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Kapitel 1
ОглавлениеRobert Lang
Interstate
Roman
1 Chugwater, Wyoming
Der große Mann stieg aus dem Wagen, schaute sich nach allen Seiten um und ging die wenigen Schritte zu dem kleinen Liquor Shop, dessen Türschild versprach, er sei geöffnet. Er hatte den steifen Gang eines Mannes, der lange Zeit in einer unbequemen Haltung verbracht hatte; sorgfältig setzte er einen Fuß vor den anderen, so als überquerte er einen Bach auf einem schmalen Balken, dem nicht im Mindesten zu trauen war.
Sein Gesicht war von einer freundlichen und offenen Art, aber selbst die von der Sonne eines langen Sommers gebräunte Haut konnte nicht über die völlige Erschöpfung ihres Besitzers hinwegtäuschen.
Drinnen im Laden war es fast dunkel, nur die neonweiße Beleuchtung der verglasten Kühlschränke spendete etwas Licht. Es roch nach Glasreiniger oder Desinfektionsmitteln, so als sei die Einrichtung gerade erst auf Hochglanz gebracht worden. Der Mann an der Kasse schaute kaum auf, im schwachen Licht einer Tischlampe war er in die Lektüre eines Buches vertieft.
Der Kunde entnahm dem Kühlschrank einen Karton Budweiser, in einem Regal auf der anderen Seite des Ladens fand sich eine Flasche Campari. Seine Begleiterin, die im Auto wartete, liebte dieses Zeug. Mit reichlich Orangensaft verdünnt konnte sie es den ganzen Abend über trinken, ohne dabei betrunken zu werden, sie war dann höchstens ein wenig beschwipst, und das auf eine hinreißende Art. Er selbst blieb abends lieber bei ein paar Dosen Bier. Er brauchte einen klaren Verstand, wenn er der Situation gewachsen sein wollte, in der sie sich befanden.
Er bezahlte in bar und erhaschte dabei einen Blick auf das Buch des Kassierers; es war ein halb zerfallenes Exemplar von Moby Dick, das ganz offensichtlich durch viele Hände gegangen war.
„Guter Roman“, sagte er, aber der Mann, ein großer Afroamerikaner Mitte zwanzig, mit breiten Schultern und Rasta-Locken, war nicht zum Plaudern mit einem Fremden aufgelegt. Er betätigte die Kasse, zählte dem Kunden das Wechselgeld vor und schien ihn eine Sekunde später wieder vergessen zu haben. Er half lieber Captain Ahab bei der Jagd.
Der Mann trat hinaus ins weiche Licht eines frühen Abends und blickte aufmerksam nach rechts und links, eine Angewohnheit, die er sich wie von selbst zugelegt hatte, seit er verfolgt wurde. Der Beruf, dem er noch vor zwei Wochen nachgegangen war, hatte einen passablen Beobachter aus ihm gemacht, und seine derzeitige Lage tat ein Übriges. Er musste wachsam agieren, denn kleine Fehler konnten große Probleme schaffen.
Er zählte vier Fahrzeuge, die jedoch an derselben Stelle gestanden hatten, als er vor wenigen Minuten ausgestiegen war. Fußgänger waren nirgends zu sehen - was wenig verwunderlich war, denn es gab hier kaum Geschäfte oder Büros. Wenn das die Hauptstraße war, wollte er nicht wissen, wie es anderswo in diesem Ort aussah.
In einem kleinen Städtchen des Westens wie diesem erwartete man Tumbleweed, das vom Wind träge über die Straße gerollt wurde, oder kleine Windhosen, die den Staub der Straße aufsammelten, um ihn nach einem kurzen Tanz an einer anderen Stelle wieder abzulegen.
Aber nichts dergleichen, die Straße lag still und reglos da, nur ein herrenloser Hund mit einem verkrüppelten Hinterlauf und schmutzig-braunem Fell näherte sich ihm. Aber als der Mann keine Anstalten machte, ihn zu füttern oder wenigstens zu streicheln, schleppte er sich ein paar Meter weiter und trollte sich hinter eine halboffene Mülltonne, aus der es säuerlich nach verdorbenem Essen roch.
Er merkte jetzt, dass sie auf der heutigen Fahrt von Kansas City, Missouri, auf eine Höhe von gut sechzehnhundert Meter über dem Meeresspiegel geklettert waren. Es wurde frisch, sobald die Sonne hinter dem Horizont verschwand.
Sie hatten ein paar Straßen weiter – nahe der Auffahrt zur Interstate 25 - ein Zimmer in einem kleinen Motel gefunden, waren eingecheckt, hatten ihr Gepäck hineingetragen, und obwohl sie beide nach einer 12-stündigen Fahrt todmüde hier angekommen waren, hatten sie sich noch einmal ins Auto gesetzt, um im „Stampede Saloon“, den der Besitzer des Motels ihnen empfohlen hatte, etwas zu essen. Und obwohl sie zuerst kaum Appetit verspürt hatten, schmeckte ihnen das Essen hervorragend.
Sie aßen ein paar riesige Burger, die sie mit einer Karaffe Eistee hinunterspülten, und als die Rechnung kam, fragte die Kellnerin beiläufig, wo sie denn herkämen - er spreche mit einem Akzent, den sie noch nicht gehört habe. „Aus Norwegen“, sagte Cord, worauf sie wissen wollte, ob das in der Nähe von Italien liege.
„Ungefähr so nah, wie New York City von Miami entfernt ist.“
Sie hatten trotz ihrer Müdigkeit lachen müssen, aber die Frau freundlich aufgeklärt, bevor die Situation peinlich werden konnte.
„Tut mir leid, Leute“, sagte die Kellnerin. „Ich bin einundfünfzig Jahre alt und noch nie weiter hier rausgekommen als bis Laramie. Und auch das nur, weil meine Schwester dorthin geheiratet hat.“
„Dann steht es 1:0 für Sie – Sie kennen sicher jeden Stein in dieser Gegend, oder?“ Sie errötete aus irgendeinem Grund und räumte rasch die Teller ab. Cord hinterließ ein großzügiges Trinkgeld auf dem Tisch und bezahlte die Rechnung an der Kasse neben dem Eingang.
Norwegen - gestern war er Schwede gewesen, und an vorgestern konnte er sich kaum mehr erinnern. Er sollte sich bald für eine dauerhaftere Identität entscheiden, denn die ständig neuen Lügen wurden anstrengend, und irgendwann würde er einen Fehler machen, sich in Widersprüche verheddern und damit den unsichtbaren Feind hinter ihnen erneut auf ihre Fährte lenken. Obwohl sich in seinem Aktenkoffer drei ziemlich echte Reisepässe befanden, scheute er davor zurück, mit ihnen hausieren zu gehen. Was er nicht vorzeigte, konnte auch von niemandem als falsch entlarvt werden.
Ja, dieser Kerl kam mir sofort komisch vor, der konnte kaum sein Jackett anziehen, so, als hätte er ein Problem mit seiner Schulter; behauptete, er sei ein norwegischer Journalist. Schaute sich ständig um, als wäre der Teufel persönlich hinter ihm her. Das muss Ihr Mann gewesen sein. Das war kein Skandinavier. Ja, Sie sagen es, meine Herren, Deutscher, das würde ich auch meinen!
Er glaubte nicht, dass seine Verfolger hier auftauchen und den alten Tankstellenpächter von Chugwater ins Kreuzverhör nehmen würden, allerdings war er sich einer Vielzahl von Dingen, die er noch vor ein paar Wochen als selbstverständlich betrachtet hatte, heute nicht mehr sicher. Es war zu viel geschehen.
Cord Hennings ging zum Heck des Wagens, öffnete die Klappe und legte das Bier und den Campari in den Kofferraum, wobei ihn seine Schulterwunde (die zumindest war echt, echter, als ihm lieb sein konnte) schmerzhaft daran erinnerte, dass er alles andere als in guter Verfassung war, und dass er dringend eine längere Pause benötigte, um gesund zu werden und wieder zu Kräften zu kommen.
„Ich habe mal ein wenig zu diesem Nest recherchiert“, sagte Lisa, während sie ihr Handy ausschaltete und in ihre Umhängetasche steckte. „Es hat nach der letzten Zählung zweihundertzwölf Einwohner, davon sind nullkommafünf Prozent Schwarze. Was zum Teufel ist ein halbes Prozent Afroamerikaner von zweihundertzwölf?“ Sie kicherte.
„Das halbe Prozent hat mir gerade Getränke verkauft und liest Abenteuerromane“, sagte er und brachte sie damit zum Lachen. Sie lachten viel zu selten. Die ganze Fahrt über hatte sie ihn immer wieder sorgenvoll von der Seite angeblickt, so als zweifelte sie daran, dass er durchhalten würde. „Du hättest mich in den Laden gehen lassen sollen. Du kannst ja kaum mehr stehen.“
Auf dem Weg zurück zum Motel passierten sie einen Streifenwagen, der aufgebockt in der Ausfahrt einer Feuerwache stand. Ihm fehlte das rechte Vorderrad, ein Cop war nirgends zu sehen. „Eine gute Gelegenheit für Bankräuber“, frotzelte Lisa. „Und für Brandstifter“, sagte er.
Sie parkten rückwärts vor ihrem Zimmer ein und Lisa zog los, um die fertige Wäsche aus der Maschine zu nehmen und den Trockner anzuwerfen, während er das Zimmer aufschloss und die mitgebrachten Getränke in den Kühlschrank stellte.
Sie hatten beide – aus unterschiedlichen Gründen - kaum Zeit gehabt, vernünftig für eine längere Reise zu packen, und deshalb galt es, alle paar Tage für frische Wäsche zu sorgen.
Cord streifte seine Schuhe ab, ließ sich auf das große Doppelbett fallen, schaltete mit der billigen Fernbedienung den Fernseher ein und zündete sich eine Zigarette an. Da sie beide rauchten und nirgends ein Verbotsschild hing, war das wohl unproblematisch.
Er war schon einmal in diesem Städtchen gewesen, fast fünfzehn Jahre musste das her sein, und er war mit seiner damaligen Partnerin hier gestrandet, auf dem Weg vom Devils Tower hinunter in den Süden. Er konnte sich nur deshalb noch daran erinnern, weil es der Tag gewesen war, an dem Hurrikan Katrina in New Orleans angelandet war, ein paar Dämme gebrochen waren und gigantische Fluten einen großen Teil der Stadt unter Wasser gesetzt hatten. Er hatte damals den Fernseher laufen gehabt, und mit einer Mischung aus Entsetzen und Faszination die Nachrichten aus Louisiana und anderen betroffenen Gegenden der Golfküste verfolgt.
Später, als sie wieder auf der Straße waren, begegneten ihnen auf Schritt und Tritt Menschen, die dort unten ihr Haus verloren hatten, und die alles, was ihnen geblieben war, auf dem Dach ihres Autos festgezurrt hatten. Beinahe jeder von ihnen stand vor dem Nichts.
Er wusste nicht, ob es richtig war, dass er seine Begleiterin immer tiefer in seine Angelegenheiten hineinzog. In New Orleans hatte es sich richtig angefühlt, aber spätestens seit einer Schießerei auf einem Parkplatz in Texas, bei der sie beide hätten draufgehen können, war er nicht mehr sicher, was sie betraf.
Sie hatten vor einigen Tagen, noch unten in Louisiana, einen vagen Deal abgeschlossen: Er nahm sie mit, egal wohin, Hauptsache so weit weg wie möglich von einem sadistischen Ehemann, der eitel genug sein würde, sie im ganzen Land zu suchen wie einen entlaufenen Hund.
Dafür half sie ihm in Angelegenheiten, bei denen er nur ungern selbst auftrat. Er konnte sie zur Bank schicken, wenn sie Bargeld brauchten. Sie ging zur Apotheke, um Medikamente zu besorgen, und ab und zu erledigte sie Telefonate für ihn. Sie verband seine Schusswunde alle paar Stunden neu – und, sie schlief mit ihm, was aber nicht zu dem Deal gehörte. Jedenfalls hoffte er das.
Sie war hart im Nehmen, das hatte sich schnell gezeigt, als sie unter Druck gerieten, und es hatte ihm einiges über sie und ihre Vergangenheit erzählt. Vielleicht war sie härter als er selbst es war.
Und just in der Sekunde, in der er das dachte, kam sie heftig atmend und kreidebleich ins Zimmer und ließ sich auf einen Stuhl vor dem Fernseher fallen.
„Was ist los? Hast du ein Gespenst gesehen?“
„Etwas, das dem nahekommt“, antwortete sie, immer noch aus der Puste. „Ich habe einen Anfall von Platzangst bekommen. Die Waschmaschine und der Trockner stehen in einem winzigen Verschlag, in dem man sich kaum um sich selbst drehen kann. Ich hasse so etwas. Und dann kam auch noch die Besitzerin herein, und da wurde es mir zu viel. Albern, oder?“
„Nein, das ist überhaupt nicht albern. Wenn der Trockner fertig ist, bleibst du hier und ich hole stattdessen die Wäsche.“
„Danke! Er müsste in einer halben Stunde soweit sein. Und jetzt brauche ich erstmal einen kräftigen Drink.“
2 Manassas, Virginia
„Verdammt, ich brauche das Geld jetzt! Genauer gesagt, morgen Abend um einundzwanzig Uhr!“
Er stieß ein paar wilde Verwünschungen aus, während er seine sorgfältig manikürte Hand zu einer lächerlich kleinen Faust ballte.
Sein Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung wartete geduldig, bis er sich wieder in der Gewalt hatte.
„Hat er dich wieder an den Eiern? Klar, das hat er, warum frage ich überhaupt? Wieviel ist es diesmal?“
„Fünfzigtausend, Übergabe morgen Abend, diesmal in einem Parkhaus in der Nähe des Logan Circle. Das alte Spiel – er ruft mich an, bevor ich das Parkhaus betrete, er gibt mir ein Signal, dann lege ich die Tasche mit dem Geld unter das Auto, das mir am nächsten steht. Und dann verschwinde ich wieder, ohne ihm begegnet zu sein. Verdammt, ich kann nicht mehr zahlen, bei mir ist Schluss.“
„Kann deine Frau dir nichts geben?“
„Das geht nicht, ich habe schon ihre beiden Sparkonten geplündert. Wenn sie das eines Tages merkt, dann wird sie sofort zu ihrem Anwalt laufen. Und wenn das passiert, bin ich am Ende. Wen ich bumse, ist ihr egal, so lange ich dabei diskret bin. Aber wehe, sie oder ihr blaublütiger Inzuchtverein erfahren von diesem Schlamassel!“
„Ich habe dir von Beginn an gesagt, dass ein Geschäft wie dieses Zeit benötigen würde. Unser Schiff ist vor drei Tagen in Rumänien ausgelaufen, es wird zwei bis drei Wochen dauern, bis es sein Ziel erreicht. Zum Glück konnte ich aushandeln, dass wir unseren Anteil schon bekommen, wenn die Ware Gibraltar passiert und auf dem Atlantik richtig Fahrt aufgenommen hat. Das müsste in ein paar Tagen der Fall sein.“
„Aber ein paar Tage sind ein paar Tage zu viel für mich.“
„Du musst diesem Burschen Geduld beibringen. Sag ihm, er bekäme das Doppelte, wenn er für eine Weile die Füße stillhält. Herrgott, du weißt doch am besten, wie man so etwas macht!“
„Ich pfeife auf deinen Herrgott, Mann!“ Seine Stimme war schrill geworden. „Wenn ich nicht binnen dreißig Stunden Geld auftreiben kann, bin ich mausetot. Warum sollte dieser Kerl denn geduldig sein? Es ist sein Spiel. Er kann das Dreifache verlangen, oder das Hundertfache. Jetzt oder zu jeder Zeit!“
Der Anrufer schwieg einen Moment, und als er wieder sprach, konnte man den Widerwillen aus seiner Stimme hören.
„Er wird ein Interesse daran haben, dich am Leben zu halten, denn nur dann kann er dich weiterhin melken.“ Jetzt schwang Ekel in seiner Stimme mit. „Pass, auf! Ich leihe dir das Geld, ein allerletztes Mal, das muss dir klar sein. Wenn du auffliegst, dann bin vermutlich auch ich geliefert, und nur deshalb helfe ich dir.“ Er fluchte. „Komm mit diesem Hurenbock ins Reine, egal wie, es kann so nicht weitergehen.“
„Danke, Bill, tausend Dank! Ich kümmere mich darum, versprochen.“
Obwohl die Klimaanlage in seinem Arbeitszimmer auf Hochtouren lief, floss ihm der Schweiß in Sturzbächen aus dem schütteren Haar, und er atmete schwer. „Wo soll ich das Geld abholen? Bei dir zuhause?“
„Gott bewahre! Ich will öffentlich nichts mit dir zu tun haben, bis dieses Ding in trockenen Tüchern ist. Ach was, genau genommen will ich es danach genauso wenig. Seit du angefangen hast, Kinder zu ficken, bist für mich gestorben. Ich schicke dir einen Boten nach Hause, sagen wir, morgen früh, bevor du zur Arbeit fährst.“
„Ich habe morgen Vormittag erst um elf Uhr einen Termin im Oval Office. Der Trottel schläft zum Glück lange. Ich muss gegen neun hier weg.“
„Ich telefoniere wegen des Geldes morgen Abend mit Europa, danach weiß ich mehr. Bis dann.“ Der Anrufer legte auf, ohne auf eine Antwort zu warten.
Michael K. Ashbourne ging zum Fenster. Fünf Prozent Anteil an sechzig Millionen Dollar waren eine Menge Geld. Damit würde er die über ihm aufgezogenen Schatten vertreiben können.
Man konnte sagen: Der Nationale Sicherheitsberater des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika hatte ein Problem. Oder besser, er hatte mehr als nur ein Problem.
Dass sein einziger Vorgesetzter, der derzeitige Präsident, ein irrlichtender Narr war - geschenkt. Präsidenten kamen und gingen, und er hatte schon drei von ihnen, bis auf ein paar Beulen und Kratzer, unbeschadet überstanden. Alle hatten sie ihre Eigenheiten gehabt. Der eine hatte zum Wohle des Volkes seine sämtlichen Sekretärinnen vernascht, ein anderer hatte ihn sieben Tage die Woche rund um die Uhr auf Trab gehalten, weil er sowjetische Verschwörungen sah wie ein Alkoholiker weiße Mäuse.
Er selbst sah sich als Kalten Krieger alten Schlages, aber ihm war auch ein gewisser Realismus eigen, mit dem er gegebenenfalls verhindern konnte, dass sein Präsident leichtfertige Dinge sagte oder tat, die man später wieder einfangen musste. Er war als hart, aber maßvoll bekannt, und man achtete ihn als das, was er war.
Man hatte ihn geachtet, denn damit würde es bald zu Ende sein, wenn er keine Lösung für seine Probleme fand.
Er ging zu seiner verspiegelten Hausbar, schnitt seinem Gegenüber eine humorlose Grimasse (die dieser erwiderte), und mixte sich einen für die frühe Nachmittagsstunde großzügig bemessenen Drink.
Egal, wie er es drehte, er würde keinem Richter erzählen können, dass er gegen gute Bezahlung minderjährige Mädchen sexuell missbrauchte, und dass er das nur deshalb tat, weil seine Gattin eine frigide alte Kuh war. So etwas zählte nicht in den Augen des Gesetzes.
Sein Gespür für Macht und ihr Gespür für hungrige Talente hatten ihn von ganz weit unten bis ins Weiße Haus getragen, und sie wurde nicht müde zu betonen, welche Rolle sie dabei gespielt hatte.
Ashbourne war jetzt selbst zu einem Problem für die Sicherheit des Landes geworden. Er hatte sich erpressbar gemacht, und seit einiger Zeit wurde er tatsächlich erpresst.
Vor etwa sechs Monaten hatte er in der morgendlichen Post einen braunen Umschlag gefunden, ohne Absender, aber mit ein paar gestochen scharfen Fotos, die ihn mit buchstäblich heruntergelassener Hose über einem nackten Mädchen zeigte, das ganz offensichtlich noch keine fünfzehn Jahre alt war, und das vor Angst oder Schmerzen oder vor beidem weinte.
Und als ob das nicht reichte:
Das Mädchen war dunkelhäutig!
Und das gab dem ganzen Fall noch eine weitere pikante Note, denn er war der breiten Öffentlichkeit als – wenn auch milder - Rassist bekannt.
Flucht ins Ausland, in ein Land ohne Auslieferungsabkommen mit den USA? Nein, er hatte sich im Laufe der letzten Jahrzehnte an einen Status und an einen Lebensstil gewöhnt, der teuer war und der ihm fehlen würde, weil er ihn nicht würde finanzieren können.
Die Presse würde jubeln, wenn sie Wind von dieser Sache bekam. Diese lausigen Lohnschreiber mit ihren vergifteten Griffeln würden sich ein Loch in den Bauch freuen, während sie ihn aus dem Amt heraus (und in den Knast hinein) schrieben.
Nach dieser Story würde man ihn teeren, federn und dann so tief unter Washingtoner Erde vergraben, dass er niemals wieder das Tageslicht erblicken würde.
Er war immer stolz auf seinen kühlen Kopf gewesen, auf seine brillante Fähigkeit zur Analyse komplexer politischer Sachverhalte, auf die sich bereits der vierte Präsident des Landes blind verließ.
Aber hier, in seiner privaten, verzweifelten Lage versagte sein messerscharfer Verstand, die Gedanken daran, wie er aus dieser persönlichen Hölle entkommen konnte, drehten sich immerzu im Kreis, und die Angst fiel in Wellen über ihn her, wann immer sie Lust dazu bekam.
Er würde warten müssen und hoffen, dass er mit einem einzigen schmutzigen Deal seiner selbstverschuldeten Krise entkam. Warten. Untätig warten.
Das war die schlimmste aller Strafen, glaubte er, weil er es noch nicht besser wusste.
3 Chugwater, Wyoming
Sie kam aus dem Bad und warf sich neben ihn auf das übergroße Doppelbett. In den ersten Nächten hatte sie es stets vermieden, sich komplett vor ihm zu entblößen, hatte – ob zum Schlafen oder beim Sex – ein Shirt oder ein Hemd anbehalten. Das war ihm seltsam erschienen, denn er war sicher, dass sie nichts zu verstecken hatte. Sie war im Gegenteil eine bildschöne Frau. Prüderie schied ebenfalls aus, davon hatte er sich schnell überzeugen können.
Anfangs hielt er es nur für eine Marotte und hatte es schon beinahe wieder vergessen. Aber vor drei Tagen hatte er sie umarmt und dabei hatte er durch den Stoff ihrer Bluse eine ganze Reihe von anscheinend verschorften oder vernarbten Stellen auf ihrem Rücken ertastet.
Als er sie erschrocken danach fragte, wich sie aus und murmelte nur halb verständlich etwas davon, dass er das besser ihren Gatten fragen solle, der habe ein ziemlich ungewöhnliches Verständnis von Zärtlichkeiten im Ehebett.
Weiter heran kam er nicht, sie wurde verschlossen und reizbar, als er nachzuhaken versuchte. Eines Tages, sagte sie, wenn sie dann noch zusammen wären, würde sie es ihm erzählen - wenn er es dann noch wissen wollte. Gewarnt von ihrer plötzlichen Schroffheit hatte er aufgegeben, aber die Frage blieb in dem bis heute noch weiten Raum zwischen ihnen stehen.
Immerhin zeigte sie sich ihm inzwischen ganz unbekleidet und er wertete es als gestiegenes Vertrauen. Ihr Rücken wies eine große Zahl an kleineren Brandverletzungen in unterschiedlichen Stadien der Abheilung auf, und man brauchte kein Mediziner zu sein um zu erraten, dass jemand ihren Rücken wiederholt als Aschenbecher benutzt hatte.
Was für ein krankes Stück Scheiße musste man sein, um so etwas erregend zu finden? Und wie verängstigt und mutlos, um es über einen längeren Zeitraum zu ertragen?
Er kannte die Antwort nicht, aber er würde ihr aufmerksam zuhören, wenn sie es ihm eines Tages erklären wollte.
Es war zu einem abendlichen Ritual geworden, zusammen auf dem Bett zu liegen und im Straßenatlas von Rand McNally zu blättern, das nächste Tagesziel festzulegen und dort ein Zimmer in einem Motel zu buchen.
In einem Nest wie Chugwater war das keine große Sache gewesen, dort gab es im Umkreis von zwanzig Meilen nur dieses eine Motel, in dem sie heute abgestiegen waren.
In der Umgebung größerer Städte war es anders. Dort gab es eine gewaltige Menge an Unterkünften in jeder Preislage, und weil Geld keine große Rolle spielte, mussten sie keine heruntergekommenen Herbergen nehmen, sondern konnten nach anderen Kriterien auswählen.
Lag das Motel günstig zur nächsten Autobahnauffahrt, sodass sie bei Bedarf schnell entkommen und unter mehreren Fluchtwegen die passende auswählen konnten?
Wohin sie am Ende überhaupt wollten, wussten sie noch nicht. Sie fuhren auf Sicht, beide mochten den einsamen Westen mehr als den dicht besiedelten Osten, aber das war auch schon alles.
Heute Abend ging es um mehr als nur eine Übernachtung. Die Schussverletzung an seiner Schulter hatte in Oklahoma zu eitern begonnen, er hatte in den ersten beiden Tagen hohes Fieber gehabt, und die Schmerzen, obschon tagsüber erträglich, hinderten ihn daran, nachts mehr als eine oder zwei Stunden durchzuschlafen, was sich zuletzt als wachsende Erschöpfung von Körper und Geist bemerkbar machte. Es wurde höchste Zeit für eine Pause, er war heute zweimal beinahe am Steuer eingeschlafen, und er hatte in mehreren Verkehrssituationen unangemessen reagiert. Aber immerhin hatten die Antibiotika, die Lisa ihm besorgt hatte, begonnen zu wirken, seit heute Morgen war seine Temperatur stetig gesunken.
Sie hatten auf der heutigen Fahrt besprochen, dass sie sich ein Versteck suchen würden, in dem sie für einige Zeit untertauchen und ihre Batterien aufladen konnten.
Genügend Schlaf und gutes Essen würden ein Übriges dazu beitragen, dass er wieder zu Kräften kam.
„Colorado oder Wyoming?“
„Egal, Hauptsache, weit abseits vom Schuss. Irgendetwas, womit sie nicht rechnen.“ Das war kaum mehr als ein frommer Wunsch, das hatten sie schon zweimal zu spüren bekommen, in Louisiana ebenso wie zwei Tage später in Texas.
Sie hatten sein Notebook in die Bettmitte gestellt und begannen mit Objekten von Maklern in Wyoming. Die Auswahl war enorm, von spartanisch bis luxuriös wurde buchstäblich alles angeboten. Aber wenn man die entsprechenden Filter eingab, wurde das Angebot überschaubar. Sie wollten weg von den geschäftigen Interstates, um auf kleineren Straßen möglichst weit in die Berge hinaufzukommen, am liebsten in eine bequeme Hütte oder Lodge, in der sie sich selbst versorgen konnten. Sie schwiegen für eine Weile und gaben abwechselnd ihre Ideen ein.
„Zwölfhundert Dollar für eine Woche am Eingang zur Absaroka Range? Zwei Schlafzimmer, drei Bäder, Whirlpool und voll ausgestattete Küche. Außerdem eine Doppelgarage, wir kriegen also den Wagen runter von der Straße.“
„Zwölfhundert? Zu billig“, spottete er, aber sie googelten den Ort und seine Umgebung, um dann schnell festzustellen, dass die Gegend im Ernstfall keine Fluchtmöglichkeiten bot. Die Lodge lag am Ende einer Sackgasse, und das kam für sie nicht infrage.
Sie probierten es mit Colorado, wo die Auswahl noch größer war, und bei einigen Orten war es auch der Preis, vor allem dort, wo man ins im Winter schneesichere Hochgebirge kam.
„Darf ich es mal versuchen?“ fragte sie. „Ich war in dieser Gegend einmal mit meinem, äh… baldigen Ex-Mann. Er hatte auf einem Betriebsfest bei einer Tombola eine Reise nach Aspen gewonnen, zum Ende des Jahres, in dem wir geheiratet hatten. Die Gegend ist verdammt teuer, aber dafür auch wunderschön.“
Cord gefiel die Idee. Lisa und ihr Mann hatten kurz nach Weihnachten dort in einem Luxushotel gewohnt, mitten in der Stadt. Das wollte Cord nicht, weil man dort leicht den Überblick verlieren konnte, wenn man nach möglichen Verfolgern ausschaute. Also suchten sie nach voll eingerichteten Lodges und Ferienhäusern außerhalb der Stadt.
„Oh, schau mal! Chalet nennt ihr Europäer das, oder?“ Sie zeigte ihm Fotos von einem massiven, zweistöckigen Palast aus Holz, Glas und Naturstein, mit einer gigantischen Frontscheibe („Die musste man mit einem Hubschrauber anliefern“, sollte der Immobilienmakler wenig später am Telefon so stolz verkünden, als hätte er den Helikopter selbst geflogen.).
Das Haus schmiegte sich an die steilen Wände eines kleinen Canyons, man hatte einen weiten Blick ins Tal bis hinunter auf die Stadt. Und – man konnte die Garage nach zwei Seiten verlassen, weil ein Wirtschaftsweg vom Haus aus den Wald hinauf führte, breit genug für eine Limousine wie die ihre. Anderthalb Meilen weiter oben kam man auf eine kleine Kreisstraße, auf der man nach Westen oder Osten entkommen konnte, wenn es nötig war.
Das ganze Anwesen war stark gesichert, was ein weiterer Pluspunkt war. Im Angebot wurde ein Verwalter unten in Aspen genannt, der neue Mieter im Haus erwartete, die Schlüssel übergab und ihnen die Elektrik des Hauses, den Ofen, die moderne Küche und das raffinierte Alarmsystem erklären würde. Der Kasten war sicherer als Fort Knox.
„Sieben Schlafzimmer, eines für jede Nacht“, scherzte Lisa, drückte ihm einen Kuss auf die Wange und ihre Augen leuchteten. Nun gut, dann war die Sache entschieden.
Schön, dass er sie ein wenig verwöhnen konnte, sie hatte es verdient, denn die letzten Tage waren alles andere als ein Vergnügen gewesen. Eine Woche dort oben würde nicht nur seine Verletzung auskurieren, sondern auch den Frust und den Stress auflösen, dem sie beide zuletzt ausgesetzt gewesen waren.
„Es ist schon halb zehn, ob wir den Makler noch anrufen können, ohne unhöflich zu sein?“ Sie taten es, und wie zu erwarten, erreichten sie nur den Anrufbeantworter, der ihnen mitteilte, dass sie sich am nächsten Morgen ab acht Uhr wieder melden konnten. Sie hinterließen ihr Anliegen und kündigten an, wieder anzurufen.
„Man fährt etwa sechs Stunden“, sagte Cord, „und wir müssten durch Außenbezirke von Denver fahren, eine gute Gelegenheit, um Vorräte und warme Kleidung zu kaufen. Falls wir dann noch Geld dafür haben.“ Er lächelte. Fast viertausend Dollar für eine Woche, das war schon beinahe unsittlich. Aber egal, es gab Wichtigeres, und wenn sie nicht gut auf sich achteten, würden sie ohnehin keine Gelegenheit mehr haben, sein nicht unbeträchtliches Vermögen auszugeben.
Sie liebten sich, auf die unbequeme und vorsichtige Art, auf die sie es tun mussten, seit die Kugel eines Killers seine rechte Schulter gestreift und die Wunde sich wenig später entzündet hatte.
Was hat er noch an dir kaputt gemacht außer deinem Rücken, Lisa?
Die Frage blieb offen. Und als sich ihre Körper voneinander gelöst und sie sich gegenseitig die letzte Zigarette des Abends angezündet hatten, war sie einmal mehr für einen Tag verdrängt worden.
Haben wir eine gemeinsame Zukunft?
Es gab eine Zeit, um Fragen zu stellen, und es gab eine Zeit, um Antworten zu geben. Aber beides rückte angesichts ihres Überlebenskampfes, dessen Ende völlig offen war, in den Hintergrund.
Es hatte alles in Frankfurt begonnen, an einem heißen Tag Ende August, und es schien nicht zwei Wochen, sondern sechs Monate her zu sein. Frankfurt, der Frankfurter Zoo, dachte er noch, bevor ihn der Schlaf endgültig mit sich nahm.
4 Frankfurt am Main
Mit einer privaten Detektei, die nur zwei Mitarbeiter beschäftigte, wurde man nicht reich, aber das hatte Cord Hennings von Beginn an gewusst und in Kauf genommen. Zuvor hatte er sieben Jahre lang als Disponent einer Zeitarbeitsfirma geschuftet, gutes Geld verdient, war aber am Ende so ausgelaugt und abgestumpft gewesen, dass er dort kündigte und diese unsichere Art des Broterwerbs einer weiteren Karriere in der Tretmühle vorgezogen hatte.
„Wenn es dazu ausreicht, uns und die Kinder zu ernähren, bin ich zufrieden.“ Seine Ex-Frau hatte seinen fehlenden Ehrgeiz mit einem verständnislosen Kopfschütteln honoriert. Ihr war das zu wenig.
Aber da er noch kaum einen Namen in der Branche besaß, musste er sich mit dem begnügen, was der umkämpfte Markt an Brotkrumen für ihn übrig ließ.
Und das waren Scheidungsfälle, mickrige Betrugsdelikte im Versicherungsbereich, mit geringen Schadenssummen und deshalb auch nur niedrigen Honoraren. Es war ein ruhigerer Job, nicht selten interessant, aber von Zeit zu Zeit auch deprimierend, besonders am Monatsende, wenn die Rechnungen hereinkamen und seine Honorare schneller pulverisierten als er neue Aufträge an Land ziehen konnte.
Seine Frau hatte eines Tages die Nase voll gehabt von sich türmenden Schulden und abgelehnten Kreditanträgen, und einem Arbeitszimmer, das die ohnehin durch zwei Kinder zu klein gewordene Wohnung unerträglich eng machte. Sie hatte sich das alles anders vorgestellt, und er konnte es ihr nicht verübeln. Sie hätte es vielleicht aushalten können, wenn sie noch an ihn geglaubt hätte. Aber das tat sie nicht, und an irgendeinem Abend im vergangenen Winter war ein hässlicher Streit ums Geld so laut geworden, dass die beiden Mädchen davon aufwachten und plötzlich mit ihren Teddys im Arm und mit verweinten Gesichtern im elterlichen Schlafzimmer standen.
An dieser Stelle war alles gekippt, hatte er eine Zeitlang geglaubt.
Aber ein paar Wochen später wurde ihm klar, dass dieser Streit nur ein Symptom einer schon anhaltenden Loslösung ihrerseits gewesen war. Sie hatte zu diesem Zeitpunkt längst ihre Fühler nach einem Leben ohne ihn ausgestreckt.
Und als es im Februar soweit war, dass sie in einer quasi-militärischen Operation mit den Kindern das gemeinsame Zuhause verließ, ging ihm auf, dass sie es schon länger vorgehabt hatte. Urplötzlich hatte sie eine neue Wohnung gefunden, und wenn er den Kindern glaubte, war der neue Liebhaber ihrer Mutter auch schon am ersten Tag auf der Bildfläche erschienen.
Das alles war so schnell geschehen, wie man eins und eins addieren konnte, und sie durften ihn Jürgen nennen, nicht Onkel Jürgen, oder wie zum Kuckuck noch. Er war in der Werbebranche erfolgreich und brachte ihnen fast täglich irgendwelchen Nippes aus seiner Firma mit.
Und sie fanden ihre neue Umgebung aufregend, auch wenn der richtige Vater ihnen gelegentlich fehlte.
Er hat einen dickeren Bauch als du, Papa, und er hat ein riesiges silbernes Auto, bei dem man das Dach herunterklappen kann.
Es war zum Heulen.
Über die Trennung von seiner Frau war er rasch hinweggekommen. Nur die Kinder brachen ihm von Zeit zu Zeit das Herz, wenn er sie sonntagabends wieder bei ihrer Mutter absetzen musste, und sie ihn zum Abschied auf die Wange küssten. Es war viel zu still geworden dort, wo er jetzt lebte. Anstatt mit den Kids herumzualbern hörte er in letzter Zeit wieder viel Musik und trank dabei eindeutig zu viel Dosenbier.
Es war Mittagszeit, und Jessica, seine Teilzeitschreibkraft, hatte ihren Schreibtisch aufgeräumt und wollte gerade nach Hause gehen, als das Telefon klingelte und sie den Anrufer kurz darauf an ihn weiterreichte. „Da will einer etwas von dir. Nennt sich Jones und klingt wie ein Ami, Chef“, flötete sie. „Ich bin dann weg. Bis morgen und viel Glück mit dem Kerl! Das wird unser ganz großer Durchbruch.“
So oder ähnlich scherzten sie manchmal.
„Kann ich in einer Stunde bei Ihnen hereinschneien?“ Tatsächlich ein Ausländer, wenn auch einer mit perfekten Deutschkenntnissen; er dehnte nur seine Wörter auffällig und rollte das „r“ ein wenig mehr als ein Muttersprachler es täte.
„In welcher Angelegenheit denn, bitte?“
„Ich möchte, dass Sie einen Mann beschatten, alles Weitere bitte persönlich und nur unter vier Augen. Ist das für Sie okay?“
Weil nichts dagegen einzuwenden war und Cord zurzeit nur wenig zu tun hatte, lud er den Mann ein, vorbeizukommen. Dass er gerade auf ihn gestoßen war, war womöglich nur Zufall, denn der Internetauftritt von Cords Detektei war erbärmlich und nicht aktuell. Seine Mittel für eine professionelle Überwachung tendierten gegen Null.
Aber was sollte es, der Mann klang, als wüsste er, was er wollte, und man konnte sich die Geschichte wenigstens anhören.
Er ging in die Küche, setzte eine Kanne Kaffee auf und vertrieb sich die Zeit mit einer Partie Computerschach, wozu er in den letzten Monaten viel zu viel Zeit hatte.
Sein neuer Kunde stand schon nach einer Dreiviertelstunde in der Tür und was Cord zuerst auffiel war, dass er einen Anzug trug (trotz der Affenhitze draußen mit einer Krawatte, die er auch während ihres kurzen Gesprächs nicht lockerte).
Der Mann trat ein, ohne ihm die Hand zu reichen, und Cord bat ihn in das winzige Kämmerchen, das er sein Büro nannte.
„Nennen Sie mich Jones, bitte“ sagte er, noch bevor er auf dem billigen Stuhl vor Cords Schreibtisch Patz nahm. „Einfach Mr. Jones, das genügt.“
Das zweite Bemerkenswerte an der Erscheinung seines Gegenübers war die Blässe von Händen und Gesicht. Zusammen mit dem flachsblonden Haar und den rotgeränderten hellblauen Augen wirkte er wie ein Albino. Jetzt, da sie direkt miteinander sprachen, war er sicher, dass der Mann aus den USA oder Kanada stammte, er redete, als spiele er auf einer Theaterbühne die Rolle eines Yankees, der seine Verwandten in der alten Heimat besuchte und ihnen zeigen wollte, dass er nichts von seiner Muttersprache vergessen hatte. Er sprach langsam und deutlich.
Schnell stellte sich heraus, dass es durchaus kein Zufall war, der ihn zu Cords Firma führte. Er sei aufgrund der günstigen Lage seiner Detektei auf ihn verfallen. Das Objekt der gewünschten Beschattung sollte am späten Nachmittag vom Flughafen kommend im Marriott Hotel gegenüber des Messegeländes absteigen und sich dort für etwa zweieinhalb Tage aufhalten.
Das Hotel war tatsächlich günstig gelegen. Wenn Cord sein Haus verließ, konnte er zu Fuß binnen weniger Minuten dort sein. Ein Heimspiel, sozusagen.
Sein Gast nahm ein etwa postkartengroßes Farbfoto aus seiner - wie Cord sehen konnte, prallgefüllten – Brieftasche und reichte es über den Tisch. „Der Mann ist 52, Anwalt, unverheiratet, bulgarischer Staatsbürger, Nichtraucher, abstinent, keine Frauengeschichten, kein Spieler, seriöser als der Papst, weshalb wir ihn auch so nennen. Gehen Sie davon aus, dass der Mann keine Eigenschaften hat und völlig unscheinbar lebt. Er folgt einem Ziel und er macht dabei keine Fehler. Zumindest Sie werden keine feststellen.“
Der Mann auf dem Foto machte einen finsteren, verschlossenen Eindruck. Kein Wunder, wenn man sich vor Augen führte, ohne was er alles durchs Leben ging. Keine Weiber, kein Alkohol, keine Fußballwetten, nicht einmal hin und wieder ein Glimmstängel. Furchtbar!
„Wir kennen unseren Freund recht gut, und er wird sich im Laufe der nächsten zwei bis drei Tage mit einem anderen Mann treffen, den wir den Kardinal nennen wollen, und über den wir so gut wie nichts wissen. Das sollen Sie ändern. Folgen Sie dem Papst, er wird Sie zu dem Unbekannten führen, der höchstwahrscheinlich – aber nicht sicher - ein Schwarzafrikaner ist.“
„Klingt machbar“, sagte der Detektiv nachdenklich. „und das ist alles? Ihrem Mann hinterherhecheln, bis der sich mit jemandem trifft? Reichen Ihnen Fotos, oder soll ich von dem Treffen ein Video drehen? Oder etwa einen Lauschangriff starten? Und wo soll das Ganze überhaupt stattfinden?“
„Fotos mit Datum und Uhrzeit genügen uns, wo die beiden Männer sich treffen werden, wissen wir nicht.“
„Und wenn er auf seinem Hotelzimmer bleibt und sein Treffen dorthin verlegt? Dann sind mir die Hände gebunden, denn da komme ich nicht rein.“
„Das wird er nicht tun. Er lässt seine Geschäftspartner gerne bis zum letzten Moment darüber im Unklaren, wo er wann anzutreffen ist. Er ist nicht nur ein Ordnungs- sondern auch ein Sicherheitsfanatiker.“
„Sie sagten gerade wir. Sie sind nicht allein?“
„Das geht Sie nichts an. Wenn Sie interessiert sind, stellen Sie keine Fragen. Ich bin Ihr einziger Ansprechpartner und sage Ihnen, was Sie wissen müssen.“
Damit konnte man leben. „Was werde ich denn zu sehen bekommen? Ein Duell im Morgengrauen?“ Er lächelte, aber sein Gegenüber erwiderte das Lächeln nicht. Er hatte seit seiner Ankunft noch kein einziges Mal seinen Gesichtsausdruck geändert, als hätte ihm jemand seine kühle, kontrollierte Miene ins Gesicht geklebt. Ein unangenehmer Zeitgenosse, zusammen mit der totenbleichen Haut beinahe unheimlich, wobei er für seine Krankheit natürlich nichts konnte.
„Es wird eine Übergabe stattfinden, vermutlich wird ein Aktenkoffer oder ein anderer Behälter überreicht werden. Der Bulgare wird ihn entgegennehmen und mit ins Hotel nehmen. Was in dem Koffer ist, brauchen Sie nicht zu wissen, aber er ist wichtig. Wenn der Papst ohne den Koffer zurückkommt, ist etwas schief gelaufen, und das sollten wir sofort von Ihnen erfahren, klar?“
„Sonnenklar.“ Der Amerikaner reichte ihm eine Visitenkarte mit zwei Handynummern.
Es war Zeit, über das Honorar zu reden. „Ich werde einen Mitarbeiter brauchen, der die…“
„Es interessiert uns nicht, wie Sie Ihr Handwerk ausüben, und wir sind großzügig, was Ihre Entlohnung angeht. Dreitausend vorab, weitere dreitausend nach erfolgreicher Beendigung Ihrer Tätigkeit. Wir brauchen weder einen schriftlichen Vertrag, noch eine Rechnung, die über Ihre Bücher laufen würde. Im Gegenteil, wir empfehlen Ihnen ausdrücklich, diesen Auftrag nirgendwo schriftlich zu fixieren. Bin ich deutlich genug?“
Cord rutschte unruhig auf seinem Bürostuhl hin und her, es schien gerade noch ein paar Grad wärmer geworden zu sein, als es das in seiner Wohnung ohnehin war. Sechstausend Euro Honorar in zwei Tagen? Für zwei oder drei Fotos? So etwas kam in Detektivgeschichten vor (oder bei Scheidungsanwälten, dachte er säuerlich), aber nicht im richtigen Leben. Andererseits war er Detektiv, und dies war das richtige Leben, so what?
„Und das ist alles? Keine Haken, von denen ich wissen sollte? Keine versteckten Fouls?“
Sein Kunde zückte zum zweiten Mal seine Brieftasche und begann damit, Hundert-Euro-Scheine abzuzählen. „Das ist alles. Easy money, wie wir zuhause sagen.“
„Wie erhalte ich den Rest des Geldes? Nicht, dass ich Ihnen nicht trauen würde…“. Er traute grundsätzlich nicht vielen seiner Kunden, aber dem Albino, der ihm gegenüber saß, traute er nicht einmal bis zur Wohnungstür.
„Ich habe Ihnen einen vordatierten Barscheck ausgestellt, den sie in frühestens drei Tagen einlösen können. Erledigen Sie Ihren Job, dann war es das, und wir brauchen uns kein weiteres Mal zu sehen. Tun Sie es nicht, sperre ich den Scheck und komme in Begleitung wieder, um mir die Anzahlung zurückzuholen. Und das würde Ihnen nicht gefallen.“
Er sagte es beiläufig, aber die Temperatur fiel mit einem Mal wieder um ein paar Grad.
„Ich hoffe, ich war auch präzise genug in Bezug auf die Fotos. Wir brauchen auf diesen nicht die Schuhe, den Rücken oder das Seitenprofil dieses Mannes. Wir wollen wissen, wer dieser Mann ist, und das können wir nur mit einem Porträtfoto in digitalem Format herausfinden. Zoomen Sie ihn nah genug heran, ohne dass die Aufnahmen unscharf werden. Machen Sie mehrere Aufnahmen von seiner Visage und verschwinden Sie möglichst ungesehen wieder. Den Chip nehmen Sie aus der Kamera und bringen ihn zur Post. Hier ist die Postfachadresse. Ich erwarte die Aufnahmen spätestens am Freitagmorgen um neun Uhr, ja? Keine Spielverzögerungen oder lahme Ausreden bitte, sonst können Sie den Scheck zerreißen.“
Cord hatte im Stillen mitgezählt, als der Amerikaner (oder Kanadier) ihm die Anzahlung auf den Tisch blätterte. Er nahm den kleinen Stapel Geldscheine an sich und hielt einen der Hunderter gegen das Licht. „Nichts für ungut, das mache ich immer so, selbst bei meiner Mutter.“
Kein Lächeln, kein Kommentar, der Kunde stand auf und machte Anstalten zu gehen. Cord begleitete ihn zur Wohnungstür und verabschiedete sich von dem seltsamen Mann. Wieder kein Händedruck, der Albino hatte panische Angst vor Krankheitserregern, oder er war einfach nur ungehobelt. „Rufen Sie mich heute Abend gegen zehn Uhr zum ersten Mal an, danach alle zwölf Stunden. Bis dann!“
Cord lauschte dem Aufzug hinterher, bis der Mann unten war, hörte schwach die Haustür ins Schloss fallen und ging zurück in sein Arbeitszimmer.
Was für ein verwirrender Plot! Ein bulgarischer Papst, ein afrikanischer Kardinal, ein amerikanischer Albino, ein paar Fotos und sechstausend Euro Honorar!
Tage wie den heutigen gab es höchst selten in der noch jungen Geschichte seiner Detektei.
Er musste seinen Mitarbeiter erreichen und hoffte, dass dieser gerade nüchtern war. Die Chancen standen fünfzig zu fünfzig, später am Nachmittag wäre die Wahrscheinlichkeit erheblich geringer.
5 Wien, Österreich
Im Hotel Park Hyatt Vienna, im Zentrum von Wien, saß der in seiner Branche wohlbekannte Jan Simak auf seinem King-Size-Bett und telefonierte. Das Smartphone in seiner Hand war sein Arbeitsplatz, seine Waffe und sein Elixier.
Sein neuester Coup war selbst für seine Verhältnisse heikel, aber in einer Welt, in der Heckler & Koch tausende Maschinenpistolen in Krisenregionen Mexikos lieferte und auch Sig Sauer Handelsbeschränkungen unterlief und seine Pistolen nach Kolumbien verschob (wo keiner wusste, in wessen Händen sie letztendlich landeten), konnte man sich als Waffenhändler auf dem grauen Markt auch einmal ein bisschen weiter aus dem Fenster lehnen. Und das hatte er diesmal gründlich getan.
Waffen, größtenteils aus dem Arsenal ehemaliger Ostblockländer und jetzt unabhängiger Staaten der ehemaligen Sowjetunion, die eigentlich verschrottet und entsorgt werden sollten, würden zu Spitzenpreisen in den Osten der Demokratischen Republik Kongo gehen, wo – im Grenzgebiet zu Ruanda und Burundi – ein neuer Warlord sich für den Angriff auf die mehr als zweitausend Kilometer entfernte Hauptstadt Kinshasa bereit machte. Jan Simak hatte schon einen seiner Vorgänger bedient und kannte sich mit den dortigen Verhältnissen bestens aus. Der Schiffstransport würde in der Nähe von Matadi, einer Hafenstadt in der Kongo-Mündung, enden, und die Ware sollte von dort aus mit Lastwagen in vorbereitete Depots gebracht werden, von denen aus die Rebellen die Hauptstadt angreifen wollten.
Das Schiff, mit dem ersten Teil der brisanten Fracht, war bereits gestern aus dem neuen Hafen von Konstanza in Rumänien ausgelaufen, mit fünftausend halbautomatischen Pistolen und dreißig alten Mörsern sowie einigen hundert Mörsergranaten, die noch aus alten Beständen Ceausescus stammten, und die lange Zeit eingemottet worden waren, weil niemand sie mehr haben wollte. Schließlich wurde die Armee seit dem Beitritt des Landes zur NATO 2004 nach und nach auf den neuesten Stand der Technik gebracht, und deshalb brauchte heute niemand mehr diesen besseren Ausschuss. Offiziell war derlei Material zur Vernichtung freigegeben, aber selbst das verursachte Kosten für Transport, Zwischenlagerung und Überwachung, die niemand tragen wollte.
Das eigentliche Geschäft machte er mit gut dreißigtausend Sturmgewehren der Marke Kalaschnikow samt anderthalb Millionen Schuss Munition, die der Frachter heute Nacht im bulgarischen Varna an Bord nehmen sollte.
Die Sowjets hatten während des kalten Krieges nur so um sich geworfen mit Lizenzen für den Nachbau dieser als AK 47 berühmt gewordenen Waffe; beinahe jedes der Partnerländer des Warschauer Paktes durfte seine eigene Version des Sturmgewehres bauen, und die meisten Länder taten dies auch, für den Eigenbedarf wie auch gelegentlich für den Export in befreundete Staaten.
In Bulgarien war nahe der Stadt Plovdiv schon in den Sechzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts ein Werk aus dem Boden gestampft worden, das bis 1989 jährlich etwa hundertfünfzigtausend Gewehre dieses Typs herstellte.
Dann kam es beim Umbau einer Produktionsstraße im März 1984 zu einem fatalen Fehler bei der Kalibrierung des an sich einfach herzustellenden Laufes der Waffe, und fortan liefen etwa sechs Wochen lang zwölf Stunden am Tag Gewehre vom Band, die nie die Qualitätskontrolle hätten passieren dürfen, die es aber doch taten. Diese Waffen überschritten den Streubereich der abgefeuerten Munition um mehrere Prozent, was dazu führte, dass auf fünfzehn Metern Distanz eine Kugel um etwa eine Handbreit ihr Ziel verfehlte. Mit so etwas konnte man nicht in den Krieg ziehen, außer, man war arm, schwarz und hatte keine Möglichkeit, den legalen Rüstungsmarkt zu nutzen.
Peinlich war, dass die Hälfte der gesamten Charge bereits an die Armee ausgeliefert worden war und nun zurückgerufen werden musste. Man schaffte also das ganze Zeug in eine eilends freigeräumte Lagerhalle (die Munition, die ursprünglich von einem anderen Kombinat angeliefert worden war – vielleicht aus Aberglauben – gleich mit), machte das Licht aus, sperrte das Rolltor ab und vergaß das Ganze einfach. Und zwar so lange, bis ein hochrangiger amerikanischer Politiker, der privat in Geldnöten steckte, auf die glorreiche Idee kam, das Zeug an einen afrikanischen Revoluzzer zu verhökern. Diesen Deal abzuwickeln lag jetzt bei dem umtriebigen und in der schattenhaften Welt des illegalen Waffenhandels erfahrenen und bestens vernetzten Jan Simak.
Ein Mann, den sie beinahe ehrfürchtig den Papst nannten, hatte letztlich den Türöffner für ihn gespielt. Er hatte all die Beamten der mittleren Ebene in der rumänischen und bulgarischen Administration gründlich „bearbeitet“, hatte hier ein wenig bestochen, dort ein bisschen erpresst, oder gelegentlich auch ein paar Gefälligkeiten erwiesen, alles so, wie es ihm am schnellsten und besten weiterhalf. Ohne seine Dienste wäre das Frachtschiff mit der brisanten Ladung heute nicht unterwegs in Richtung Atlantik.
Ab Varna und bis mindestens zur Straße von Gibraltar war diese Fahrt eine brandgefährliche Angelegenheit. Der Frachter hatte zwar zweitausend Tonnen Stickstoffdünger für Namibia gebunkert, aber sollten nach dem Zuladen der Waffen und vor dem Erreichen des offenen Atlantiks entweder der Zoll oder andere mit Schmuggel befasste Behörden an Bord gehen und seine Ladung genauer inspizieren, dann käme der Kapitän in arge Erklärungsnot.
Simak erwartete noch heute Abend die Bestätigung des Papstes, dass die zehnprozentige Anzahlung für diesen Deal, wie verabredet, in Frankfurt am Main übergeben worden war. Danach konnte er in Annapolis unweit von Washington anrufen und die Zahlung vermelden. Neue, sicherere Frachtpapiere würden ab Syrakus auf Sizilien bereitliegen, voll mit bunten Stempeln des amerikanischen Außenhandelsministeriums, welches die Ladung für unbedenklich erklärte, weil die Waffen angeblich für das Militär von Südafrika, einem Verbündeten der NATO, bestimmt waren.
Seine amerikanischen Partner erhielten diese Provision, und Jan Simak, der übergewichtige, kleine, geniale Waffenschieber ohne Religionsbekenntnis, kinderlos und mit vier geschiedenen Ehen, würde dreißig Prozent der sechzig Millionen US-Dollar einstreichen, die das Geschäft abwarf. Und mit dieser Kleinigkeit in der Tasche konnte er künftig beruflich kürzer treten und als wohlhabender Mann seinen Hobbys nachgehen.
Der Amerikaner rief an und klagte wieder darüber, dass sein Partner ihm mit seinen Geldproblemen in den Ohren liege. Sie beide wollten wissen, wann mit ihrem Anteil zu rechnen sei; Simak wisse hoffentlich, dass ihr Beitrag zu diesem Geschäft essentiell sei.
„Nein, er hat keine Spielschulden, die Sache ist viel delikater. Er ist ohne Hose an einem Ort erwischt worden, wo man sich besser nicht sehen lässt. Jemand hat ihm das Messer an die Kehle gesetzt, und wenn er nicht zahlt, ist er so gut wie erledigt. Ich selbst habe ihm schon so viel Geld geliehen, dass es anfängt wehzutun, aber er braucht noch eine ganze Menge mehr, um seine Probleme zu lösen.“
„Shit, kann er uns irgendwie die Suppe versalzen, wenn er die Nerven verliert?“
„Das befürchte ich allerdings. Wie lange also noch?“
Der Dealer hielt sich bedeckt. Die Anzahlung von zehn Prozent sollte heute von einem Gesandten seines afrikanischen Kunden überreicht werden. Irgendwo in Frankfurt am Main. Der Geldkoffer würde weitergereicht werden, an einen hochrangigen Angestellten des dortigen US-Generalkonsulats, und von da aus ungeöffnet und mit Diplomatenpost nach Washington gebracht werden. Der Bote hatte offenbar noch eine Freundesschuld zu begleichen.
Soweit zur Planung; Simak war beunruhigt, denn er hätte schon längst den Anruf des Papstes erhalten sollen, in dem ihm dieser bestätigen sollte, dass die Übergabe geglückt war; und er konnte in Frankfurt niemanden erreichen. Das verschwieg er dem nervösen Amerikaner. Wozu auch die Pferde scheu machen?
„Vier Tage, wenn alles glatt geht. Beten Sie besser ein wenig mehr bis dahin. Ich melde mich, wenn es konkret ist. Ciao bello!“
6 Frankfurt am Main
Es fing holprig an, sah danach eine Zeitlang wie ein sommerlicher Spaziergang aus - und endete in einem Debakel erster Klasse.
Sein Mitarbeiter Twistie, ein in Deutschland gestrandeter irischer Kunstmaler, der wahrscheinlich nie von seiner Hände Arbeit würde leben können, sollte das Hotel, in dem der Bulgare abgestiegen war, nachts im Auge behalten. Sie wechselten sich gezwungenermaßen in Zwölf-Stunden-Schichten ab. Die Übergabe konnte am helllichten Tag stattfinden, irgendwo auf einem öffentlichen Platz, aber ebenso gut auch morgens um drei in einer finsteren Gasse oder im Hinterzimmer eines Nachtclubs. Sie mussten eine Menge Glück haben, denn für die lückenlose Überwachung eines erfahrenen Objektes brauchte man ein Dutzend Leute und eine gehörige logistische Unterstützung.
Sie waren zu zweit!
Der Papst hatte am ersten Tag das Hotel nicht verlassen, und der verrückte Ire und er hatten bereits begonnen darüber zu spekulieren, ob die ganze Sache abgeblasen worden sei, oder dass sie vielleicht doch im Hotel stattgefunden hatte. Für Cord wäre das in Ordnung gewesen, selbst wenn der Scheck dann platzen würde. Die Anzahlung entschädigte mehr als genug für die bisherige Arbeit, und der Albino konnte ihm keinen Vorwurf machen, wenn der Papst sich nicht blicken ließ.
*
Am nächsten Morgen gegen halb zehn – er war bei der zweiten Tasse Kaffee – summte Cords Handy; der Ire schrie aufgeregt: „Er steht an der Rezeption und kommt wahrscheinlich gleich raus! Dunkle Jeans, weißes Hemd, ein kleiner grauer Rucksack!“
„Geh‘ zu ihm hin, wenn er rauskommt; halte ihn auf, ich bin unterwegs und in drei Minuten da. Was? Egal wie, schnorre ihn um eine Kippe an, erzähle ihm von deinen Malkünsten. Bring deine Oma ins Spiel, die eine neue Hüfte braucht. Halt ihn fest, irgendwie!“
Er griff nach seiner teuren Spiegelreflexkamera, rannte – ohne auf den Lift zu warten - die Treppen hinunter, spurtete die ersten hundert Meter, konnte aber bald in einen leichten Trab verfallen, weil er Twistie mit dem Papst im Eingangsbereich des Hotels stehen und wild gestikulieren sah.
Geschafft, er konnte den Mann übernehmen!
Der riss sich gerade von seinem Peiniger los und stapfte sichtlich erbost in Richtung der nahegelegenen U-Bahnstation davon. Als Cord den Iren passierte, rief der ihm feixend zu: „Zehn Euro für das Gebiss meines Opas waren ihm zu viel, aber er hat mir drei gegeben. Er gehört jetzt dir, ich gehe nach Hause und lege mich schlafen.“
Die Station lag unweit des Messegeländes und die Bahnen fuhren von dort aus quer durchs Zentrum bis zum Zoologischen Garten.
Cord sah, wie der Bulgare auf den Eingang zuhielt, am Automaten eine Fahrkarte zog und sich die Treppe hinab zum Bahnsteig begab. Er schien sich nicht darum zu sorgen, ob er beschattet oder verfolgt wurde, denn er blickte sich in den paar Minuten bis zum Eintreffen des nächsten Zuges nicht ein einziges Mal um.
Die U-Bahn fuhr ein und Cord betrat das halbleere Abteil (der morgendliche Berufsverkehr war bereits durch) als letzter Fahrgast, setzte sich so weit abseits wie möglich und gab vor, sich mit seinem Smartphone zu beschäftigen. Dabei behielt er den Bulgaren im Auge; dieser saß mit geschlossenen Augen auf seinem Platz und hatte den grauen Rucksack neben sich gestellt. Der Zug hielt, Leute stiegen aus und ein, und Cord vermutete allmählich, dass sie bis zur Endhaltestelle fahren würden.
Und er irrte sich nicht, kurz vor Erreichen der Station „Zoo“ stand der Bulgare auf und strebte nach dem Anhalten des Zuges dem Ausgang in Richtung des beliebten Tierparks entgegen.
Cord folgte ihm mit einigem Abstand. Falls der Papst seinen Kontakt im Löwenhaus oder im Nachtterrarium treffen würde, wäre das fatal, denn dort würde Cord bemerkt werden, wenn er Fotos zu machen versuchte; ohne Blitzlicht war dort nichts auszurichten.
Sie traten ins Freie und der Bulgare lenkte seine Schritte zur Kasse und kaufte eine Eintrittskarte. Cord brauchte kein Ticket, er besaß eine Jahreskarte, ein zuletzt nutzlos gewordenes Relikt aus der Zeit, als er noch zwei Kinder hatte.
Der Mann verstaute das Ticket und nahm seinen Rucksack wieder auf. Cord ließ ein paar Sekunden verstreichen und passierte dann ebenfalls das Drehkreuz am Eingang. Er sah den Mann die Toiletten ansteuern, und geriet kurzeitig in Panik; dort drinnen zu fotografieren wäre ebenfalls unmöglich. Er wartete nervös darauf, dass der Bulgare wieder herauskam.
Auch um diese frühe Stunde war es schon heiß und stickig, für den Nachmittag wurden Temperaturen von über fünfunddreißig Grad erwartet, und es war kein Ende der Hitzewelle in Sicht. Seit Tagen wurden Gewitter vorhergesagt, die dann aber nicht stattfanden - zumindest nicht hier, wo sie am dringendsten gebraucht wurden. Cord klebte schon nach ein paar Schritten sein schweißnasses Hemd am Rücken.
Nach endlos scheinenden fünf Minuten erschien der Papst wieder und schien sich kurzzeitig orientieren zu müssen. Cord atmete auf und folgte im Abstand von weniger als dreißig Metern. Der Mann schien keine Eile zu haben, er schlenderte gemächlich umher und gab vor, sich die Tiere anzusehen, die sich hier und da in den Außengehegen zeigten.
Als sie zu den Giraffen kamen, die in der prallen Vormittagssonne standen, bemerkte der Detektiv einen Mann, einen Schwarzen, der eine dunkelblaue Hose, ein hellblaues Hemd und eine modische Sonnenbrille trug.
Der Mann hatte einen schwarzen Aktenkoffer, in dem eine ganze Menge Akten Platz haben musste, zwischen seine Füße gestellt und schien auf jemanden oder etwas zu warten. Cords Anspannung stieg.
Als der Bulgare sich ihm näherte, nahm der Mann die Sonnenbrille ab; der Papst hielt abrupt an und sprach ihn an, worauf der Schwarze etwas erwiderte; beides konnte Cord aufgrund der Entfernung nicht verstehen, aber das war auch nicht sein Job. Immerhin musste der Mann der angekündigte Kardinal sein.
Cord griff nach seiner Kamera, spielte am Zoom und gab vor, eine der Giraffen ins Visier zu nehmen. Es galt nun, den Augenblick abzupassen, der ihm die Gelegenheit zum Schießen der verlangten Fotos bot.
Aber dann war die Gelegenheit wieder vorbei, denn die beiden Männer bewegten sich jetzt in den hinteren Teil des Parks, wo es ein paar schattige Flecken und einige Holzbänke gab. Der Schwarze war nervöser als der Papst, er drehte sich alle paar Schritte um und schien das Gelände nach Verdächtigem abzusuchen.
Sie unterhielten sich gestenreich, und der Bulgare hatte ein Notebook aus seinem Rucksack genommen, startete es und zeigte dem anderen Mann offenbar etwas von dessen Interesse. Dieser schien Fragen zu stellen, deren Beantwortung ihn nicht zufriedenstellte. Immer wieder zeigte er auf den Bildschirm, zückte zuletzt entnervt sein Smartphone und begann, einzelne Seiten abzufotografieren, was eine volle Minute in Anspruch nahm.
Endlich schien er einverstanden zu sein mit dem, was er gesehen hatte, und er bückte sich, um dem Bulgaren den Koffer zu überreichen.
Zum Unmut des Detektives, der immer noch auf seinen Schnappschuss wartete, bewegte sich jetzt eine Schulklasse auf diese Ecke des Zoos zu, und binnen kurzer Zeit hatten sich die Kinder zwischen ihn und die beiden Männer gedrängt. Ihre Lehrerin holte aus zu einem Vortrag, während sie einen Halbkreis um sie bildeten.
Cord musste sich hinter die Gruppe manövrieren, um an seinen Objekten dranzubleiben. Als er wieder freie Sicht hatte, erhoben sich die beiden Männer gerade und wollten offenbar gehen. Cord war viel zu nahe dran, um unbemerkt fotografieren zu können.
Und plötzlich brach die Hölle los!
Schüsse fielen, drei, vier, vielleicht mehr, und aus höchstens fünfzig Metern Entfernung abgefeuert. Die Lehrerin schrie auf, und Cord konnte sehen, wie der Kardinal in die Knie ging, während ein Schwall Blut aus seiner Kehle schoss. Danach war Cord der Blick durch einige der in Panik geratenen Kinder versperrt. Instinktiv rannte er los und drängte sich zwischen den schreienden Schülern hindurch, um zu der Stelle zu gelangen, wo die beiden Männer eben noch gestanden hatten.
Den Bulgaren hatten zwei Schüsse in den Rücken niedergestreckt, der Afrikaner war im Genick getroffen worden, wobei die Kugel am Hals wieder ausgetreten war; ein zweiter Schuss war nicht nötig gewesen. Beide rührten sich nicht mehr, auch der Papst war höchstwahrscheinlich tot; Koffer und Notebook lagen zwischen den beiden Ermordeten, der Koffer war blutverschmiert.
Ohne zu wissen, was er tat, hob er die beiden Gegenstände auf und rannte in Richtung Ausgang. Dass diese impulsive Entscheidung den Schlusspunkt des Lebens bedeutete, welches er kannte, sollte ihm im Laufe der nächsten Stunden noch dämmern.
Er rannte tief gebückt los, denn irgendwo musste der Heckenschütze sein, und Cord wusste nicht, ob die Schüsse nicht auch ihm gegolten hatten. Er musste es annehmen.
Er erreichte das Drehkreuz am Ausgang, wo sich seine noch geöffnete Kameratasche verfing und seine teure Kamera auf den Beton aufschlug, wobei mehrere Splitter abbrachen. Weil sie ohnehin seine Bewegungsfreiheit einschränkte, ließ er sie zurück. Er konnte vielleicht später nach ihr sehen, wenn dieses Chaos vorbei war.
Cord zwängte sich mitsamt seines neuen Gepäcks nach draußen und rannte weiter in Richtung Zentrum, bis seine Lungenflügel sich anfühlten, als ob sie in Flammen stünden. Unterwegs drehte er sich ein paarmal um, und erst, als er mehr als hundert Meter zurückgelegt hatte, sah er, wie zwei Männer ebenfalls den Zoo verließen und es offenbar ebenso eilig hatten wie er. Vor ihm lag eine große Einkaufsstraße, und wenn er es bis dorthin schaffte, wäre er zunächst einmal sicher, denn er würde in eine große Menschenmenge eintauchen und sich unsichtbar machen können. Dort angelangt verlangsamte er sein Tempo und versuchte eine vernünftige Entscheidung darüber zu treffen, was er als Nächstes zu tun hatte.
Er passierte den Eingang eines Kinocenters, kehrte um und kaufte eine Eintrittskarte für einen Abenteuerfilm, der in den nächsten Minuten beginnen sollte.
Drinnen im Saal war es angenehm kühl und beinahe dunkel, der Vorfilm lief schon, als er sich vor eine Gruppe von Jugendlichen setzte, die ihn dem oberflächlichen Blick möglicher Verfolger entziehen würde. Sein Herz schlug bis hinauf in die Schläfen, er zitterte am ganzen Leib und beruhigte sich erst dann ein wenig, als der Hauptfilm begonnen hatte, ohne dass noch jemand den Saal betreten hatte.
Er hatte sie offenbar abgeschüttelt, auch wenn er nicht darauf wetten würde. Waren es Profis? Die tödliche Präzision der Schüsse legte es nahe, die stümperhafte Verfolgung sprach dagegen.
Nach einer halben Stunde schlich er sich aus der Vorstellung und verließ das Kino, wobei er zunächst ein paar Schritte in die eine Richtung ging, dann stehen blieb und so tat, als habe er etwas vergessen, während er über den breiten Strom der Fußgänger blickte, um zu sehen, ob ihm jemand auffiel. Das war nicht der Fall.
Würden sie zuhause auf ihn warten? Kannten sie seine Identität und seine Adresse? Er hatte keine Ahnung, konnte es aber nicht ausschließen. Schließlich wusste der Albino, wo er zu finden war. Es war also besser, nicht sofort nach Hause zu gehen, sondern vorher ein wenig Zeit verstreichen zu lassen. Er kannte eine Kneipe in einem Gässchen, das parallel zu dieser Straße verlief. Es waren kaum mehr als fünf Minuten Fußweg dorthin.
Das Lokal war im vorderen Teil gut belegt, ein paar Rentner nahmen ihr flüssiges Frühstück am Tresen ein und würfelten lautstark um die Rechnung. Aber im Hintergrund des Schankraumes, der in gnädiges Schummerlicht getaucht war, saß er beinahe für sich allein. Er stellte den Koffer und das Notebook ab, und als die Kellnerin kam, bestellte er ein großes Glas Bier und einen doppelten Wodka, denn er brauchte etwas zur Beruhigung seiner gemarterten Nerven.
Was um alles in der Welt hatte ihn geritten?
Er hatte einen klaren Auftrag gehabt: „Machen Sie ein paar brauchbare Fotos vom Kardinal, wenn dieser sich mit dem Papst trifft!“ Präziser konnte eine Jobausschreibung nicht formuliert werden.
Es waren keine Extraleistungen vereinbart worden. Er hatte völlig ohne Not Kopf und Kragen riskiert, um etwas an sich zu bringen, das ihm nicht gehörte und das ihn auch nichts anging.
Nach dem zweiten Bier war er soweit, sich des Aktenkoffers anzunehmen, der zwar ein Zahlenschloss besaß, aber unverschlossen war. Sein Besitzer hatte keine Zeit mehr gehabt, ihn abzuschließen.
Neugier ist der Katze Tod!
Er stellte ihn vor sich auf den Tisch, ignorierte das inzwischen geronnene Blut, klappte ihn auf und erstarrte. Seine Kopfhaut kribbelte mit einem Mal, die Härchen auf seinem Unterarm stellten sich steil auf. Er schluckte trocken.
Das Erste, was er sah, war Geld, viel Geld; Geld in mindestens drei Währungen, die großen Scheine jeweils gebündelt zu dicken Paketen. Er konnte kaum abschätzen, um wie viel es sich handelte, aber es mussten zigtausende Euro, Dollar und Schweizer Franken sein. Mehr, als er je auf einem Haufen gesehen hatte.
Er wandte sich den Papieren zu, die in zwei dicken Stapeln den Großteil des Kofferinhalts ausmachten. Auf den ersten Dokumenten sah er den Betrag von zehntausend US-Dollar aufgedruckt, das Papier war von einer bekannten amerikanischen Bank ausgegeben worden und durfte – wenn er den Sinn des Aufdrucks richtig deutete – in jeder Filiale des betreffenden Institutes eingelöst werden. Diese Dokumente trugen keinen Inhabernamen, wer sie vorlegte, galt als ihr Besitzer.
Er zählte die obersten fünfzig Papiere des ersten Stapels ab und schätzte, dass der ganze Stapel etwa dreihundert Blatt stark war. Er schwitzte jetzt wieder.
Nachdem er ein weiteres Bier bestellt und erhalten hatte, überprüfte er den zweiten Packen; die ausgebende Bank war eine andere, die Wertpapiere aber offenbar gleicher oder ähnlicher Natur.
Er nahm einen Schluck von seinem Glas und flüsterte heiser: „Sechshundert mal zehntausend Dollar. Es sind verdammte sechs Millionen Dollar.“
Was zum Teufel hatte er getan!?
7 Frankfurt am Main
Die Verfolger kamen keuchend zum Stehen und blickten sich um. Von ihrem Mann war nichts mehr zu sehen im Gedränge der vollen Fußgängerzone, und er konnte inzwischen überall sein. „Wer sagt es dem Meister? Ich habe eine Höllenangst.“
„Was soll er schon machen? Es war nicht unsere Schuld. Wir hätten einfach mehr Leute vor Ort haben müssen, das habe ich doch von Anfang an gesagt. Gib her.“
Er nahm seinem Begleiter das Handy ab und wählte eine Nummer aus dessen Wahlspeicher. Nach dem zweiten Klingelton wurde abgenommen. Ein barsches Ja ertönte am anderen Ende.
„Es gibt ein Problem, Chef.“
„Ich mag keine Probleme. Was ist passiert?“
„Jemand hat in die Operation eingegriffen, und der Kerl hat den Geldkoffer und das Notebook des Bulgaren mitgehen lassen. Wir kannten ja den Treffpunkt und hatten auch rechtzeitig Stellung bezogen, etwa fünfzig Meter entfernt von der Stelle. Und dann war da plötzlich dieser Kerl, der dem Bulgaren gefolgt sein musste.“
„Das kann nur der Detektiv gewesen sein, den dieser blöde Albino ohne jede Not eingeschaltet hat, wahrscheinlich, um einen Beweis der Übergabe in die Hände zu bekommen. Wir haben jemanden an seine Fersen geheftet, wissen aber nicht zuverlässig, was der Zweck des Auftrags war, den er diesem Schnüffler gegeben hat. Es wussten nur Wenige etwas von diesem Treffen. Warum habt ihr ihn nicht auch abserviert?“
„Wir haben die Beiden erledigt, wie Sie es befohlen hatten. Von einem dritten Mann war nicht die Rede. Als wir uns dann vergewissern wollten, dass sie auch wirklich tot waren, und uns den Koffer und den Laptop holen wollten, war plötzlich der Teufel los. Eine Horde von Kindern, die durch die Schüsse in Panik gerieten, versperrte uns für eine ganze Weile die Sicht. Wir waren einfach zu weit weg. Als Bert sein Gewehr endlich wieder auseinandergebaut und verstaut hatte, und wir schließlich zu der Stelle kamen, waren Koffer und Computer nicht mehr da, und man hörte schon die Bullen anrücken. Wir sahen den Kerl noch wegsprinten, rannten, was wir konnten, aber irgendwo im Gewühl einer Einkaufsstraße haben wir ihn verloren. Er war spurlos verschwunden.“
„Ihr seid Idioten! Unser ganze Plan funktioniert nur mit dem Geld und den Dokumenten auf dem Rechner des Bulgaren.“
„Chef“, jammerte der Kleinere der beiden Attentäter, „wir hatten keine dritte Person auf unserer Rechnung. Einen geeigneten Platz ausfindig machen, auf die Übergabe warten, beide Kerle umnieten, das war unser Auftrag.“
„Okay, wir müssen das Beste aus diesem Schlamassel machen. Ich rufe den Albino an. Geht aus der Leitung und ruft in fünf Minuten nochmal an!“
Und wenige Minuten später: „Der Mann heißt Hennings und wohnt in der Gräfstraße in Bockenheim, in direkter Nachbarschaft zur alten Universität; Hausnummer 47, vierter Stock. Fahrt hin, findet ihn. Holt euch das Zeug zurück, das er gestohlen hat. Macht ihn fertig, wenn ihr es habt. Wenn nicht, sucht euch besser ein schattiges Grab aus, denn wenn diese Geschichte schief geht, ist euer Leben nicht mehr viel wert. Dafür werden unsere amerikanischen Freunde sorgen.“
Mit stockendem Atem hörte der Killer zu, er versuchte zweimal, seinen Boss zu unterbrechen, aber ohne Erfolg.
„Es gibt eine Kneipe direkt neben seinem Haus; man kann dort draußen auf Bänken sitzen und hat den Eingang direkt vor der Nase. Wenn er in einer Stunde nicht da ist, verschafft euch Zugang zu seiner Wohnung. Stellt alles auf den Kopf und sucht nach Informationen über seinen Umgang. Er wohnt alleine, aber er hat eine Ex-Frau und zwei Kinder. Versucht herauszufinden, wo die sind. Schaut nach Freunden aus, nach einer Geliebten, der Sekretärin, was auch immer. Er muss irgendwo hingehen. Meldet euch sofort, wenn etwas passiert. Vermasselt es kein zweites Mal.“
Das Gespräch wurde beendet und die beiden Männer blickten sich konsterniert an. „Dann wollen wir mal.“ Es klang eindeutig ängstlich, obwohl sie dies sicherlich empört abgestritten hätten.
*
Wassermann: „Können wir diese Exekution noch stoppen?“
Schütze: „Zu spät. Sie hat vor mehr als zwei Stunden stattgefunden.“
Löwe: „Warum fragst du danach, Wassermann?“
Wassermann: „Wir hätten unseren Mann auch anders gekriegt. Unsere Leute haben endlich herausgefunden, was ihn umtreibt. Um ihn unter Druck zu setzen, hätten wir diese grenzdebilen Armleuchter, die sich unseren Deutschen Arm nennen, gar nicht gebraucht.“
Löwe: „Und, dann erzähl doch mal!“
Wassermann: „Dieser Bursche steht auf kleine braune Mädchen – und nicht nur das; er hat sich dabei fotografieren lassen, während er dieser höchst fragwürdigen Neigung nachging. Die Frau, die im Besitz dieser Fotos ist, ist eine unserer Hackerinnen, und sie hat ihn in aller Seelenruhe ausgeplündert, während wir uns den Kopf darüber zerbrachen, wozu er das viele Geld braucht.“
Steinbock: „Dann wäre unsere Operation in Deutschland gar nicht nötig gewesen, weil jemand aus unseren Reihen in die eigene Tasche gewirtschaftet hat, anstatt uns zu sagen, was Sache ist?“
Wassermann: „Richtig, und sie hat dadurch die ganze Sache erheblich verkompliziert. Es hat eine Einmischung von dritter Seite gegeben. Ein deutscher Detektiv war vor Ort, und dieser Kerl ist mit dem Geld und dem Notebook des bulgarischen Vermittlers abgehauen, nachdem die Schüsse gefallen waren.
Ihr könnt euch denken, dass das auch für uns und unseren Mann im Weißen Haus gefährlich werden kann, je nachdem, welche Informationen auf diesem Rechner gespeichert sind.“
Löwe: „Unsere Freunde in Deutschland suchen nach dem Mann; wenn sie ihn haben, wird er erledigt. Das sollte kein Problem darstellen, er ist nur ein gewöhnlicher Amateur.“
Skorpion: „Hoffentlich. Wenn sie ihn kriegen, bevor er Unheil anrichtet, sind wir unserem Ziel einen guten Schritt näher.“
Wassermann: „Wir wissen nicht nur Bescheid über diese Erpressung, wir werden auch bald im Besitz dieser Fotos sein. Wir können die junge Dame mit entsprechendem Druck sicherlich dafür begeistern, sie uns zu überlassen. Die Ärmste wird in ein paar Tagen mit dem Gesicht nach unten auf dem Potomac in Richtung Atlantik treiben und keine Gelegenheit mehr haben, ihren ergaunerten Wohlstand zu genießen. Schade um die Frau, sie hatte uns bisher gute Dienste geleistet. Aber wir müssen sie natürlich ausschalten.
Dasselbe wird dem Albino geschehen, wenn er sich noch einmal hier blicken lässt. Wir müssen durchgreifen, sonst tanzen uns die Fußtruppen bald nur noch auf der Nase herum. Seine eigenmächtige Einmischung hat dieses Frankfurter Desaster erst möglich gemacht.“
Bedächtiges Schweigen herrschte in der Runde der zwölf alten, weißen Männer, die sich und ihre fanatischen Anhänger die „Besorgten Patrioten“ nannten; und jeder machte sich seine eigenen Gedanken, nachdem die kleine Videokonferenz geendet hatte und die Bildschirme erloschen waren.