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Das
Märchen vom Findling.

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Das kleine Mädchen, das die Menschen einst am Totenbette des sehnsüchtigen Jägers aufgefunden, wuchs und wuchs und ward eine herrliche Jungfrau, mit der Liebe im Herzen und der Sehnsucht in den Augen.

Denn sie hatte die Erbschaft der toten Eltern angetreten.

Die Menschen aber wollten den stolzen Findling nicht leiden, und die Jungfrau verstand die Dorfbewohner nicht. Denn sie sprach eine fremde Sprache, die sie in stillen Nächten den Schwänen des Sees und den schlankgliedrigen Cypressen abgelauscht, und sie mied auch die Wohnstätten der Menschen.

Hoch in den Bergen war sie zu finden.

Da sass sie auf eisumstarrtem Gipfel, umflattert von langflügligen Adlern, über sich das Diadem des Abendsterns, eingehüllt in langfliessende, bleiche Linnen, die weissen Hände im Schosse gefaltet, und richtete den stolzen Blick hinunter auf die mondlichtbegossenen Wälder und Wiesen, auf die nachtbeschatteten Seen mit den schlafenden Wellen, und auf die fernen grauen Burgen mit elfenbeinbleichen Zinnen.

Und sie streckte die Arme nach dem sternbesäten Himmel aus uud sprach leise den Namen der toten Mutter.

Und der war — Liebe.

Stieg sie aber hinunter zu den Menschen, so ruhten stets wie schwere Flügel die Wimpern über ihren Augen. Selten hob sie dieselben, und dann war es, wenn ein Jüngling sie ansah mit schöner Seele und reiner Stirne.

Und ihre Augensterne waren wie geschliffene Edelsteine. Um die Ruhe des Jünglings aber war es geschehen. Die Sehnsucht zog in sein Herz, die grosse, wilde Sehnsucht, sie zu besitzen. Doch sie war stolz, ihr Auge tief und strenge, und alle, die ihr eigen waren, beugten sich vor ihren Augen.

Und sie gingen hin zu all ihren Brüdern und Schwestern und verkündeten von ihr — der Schönheit.

Manchmal auch sprach sie mit denen, die sie liebte.

Und sie erzählte ihnen von einem grossen Reiche, in dem sie Königin sei und wohin sie bald zurückkehren werde. Dort wohne sie in einem grossen bleichen Schlosse mit himmelhohen Wäldern, mit smaragdgrünen Seen und silberweissen Schwänen, marmornen Brunnen und singenden Quellen.

Und sie trage eine Krone aus den Sternen des Himmels und den Mond als Demant im Haare.

Rings um ihr Reich aber liege das Meer, das grosse, tiefe Meer, d’rin spiegelten sich rote Sonnen, und d’rin schaukelten blaue Wellen, und das rausche und singe zu der ewigen Musik der Sphären.

„Aber warum“ frug ein Jüngling, „willst Du nicht bei uns bleiben und unsere Königin sein?“

„Weil ihr das Leben seid“ flüsterte sie, „und mein Reich — der Tod ist.“ —

Und eines Tages war sie verschwunden. Und alle, die sie liebten, machten sich auf und zogen hinaus in die Welt, sie zu suchen und König zu werden in ihrem Reiche.

Und sie zogen durch die ganze Erde und suchten und suchten, im Eis des Nordens und in der Glut des Südens, über wilde Meere fuhren sie und tiefe Abgründe überstiegen sie, und immer noch ziehen sie umher und suchen das Reich ihrer Königin.

Und das sind die Zigeuner der Sehnsucht, die nicht ruhen können noch rasten und immer suchen müssen, immer, immer, die entschwundene Schönheit.

Weiße Nächte

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