zur Insel. „Das Wasser ist so klar heute, dass du die Fische sehen kannst“, sagte Pete und lehnte sich über die Kanuwand.
Das Kanu neigte sich zur Seite. „Oh, Entschuldigung.“ Er setzte sich wieder gerade hin und paddelte weiter.
„Willst du schwimmen, Pete?“, rief Ricky aus dem anderen Boot herüber. „Vergiss aber nicht die Schwimmflügel.“
Niemand lachte. Seite an Seite glitten die beiden Kanus durch das Wasser. Pete und Della paddelten das eine Kanu mit Maia in der Mitte. Gary und Ricky hatten im anderen Kanu die Ruder übernommen. Suki saß praktisch auf Garys Schoß.
„Wird sie ihn wohl auch nur eine Sekunde aus den Augen lassen?“, fragte sich Della. Sie war entschlossen, so bald wie möglich mit Gary zu reden. Sie hatte die ganze Nacht wiederholt, was sie sagen wollte. Irgendwie wusste sie, dass er zu ihr zurückkommen würde, wenn sie erst mit ihm gesprochen, wenn sie ihn erst um Entschuldigung gebeten hatte. Suki konnte sich jemand anderen suchen. Das dürfte kein Problem für sie sein.
„Geduld, nur Geduld“, wiederholte Della still, während sie ruderte. Aber es war schwer zu warten. Warum musste man im Leben so oft warten? Selbst wenn man eigentlich Spaß haben sollte, verbrachte man den größten Teil davon mit warten.
Der Schlag der Paddel auf dem Wasser war jetzt das einzige Geräusch. Della wurde es trotz der kalten Luft richtig warm. Ruhig bewegte sie ihr Paddel im Rhythmus mit Petes. Die Insel wurde größer, je näher sie heranglitten. Vor einer Reihe von Kiefern konnte Della einen steinigen Strand erkennen. Noch ein paar Minuten …
„Whooa!“ Sie hörte Ricky aufschreien, blickte auf und sah ihn in dem anderen Kanu stehen. Seine Augen waren weit aufgerissen, und er hielt sich die Hand vor den Mund. Das Boot neigte sich von einer Seite zur anderen.
„Setz dich hin!“, schrie Gary ihm zu.
„Mir ist so schlecht. Ich werde seekrank!“, rief Ricky und versuchte, sich auf den Beinen zu halten, während das Kanu gewaltig schaukelte.
„Sei kein Idiot! Du bringst uns zum Kentern!“, schrie Suki.
Mit der einen Hand hielt Ricky sein Paddel hoch, mit der anderen hielt er sich den Mund zu. „Oh Gott! Ich glaub, ich muss kotzen!“
„Dann tu das gefälligst im Sitzen!“, schrie Gary.
„Okay. Super Idee.“ Ricky ließ sich auf seinen Platz zurückplumpsen. Er grinste Gary und Suki an. Natürlich hatte er alles nur gespielt.
„Das ist nicht lustig, Schorr“, sagte Gary und schüttelte den Kopf.
„Du solltest deinen Namen ändern“, meinte Suki, die immer noch mitgenommen aussah. „In: Das-ist-nichtlustig-Schorr.“
„Kommt schon“, sagte Ricky und nahm das Paddeln wieder auf. „Ihr habt doch was zu lachen gehabt, oder? Habt ihr?“
Keiner antwortete ihm.
Die Kanus hüpften auf und nieder, als die Strömung in der Nähe des Inselufers stärker wurde. Della genoss die Bootsfahrt, das Gefühl des Paddels in ihren Händen, mit dem sie mit jedem Schlag das Kanu vorwärtstrieb, den kalten Wind auf ihrem Gesicht, das Spritzen und Wogen des bewegten Wassers.
Ein paar Minuten später zogen sie die Kanus den Strand hinauf. „Ich wäre gern noch weitergefahren“, sagte sie zu niemand Besonderem. „Es war so schön auf dem Wasser.“
„Auf dem Festland ist es bedeutend schöner“, sagte Suki. Sie ließ das Kanu los, um ihre Hände zu untersuchen. Sie hatte sich einen ihrer purpurnen, künstlichen Fingernägel abgebrochen. „Was soll ich jetzt machen? Ich habe keinen Ersatz dabei“, murrte sie.
„Was nicht tötet, härtet ab“, witzelte Ricky. Suki streckte ihm die Zunge heraus und folgte den anderen, die die Kanus über den kleinen Streifen Kieselsteine bis zu den Bäumen zogen.
„Hier müssten wir sie lassen können“, sagte Gary und ließ am Fuß einer großen Kiefer den Bug seines Kanus los.
„Ist schon Essenszeit?“, fragte Ricky. „Können wir eine Pizza oder sonst was bestellen?“
„Gute Idee. Warum holst du keine?“, fragte Suki und warf ihren abgebrochenen Fingernagel in den Sand. „Wir warten hier auf dich.“
Ricky sah verletzt aus.
„Ich liebe Lagerfeuer und über dem Feuer gebratene Würstchen“, sagte Maia, die jetzt etwas entspannter aussah.
„He – es ist immer noch Vormittag. Habt ihr das vergessen?“, erinnerte sie Gary. „Wir haben noch eine Menge zu tun, bevor Zeit fürs Lagerfeuer ist. Los. Nehmt euren Kram. Wir müssen einen guten Zeltplatz finden.“
„Aye, aye, Boss“, sagte Ricky und salutierte. Pete half Della mit ihrem Rucksack und gab ihr ihren Schlafsack. Sie bedankte sich bei ihm und beeilte sich, um neben Maia gehen zu können. Pete war wirklich zu süß. Aber sie wollte ihn auf keinen Fall ermutigen.
Eine Weile wanderten sie am Strand entlang, immer in der Nähe der Bäume. Die Sonne stand jetzt höher am Himmel, und es wurde richtig warm. Della blickte auf, um zu sehen, woher das laute, unharmonische Kreischen kam, das sie hörte. Zwei blaue Eichelhäher auf einem niedrigen Baumast schienen sich zu streiten. „Sieh mal, wie groß die sind!“, sagte sie zu Maia und zeigte auf die Vögel.
„Blaue Eichelhäher sind furchtbar laute Vögel“, sagte Maia missbilligend. „Sie sind so gar nicht wie Drosseln. Drosseln sind süß.“
„Willkommen zur Naturstudie Nr. 101“, unterbrach Ricky sie.
„He, Ricky“, schimpfte Della. „Warum bist du mitgekommen, wenn du die Natur nicht magst?“
„Um bei euch zu sein, Babys“, sagte Ricky und warf ihr ein böses Grinsen zu. „Ihr wisst doch, ich habe einen Riesenschlafsack mit. Groß genug für mich – und noch jemanden.“
„Was für eine unwiderstehliche Einladung!“ Della schnitt eine Grimasse und ging schneller. Ein Weg führte in den Wald, und sie folgten ihm. Sie gingen durch dichtes Gehölz und Gestrüpp, bis sie nach einer Weile zu einer kreisrunden Lichtung mit hohem Gras und Unkraut kamen.
„Scheint doch ideal zum Zelten zu sein“, sagte Gary und warf das Zelt, das er über der Schulter getragen hatte, auf den Boden. „Lasst uns hierbleiben.“
Dankbar nahmen alle ihre Rucksäcke ab und ließen sie auf den Boden plumpsen. Zwei Zelte mussten aufgeschlagen werden, eins für die Jungen und eins für die Mädchen.
„Nein. Dreh sie so rum“, gab Pete Anweisung, nachdem sie begonnen hatten, die Zeltleinwand über die Stangen auszubreiten, die sie zusammengesteckt hatten. „Der Wind kommt gewöhnlich von Norden. Deshalb sollten die Rückwände der Zelte nach Norden gehen.“
„Sehr eindrucksvoll, Pete“, sagte Gary, halb im Spaß, halb ernst. Er sah zur Sonne hinauf, die direkt über ihnen stand. „Und woher wissen wir, wo Norden ist?“
„Da“, sagte Pete und zeigte in eine Richtung. „Ich habe einen Kompass an meiner Uhr.“ Er hob sein Handgelenk hoch, an dem eine dieser Uhren mit einem Dutzend unterschiedlicher Funktionen war.
„Glaubst du, die Ureinwohner hatten auch solche?“, fragte Ricky.
Wieder ignorierten ihn alle. Sie arbeiteten daran, die Zelte umzudrehen und sie mit Heringen am Boden zu befestigen. Dann schwärmten sie in verschiedene Richtungen aus, um genug Brennholz für die Nacht zu suchen.
Pete folgte Della, doch auch dieses Mal beeilte sie sich, um Maia einzuholen. „Es ist hier so einsam. Irgendwie ist das gruselig“, meinte Maia und stieg vorsichtig über eine tiefe Pfütze.
„Aber es macht Spaß“, erwiderte Della. Ihr wurde bewusst, dass sie aufgeregt war, auch wenn sie nicht sicher war, weshalb. Vielleicht weil sie allein waren, ohne Erwachsene in ihrer Nähe. Alles konnte passieren. Alles. Nur sie sechs, die ganze Nacht allein im Wald. Es könnte so romantisch werden …
Sie entfernte sich von Maia und ging in die Richtung, in die Gary im Wald verschwunden war. „Das ist meine Chance, mit ihm zu reden“, dachte sie. Ihr Herz klopfte laut im Hals. Ihr Mund fühlte sich trocken an. Sie hatte nicht gedacht, dass sie so nervös sein würde.
„Gary muss mir mehr bedeuten, als ich mir selbst eingestanden habe“, dachte sie weiter. Schnell lief sie über die trockenen, braunen Blätter und die herabgefallenen Zweige und hielt durch Birken und Kiefern nach ihm Ausschau.
Es roch so süß und frisch im Wald. Sie konnte nicht abwarten, mit Gary zu reden, wieder mit ihm zusammen zu sein, seine Arme um sich zu spüren. Wie hatte sie nur so dumm sein können, derartig in Wut zu geraten? Sie konnte sich schon nicht mehr daran erinnern, worüber sie gestritten hatten.
Ein Eichhörnchen stoppte seinen Weg einen Baumstamm hinunter. Es starrte sie an, als sie vorbeihastete, dann hüpfte es über die Blätter zum nächsten Baum.
„Gary, ich möchte mich entschuldigen.“ Das würden ihre ersten Worte sein. Keine fantasievolle Einleitung. Keine Rechtfertigungen oder Erklärungen. Sie würde sich einfach nur entschuldigen und es möglichst schnell hinter sich bringen.
Sie blieb stehen. Da war er. Sie konnte ihn durch eine Baumlücke sehen. Sie unterdrückte einen entsetzten Schrei.
Er lehnte gegen einen dicken Baumstamm. Suki presste sich an ihn. Sie standen eng umschlungen. Sie hatten die Augen geschlossen. Und der Kuss schien eine halbe Ewigkeit zu dauern.