Читать книгу Die Schatzkammer des Pharao - Роберт Крафт - Страница 4

2. Kapitel

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»Harris, sieh, wen ich hier mitbringe!«

Ein feiner Duft schlug dem Eintretenden entgegen, er fühlte sich plötzlich an den heimatlichen Weihnachtstisch unter dem Christbaum versetzt, und außerdem verschmolz ein Märchen aus Tausendundeinernacht mit einer feierlichen Zeremonie der katholischen Kirche.

Die Einrichtung dieses Zimmers war nicht daran schuld, daß in ihm augenblicklich solche Bilder hervorgerufen wurden. Die war so wie die seines Wohnzimmers, gut englisch, durch vielen Gebrauch ein wenig abgenützt, durch einige deutsche Möbel behaglicher gemacht. Zum Beispiel stand auch hier ein Schreibsekretär. Statt der Couch, die man zu allem anderen gebrauchen kann nur nicht um sich darauf zu setzen oder gar hinzulegen, ein deutsches Sofa mit Rückenlehne.

Die Art der Beleuchtung machte es. Statt des Gases oder elektrischen Lichtes, was beides den Pensionären zur Verfügung stand, brannten ein Dutzend Wachskerzen, spannendicke, meterlange Kirchenkerzen von allen Farben, im ganzen Zimmer verteilt.

Daher das kirchliche vermischt mit dem Märchenhaften, daher der Weihnachtsgeruch, der durch den feinen Duft von Apfel noch verstärkt wurde.

Auf dem Sofa saß ein junger Mann, vor sich auf dem Tische drei solche brennenden Riesenkerzen, einige Bücher und eine große Schale mit Äpfeln und Nüssen, mit deren Aufknacken er gerade beschäftigt war.

Dr. Tannert staunte über dieses brünette Gesicht. Solch ein edles Profil hatte er noch nicht gesehen. Diese Adlernase, dieser Adlerblick der großen schwarzen Augen, dieser Schwung der Lippen, dieser unnahbare Stolz, der sich in jedem Zuge ausprägte, und dabei dennoch diese freundliche Ruhe - solch eine Vermischung hatte der junge Gelehrte noch nicht gesehen.

Er erhob sich sofort, allerdings in eigentümlich phlegmatischer Weise. Stehend machte die schlanke mittelgroße Gestalt in dem schwarzen Gehrock einen noch viel vornehmeren Eindruck. Ja, schlank war die Figur wohl, sogar schmächtig, aber Tannert sah gleich die Hände, auch wieder die feinsten Männerhände, die er je gesehen, wie aus gelben Elfenbein geschnitzt, und dennoch starrend von Muskeln und Adern und Sehnen, woraus man auf seine Kräfte schließen konnte.

»Herr Doktor Tannert, unser Nachbar hier gegenüber.«

»Es ist mir sehr angenehm, Herr Doktor!« sagte eine tiefe Bruststimme, die man dieser schmächtigen Gestalt wiederum gar nicht zugetraut hätte.

»Denk dir, Harris, was mir passiert ist. Ich bin angefallen worden.«

Sie erzählte ihr Abenteuer, berichtete zwar, daß sie sich tapfer gewehrt hätte, gab aber die Ehre doch dem herbeigeeilten Doktor. Der hätte die Straßenräuber erst in die Flucht geschlagen.

Dr. Tannert kam nicht dazu, sie zu korrigieren, der Wahrheit die Ehre zu geben. Er hörte gar nichts davon, war nur Auge.

Während sie erzählte, hatte sie das einfache Hütchen und den Schleier abgelegt. Und der junge Deutsche wurde noch mehr von der Bewunderung hingerissen.

Ja, die beiden waren Geschwister? Ganz genau das selbe Gesicht, wie das des Bruders, nur in weibliche Abrundung übertragen. Statt der Adlernase, ein Adlernäschen, die geschwungenen Lippen voller, das Kinn weicher.

Das Ideal eines italienischen Bettelbuben!

Der junge Gelehrte lachte dann, als er sich darüber Rechenschaft ablegte, wie er auf diesen merkwürdigen Vergleich gekommen war. Und doch, er war ganz richtig. Das prächtige Gesicht eines jener Lazzaroniknaben unter denen die Maler doch natürlich als Modell immer nur die schönsten Köpfe aussuchten.

Die Ähnlichkeit wurde noch größer, als sie das blauschwarze Haar, das sie zu einer vollen Frisur geordnet trug, mit einem einzigen Griff auflöste, so daß es plötzlich in schwarzen Locken herabfiel, aber nur bis zu den Schultern. Nun war ein solcher römischer Adonis erst rechtfertig.

Und auch sie hatte solch eine merkwürdige Hand, wunderbar fein, aber ungemein kräftig, jedes Muskelchen wie gemeißelt hervortretend, wenn auch nicht geradeso von Sehnen und Adern strotzend wie die des Bruders.

Dr. Tannert wurde sich gar nicht bewußt, wie er in seinem nassen Mantel so unbeholfen in der Mitte des Zimmers stand, immer nur starrend und staunend, und ehe er zur Besinnung kam, daß er endlich doch auch etwas sagen müsse, wandte sich das Mädchen schon wieder an ihn, dabei schnell einige Wallnüsse zwischen den Händen aufknackend.

Dieses schöne Antlitz mußte eigentlich sehr ernst sein, das passte zu den ganzen Zügen, war es auch - aber sofort, wenn sie sprach, wurde es durch ein ungekünsteltes, heiteres Lächeln noch mehr verschönt.

»So, jetzt ist die Vorstellung vorüber, Sie sind eingeführt. Nun dürfen Sie sich in Ihrem Zimmer umziehen, jetzt erlaube ich es Ihnen. Aber wehe, wenn Sie nicht sofort wiederkommen! Ich hole Sie. Und nicht etwa Toilette machen! Ich will Sie in den Filzschuhen sehen, mit denen Sie heute früh über den Korridor gingen! Meine Pantoffeln sind noch viel abgetretener. Vorwärts verschwinden Sie! Der letzte, der wieder in diesem Zimmer ist, muß dem anderen die Nüsse aufknacken und die Äpfel schälen!«

Bei den letzten Worten war sie schon nach der Seitentür gesprungen.

Wie Dr. Tannert eigentlich in sein Zimmer gekommen war, wußte er gar nicht. Wußte nicht, wie er sich umzog. Nur das wußte er, daß er sich eben im Traum befand.

»Nein, so etwas!« seufzte er manchmal. »So etwas habe ich noch gar nicht erlebt, gar nicht für möglich gehalten. Ganz fremd - ich stehe da wie ein Stockfisch - ich ich ich ... ich weiß gar nicht, was mit mir los ist. Das Mädchen muß mich geradezu verzaubert haben. Und diese holdselige Unschuld zerschlägt ab und zu einem Menschen das Schlüsselbein!«

Als er schon hinübergehen wollte, merkte er erst, daß er an einem Fuße einen Filzschuh, am anderen einen Stiefel hatte. Kopfschüttelnd blickte er hinab auf das ungleiche Paar.

»Was ist nur mit mir los? Und schon dieser halbe Versuch, dort drüben in Filzschuhen erscheinen zu wollen, ist doch eine beispiellose Ungezogenheit. Aber was hilft's? Sie hat es befohlen, ich muß gehorchen. Und wenn die mir je befiehlt, ich solle aus dem Fenster dieser zweiten Etage einen doppelten Salto mortale schlagen - ich würde ihn schlagen. Obgleich ich nicht einmal einen einfachen Salto kann. Hoffentlich befiehlt sie's nicht.«

Immer noch kopfschüttelnd stellte er die Harmonie an den Füßen durch den zweiten Filzschuh her, ging hinüber, klopfte an.

»Come in!« rief die tiefe Stimme des Bruders.

Als Tannert die Tür öffnete, trat auch sie gerade durch die ihre in das Zimmer, in einem faltigen Morgen - oder Abendkostüm, einfach Schlafrock genannt, auch wieder so elegant und doch ganz einfach, ohne alle Borten und Bändchen und Spitzchen, wie Tannert auch schon bemerkt hatte, daß die beiden keine Ringe und keinen anderen Schmuck trugen.

»Ach, das ist schade! Ich habe mich so beeilt. Von wegen der Aufknackerei. Setzen Sie sich - hierher in die andere Ecke - so. Harris, wo ist der Nußknacker? Natürlich wieder keiner da. Wir haben ein ganzes Dutzend, sonst liegen sie überall herum, aber wenn man einen braucht - natürlich keiner zu finden. Doch, hier ist einer. Und hier unter der Zeitung liegen gleich noch drei. Hier haben Sie einen. Oder warten Sie, ich werde Ihnen aufknacken. Denk dir Harris, der Herr Dr. Tannert geht nach Afrika, nach Arabien.«

»Erlauben Sie, daß ich eine Bemerkung mache?« lächelte der Doktor.

Er war nicht gerade ein schüchterner Mensch, schloß sich nur an, es dauerte immer lange, ehe er in fremder Gesellschaft »auftaute«. Hier aber fühlte er sich gleich ganz wie zu Hause.

»Ja, ich erlaube Ihnen eine Bemerkung«, entgegnete sie mit gravitätischem Ernst, und das hatte jener ja nur hören wollen.

Dann mache ich Sie darauf aufmerksam, daß Arabien nicht zu Afrika, sondern zu Asien gehört. Aber sie nehmen es mir doch nicht übel? Und wenn Sie durchaus darauf bestehen, dann könnte das ja geändert werden.«

Sie schlenkerte in komischer Weise die Finger.

»Au! Da habe ich mich ja nicht schlecht blamiert! Da sehen Sie, wie es mit meinen geographischen Kenntnissen beschaffen ist. Das mir freilich so etwas passieren muß…«

»Das, verehrtes Fräulein, ist schon manchem anderen passiert und wird noch häufig vorkommen«, tröstete sie Dr. Tannert. »Ich habe sogar konstatiert, daß Arabien von geographisch sonst ganz sattelfesten Personen zu Afrika gerechnet wurde, wenigstens so in der Gedankenlosigkeit. Und diese häufige Verwechslung muß doch einen Grund haben. Und der besteht eben auch. Arabien ist in Wirklichkeit vielmehr zu Afrika zu rechnen als zu Asien, dem Charakter der Landschaft, der Fauna, der Flora wie dem seiner Bewohner nach. Die Grenzen der beiden Erdteile sind doch nur in der Phantasie gezogen, aus Bequemlichkeit, möchte man sagen. Weil da so recht bequem die Landenge von Suez ist, die man am leichtesten durchstechen konnte. Die natürliche Grenze wäre viel richtiger vom Persischen Golf aus den Euphrat entlang nach dem Winkel des Mittelmeeres gezogen, wo es den Busen von Jskanderum bildet. Und wer so in der Eile versehentlich Arabien zu Afrika rechnet, der bekennt nur, daß er in seiner Gedankenlosigkeit den Charakter Arabiens ganz richtig beurteilt.«

»Ich bin Ihnen sehr verbunden«, verbeugte sich das Mädchen mit schalkhaften Ernste.

»Nach Arabien gehen Sie?« fragte der Bruder.

»Ja«, glaubte die Schwester für den Gast das Wort nehmen zu müssen, »zur Erforschung der Felsenstadt Pe - Pat ... ja, nun weiß ich wieder diesen Namen nicht mehr.«

»Petra. Das ist griechisch der Fels. Sie brauchen ja nur an Petrus zu denken, als an den Felsen, auf den der Herr seine Kirche erbaut hat.«

»Ach ja richtig.«

»Ich habe auch noch nichts von diesem Petra gehört«, gestand der Bruder.

Der junge Gelehrte ward bei ihrer Schilderung noch etwas ausführlicher als vorhin gegen die Schwester, führte Daten an, auch das sie vom dritten bis zum fünften Jahrhundert ein christlicher Bischofssitz gewesen ist.

»Der Hauptzweck unserer Expedition ist, das Alter der Bauwerke zu bestimmen, was nach ihrem verschiedenen Stilen recht wohl möglich ist. Denn sie sind in den verschiedensten Jahrhunderten entstanden.«

»Sind schöne Bauwerke dort?«

Die interessantesten sind wohl die Felsengräber, die ringsum etagenweise in die Bergwände gemeiselt sind. Das ganze Wadi Musa, Mosestal, in welchem Petra liegt, wimmelt von solchen Felsengräbern, die wenigsten sind untersucht, viele noch nicht einmal gefunden worden. Da werden wir wohl noch manche interessante Entdeckung machen, auch an Sarkophagen und Mumien, an Waffen, Schmucksachen, Hausgerätschaften und Ähnlichem mehr. In der Ruinenstadt selbst ist am wohlerhaltensten und am merkwürdigsten ein Amphitheater. Es kann gar nicht zerstört werden, höchstens durch Sprengung, weil es ebenfalls in den Felsen gemeiselt worden ist. Sehr groß ist es nicht, hat oben nur 36 Meter Durchmesser mit 35 Sitzplatzreihen, hat aber über deren oberste noch eine Unzahl von Felskammern, deren

einstiger Zweck noch zu ergründen ist. Deren Eingänge sollen zum größten Teil verschüttet sein, sicherlich künstlich, und wir haben die Aufgabe, sie freizulegen. Das prächtigste Gebäude aber, ebenfalls nicht aufgebaut sondern auch in die Felswand gemeiselt, ist das sogenannte Chaznet Firaun, das ist die Schatzkammer Pharaos.«

»Hat dort ein ägyptischer Herrscher seine Schatzkammer gehabt?«

»Das ist eben auch so ein Rätsel, welches es zu lösen gilt. Wir wissen von den Eroberungszügen der alten Ägypter herzlich wenig. Aber warum sollen sie nicht auch bis nach Kleinasien vorgedrungen sein? Es wäre sogar merkwürdig, wenn sie es nicht getan hätten. Nur das sie nirgends ihre charakteristischen Bauten mit Hieroglyphen und Keilschriften hinterlassen haben. Das ist außerhalb ihres Mutterlandes vielleicht verboten gewesen. Die arabischen Geschichtsgelehrten, unter denen es ja ganz bedeutende Männer gibt, behaupten, daß ein Pharao hier einmal seine Residenz gehabt hat. Vielleicht im Exil lebend. Und wahrscheinlich es, daß es der Pharao Scheschonk oder Schischak der Erste gewesen ist. Denn dieser ist einmal bis nach Jerusalem gekommen, hat es geplündert, unter Rehabeam, tausend vor Christi. Und die ungeheuren Schätze, die ihm in die Hände fielen, scheint er nicht nach Ägypten gebracht zu haben. Sonst würden Inschriften schon darauf Bezug nehmen.«

»Dann liegen diese Schätze gewiß noch dort in Petra!« sagte die Schwester eifrig und ernst, aber man hörte den Scherz schon durch.

»Ganz sicher. Die wollen wir ja eben abholen.«

»Ach bitte, bringen Sie mir doch die Hälfte mit. Ja?«

»Na, die Hälfte von allem nicht, das können Sie nicht verlangen. Aber die Hälfte von meinem Anteil, die sollen Sie bekommen. Wie soll ich das Gold verpacken? Sind Ihnen Ledersäcke oder Eierkisten angenehmer?«

»Sie scherzen, aber wo sind denn diese Schätze hingekommen?«

»Wenn jemals welche dagewesen sind. Na, Petra ist doch lange die Hauptstadt der Nabatäer gewesen, aber lange nach Rehabeam, dann waren griechische Christen darin ansäßig, schon vorher wurde sie zahllose Male erobert und geplündert, unter anderem von König Amazia, von Atigonus und Trajan, zuletzt von den Sarazenen - da wird von den Schätzen für uns wohl nicht mehr viel übrig geblieben sein. Nein, uns beschäftigt nur die wissenschaftliche Forschung, das Studium der Baustile. Kleinigkeiten mögen wir dabei ja noch finden.«

»Da möchte man gleich mitkommen«, sagte der Bruder.

»So kommen Sie doch mit. Wenn Sie so ganz frei und unabhängig sind, wie mir Ihr Fräulein Schwester erzählte.«

»Hat Ihnen das Leonore gesagt? Nein, so ganz frei und unabhängig sind wir nicht.«

Dr. Tannert hatte nur den Namen gehört.

»Leonore heißen Sie?« wandte er sich mit ausfallender Hast an sie..

Noch anderes als diese Hast war auffallend. Der Frager war dabei vor innerer Erregung ganz rot geworden, mit der größten Spannung hingen seine Augen an dem schönen Mädchen.

»Ja, Leonore«, wollte diese ganz unbefangen bestätigen. Aber es gelang ihr nicht. Jetzt färbte sich auch ihr brünettes Gesicht noch dunkler, sie wurde ganz unsicher, wie nun auch der junge Deutsche. Erst hatten sie sich tief angeblickt, und jetzt wichen sich ihre Augen scheu aus.

Leonore machte der peinlichen Szene, die ja nur wenige Sekunden gewährt hatte und von dem phlegmatischen, immer noch Nüsse knackenden Bruder gar nicht bemerkt worden war, dadurch ein Ende, daß sie schnell aufstand und den Schreibsekretär öffnete, aus dem erst recht ein intensiver Duft von Äpfeln drang.

»Unsere Großmutter väterlicherseits hieß Leonore«, sagte der Bruder, »sie war eine Italienerin, daher auch unser Typus, vermischt mit dem des französischen Vaters. Von unserer deutschen Mutter haben wir nur die Sprache erlernt. Darauf hielt sie.«

Leonore kehrte schnell mit einer neuen Schale von Äpfel, Birnen, den verschiedensten Nüssen, Rosinen, Datteln, Feigen und anderen getrockneten Früchten zurück. Sie hatte wie Dr. Tannert ihre Selbstbeherrschung wiedergefunden.

Der eigentümliche Vorfall, den nur dieser Name bewirkt hatte, sollte erst später seine Erklärung finden.

»Bitte, langen Sie doch zu. Sie essen ja gar nichts. Wir naschen den ganzen Tag.«

»Sie leben wohl nur von Früchten und Nüssen?« konnte er schon wieder unbefangen lächeln.«

»Ausschließlich.«

»Wirklich nur von Früchten und Nüssen?'«

»Tatsache. Wir essen auch kein Brot, nichts gebackenes. Nur Nüsse und frische oder getrocknete Früchte. Wir sind von kleinauf nichts anderes gewöhnt. Und sehen wir etwa schwächlich aus?«

Der junge Gelehrte bekam nicht etwas für ihm ganz Neues zu hören. Besonders in Amerika und in England gibt es schon viele Tausende, die sich nur von rohen Früchten und Nüssen nähren. Nach wissenschaftlichen Gesetzen reicht das auch, in der nötigen Menge genossen, zur vollkommenen Ernährung aus. Nüsse haben einen hohen Gehalt an Eiweiß und Fett, reichliche Mengen das letzteren machen die Kohlehydrate, das Stärkemehl, überflüssig. Diese Lebensweise geht von den Theosophen aus, die schon mehr bis zu den Rosenkreuzlern zurückgreifen, welche ihren Durst sogar nur mit Morgentau stillen, oder mit Regenwasser. Im übrigen hängt das zusammen mit dem Schlagwort »Zurück zur Natur«! Natürlich haben diese Nahrungskünstler, Theosophen oder nicht, gleich Vereine gebildet, wollen durch Zeitschriften und Flugblätter nun die ganze Menschheit beglücken.

»Nach Pausanias bekamen die griechischen Athleten, die in Olympia um die Siegespalme ringen wollten, vorher wochenlang von ihren Trainern, den Gymnasien oder Aleipten, nur möglichst trockene Datteln zu essen«, zeigte der Bruder wieder seine Belesenheit, wobei es freilich um die Athletik handelte, die er wohl auch so wie seine Schwester betrieb oder doch betrieben hatte.

»Wird solch eine Fruchtnahrung auf die Dauer nicht recht eintönig?« meinte Dr. Tannert etwas kleinlaut, denn er war ein Freund von einem saftigen Beefsteak, möglichst groß.

»Eintönig?« wiederholte Leonore. »Aber ich bitte Sie! Hier in dieser Schale liegen acht verschiedene Apfelsorten, jede von einem total anderem Geschmack. Sauer und süß und nach Muskat und nach sonst was schmeckend. Und nun die vielen anderen Früchte. Und hier sind vier Sorten von Nüssen. Und es sind schon zweierlei Haselnüsse, deren Unterschied im Geschmack ein noch viel größerer ist als zwischen gekochten Hammelrippchen und einem Schweinebraten. Nein, an Reichhaltigkeit des Geschmacks kann der Tisch eines Fruchtessers niemals von dem eines Fleischessers übertroffen werden. Und es ist so bequem. Man hat die Früchte immer zur Hand, ist, wenn man Appetit hat, ist unabhängig, kein Sklave eines Kochs. Aber ich will Sie nicht etwa zur Fruchtnahrung bekehren! Das liegt mir fern. Soll ich klingeln? Wollen Sie einen Schinkenknochen haben? Sie können ihn hier ruhig abnagen.«

Lachend wehrte Tannert ab, er habe schon eine reichliche Abendmahlzeit hinter sich, aber er freute sich wirklich sehr, daß man ihm dieses Angebot gemacht hatte. Denn Dr. Tannert war der ganz vernünftigen Ansicht, daß ja jeder Mensch täglich einen Zentner Heu fr ... verspeisen kann, wenn es ihn glücklich macht. Aber er soll nur andere Menschen mit seinem Heu in Ruhe lassen. Wem's schmeckt, der wird schon von ganz allein einmal dahinter

kommen. Und dann vielleicht erlernt er auch noch das Wiederkäuen.

»Aber ein Glas Punsch trinken Sie doch mit uns«, fuhr Leonore fort, unter der silbernen Teekanne, wahrscheinlich Eigentum, den Spiritus anzündend.

»Oho. Seit wann sind denn Vegetarier und besonders solche Fruchtesser dem Alkohol ergeben?« Der Irrtum wurde gleich aufgeklärt.

»Es ist alkoholfreie Punschessenz, nichts weiter als Fruchtsaft«, erklärte der Bruder, »ich trinke das Zeug auch nicht gern, es schmeckt so nach Lack, und für einen ehemaligen Studenten, wird es erst recht nichts sein. Haben Sie nicht etwas Kräftigeres auf Ihrem Zimmer? Oder vielleicht die Mrs. Haller?«

Ach, das waren ja prächtige, unbezahlbare Menschen! Solche fand man ja gar nicht wieder.

Und es war noch nicht alles.

»Ach«, sagte Leonore noch, als er sich schon erhob, um die Rumflasche zu holen, die ihm ein Onkel für das nebelige England eingepackt hatte, für die er freilich einen fabelhaften Zoll hatte zahlen müssen, »ach, da bringen Sie doch auch Ihre Fuhrmannspfeife mit, bitte!«

»Was, Fuhrmannspfeife?« lachte Tannert. »Was wissen denn Sie Französin davon, und das ich überhaupt eine lange Pfeife habe?«

»Na, ich hab's doch gleich gerochen, als Sie heute früh Ihre Zimmertür aufmachten. Ich konnte auch ein bißchen hineinblicken. Herr Gott, war das ein Nebel! Wir hatten in Avignon einmal einen deutschen Herrn zu Besuch, der rauchte auch so eine mächtige Pfeife, und da sagte unsere Mutter immer: das riecht hier so gut nach Fuhrmann.«

Tannert lachte noch aus vollem Herzen, als er in seinem Zimmer die Rumflasche auspackte, und wiederum wußte er gar nicht, daß er dies tat. Mit seiner qualmenden pfeife kam er zurück.

»So, nun werde ich Ihnen ein Glas Grog brauen. O, das kann ich auch. Ohne Zitrone? Desto besser, weil wir gar keine hier haben. Ach, riecht Ihre Pfeife gut, so gemütlich.«

»Rauchen Sie denn nicht?« fragte Tannert, in der Meinung, daß die Französin diese Gelegenheit nur abgewartet hatte, um gleich nach dem Zigarettenetui zu greifen.

»Ich? Ich rauche nicht. Ich habe ja gar nichts dagegen, wenn Damen rauchen, aber ich mache das nicht mit. Ich habe keinen Genuß daran, habe es noch gar nicht probiert. Auch Harris raucht nicht.«

»Wie, auch Ihr Herr Bruder raucht nicht?« stieß Tannert förmlich bestürzt hervor.

»Nein, warum sollte er denn?«

Es war schwer zu beschreiben, was den Doktor in förmliche Bestürzung versetzte. Man findet selten solche Menschen, die Nichtraucher sind und anderen das Rauchen nicht nur erlauben, sondern sie sogar darum bitten, doch zu rauchen.

»Aber ich kann doch unmöglich hier rauchen, wenn Sie selbst....«

»Pfaffen Sie! Jetzt befehle ich es Ihnen! Immer qualmen Sie! Mehr, mehr! Und wenn Sie zufälliger Weise eine Kanone bei sich haben, und Sie möchten gerne schießen - immer schießen Sie. Wenn es die Nachbarschaft nicht stört - uns stört's nicht im geringsten.

Dr. Tannert gehorchte, pfaffte und qualmte. Nein, solche Menschen gab es nicht wieder, wenigstens kein solches Geschwisterpaar.

Das Gespräch kam wieder aus Petra, der Gelehrte wurde immer ausführlicher.

»Ich möchte gern selbst einmal die Bücher lesen, die Sie da anführen«, sagte Harris.

»Die sind aber nur im Britischen Museum zu haben.«

»Die Bücher werden doch ausgeliehen?«

»Nein. Diese Bibliothek leiht kein einziges Buch aus.«

»Gegen genügende Sicherheit,«

»Nicht gegen Deponierung einer Million. Das ist so eins der eigentümlichen Gesetze im konservativen England. Der Gründer des Britischen Museums war Sir Sloane, der seine Sammlungen und seine kolossale Bibliothek dem englischen Volke vermachte, unter der Bedingung, daß nur Mitglieder der königlichen Familie Bücher mit nach Hause nehmen dürfen. Und das wird heute noch ganz wörtlich befolgt. Ich habe es erst selbst nicht glauben wollen, sprach erst gestern mit dem Generalkonsul darüber, als ich mich ihm vorstellte. Mir selbst ist die Sache äußerst unangenehm. Ich kann nicht aufmerksam lesen, wenn andere um mich herum sind, fremde Menschen, und so vortrefflich dort auch alles eingerichtet ist, ganz kleine Lesekabinetts, in denen nur einer Platz hat - es ist doch nicht dasselbe wie zu Hause in seinem stillen Studierzimmer. Eine Ausnahme kann nur ein Regierungsbefehl machen, oder sogar ein direkter Befehl des Königs muß es sein. Aber um den zu erlangen, das ist wieder eine ganz verzwickte Geschichte. Da nützt es noch nichts, daß ich deutscher Staatsbeamter bin. Da müßte erst die deutsche Gesandtschaft in förmlich politische Verhandlungen mit der englischen Regierung treten. Und so etwas wird wegen meiner Leserei natürlich nicht gemacht.«

Er sah nach der Uhr.

»Schon Mitternacht vorüber. Es ist wohl bald Zeit schlafen zu gehen.«

»Nicht für uns«, sagte Leonore, »für uns ist jetzt Mittag.«

»Wie meinen Sie?«

»Wir schlafen am Tage, stehen Nachmittags so gegen vier Uhr auf, warten die Dämmerung ab, wenn es genügend dunkel ist, gehen wir zusammen durch möglichst einsame Straßen spazieren, oder ins Theater, in ein Konzert, in einen Vortrag, oder ich gehe allein in so ein Gymnasium oder in eine Schwimmhalle, die bis Mitternacht offen ist. Um Mitternacht sind wir spätestens wieder zu Hause, und während dann für die andere Welt das Leben erlischt, fängt es für uns erst richtig an. Dann wird bis früh gegen acht gelesen. Dann geht's zu Bett.«

»Sie sind ja die reinsten Wahabiten. Habe schon vorhin einmal daran gedacht, und Sie werden es ja immer mehr!« staunte Dr. Tannert.

»Was sollen wir sein?«

»Wahabiten. Wissen Sie nicht, was das für eine arabische Sekte ist?«

»Nein. Noch niemals davon gehört.«

»Natürlich - verzeihen Sie mir - ich falle manchmal noch in den Fehler zu glauben, daß alle anderen Menschen das wissen müssen, was meine ganze Gedankenwelt ausmacht. Kennen Sie nicht den alten Witz mit dem Geschichtsprofessor, der auf der Eisenbahnstation sein Cupe verläßt, sieht sich die Nummer des Waggons, 715, prägt sich die zur Vorsicht mnemotechnisch ein, 715 vor Christi Geburt: Numa Pompilius wird als zweiter römischer König auf den Thron erhoben - jetzt geht er beruhigt in das Restaurant. Der Zug wird abgeläutet, der Herr Professor stürzt heraus, findet seinen Waggon nicht, hat die Nummer vergessen - aber er hat sie sich ja mnemotechnisch gemerkt. Also er stürzt auf einen Schaffner los: »Schaffner, Schaffner, wann hat Numa Pompilius den römischen Königsthron bestiegen?!!«

Die Geschwister lachten.

»Und wie ist es nun mit den Wahabiten?«

Der Gelehrte wurde etwas gründlicher, als es nötig gewesen wäre.

»Eine mohammedanische Sekte, die sich im 18. Jahrhundert furchtbar gemacht hat. Ihr Stifter war ein reicher Kaufmann namens Abd el Wahab in der Provinz Nedschd, das fruchtbare Hochland im Herzen Arabiens. Ihm gefiel die immer mehr zunehmende Vergötterung des Propheten Mohammed nicht, womit auch die Lockerheit der Sitten seiner Landsleute wuchs. Für ihn war Mohammed nur ein einfaches Werkzeug Allahs gewesen, er hätte sich eben so gut in jedem anderen Menschen offenbaren können. Und tatsächlich war Mohammed auch ein recht minderwertiger Geist, litt an epileptischen Anfällen, was dort aber, weil den Leute unbegreifliches, als ein Zeichen der Heiligkeit gilt. Wahab wollte den ganzen Koran nicht gelten lassen, den Mohammed erst später diktiert hat, als er nur noch seinen Herrschergelüsten nachging, als er die Vielweiberei eingeführt hatte und anderes mehr. Für Wahab galt nur die Sunna, das ist die reine Lehre, die ersten Religionsformeln Mohammeds, die nicht niedergeschrieben worden sind, nicht geschrieben werden durften, die nur als Sprichwörter von Mund zu Mund gehen. Übrigens hat, nebenbei bemerkt, des Propheten erste Frau, die ganz gewaltige Aische, die wahrscheinlich viel bedeutender war als Mohammed selbst, ihm von dem Verfassen des Korans abgeraten, und das ist der Grund, warum die Wahabiten dann ihren Herrscher aus der Verwandtschaft dieser Aische wählten, warum sie noch heute lieber eine Emira als einen Emir haben, lieber eine Fürstin als einen Fürsten, und warum noch heute bei den Wahabiten auch die jüngeren Frauen mit in den Kampf ziehen, wofür sie natürlich auch ganz anderes Ansehen genießen, als sonst bei den Mohammedanern üblich ist.

Abd al Wahab fand schnell Anhänger, die streng nach der Sunna lebten. Der Koran zählte alles gewissenhaft bis ins Kleinste auf, was erlaubt und mehr noch was verboten ist. Das Weintrinken ist verboten. Aber nicht das Trinken von Bier und Branntwein. Weshalb nicht? Weil Mohammed noch nichts von Bier und Schnaps wußte. Heute zechen die meisten Mohammedaner ganz tüchtig. Bier wird massenhaft vertilgt, die Schnapsbrüder torkeln auf der Straße herum. Nur keinen Wein! Die Sunna aber sagt: du sollst kein berauschendes Getränk trinken. Also natürlich auch kein Bier und keinen Branntwein. Rauchen heißt auf arabisch ischrub tuchan, das ist Tabak trinken, weil der Orientale den Rauch doch stets inhaliert, und daß das den Kopf betäubt, weiß jeder, der es probiert hat. Also darf auch nicht geraucht werden. Der Koran zählt allen Luxus auf, der verboten ist. Die Sunna verbietet einfach jeglichen Luxus, jeden Schmuck. So dürfen die Wahabiten nicht den geringsten Zierrat tragen, sich keine Blume anstecken, von Ringen und dergleichen gar nicht zu sprechen. Sie tragen Kleidung in größtmöglicher Einfachheit, auch im Essen und so weiter.

Dann als die Sekte der Wahabiten zu einer Macht angeschwollen war, die sich zum Religionskrieg rüstete, erfand Wahab aus eigener Initiative eine Vorschrift, welche seine Anhänger so furchtbar machte. Wenn sich die Wahabiten im Kriege befanden - und das waren sie ja immer - wurde die Nacht zum Tage gemacht und umgekehrt. Am Tage schlief im Lager alles, bei Nacht waren sie wach. Das erscheint höchst unbedeutend. In Wirklichkeit wurden die Wahabiten dadurch so furchtbar. Am Tage wichen sie dem Feinde aus, überließen ihm unter Umständen sogar ihr Lager. Sie griffen den Feind in der Nacht an, oder bei Nacht erschienen die Geflohenen wieder, und die nächtliche Finsternis war ihr Element geworden, da sahen sie wie die Katzen, da nahm jeder Mann zehn Feinde auf sich, die im Finsteren herumtappten. Die Wahabiten hatten im Laufe zweier Jahrhunderte keine einzige ihrer zahllosen Schlachten verloren, die sie bei Nacht lieferten. - Sehen Sie, daran dachte ich. Sie nähren sich nur von den einfachsten Naturprodukten, trinken keinen Alkohol, rauchen nicht, ich bemerke an Ihnen - verzeihen Sie, daß ich darauf Obacht gegeben habe - gar keinen Schmuck, Monsieur Lavoir dort hat zwar eine goldene Uhr, hat sie aber an einem einfachen schwarzen Bindfädchen hängen, und nun offenbaren Sie mir auch noch, daß Sie die Nacht zum Tage machen, nur überhaupt in der Nacht leben - Sie sind ja die echten Wahabiten.«

Die Geschwister lachten wieder.

»Brennen die auch solche Wachskerzen?«

»Das weiß ich allerdings nicht. Ich bezweifle es. Die wollen sich ihre Augen ja durch kein Licht verderben. Die brennen wohl nur Kameldünger, um ihre Brotfladen zu backen.«

»Leben sie auch nur von Früchten und Nüssen?«

»Nun die Dattel spielt sicher eine große Rolle. Sonst besteht die Hauptnahrung aus Reis und durra, das ist Hirse.«

»Kein Fleisch?«

»Das kommt dort selten vor, daß einmal ein Zicklein geschlachtet werden kann, so daß darüber gar kein Verbot zu existieren braucht. - Bekommt Ihnen denn dieses Nachtleben?«

»Wie Sie sehen. Sind wir etwa melancholisch?«

»Sind Sie davon nicht nervös geworden?«

»Na nun hören Sie aber auf!« wurde gelacht.

»Wie sind Sie denn darauf gekommen?«

»So nach und nach. Durch langes Aufbleiben und spätes Aufstehen. Und das wurde immer länger ausgedehnt. Jetzt sind wir vollkommen daran gewöhnt, sind richtige Nachtvögel geworden. Ach es gibt doch zahllose Menschen, die die Nacht zum Tage machen, es tun müssen, denken Sie doch nur an die vielen Bäcker und Verkehrsbeamten. Na, und die werden auch nicht krank. Und in die helle Sonne können wir auch noch gehen, in die Sonne blicken aber kann irgend ein anderer Mensch so wenig wie wir. - Was ist nun aus diesen Wahabiten geworden?«

»Zuletzt wurden sie doch geschlagen. Erst von Ibrahim Pascha, dann von dem gleichfalls ägyptischen Pascha Khurschid. Die ägyptischen Soldaten wurden speziell im Nachtkampf ausgebildet, wurden deswegen in Nachtvögel verwandelt. In den letzten fünfzig Jahren haben die Wahabiten Ruhe gehalten, haben aber wohl viel innere Kämpfe auszufechten, wegen der Thronnachfolge. Es sind zwei Parteien entstanden, die jede ihren eigenen Emir haben will. Wenn sie sich da geeinigt haben, dann werden die Wahabiten schon wieder von sich hören lassen.«

»Wo wohnen sie jetzt?«

»Immer noch in der Provinz Nadschd. Das ist ein Gebiet so groß wie Deutschland, für arabische Verhältnisse ein gar reiches, fettes Land. Es sind ziemlich anderthalb Millionen Wahabiten, die in mehr als 300 Ortschaften wohnen. Jetzt haben sie wieder eine Fürstin, die Emira Aische al Sela, das heißt übersetzt, das Brot von Stein, das steinerne Brot/

»Das steinerne Brot? Ein seltsamer Name!«

»Nur für uns, wenn wir es übersetzen. Aische heißt Brot, und das ist für die Araber schön ein heiliger Begriff. Dem Fremden wird Brot und Salz gereicht als Zeichen, daß er die unverletzliche Gastfreundschaft genießt. Nun, und die Emira wird wohl eine steinerne Jungfrau sein, sowohl dem Herzen wie dem Körper nach, ein tüchtiges Kriegsweib, das Lanze und Schwert zu schwingen versteht. Die Gegenpartei möchte lieber einen Emir aus einer anderen Dynastie haben. Vorläufig aber herrscht die Emira al Sela.«

»Sie sprechen arabisch?« fragte der Bruder, der sich sonst nur selten am Gespräch beteiligte.

»Ja, vollständig.«

»Und natürlich auch türkisch.«

»Nein, türkisch nicht.«

»Dort wo Sie hingehen, wird aber doch zumeist türkisch gesprochen.«

»O nein. Nur arabisch.«

»Syrien ist aber doch eine türkische Provinz.«

»Ja, dem Namen nach. Nur auf dem Papier. Ganz Arabien ist ja eigentlich ein türkischer Vasallenstaat, mit Ausnahme des Sultanats Maskat. Aber kommen Sie mal hin. Selbst dort oben in Syrien, dicht an der Grenze vom türkischen Kleinasien, wo die türkische Macht wirklich herrscht, werden die vorgeschriebenen Steuern nie eingehoben. Die Araberscheichs würden die türkischen Steuereinzieher nicht schlecht auslachen. Oder wahrscheinlich etwas anderes mit ihnen machen Es gibt gar keinen selbstherrlicheren Fürsten als solch einen Beduinenscheich, wenn er auch nur über ein Duzend Lanzen gebietet. Es ist ja diesen Beduinen auch gar nicht beizukommen. Die Araber haben uns Europäer oft genug besiegt, sind über Spanien bis nach Frankreich vorgedrungen, dort wurden sie von Karl Martell geschlagen - aber in ihrer Heimat hat ihnen noch niemand etwas anhaben können, wenn sie eine offene Schlacht vermeiden. In diesen Wüsten kann sich keine europäische Kavallerie halten, und auch die türkischen Wüstenreiter können mit den arabischen Beduinen nicht im entferntesten konkurrieren. Was die für Pferde haben! Die sich bei ihrer Leistungskraft mit Datteln begnügen. Die Beduinen ziehen sich in die Wüsten zurück, vergiften hinter sich die Brunnen, und wenn die Feinde schon als halbe Leichen im Sattel hängen, fallen sie über sie her. Nein, da ist nichts zu wollen. - Nein, dort oben wird nicht türkisch gesprochen. Man kann es wohl, will es aber nicht verstehen.

Der Erzähler machte eine Pause, und wie er vor sich hin pfaffte, wurde sein Gesicht recht verdrießlich.

»Das ist es eben! Unsere Expedition ist falsch eingeleitet. Die Deutsche Regierung hat dem Kommerzienrat ihre Unterstützung zugesagt - das ist ja recht schön und gut, aber besser wäre es, wenn sie es nicht täte. Nun hat sie sich schon an die Pforte gewendet, an die türkische Regierung in Konstantinopel, wegen Pässen usw., die Türkei hat uns ihren Schutz denn auch sofort zugesichert, uns eine Schwadron Arnauten, türkische Polizeisoldaten, zur Verfügung gestellt. Diese Schutzwache, gegen hundert Mann, erwarten uns in el Arisch. In dieser Hafenstadt geht es ja noch. Nun rücken wir aber in die Wüste hinein. Diese hundert Mann muß Kommerzienrat Kluge aus seiner Tasche unterhalten. Was das kostet? Und was deswegen wieder für ein Proviant und Futter mitgeschleppt werden muß. Wo wir allein manchmal froh sein werden, wenn wir nur Trinkwasser für uns genug finden. Und nun sind es verhaßte Türken, auch noch Polizeisoldaten dazu. Anstatt das uns die dort hausenden Araber behilflich sind, werden sie uns alle Schwierigkeiten in den Weg legen. Und den Ferman des Sultans, den Schutzbrief, können wir nur gleich ins Feuer stecken.. Die lachen uns ja aus, wenn wir den vorzeigen.«

»So tun Sie's doch. Nehmen Sie die türkische Schutzwache nicht mit.«

»Das geht nun auch nicht mehr rückgängig zu machen. Die Pforte würde sich natürlich beleidigt fühlen. Das ist jetzt eben politisch geworden. Es ist traurig. Jetzt aber verzeihen Sie - oder Sie brauchen mir auch nicht zu verzeihen, Mademoiselle - ich muß unbedingt schlafen gehen. Ich habe morgen früh viel zu tun.«

Die Sitzung wurde aufgehoben.

»Aber morgen kommen Sie wieder, erzählen uns mehr, nicht wahr?«

»Wenn Sie erlauben ....«

»Ich erlaube es.«

»Bitte lassen Sie mich aussprechen. Wenn Sie erlauben werde ich morgen oder eigentlich heute Mittag wieder bei Ihnen anklopfen.«

»Nein, nein, nein, das erlaube ich nicht!« lachte Leonore. »Da liegen wir ja im tiefsten Schlafe.«

»Sehen Sie, seien Sie ein andermal nicht so voreilig mit dem Geben Ihrer Erlaubnis. Dann morgen oder vielmehr heute Abend auf Wiedersehen. Gute Nacht.«

Die Schatzkammer des Pharao

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