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Die Idee der Vorfertigung

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Zerlegbare Holzhäuser sind seit dem 12. Jahrhundert aus Asien überliefert. Der Japaner Kamo no Chômei berichtet in seinem Buch Hôjôki von kleinen Hütten, die auf Handkarren transportiert wurden und mit einem Bauprinzip aus Haken und Ösen schnell eine Unterkunft für Wanderer boten. 1 Während der europäischen Renaissance des 15. Jahrhunderts entwickelte der italienische Künstler und Erfinder Leonardo da Vinci zerlegbare Gartenpavillons in Tafelbauweise. In den holzreichen Ländern Skandinaviens, Russlands und des nordamerikanischen Kontinents waren spätestens seit dem 16. Jahrhundert verschiedene Holzhaustypen bekannt, die aus vorgefertigten Teilen zusammengebaut wurden. 2

In Großbritannien, der Lokomotive der Industrialisierung, gab es um 1800 erste Anstrengungen, preisgünstige Häuser mit industriellen Möglichkeiten zu bauen. Dies war eine direkte Antwort auf die immer akuter werdende Wohnungsknappheit der Arbeiterfamilien. Die durch Bevölkerungswachstum und Industrialisierung hervorgerufene Wohnungsnot, aber auch und vor allem die koloniale Siedlungspolitik in den englischen Überseekolonien beflügelten die Idee der Vorfertigung. 3 In den englischen Überseekolonien entstand um 1800 erstmals ein größerer Markt für die so genannten pre-made Häuser. Richtungsweisend war das 1820 produzierte „Manning-Cottage“, ein in seine Einzelteile zerlegbares Holzhaus des englischen Zimmermanns Richard Manning für seinen nach Australien auswandernden Sohn. 4 Dieses Holzhaus war binnen weniger Tage errichtet und konnte mehrmals wieder auf- und abgebaut werden. Es bot zwei Zimmer und war mit raffinierten technischen Details ausgestattet. Schnell übernahmen Manufakturbesitzer dieses Modell und entwickelten es in Serie. Das „Manning- Cottage“ wurde so zu einem weit verbreiteten Siedlerhaus, z.B. in Südaustralien. Selbst vormontierte Kirchenbauten aus Eisen wurden für die Missionierung in den Kolonien in Auftrag gegeben. 5


Digitale Nachzeichnung des wieder verwendbaren Grundgerüsts eines Manning-Cottage

Doch schieden sich die Geister am Aussehen dieser vorgefertigten Häuser. Einige Stimmen empfanden sie als den klimatischen Verhältnissen der Kolonien nur unzureichend angepasst. Andere kritisierten die fehlende emotionale Bindung der Bewohner zu einem „seelenlosen“ Haus, das mit so wenig Schweiß zusammengebaut wurde. Hauptsächlich entbrannte die Kritik jedoch am ästhetischen Eindruck der pre-made Häuser, deren „Architekturstil hoffnungslos unangenehm sei“ und überdies „an Fabriken oder Lagerhallen“ erinnere. So lautete zumindest 1854 die Kritik einer Kirchengemeinde im australischen Melbourne an ihrer neuen, aus Eisenträgern montierten Gemeindekirche. 6

Die technischen und preislichen Vorteile lagen jedoch auf der Hand. Mit Eisenbahn und Dampfschifffahrt konnten die zerlegbaren Häuser auf ein Minimum an Platz beschränkt in weite Teile der Welt transportiert werden. Die englische Krone gewährte dem Versand von Fertighäusern sogar Zollfreiheit. 7 Diese schnell errichteten Häuser bildeten den Türöffner für die erste Besiedlung einer Kolonie. Sobald die Möglichkeiten gegeben waren, wurde jedoch meist wieder auf die traditionelle Hausproduktion umgeschwenkt. In einigen Fällen nahm die Verwendung vorgefertigter Häuser jedoch außergewöhnliche Dimensionen an. Johannesburg in Südafrika bestand noch 1886 komplett aus vorgefertigten Wellblechhäusern. 8

Auch im Kriegsfall waren die Vorteile des vorproduzierten Bauens nicht von der Hand zu weisen. Während des ersten „Kriegs des Industriezeitalters“, dem Krimkrieg von 1853 bis 1856 zwischen Russland und einer Allianz aus Frankreich, Großbritannien, dem Osmanischen Reich und Piemont-Sardinien, kam es aufgrund schlechter hygienischer Bedingungen und Hunger zu großen Verlusten auf allen Seiten. Der Mangel an Unterkünften für die Soldaten und das Fehlen von Bauspezialisten und Material bewegte die englische und französische Kriegsführung zur Produktion und Versendung vorgefertigter Einfachstunterkünfte an die Front am Schwarzen Meer. An diesem Unternehmen war auch ein Mann beteiligt, der wenige Jahre zuvor mit einem besonderen Plattenbau für Aufsehen sorgte: der englische Konstrukteur Joseph Paxton, Erbauer des Londoner Kristallpalastes. 9

Anlässlich der Londoner Weltausstellung 1851 hatte Paxton einen Ausstellungsbau nur aus Gusseisenträgern und Glastafeln errichtet. Ein durch Glas und Eisen gewonnenes Lichtspektrum im Inneren des Raumes verlieh diesem Bau seinen Namen Kristallpalast. Das imposante Gebäude hatte eine Länge von 563 Metern, eine Breite von 124 Metern und eine Höhe von 39,5 Metern. Der Bau, der circa 70.000 Quadratmeter Grundfläche einnahm, erforderte 3.500 Tonnen Gusseisen für die Hohlstützen und Fachwerkträger, 530 Tonnen Schmiedeeisen für weit gespannte bzw. hoch beanspruchte Tragwerke und cirka 400 Tonnen Glas.

Der Palast Joseph Paxtons wurde sowohl bei Besuchern als auch Architekturkritikern als Symbol von Modernität gefeiert, als Revolution in der Architektur, angeführt von einem Ingenieur. Abbildungen vom Palast hingen bald sogar in den entlegensten Stuben europäischer Bauernhöfe. 10 Es war die ästhetische Wirkung des Kristallpalastes, die seine Popularität bewirkte. Paxtons Ingenieurkunst war ein regelrechter „Wahrnehmungsschock“, der alle bisherigen Begriffe der Architektur versagen ließ. Spätere Generationen idealisierten den Kristallpalast als historischen Bezugspunkt eines ganz neuen Bauzeitalters, das sich in ihm „herauskristallisierte“. 11

Ein Plattenbau war dieser Kristallpalast jedoch weniger aufgrund seiner Vorfertigung. Noch waren die einzelnen Bauteile zu stark auf das einzelne Ziel, den Palast, hin produziert. Paxtons Leistung bestand vielmehr in seiner rationalisierten Baudurchführung. Die Produktion eines großen Ausstellungsgebäudes in nur sieben bis elf Monaten zwang ihn, Arbeitskraft, Materialbeschaffung und Transport in höchstem Maße miteinander zu koordinieren. 1852 wurde das Bauwerk demontiert und 1853 in Sydenham (London) in veränderter Form unter weitgehender Wiederverwendung aller tragenden Bauteile neu montiert. Im November 1936 brannte der Kristallpalast nach einem Großfeuer komplett nieder. Der Kristallpalast von Joseph Paxton stach als gefeiertes Signum einer neuen Zeit hervor. Doch waren es die zahlreich produzierten kleinen Fertighäuser, die bereits im 19. Jahrhundert die wesentlichen Grundzüge des späteren Plattenbaus vorzeichneten: Dazu gehörte erstens das vor allem staatliche Interesse an der Prefabrikation, zweitens der Charakter von Plattenbauten als „Notnagel“ in Zeiten akuten Wohnraumbedarfs und drittens das damit verbundene Image einer nur zweit- bis drittklassigen Architektur. 12


Signum einer neuen Zeit – Außenansicht des Kristallpalasts nach der Verlegung des Gebäudes nach Sydenham, Süd-London, im Anschluss an die Ausstellung von 1851


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