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Müde, zerschlagen, ging Knut am Abend in eine Wählerversammlung. Ein Anhänger des Kandidaten Hoover sprach: „Drei Millionen Dollar für Wohlstandsarbeiten. Das Prohibitionsproblem wird gelöst!“

„Hoover wird“, ruft der Agitator in die unübersehbare Menge, „Hoover wird dieses furchtbare Erbe nicht unverändert antreten. Er weiß, daß es einen Augiasstall zu säubern gilt. Er ist gewillt, die amerikanische Nation aus der Prohibitionssackgasse herauszuführen, die darin besteht, daß sie sich ein Gesetz gegeben hat, das sie nicht befolgt. Hoover will die Durchführung des Gesetzes mit allen Mitteln sichern, und wenn es sich herausstellen sollte, daß das unmöglich ist, ist er entschlossen, das Gesetz in diesem oder anderem Sinne abzuändern. Es zu verschärfen – oder abzuschaffen!

Die Bootleggers haben seit der Annahme des 18. Verfassungs-Amendments auf das allgemeine Alkoholverbot nicht allein ihre große Schmugglerindustrie aufgebaut und aus ihr im Laufe der Jahre einige hundert Millionen Dollars Nutzen gezogen, sondern sie haben auch die Macht gewonnen, die mit dem Besitz von einigen hundert Millionen Dollar heute nun einmal verbunden ist. Sie beruht auf der Korruption.“

So ungefähr entwickelte der Redner Hoovers neues Regierungsprogramm. Tausende riefen Beifall. Das neue Reich des Glücks und der Wahrheit schien angebrochen.

Nicht weit von Knut saß ein Mann mit kniffigem Mund.

Kein amerikanisches Gesicht. Wo habe ich es nur schon gesehen? überlegte Knut. Es ist mir bekannt – diese lederne Physiognomie mit den schwarzen unruhigen Augen hat irgendwie in meinem Leben schon eine Rolle gespielt.

Da fiel es ihm auch schon ein:

Schematzky –!

„Schematzky“, sagt Knut während einer Pause. Der Angeredete wendet ihm hastig das Gesicht mit den ewig mahlenden Zähnen zu. Forschend ruhen die harten Augen auf dem armseligen, heruntergekommenen Deutschen.

„Schematzky“, wiederholen einige Leute mit sonderbarer Scheu.

„Ich bin Knut Storting“, sagt der Deutsche.

Sekundenlang denkt der ehemalige Münchner Buchverleger nach. Dann geht Erinnern über sein Gesicht. Er schüttelt Knut kräftig und, wie es scheint, freudig bewegt die Hand.

„Geben Sie mir Ihre Adresse, Storting. Warten Sie, ich notiere sie mir.“ Er zieht ein Notizbuch, in Saffian gebunden. Notiert.

„Sie hören von mir! Es geht Ihnen nicht gut, no? Oh dear! Nun, ich werde Vergangenes gutmachen! Sie sollen zufrieden sein! Good night, Storting!“ Fort ist er. Eine Hand legt sich, kaum merklich, auf Knuts Schulter.

„Kennen Sie Mr. Schematzky?“

„Ja“, antwortet Knut und schaut verdrossen in ein scharfkantiges Gesicht. Die Habichtsnase neigt sich beinahe bis zu den harten Lippen hinab.

„Was kümmert es Sie?“

Der Mann schweigt. Nach einer Weile:

„Sie sind Deutscher?“

„Ja.“ Knut erblickt das Erkennungszeichen eines Polizeidetektivs. „Ich frage nur. Wissen Sie, wer Schematzky ist? Der erfolgreichste Alkoholschmuggler. Vielfacher Millionär.“

„So? Warum verhaften Sie ihn nicht?“

Der Detektiv lacht bissig.

„Wir wissen viel, aber zugreifen? Erst Beweise!“

Er nahm von da ab keine Notiz mehr von dem Deutschen. Als Knut sich erhob, erblickte er am Boden eine Photographie, die aus Schematzkys Rocktasche gefallen sein mußte. –

Er hob sie auf. –

Alles Blut wich aus seinem Gesicht. –

Es war das Bild seiner rätselhaften Unbekannten!

Mit größter Anstrengung beherrschte er sich und steckte die Photographie zu sich.

*

Nach einer schlaflosen Nacht lernte Knut in dem Logierhaus auch seine Nachbarin kennen, deren Lied ihn eines Abends so erschüttert hatte. Ein junges, blondes Mädel. Von jener selbstverständlichen Schönheit, die von einem gesunden Körper und einer reinen Seele ausgeht. Sie sah ihn halb neugierig, halb mitleidsvoll an. Erriet die Mühe, die es ihm verursachen mochte, seinen Anzug noch instand zu halten.

„Sie sind Deutsche?“ fragte er.

„Ja, Deutsche. Woher stammen Sie?“

„Aus der Gegend von Frankfurt an der Oder. Da oben in der Mark.“

„Oh!“ lächelte sie. „Da soll es nur Sand und wieder Sand geben!“

„Nein, nein! Da blühen die Blumen und rauschen Linden und Ahorn wie in allen deutschen Gauen. Sie sind, wenn ich nicht irre, vom Rhein?“

„Merken Sie es an meiner Aussprache?“

„Ja. Und das Lied vom Rhein hat es mir verraten.“

„Ich bin aus der Bonner Gegend.“ Sie sagte es wie einen Spruch aus dem Evangelium. Ihre Augen wurden dunkel. Sie sah an ihm vorbei, über Ozean und Fernen – das Vaterland.

„Haben Sie Heimweh?“

Sie schwieg und warf den Kopf mit geschlossenen Augen in den Nacken.

Da stand plötzlich breit und gesprächig ihr Vater neben Knut.

„So, so“, sagte er, „auch Deutscher!“

„Ja!“ Knut musterte den unternehmungslustigen Rheinländer. Hans Reichert hieß er und war Weinbauer. Vor kurzem ausgewandert. Und er? Knut gab zerstreute, unsichere Antworten. Er dachte nur an Schematzky und die Unbekannte.

Nach zwei Tagen traf von dem Ungar ein Brief mit Geld ein. Zweihundert Dollar! Ein Vermögen für Knut.

„Ich weiß“, schrieb Schematzky, „daß ein Detektiv Sie nach mir ausgefragt hat. Lassen Sie sich nicht mit Detektiven ein! Damit macht man kein money. Die zweihundert Dollar sind Ihr Geld. Ertrag aus Ihrem Buch, die ich damals für mich verwandt habe. Sie dürfen es also ruhig annehmen. Und wenn Sie smart sind, dann besuchen Sie mich –“

Oh – und ob Knut „smart“ war!

Ohne sich fünf Minuten zu besinnen, eilte er zu Schematzky.

Es war Abend. Der Broadway zischte förmlich Lichtreklamen. Die Wolkenkratzer hoben sich malerisch aus einem milchigen Gürtel von Licht. Nahe dem Paramount-Filmpalast befanden sich die Büros des Ungarn.

Die Räume waren bereits geschlossen. Mr. Schematzky wohnte in der Park-Avenue. In der Straße der Millionäre.

Knut fuhr hin. Der Pförtner verlangte seinen Namen. Telephonierte mit dem Sekretär des Millionärs. Ein Aufzug führte Knut blitzschnell in die 29. Etage.

Ein Flur. Türen. Ein Liftboy drückt auf eine Klingel. Ein blitzblanker Nigger öffnet eine der vielen Türen, empfängt mit einem kaum merklichen Blick des Unwillens den Mann, der wie ein Arbeitsloser aussieht, geleitet ihn in einen mit höchstem Luxus ausgestatteten Raum. –

Schematzky hat Knut erwartet und geht ihm schnell entgegen.

Noch schneller sagt Knut:

„Sie haben kürzlich eine Photographie verloren!“

„Ich weiß. Sie haben sie gefunden!“

„Ja. Ehe ich sie zurückgebe, eine Frage: Wer ist diese junge Dame?“

Jetzt erst fällt Schematzky die Hast auf, mit der der Besucher die Worte hervorstößt.

Er wirft ihm einen scharfen Blick zu.

„Eine mir nahestehende Dame.“

Knut fühlt plötzlich Leere in sich. – Das Zimmer wird unwirklich.

„Nahestehend? Wollen Sie mir nicht sagen, wie sie heißt?“

In dem Gesicht des Schmugglers arbeitet es. Irgendeine Ideenverbindung bringt ihn auf die richtige Fährte. „Sind Sie der Mann, der sie aus dem Hause zur Goldküste gerettet hat?“

„Ja, der bin ich. Und ich suche die Dame ohne Rast. Ich habe ein Anrecht darauf, sie wiederzusehen, wenigstens zu wissen, ob sie lebt und nicht etwa wieder entführt wurde.“

„Sie ist nicht wieder entführt worden, Storting!“

„Sagen Sie mir, was Sie von ihr wissen, Schematzky. Sie ahnen nicht, von welcher Wichtigkeit das für mich ist! Sie sagen, die Dame stünde Ihnen nahe!“

Knut schaut Schematzky ins Gesicht. Der lächelt frech und doch nachsichtig.

„Lieben Sie denn Miß – Violet?“

„Ja, sie heißt Violet! Sie kennen Sie! Schematzky, ich flehe Sie an – wer ist sie? Wo ist sie?“

Schematzky bleibt stumm. Endlich sagt er:

„Ich werde Sie mit der Dame bekannt machen.“

„Oh, ich danke Ihnen, Schematzky!“ –

„Unter einer Bedingung –“

„Ich erfülle sie. Ganz gewiß, ich erfülle sie!“

„Schön. Sprechen wir später davon. Sie müssen erst mehr von mir wissen.“

Er geht im Zimmer auf und ab. Bleibt plötzlich vor Knut stehen, wirft ihm einen scharfen Blick zu:

„Ich suche einen Menschen, der mir auf Tod und Leben verbunden ist.“ Er denkt nach. „Wollen Sie die Frau haben?“

„Haben? Was meinen Sie? Sprechen Sie von Violet?“

„Ja. Soll sie Ihre Geliebte werden?“

„Meine Geliebte? Ach, das ist ein Traum!“ Und nach einer Pause: „Meine Frau soll sie werden. Ich werde die Welt erobern an ihrer Seite!“

Schematzky lacht.

„Sie sind unverbesserlich. Was reden Sie für Dummheiten. Napoleon hat die Welt erobert – trotz Josephine. Nicht durch sie. Die Weiber, Storting – doch ich schweife ab! Also, Ihre Frau kann sie nicht werden. Dazu kann ich sie nicht zwingen. Aber daß sie Ihre Geliebte wird, das kann ich machen.“

Knut Storting schabt die Zähne aneinander.

„Zwingen? Zwingen? Ist sie Ihre Sklavin, Schematzky?“

„Ich lasse sie nochmals entführen. Das Weitere ist Ihre Sache.“

Knut bebt am ganzen Körper. Brüllt:

„Haben Sie denn – haben Sie denn auch damals – – –“

Der Ungar legt sich in den Lehnsessel zurück und hält seinem leidenschaftlichen Besucher eine Kiste Upman hin.

„Rauchen Sie, Storting, Sie gefallen mir. Sie haben sich immerhin verändert seit München, das muß ich sagen! Sie wären ein Partner für mich! Schlagen den besten Mann der Unterwelt k. o.! In allen Verbrecherkreisen spricht man mit grenzenloser Hochachtung von Ihnen. Wenn Sie wollen, können Sie der Society für besondere Aufträge beitreten. Das sind Leute, die für gewisse Politiker arbeiten. –

Nachts natürlich. – Also: Ich habe Violet entführen lassen. Ich habe schon mit der Mutter Geschäfte gemacht. War Kaffeekönigin. Starb vor drei Wochen. Tüchtige Frau. Ist an der Börse reich geworden.“

Das alles hört Knut kaum. Geht mit geballten Fäusten auf Schematzky los.

„Sie haben Miß Violet entführen lassen? Sie??“

Schematzky jongliert mit einem Revolver.

„Machen Sie kein Theater, Storting. Soll ich Sie für fünf Minuten scheintot machen? Im Ernst:

Seien Sie nicht naiv, Storting! Hier müssen Sie sich an brutale Tatsachen gewöhnen. Ich habe meine Mittelsmänner – in der Mottstreet. Der ‚Mordtrust‘ untersteht meinem Befehl. Wissen Sie, was der ‚Mordtrust‘ ist? Die Verbrecher in Neuyork und Chikago sind organisiert. Zusammengeschlossen zu einem Trust. Man bestellt da, was man braucht: Überfalle, Schüsse in der Nacht und so. Auch Entführungen. Diese Männer sind verwegene Hooligans. Aber verläßlich. Schauen Sie mich nicht so an, als ob Sie mir an die Gurgel springen möchten, Storting. Wenn Sie es weitererzählen, glaubt es Ihnen kein Mensch. Es sind nicht die schlechtesten Policemen in Neuyork und Chikago, die selber dem Trust angehören. Ja, jeder sieht, wo er bleibt. Aber die Hauptsache! Sie haben mir eine schöne Sache verdorben, Storting! Wir sind jetzt quitt! Noch einmal dürfen Sie nicht als mein Gegner auftreten –“

Knut steht blaß und sprachlos da. Endlich schüttelt er den Bann ab, den der Mann da auf ihn ausübt.

„Warum haben Sie es getan?“ fragt er mit heiserer Stimme.

Schematzky lacht.

„Warum? Oh, dear, my big boy, weil ich große Verluste erlitten hatte. Die Detektive haben mir drei Schiffe weggenommen. Meine besten Leute sind bei der Gelegenheit gefallen. Sieben Tote bei mir, vier bei der Polizei. Ja, my boy, das Leben ist ein Kampf. Kurz, ich brauche Geld. Eine Million – der alte Kaffeebauer hätte die Million ohne weiteres bezahlt, wenn man ihm mit dem Tode der Tochter gedroht hätte!“

Knut Storting springt aus seinem Sessel.

„Das ist Ihr Beruf, Mann?“

„Nein, das war nur eine Angelegenheit momentaner Not. Inzwischen habe ich mir anders geholfen. Ein reicher Mann aus Minnesota hat sich am nächsten Geschäft beteiligt.“

„Und die Behörde? Die Polizei?“

Der Schmuggler lacht.

„Keine Sorge, Storting. Unsere Geschäfte sind sicher. Diesmal wird sie mich ungeschoren lassen, hoffe ich. Der Polizeichef von Chikago, Heights, wurde ermordet, ja? Nun, Leroy Gilbert war ein persönlicher Gegner von mir. Er hatte geschworen, die ‚Bootleggers‘ auszurotten. Verrückte Marotte von ihm. Hat sich von der Stadtverwaltung in Chikago bei der Vorwahl aufhetzen lassen. Wollen die Verbrecherbanden vernichten!“

Der Mann ohne Gewissen macht ein verächtliches Gesicht.

„Entsinnen Sie sich, daß vor einiger Zeit der Hilfsstaatsanwalt William Mc Swiggin erschossen wurde? Wissen Sie, wie das geschah? Er befand sich in einem wüsten Viertel, der Staatsanwalt, bei einer vertraulichen Rücksprache mit zwei Bootleggers. Einer der zwei war ich. Mc Swiggin war eng befreundet mit uns. Vertrat eine bestimmte Industrie, die viel an uns Schmugglern verdient. War unser Mann, jawohl, mein Freund, wollte uns verraten, büßte es. Wir lassen uns nicht in die Karten schauen. Unsere Gelder entscheiden bei den Wahlen. So ist es!“

„Entsetzlich“, stammelte Knut. „Unglaublich.“

„Unglaublich? Sie kennen mich nicht, Storting. Neuyork ist nur meine Filiale sozusagen. Ich arbeite hauptsächlich in Chikago. Die ‚Unterwelt‘ ist ein Teil meiner Organisation. Überlegen Sie unsere Macht: seit Ende 1927 sind neunzig Bomben gegen unbeugsame Polizeiorgane geworfen worden. Ich verfüge über fast zwölfhundert Banden. Alle organisiert. Ja, Mann, es ist eine Lust zu leben! Doch ich will Sie nicht mit den Geheimnissen meines Geschäftsbetriebes langweilen. Ich will wissen: Haben Sie Lust, in einem Jahr reich zu werden? Sehr reich? Dann machen Sie mit! Ich suche einen Mann, der den Mund hält, meine Interessen wahrt, mit meinen Schiffen fährt. Vor allem muß er meine Radiosendestationen kontrollieren.“

„Nein“, ruft Knut zornbebend. „Ich mache nicht mit! Aber ich verlange, daß Sie mir sagen, wo die Frau ist, die Ihnen ganz gewiß nicht nahesteht, und die ich wiedersehen will, und wenn ich über Ihre Leiche gehen muß!“

„Sie verfallen wieder in Ihre alten Übertreibungen“, sagt Schematzky kalt. „Aber wie Sie wollen. Über meine Leiche werden Sie nicht gehen. Nie! Dazu habe ich zu viele Dollars. Aber Sie werden sich mein Angebot noch überlegen!“

Knut steht sekundenlang zum Sprung bereit. Hinter Schematzky taucht die riesenhafte Gestalt eines Negers auf. Steht wie eine Bildsäule.

Da wendet sich Knut zum Gehen. An der Tür wirft er dem Ungarn einhundertfünfundneunzig Dollar vor die Füße. Fünf hat er schon ausgegeben. „Ich will kein Geld von Ihnen. Was ich davon gebraucht habe, arbeite ich ab!“

„Aber ich sagte Ihnen ja, Storting, es ist Ihr Geld! Ich habe es schon aus Deutschland mitgebracht. Sie haben es zu fordern. Wollen Sie Ihr Geld wegwerfen? Sind Sie von des Satans Großmutter hypnotisiert? Bill, gib ihm die Scheine wieder.“

Der Neger suchte das Geld vom Teppich auf und steckte es Knut in die Taschen.

Dann sauste der Deutsche im Fahrstuhl neunundzwanzig Stockwerke tiefer.

Ein Bettler baut eine Stadt

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