Читать книгу Weiße Nächte - Robert Heymann - Страница 5
Das
Märchen vom Mondfräulein.
ОглавлениеEs lebte einmal in einem grossen Walde voll uralter meergrüner Palmen und perlweisser Blumen ein junges Mädchen.
Das war von bleicher Schönheit wie der Abendstern. Sein langes bernsteinfarbiges Haar floss um den Körper wie Sonnenstrahlen um Marmorfelsen, und seine Lippen waren röter als die Mohnblumen des Feldes. In seinen Augen aber spiegelte sich die saphirblaue Wölbung der Himmel mit ihren zuckenden Sternen, und drüber zogen sich sein und zart die Brauen wie die ferne, dämmernde Grenze zwischen Meer und Firmament.
Die Glieder der Jungfrau waren weisser als die Flügel einer Taube und schlank wie die Körper der Lilien.
Wie sie in diesen Wald gekommen, wusste niemand, sie selbst wohl auch nicht. Nur wenig Menschen hatten sie gesehen, die sich beim Jagen der Löwen verirrt, und diese nannten sie das Mondfräulein wegen ihrer bleichen Schönheit.
Die Frauen aber hiessen sie eine böse Hexe, denn alle Männer, die das seltsame Wesen erblickt hatten, kamen krank nachhause und starben gar bald. Und der Zauberer des Dorfes sagte, ein böser Geist sei in sie gefahren und habe ihre Seelen vergiftet. —
In jenen Stunden nämlich, da in den weissen Düften der Nächte die Sterne funkelten wie die Blutstropfen auf der bleiden Dulderstirne des Messias, und wo der Mond, goldgelb wie das Auge des Jaguar, sich in den blaugrünen Wellen der Himmel schaukelte, da meinten wohl die heimkehrenden Männer ein traurig-süsses Singen zu hören wie ferne, verklingende Accorde einer Harfe.
Und die blüthenweichen Töne wiegten sich auf den Saiten der Winde und tanzten leise und schwebend wie der schlanke Fuss des Reh’s auf Waldesmoos, flossen ineinander, erschauernd in keuscher Wollust, und lösten sich in stillen Klagen und sanken nieder wie Thränen auf die lauschenden Blumen und starben mit einem stummen Seufzer.
Und mit zitterndem Athem und lauschenden Augen gingen die Männer dem Gesange nach.
Es war ihnen, als hätten sich all die Töne zu einer duftschweren Kette vereinigt, die sich um ihre Körper schlang und sie mit sich zog in die Weite.
Und dann sahen sie zwischen mondumsponnenen Blättern, im raunenden Schilfe liegend, die schmiegsamen Arme unter dem Kopfe verschränkt, die tiefen Augen zum Monde gerichtet, das Mondfräulein liegen.
Und sie sang — — —
Ringsum aber lagen die Tiere des Waldes und horchten.
Und der Schnee des jungfräulichen Leibes hob sich schlangengleich aus dem saftigen Grün ihres Lagers, und er war schlanker als der Körper des Reh’s, mit geschmeidigen Gliedern und vollen, runden Brüsten. Ihr Hals aber war lang, mit den Linien der Gazelle, und ihre Schultern waren kräftig und rund wie die Blätter der Wasserrose.
Und die Männer fielen auf die Kniee und horchten, horchten — — —
Dann stand sie wohl auf, strich ihr Haar zurück, wie die Blume des Morgens den Tau von sich schüttelt und sich langsam erhebt, sah die Männer an mit grossen, verwunderten Augen und ging, zart wie mit Sohlen des Windes, und ihre Brüste wiegten sich leise wie die Wellen des Flusses. Die Menschen aber standen und sahen, bis die Glut ihres Haares hinter den dunkeln Stämmen verschwunden war.
Und traurigen Herzens und müden Sinnes gingen sie nachhause.
Bald darauf waren sie tot. —
So kam es, dass die Frauen des Dorfes herumschrieen, das Mondfräulein sei eine böse Zauberin, die die Männer verführe und dann töte.
Sie aber wusste vor alledem nichts. Sie wusste nicht, dass es Menschen gäbe wie sie, und die, welche sie gesehen, betrachtete sie mit denselben Augen wie die Tiere des Waldes.
Sie wusste nichts, dachte nichts.
Sie empfand nur.
Und all ihr Empfinden war Liebe.
Sie liebte die Sonne, den Mond, die Blumen, die Tiere.
Wenn sie des Morgens Früh beim frischen Sonnenschein sich von ihrem üppigen Lager erhob, kam die würzige Luft des Waldes und küsste ihre dürstenden Lippen.
Und sie trank den Kuss mit gierigen Zügen.
Und die roten Düfte der Blumen kamen und legten sich schmeichelnd in ihre Haare und streichelten ihre reine Stirne. Und sie beugte sich über die Blüthen und trank den süssen Tau aus ihren Kelchen.
Und sie liebte die buntfarbigen Blumen mit ihrem heissen, schweren Athem.
Und sie liebte die Tiere des Waldes.
Liebkosend sass sie oft viele Stunden zwischen Rehen und Hirschen, Tigern und Löwen, Adlern und Nachtigallen. Und ihre glatte seine Hand streichelte das Haar der Hirsche, und die Löwen rieben ihr Fell an den weichen Gliedern ihres Körpers.
Der Löwe war ihr Lieblingstier. Die schwellenden Brüste auf seinen starken Kopf gepresst, lag sie oftmals auf feinem breiten Rücken und liess sich von ihm tragen.
Und ihre Beine schaukelten um seine Weichen, und die Wärme seines Körpers floss in ihre Glieder und erfüllte sie mit Lust.
Oder sie sang mit den Vögeln um die Wette; sie kannte alle Laute, alle Lockrufe der Männchen, und es erfüllte sie mit Freude, ihre melodische Stimme allen Klangfarben anzupassen. —
Aber einen liebte sie über alle andern, und das war der Auerhahnı. — —
In hellen Nächten, wo Schneeflocken gleich das Mondlicht um die Aste hing, sass sie zusammengekauert zwischen den Büschen und wartete.
Denn sie wusste, dass er kommen würde . . . Und dann der langgezogene Laut des Hahnes hoch über ihr, unerreichbar . . .
Und sie zuckte zusammen und ihre Glieder bebten.
Der Hahn balzte . . .
Und sie horchte und athmete nicht. Und ein unendliches Sehnen flog durch ihr Gehirn und liess ihre Brust erschauern in wildem Verlangen.
Ihre Augen schimmerten gelb wie Schwefel. All ihr Empfinden, all ihre Liebe vereinigte sich in ihrem Ohre. —
Und sie horchte, horchte . . .
Und der Hahn lockte . . .
Und sie umschlang den Stamm des Baumes, auf dem der Auerhahn balzte, und presste ihre zuckenden Glieder in seine harte Rinde.
Und dann kamen die Weibchen . . .
Sie aber grub ihre Finger in die Erde und weinte und schluchzte und wälzte den heissen Körper im feuchten Moose . . .
Und immer war das so, wenn der Auerhahn balzte. —
An einem klaren Morgen nun zog ein junger Jäger in den Wald. Er hatte in früher Jugend schon vom Mondfräulein gehört. Sein alter Ohm hatte ihm erzählt von ihren weissen Gliedern und ihrem Singen, an dem alle Menschen sterben müssten.
Und ein grosses Sehnen hatte ihn erfüllt und liess ihn immerfort an das Mondfräulein denken.
Und er beschloss, sie zu suchen.
Er war schön und gross, mit ebenmässigen Gliedern und Augen schwarz und brennend wie die Glut der Kohle.
Die Menschen mochten ihn nicht, denn immer suchte er, was sie nicht kannten, und seine Augen blickten unstät und seine Seele war traurig. — —
Er arbeitete sich durch wildes Gestrüpp und verschlungene Blumen vorwärts, als er plötzlich ihr Singen hörte.
Und das war so schön und traurig, dass ihm das Blut erstarren wollte vor Weh. Und mit unwiderstehlicher Gewalt trieb’s in weiter.
Und dann traf er das Mondfräulein, auf einem Felsen sitzend, über sich das goldene Baldachin der Sonne, und sie spielte mit ihren leuchtenden Haaren und lang. Ihr Körper aber schimmerte heiss und durstig.
Und der Jüngling sah sie und eilte hin und umschlang ihre schönen Glieder mit seinen starken Armen und küsste sie. „Ich liebe Dich“ sagte er mit der Stimme des Bergwassers.
„Ich weiss es“, lächelte sie; „Alle lieben mich“. Und ihr Lächeln leuchtete, wie das Abendsonnenrot auf weissen Berggipfeln.
Ihre Worte, klangen wie Abendglocken im Thale.
„Oh“ sagte er, „Du bist schön, schöner als die Blumen der Erde und die Gestirne am Himmel.“
„Ich weiss es“ antwortete sie, „die Quelle hat es mir gesagt.“
„Und ich liebe Dich, stark und gewaltig, wie das Meer seine Felsen liebt.
Und ich will Dich lieben wie die Sonne das Meer liebt.
Ich will untertauchen in der Flut deiner duftenden Haare.“
„Ich verstehe Dich nicht,“ sagte das Mondfräulein.
„Ich will Dich lieben, wie die Blumen die Erde lieben.
Ich will trinken von dem Safte Deines Körpers.
Ich will Dich lieben, wie die Sterne den Himmel lieben.
Rot und glühend.“
„Ich verstehe Dich nicht,“ sagte wieder das Mondfräulein.
Da beugte er sich nieder zu ihrem Munde und küsste sie.
Doch sie erwiederte seinen Kuss nicht. Aber der Athem ihres Körpers floss durch seine Sinne wie das Feuer durch die Adern der Erde und trieb ihn von dannen. Und er eilte und eilte, bis er erschöpft in seiner Hütte zusammenbrach. —
Und er ward trauriger als je zuvor, seine Wangen wurden bleicher, seine Lippen brannten und seine Augen lagen tief im Schatten.
Und die frauen prophezeiten ihm den Tod. —
Das Mondfräulein aber lag wieder unter deni Baume, wo der Auerhahn balzte, und horchte.
Denn wieder war es, jene Zeit . . .
Und eines Nachts zog der junge Jäger wieder tief in den Wald auf die Jagd. In den Büschen legte er sich zur Erde und lockte die Weibchen, indem er den, Ruf des Auerhahns nachahmte.
Und sein Lockruf klang tief und stark. Seitwärts aber kauerte das Mondfräulein und horchte auf das Balzen.
Und wieder tobte ihr Blut und brannte ihre Haut . . .
Und wieder lockte der Jäger, eindringlich und tief . . .
Und da fühlte er sich plötzlich von starken Armen umfasst, heisse Lippen hingen an seinem Munde, eine Flut waldduftender Haare floss über seinen Augen zusammen, weiche Glieder klammerten sich an seine. Muskeln, und seine Brust athmete die wilde Brunst des Waldfräuleins. — — Und der Jäger nahm sie in seine Arme und trug sie in seine Hütte. —
Da sass sie tagsüber und starrte in die goldene Sonne und erzählte dem Jäger klingende, duftende Märchen von den roten Blumen, die in den Sternen blühen, von den blauen Wäldern, die im Monde rauschen und den Nymphen des Meeres, die in Muscheln leben und nächtlich auf Felsen sitzen und um Liebe werben. —
Wenn aber die Nacht kam mit ihren weissen Flügeln, dann lockte der Jäger wie der Hahn des Waldes, und ihr Körper schmiegte sich an seine Glieder.
Und lange lebten sie so in der Hütte. Die Menschen aber mieden das Haus der Liebe, denn sie sagten, der böse Geist hause darin.
Und der Jüngling ward schwach und blass, denn die Liebe des Mondfräuleins war wild und unbändig.
Und eines Morgens lag er tot, mit blauen Lippen in seiner Hütte.
Die Frauen sagten, das Mondfräulein habe sein Blut getrunken.
Die aber war verschwunden.
Später fand man sie hoch droben in den Bergen, in einem Abgrund, mit zerschmetterten Gliedern. In den Haaren aber stack ihr eine Auerhahnfeder, die der Jäger auf seinem Hute getragen. Ihre Augen waren geschlossen, ihre Lippen aber feucht und geöffnet, mit einem Lächeln in den Winkeln — —
Und als die Leute in die Hütte des Toten drangen, da sass an seinen Bette ein kleines Mädchen mit grossen blauen Augen, bekränzt von langen zitternden Wimpern. Und ihr kleines, weisses Haupt mit den schmalen Lippen beugte sich unter der schweren Krone ihrer nachtschwarzen flechten — — —