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Die Armee der Anderen

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Ich hatte bereits lange auf diesen Tag gewartet, und als ich dem zuständigen Offizier folgend die Stufen in den ersten Stock des Verwaltungsgebäudes nahm, war ich froh, die Angelegenheit endlich hinter mich bringen zu können – erfolgreich, hoffentlich.

Auf eine subtile Weise wirkte mein Vorgesetzter einschüchternd, ja geradezu morbide, zudem ihm eine groteske Mimik zu eigen war, die auf eine nicht voll erlangte geistige Reife schließen ließ. Der dunkeläugige Paramilitär mit kurzgeschorenem Haar überragte mich um Haupteslänge, war athletisch gebaut, trug eine schlichte dunkelgrüne Uniform ohne Rangabzeichen oder irgendeinen Hinweis auf seine Truppenzugehörigkeit, und ich kam nicht umhin, mich über seinen markanten Unterkiefer mit der von silbernen Implantaten bestimmten Zahnreihe zu wundern.

Temporär bewaffnet stand ich also auf einem breiten, beidseitig in Büroräume führenden Linoleum-Flur. Alles schien surreal und gar so, als sei Der Orden in diesen wirren Zeiten entweder aus Mangel an Möglichkeiten, oder aus Gründen der Geheimhaltung auf dermaßen improvisierte Trainingsorte angewiesen. Das Büro, in das ich schaute, verfügte über einen hölzernen Schreibtisch mit einem Durcheinander von Ablagekörben, Ordnern und Schreibzeug darauf. Der obligatorische Drehstuhl stand derart platziert, dass der Zuständige den Flur stets im Blick behalten konnte. Jener Beamte war augenscheinlich abwesend, und hinter der Raumausstattung erkannte ich eine wandmontierte Schießscheibe, die aus einer breiten linken und einer schmalen rechten wasserfleckigen Holzstoff-Fläche bestand. Beide Elemente wiesen mittig jeweils eine rote Markierung auf, und zwischen ihnen funkelte ein komplexes mechanisches Gestänge, das über mehrere Telemeter-Linsen sowie eine Lampe verfügte. Während ich mich noch über die unangemessene Umgebung wunderte, senkte ich den Blick und inspizierte meine Waffe. Es handelte sich um eine Maschinenpistole stromlinienförmigen Designs; es gab keine seitlich abstehenden Teile, lediglich das taktische Reflexvisier, die Sicherungsvorrichtung und ein kompaktes Stangenmagazin ließen auf den relativ modernen Stand einer mir unvertrauten Baureihe schließen.

Ob der nahenden Aufgabe verspürte ich eine gewisse Nervosität, denn wenngleich ein simpler Test, entschied dieser doch über meine Eingliederung als Rekrut. Ich blickte zu dem nunmehr sardonisch grinsenden Offizier am Ende des Flurs, der mit einem Notizblock in der Hand nickend zu verstehen gab, dass ich mich bereitmachen solle. Dementsprechend hob ich die Waffe und visierte an. Die Telemeter-Linsen der mechanischen Vorrichtung begannen daraufhin grünlich zu blinken, zugleich die verbaute Lampe ein orangeflammendes Licht abstrahlte. Der Befehlshabende rief »Links« und ich zielte auf die schmalere der beiden Holzstoff-Flächen, konnte deren mittige Markierung aber aufgrund des Blendmanövers kaum erkennen, musste vielmehr schätzen und durchlöcherte das Ziel mit einem kurzen Feuerstoß. Einige Projektile verfehlten allerdings und der Vorgang musste wiederholt werden, doch zuvor kam mein Vorgesetzter mit einem vergilbten Konstruktionsplan herangeeilt. Ich bemängelte das Reflexvisier der Schusswaffe, es war erwiesenermaßen nicht in der Lage, den störenden Lichteinfall zu filtern. Der Offizier stimmte zu, breitete den Plan aus und deutete auf die Skizze der Baureihe Lotan–III-B, aus welcher ein geweihtes Exemplar zeitnah anzufordern sei; für den augenblicklichen Zweck musste die Standardausführung jedoch genügen. Also nahm ich abermals Feuerposition ein und erwartete Order. Rasch war der Ausbilder wieder am Ende des Flurs, nahe einem Zugang zum schattenverhangenen Treppenhaus, angekommen und hielt sich auf eine äußerst alberne Weise die Ohren zu.

Ich rief: »Bereit«. Keine Antwort. Nochmal: »Bereit! Links, oder rechts?« Keine Reaktion, nur ein sardonisches, nahezu krankhaftes Grinsen, begleitet von einem apathischen Blick. Daraus wurde ich beim besten Willen nicht schlau, zielte auf die von mir aus gesehen rechte Seite und wieder trat, die Aktion erheblich störend, blendende Helle aus der entsprechenden Vorrichtung. Just als ich wähnte, die rote Markierung ausgemacht zu haben und abdrücken wollte, erschien das dickliche Gesicht eines dunkelhaarigen Bebrillten in der Visierung. Geschwind senkte ich die Waffe und stierte den spukhaft erschienen Anzugträger verblüfft an.

»Für heute ist hier Schluss. Macht’s wie die Lemuren, geht raus spielen; unter Tage ist leiwand!«, meinte dieser trocken, zugleich er sich setzte, um das Federfuchsen stoisch wiederaufzunehmen. Zornig, die Angelegenheit letztendlich doch nicht zum Abschluss bringen zu können, sicherte ich die Maschinenpistole, entnahm das Magazin und spurtete in Richtung des achselzuckenden Ausbilders.

»Sowas Unprofessionelles. Hätte nicht gedacht, dass … Ach, egal. Was nun?«

»Naja«, meinte der breit grinsende Paramilitär, »der Typ hat schon recht. Hier ist vielleicht Schluss, aber wer sagt, dass wir nicht woanders weitermachen können, hm?«

Weder kannte ich ihn noch legte ich Wert auf seine Gesellschaft, und obwohl er mich zu sich nach Hause auf eine spontane Grillfeier einlud, um den Test im Anschluss mithilfe persönlicher Ausrüstung an eigenen Schießscheiben abzuschließen, gefiel mir der Vorschlag nicht.

Letzten Endes, einzig die Eingliederung als Rekrut vor Augen, willigte ich dennoch ein …

Für knapp zwei Stunden fuhren wir in einem schweren Geländewagen durch eine menschenleere, von jadegrünen Wiesen und ruhigen Teichen geprägte ländliche Gegend. Als das Himmelszelt in blaugrauer Erwartung eines Wetterumbruchs seinen Glanz verlor und dunkle Wolken aufzogen, erreichten wir das fragliche Anwesen; ein äußerst repräsentatives Gebäude, das mit großformatigen Glaselementen, hellweißen Holzwänden und zwei angebauten Wintergärten wie ein deplatziertes Gründerzeitanwesen im nordfranzösischen Stil wirkte. Der Hüne betonte, dass seine Frau zurzeit mit dem Nachwuchs außer Haus sei, dass die Vier zwar zeitnah zurückerwartet würden, wir mit dem spontanen Barbecue jedoch nicht warten sollten, da das Wetter drohe, uns den Spaß zu verderben. Der Duktus, mit dem er zu sprechen pflegte, und die Eigenart, mit der er dabei durch mich hindurchstierte, bestätigten den Eindruck, den ich mir bereits beim Betreten jenes eigenartigen Verwaltungsgebäudes von ihm gemacht hatte. Nicht zuletzt die augenscheinliche Zwanghaftigkeit, jeden Satz mit einem einstudierten sardonischen Grinsen zu beenden, dessen mutmaßlicher Sinngehalt durch den markanten Unterkiefer mit der von silbrig glänzenden Implantaten bestimmten Zahnreihe bloß noch absurder anmutete, ließ mich an jenen Verborgenen zweifeln, die ihm den Ausbilderposten zugeteilt hatten. Was derweil die Lage der sterilen Pseudovilla anging, so existierten weit und breit keine Zeichen von Nachbarschaft oder baulichen Maßnahmen, und als ich hinter dem Anwesen auf einer grauen Rattanbank nahe der offenen Feuerstelle Platz nahm, wunderte ich mich über eine eigenartig flache Ebene jadefarbenen Grases, die wie in Erwartung eines besonderen zukünftigen Geschehnisses bis zum dunkler werdenden Horizont reichte. Da, während mein Verstand noch mit derlei Eindrücken beschäftigt war, umfing mich Finsternis!

Es war keineswegs der Schlaf, der hier jäh antrat. Nein, ich befand mich bei vollem Bewusstsein, war in höchstem Maße alarmiert, und erschaudernd spürte ich kalten, beißenden Schleim und nekrotische Dünste meine Sinne aggressiv attackieren – irgendetwas hielt meinen Kopf umgriffen, ließ nicht los! Instinktiv, nunmehr panisch, streckte ich die Arme himmelwärts und bekam sogleich eine labbrig zitternde Oberfläche zu packen, deren feuchte Glitschigkeit stellenweise von knorpeligen Strukturen unterbrochen wurde. Ich vernahm ein dumpfes Grunzen und auch ein giftiges Zischen, auf dessen Geheiß sich die Dünste in meinem pulsierenden Kerker zu vermehren schienen. Auf Brust- und Schulterhöhe spürte ich zuckende, wurmartige Gebilde wild durcheinanderfuchteln, und bei dem Versuch, mich der unnatürlichen Bemächtigung zu entziehen, schnitt ich mich an messerscharfen Fortsätzen.

Soeben hatte ich mich auf den Boden fallen lassen, meinen Kopf befreit, als ich feststellen musste, dass das wahre Grauen in seiner Aufdringlichkeit keinerlei Pardon zu kennen scheint. Was sich meinem Verstand fortan aufbürdete, war die groteske Albtraumgestalt, jene namenlose, welche mich zuvor beschlichen hatte – mein Ausbilder, der Gastgeber –, doch sein Leib war bloß noch ein einziger Schatten; ein Schatten, der mit weit ausgestreckten Armen drohend hinter der Rattanbank posierte. Als inkarnierte Schwärze hob er sich von der Umgebung ab, und während es den Anschein machte, dass seine Kontur von dem elektrisch-blauen Glimmen einer fremden Daseinssphäre dezent umspielt wurde, stiegen nervenzerreißende Laute und ein enthemmtes Brüllen in die gewitterschwangeren Menschenleere auf. Grundsätzlich war die von zitternden Tentakeln, reißzahnbewehrten Greifern und unklassifizierbaren Fortsätzen definierte Silhouette so finster wie eine mondlose Mitternacht, doch zuweilen nahm der Kopf der Kosmosbrut eine unserer Dimension vertrautere Schwingung, ja gar Substanz an. Paralysiert starrte ich somit in Richtung einer widernatürlichen Bastardmischung aus Schalentier, Oktopus und fauligem Insektenkadaver, wie sie mit ihrem garstigen Saugnapfmaul unentwegt kakodämonische Laute formte und dann, die Rattanbank geisterhaft durchschreitend, Anstalten machte, furchtgebietend auf mich zuzukommen. Just in diesem Moment vernahm ich hinter mir einen ohrenbetäubenden Donnerschlag, und indem die mittlerweile geschlossene Wolkendecke einen eiskalten Gewitterregen herniedersandte, umfing mich abermals Finsternis – gnadenvoll …

Als ich zu mir kam, entsann ich mich sofort der überaus merkwürdigen Grillveranstaltung – jener vermeintlichen –, und mir schauderte bitterlich bei der Erinnerung an den Albtraum, der mich heimgesucht haben musste. Aber wann hatte dieser eigentlich begonnen? Doch nicht erst mit Erscheinen des schattenvollen Etwas, dass offenbar beabsichtigt hatte, sich an meinen Kopf gütlich zu tun. Was hatte es mit der Fahrt im Auto des Ausbilders, was mit der surrealen Landschaft, die seine Sippe Heimat nannte, auf sich gehabt?

Nein, all dies musste fraglos das pietätlose Fragment einer bösen Dämonie gewesen sein, denn ich fand mich allein in einem sauberen, weiträumigen Kasernen-Schlaftrakt wieder. Die Strahlkraft der frühen Morgensonne nistete auf weißen Laken und Kopfkissen, wie sie ordentlich und unbenutzt auf zahllosen Bunkerbetten lagen. Da, aus einem Nachbarraum drangen Geräusche. In Unterwäsche, einen starken Durst verspürend und mich barfuß auf wackeligen Beinen haltend, stolperte ich über den kalten Fliesenboden vorwärts, um festzustellen, dass die Räumlichkeit von jungen Rekruten eng bestanden war. Sie alle trugen dunkelgrüne Uniformen, jener des rätselhaften Ausbilders gleich, ihr Haarschnitt war ebenfalls identisch, und eine subtile mimische Abartigkeit fiel mir bei einem jeden der Kameraden auf. Meine Gedanken tauften sie so, denn offensichtlich waren wir gemeinsam an diesem unvertrauten Ort stationiert. Hatte ich die Prüfung also letzten Endes doch erfolgreich absolviert?

Man nahm derweil keinerlei Notiz von mir; gespannt starrten alle auf einen großformatigen anachronistischen Röhrenfernseher. Ich tat es ihnen gleich, und in dessen überbelichtetem Farbflimmer sah ich schwere Panzerfahrzeuge amerikanischer Bauart bei einem zügigen Vorstoß in eine weites Ebene jadefarbenen Grases. Urplötzlich, unvorhersehbar, meine noch nicht ganz zurückgewonnene Besinnung aufs Äußerste strapazierend, brach die flache Landschaft auf und ein ebenso zitternder wie geifernder Schrecken grub sich wie eine typhonische Wasserfontäne aus den fluchbeladenen Klüften des Erdreichs empor. Rüsselartige Tentakel von gelber, grüner, absonderlichster Farbe wurden in allen erdenklichen Größen aus unzähligen Mäulern gespien, die sich zähnefletschend und mit Saugnapflippen bewehrt, immer wieder übereinander herfallend und triefende Stränge auswürgend, in die Höhe schraubten. Das geysirartige Hervorbrechen der Gottlosigkeiten ward begleitet von unzähligen Schlünden, die sich nun zwischen den Kettenfahrzeugen auftaten, um diese in einem Mahlstrom des Wahnsinns erbarmungslos zu vertilgen.

Die Dynamik, mit der sich die kaum definierbaren Dinge aus dem Erdinneren wendelförmig hervorschraubten, war von einer den Verstand zermalmenden Widerlichkeit und einem alle Regeln der Natur verspottenden Wüten. Die Stränge und beulenübersäten Tentakel wollten nicht enden, ebenso wie der blasphemische Strudel aus Pestilenz und irre blökenden Bestienmäulern, der, eine verborgene titanische Struktur umtanzend, immer weiter anwuchs – und als ich meinen bebenden Blick von diesem Invasionsspektakel der untersten Höllenkreise schockiert abwandte, spürte ich eine Umformung meines innersten Wesens, gefolgt von einer feinen Regung, die ein Grinsen auf meine trockenen Lippen zwang, ein allzu vertrautes sardonischen Grinsen, welches ich fortan allseits wiedererkannte und das der dargebotenen Vernichtung der menschlichen Waffen triumphierend folgte.

Horrorgeschichten aus dem Abyss - Erweiterte Gesamtausgabe

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