Читать книгу Lehrbuch der Liebe. Ein galantes Brevier für Damen und Herren - Robert Heymann - Страница 13

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Die Sehnsucht und ihr natürlicher Ausdruck.

Durch aller Zeiten Wende geht wie ein heiliges Lied die Sehnsucht. Sie ist unmittelbar und gross und unsterblich, denn sie hat an dem Schöpfungsakt der Gestirne teilgenommen. Sie setzte die rohesten Elemente in Musik und gab der Menschheit die Zusage der Ewigkeit: Unsterblich zu werden.

Die Sehnsucht stand auf, als die ersten Menschen durch Urwälder irrten, als das erste Weib inmitten der flammenden Not der Gefahren den Blick in die Weite des Horizontes lenkte, wo Himmel und Erde zusammenschmolzen und die brennende Sonne in der Nacht erlosch; da der erste Mann mit Geer und Pfeil dem wilden Tiere nachjagte oder in schwachem Einbaum über die Wogen glitt. Die Sehnsucht war da, ehe der erste Schrei eines Tieres durch die Einsamkeit der Wildnis tönte. Die Sehnsucht war da, ehe sich das gewaltige Präludium des Werdens vollzog, sie war die Kraft und der Anfang aller Dinge, sie war das lebendige Wort Gottes, der sprach: „Es werde Licht!“ Sie letzte zwischen den Dingen, bis der Mensch ward. Sie kam zu ihm und sagte:

Sieh hin! Wohin dein Auge blickt, ist Schönheit, werden und Glanz. Sieh die Sonne in Purpur; den Himmel im Meer, das Meer im Himmel. Wolken und Felsen wie granitene Perlen, die Berge wie silberne Altäre, die in die Ewigkeit thronen. Das Wasser wie rauschende Strähnen, grün und purpur und golden — — die ganze Erde ein Schoss der Liebe.

Warum missverstehen wir heute diese Sehnsucht in den Worten und Gesten der Menschheit? Warum wollen wir ihr das Dogma der Sünde aufdrücken?

Wedekinds „Frühlings Erwachen“ wurde in den meisten Städten Deutschlands verboten, und der Münchner Zensurrat geriet darüber in Spaltung. Wohlbemerkt: Nicht über den Streit wegen der künstlerischen Qualität, sontdern der Tendenz. Der Moral.

Die jungen Mädchen in diesem Schauspiel haben ihre eigene Sehnsucht: Wir aber verschliessen davor die Augen. Auch im Leben! Wir decken die heissen Wünsche junger Frauen mit dem paragraphenbestickten Alltag zu.

Törichte Heuchelei! Das „Tagebuch einer Dame“, in München erschienen, in Münchner Luft geschrieben, hat die Seele eines jungen Mädchens „aus guter Familie“ blossgelegt. Die Dame stammt aus Sachsen. Es ist eine Uebereinstimmung, die zu denken gibt, dass aus dem Lande der stärksten Prüderie die meisten Renegationen der guten Sitte kommen. Die Sehnsucht dieses jungen Mädchens ist die der jungen Frau. Denn es gibt in Wahrheit vom Alter der Pubertät au nur mehr junge Frauen. „Fräulein Mütter“ — — und ich habe die Kühnheit, zu behaupten, es bestehe kaum ein idealer Unterschied zwischen denen, die es in Gedanken, und denen, die es in der Tat sind.

„Ich habe das Bild vor Augen; es verfolgt mich überall. Gravitätische Männer in phantastisch königlichen Gewändern verneigen sich vor einer Mutter und ihrem Kinde. Man möchte sich darüber verwundern, aber da sieht man den Himmel aufgetan in seiner Glorie und himmlische Heerscharen sich herunterneigen. Das Kind hebt segnend ein Händlein; die Mutter weiss nicht, wie ihr geschieht. Heilige Männer, Ritter und Bischöfe, stehen ernst zur Seite.

Es ist das Bild des Freiburger Hochaltars von Hans Baldung Grien.“

Das Mädchen mit dieser heiligen Sehnsucht hat — ich behaupte, durch die Schuld der Moral — als Dirne geendet. Madame Bovary, deren Schicksale Gustave Flaubert berühmt machten, wünschte sich einen Sohn. „Gross, stark und brünett musste er sein und George sollte er heissen. Diese Hoffnung auf einen männlichen Nachkommen erschien ihr wie eine Entschädigung für alle die bisherigen Enttäuschungen …. Das Kind kam an einem Sonntag zur Welt...

„Es ist ein Mädchen“, sagte Charles.

Da bog sie den Kopf zurück und fiel in Ohnmacht.“ — — —

Fühlst Du, verehrte Leserin, Saiten klingen in Deinem Innern? Diese kleine Episode ist eine Madame Bovary für sich, und gelehrte Psychiater könnten ein Konversationslexikon darüber verfassen, in dem der liebe Gott zu Gunsten unseres Ordnungsstaates verdammt schlecht wegkäme.

Die junge Sehnsucht träumt von Märchen. Junge Mädchen träumen so gerne von Kronen und Schlössern; erwachen sie, liegen — — wie leicht! — — die Trümmer ihrer Luftschlösser in der Gosse, und kein Märchenweg führt mehr aus der Wirklichkeit zurück.

Der Madame Bovary waren „die ahnungslosen Seufzer bei Mondenschein, die langen Umarmungen, die Tränen, die auf ein paar verschlungene Hände fallen; alle die betörenden Wallungen der Sinnlichkeit und schmachtenden Hingebung nicht mehr zu trennen von Schlössern mit hohen Altanen und luxuriöser Einrichtung, von einem Boudoir mit seidenen Stores und dicken Teppichen, an reichem Blumenflor in kostbaren Vasen und einem breiten Himmelbett… Ihr war es überhaupt, als müsse das Glück nur in gewissen Gegenden heimisch sein und wachsen, wie eine seltene Pflanze, die nur auf warmen Boden gedeiht und überall sonst verkümmert.“

*

Der Sehnsucht natürlicher Ausdruck ist die Liebe.

Ein Traum von Liebe, der sich erst unter seelischen Revolutionen der Wirklichkei anzupassen vermag.

Aus ihres Vaters Hand den Gatten nehmen,

Erscheint den Mädchen ärmliche Bescherung.

‘Ne goldne Schlange ist der Ehering.

In lauer Sommernacht auf schwacher Leiter,

Den Degen in der Hand und das Gesicht

Verhüllt in theatralischem Mantelwurf,

So denkt ein Kind von fünfzehn, sechzehn Jahren

Sich den Geliebten.

Und — —:

Der Vater öffnet dem hausbacknen Bräutigam,

Doch schleicht das Ideal sich durch das Fenster ….

Musset.

Junge Mädchen träumen von Heroen. Ihre Vorstellungen haben keinen weiten Bewegungskreis. Jung, stolz, schön und — — verwegen soll der Erwählte sein. Urinstinkte schimmern durch die romantischen Wünsche. Und diesen Urinstinkten Rechnung zu tragen, ist die Politik des klugen Bräutigams, auch wenn er nicht durchs Fenster steigt, sondern von dem Vater hübsch prosatsch der Erwählten zugeführt wird. Man hat ehedem die Frauen geraubt; bei vielen wilden Völkern geschieht es regelmässig noch heute, und in Niederbayern wie in manchen anderen Gegenden, die alte Bräuche ehren, ist der Brautraub ein romantisches Attribut jeder Hochzeit.

Du hast eine junge Dame kennen gelernt, verehrter Leser — — wie, das mag Deine Sache sein. Ich weiss zwar, dass man sich im Ballsaal, auf der Promenade, an der table d’hote, sogar in den Gletscherspalten vorstellt, d. h. den Hut zieht und mit bedeutsamer Wichtigkeit seinen Namen, auch wenn er „Meier aus Apolda“ lautet, akzentuiert. Solche Vorstellungen — — im Sinne des Wortes — sind dazu da, den Namen überhören, missverstehen zu lassen. Und der erste Eindruck, den Du auf eine junge Dame machst, wird nur von Deiner Persönlichkeit und Deinem Benehmen abhängen. Erst später kommt Deine Heiratsfähigkeit in Frage; dann magst Du den Referendar oder Einserjuristen in die Wagschale werfen.

Nimm Bedacht, junger Mann — — auch wenn Du Schmisse hast — — nimm Bedacht auf die Sehnsucht und die Träume junger Mädchen. Nahe ihr weder zu schüchtern, noch roh, eher überschwänglich als ledern, streife Deine banalen Gewohnheiten ab und erwecke in ihr die ungewisse, aber desto beseligendere Vorstellung, dass Du anders bist als alle Andern, der Einzige, und verstehe es, ihre Neugierde zu wecken.

Sieh zu dann, wie sie in ihrer stillen Häuslichkeit gleich Gudrun, der edlen Gefangenen, sitzt und sinnt, „ihre Zöpfe flechtend und aufbindend“:

Ich gäb’ was drum, wenn ich nur wüsst’,

Wer heut der Herr gewesen ist.

Er sah gewiss recht wacker aus

Und ist aus einem edlen Haus.

Das konnt’ ich ihm an der Stirne lesen.

Er wär auch sonst nicht so keck gewesen.

(Gretchen im „Faust“.)

Lehrbuch der Liebe. Ein galantes Brevier für Damen und Herren

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