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Einleitung

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Was du arbeitest, geht aus diesem so üppigen feuchtwarmen Weltgefühl hervor; aus einer solchen Lebensatmosphäre, daß du von Natur wohl bewahrt bist, etwas von der trockenen Häßlichkeit des Metiers zu empfinden.

(Hugo von Hofmannsthal über Robert Michel)

Die These eines „österreichischen Schriftstellers“ läßt sich vom Beginn bis zum Ende des Schaffens Robert Michels vertreten. Stärker als vom Literaturgeschehen seiner Zeit wurde Michel von der Zeit selbst geprägt. Von der Balkankrise zur bosnischen Annexionskrise, vom Ersten Weltkrieg zur Ersten Republik, vom Zweiten Weltkrieg zur Wiederherstellung der Republik und dem Staatsvertrag hat der Autor fast ein Jahrhundert durchlebt.

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Robert Michel hat in Einzelheiten seiner Erzählweise eine unverkennbare und erinnernswerte Eigenheit. Sein Stil ist, von wenigen Ausnahmen abgesehen, sehr homogen und weist kaum Varianten auf. Die Betonung der Landschaft und des beschreibenden Elements sind in den erzählerischen Werken charakteristische Stilzüge. So betrachtet, war Robert Michel der österreichischen Literaturtradition vor der Jahrhundertwende verpflichtet. Seine kosmopolitische Einstellung zeigt sich in der Vielfalt der von ihm herangezogenen Stoffe und Schauplätze, in welchen er seine Figuren agieren läßt. Als Offizier hatte er die Möglichkeit, sich, unabhängig von finanziellen Erwägungen, der schriftstellerischen Tätigkeit zu widmen, als freier Schriftsteller war er genötigt, Literatur auch im Zusammenhang mit ihren kommerziellen Möglichkeiten zu sehen.

Robert Michel, der am 24. Februar 1876 in Chaberiće in Böhmen geboren wurde, wuchs in einer kleinbürgerlichen deutsch-böhmischen Familie auf. Der Vater war Beamter im Dienst des Landadels. In Prag besuchte Michel zuerst das deutsche Gymnasium und dann die Kadettenschule. In seinen autobiographischen Schriften legt der Autor das Hauptgewicht auf Theater und Theaterbesuche in Prag. Der Übertritt zur Kadettenschule war nicht die Folge einer besonderen Neigung zum Offiziersberuf, sondern geschah aus finanziellen Gründen. Nebenbei versuchte er sich mit einigen Veröffentlichungen in Lyrik und Prosa im „Prager Tagblatt“. Zum Nationalitätenkampf zwischen Deutschen und Tschechen nahm er die für einen österreichischen Offizier typische „übernationale“ Haltung ein. So setzte sich Michel in seinen Dichtungen aus Südslawien für die Erhaltung südslawischer Eigenart und südslawischen Wesens ein. Er versuchte sich aber auch als Vermittler zwischen der deutschen und der slawischen Welt. In Prag arbeitete er auch an seinem ersten Roman, der jedoch nie veröffentlicht wurde.

Als Michel im Herbst 1895 als Leutnant nach Wien kam, war sein wohl wichtigstes Erlebnis das erste Treffen mit Leopold von Adrian-Werbung. Dieser ersten Begegnung sollte eine lange Freundschaft folgen. Über Adrian lernte Robert Michel auch Hugo von Hofmannsthal kennen. Im Café Griensteidl folgten dann die Bekanntschaften mit Arthur Schnitzler, Richard Beer-Hofmann, Hermann Bahr, Felix Salten und Karl Kraus. Die meisten Literaten des „jungen Wiens“ stammten aus begüterten Häusern, und finanzielle Sorgen waren ihnen fremd, Robert Michel hingegen diente weiter als Offizier: „Man wüßte außer dem Beruf des Landmannes, des Jägers und Seefahrers keinen anderen zu nennen, der einen so vielfältig mit der Natur verbindet und dabei so mannigfach mit dem Leben verknüpft.“ (Michel in „Aus eigener Werkstatt“)

Hofmannsthal stand Robert Michel in der Folge als Förderer zur Seite. Unter anderem verhalf er ihm zur Veröffentlichung der Novellen „Die Verhüllte“ (1907), indem er seine Schriften wiederholt den Lektoren des S. Fischer Verlags empfahl. Hofmannsthal war ein sehr kritischer Leser, so waren auch die Briefwechsel zwischen Michel und Hofmannsthal meist literarischer Natur. Leopold von Adrian: „Abgesehen von George, erkannte Hofmannsthal sehr wenige unter den Autoren seiner Zeit, insbesondere deutscher Zunge, als seinesgleichen an.“

1898 wurde Robert Michel mit der politischen Wirklichkeit direkt konfrontiert, indem er nach Mostar versetzt wurde. Der Mittelpunkt der Herzegowina wurde zentraler Ort in zahlreichen Werken Robert Michels, wie zum Beispiel in „Hercegovinische Hirten“. In den Beschreibungen wird das fremdländisch ungewohnte Milieu dem Leser nahegebracht. Der Leser soll durch die Exotik des Raums in Bann gehalten werden. Geprägt sind diese Novellen auch durch Wörter aus der militärischen Fachsprache und Wörter, welche die südslawische Welt in ihren ethnologischen und folkloristischen Momenten beschreiben.

Durch die wechselseitige Beeinflussung der beiden Berufe, Soldat und Schriftsteller, formte Michel das geistige Antlitz der österreichischen Armee, wie auch Karl von Torresani, Rudolf Hans Bartsch, Franz Karl Ginzkey und Ferdinand von Saar. Diese Klasse, die eng mit der historisch-kulturellen Tradition Österreich-Ungarn zusammenhing, beeinflußte sein Schaffen bis zu seinem Tod. Auch wenn Michel 1918 den Beruf des Offiziers verließ, blieb er dieser Welt mit ihren Themen und Motiven verbunden.

Robert Michels Darstellungen der Landschaft und des Raums sind wie bei den meisten Schriftstellern an menschliche Situationen, Perspektiven und Reaktionen gebunden und stehen nicht für sich allein. Sie sind durchaus mit den Natur- und Landschaftsschilderungen von Adalbert Stifter zu vergleichen. Es ließen sich aber auch zu anderen Schriftstellern und Dichtern der deutschen und österreichischen Literatur Parallelen aufstellen.

Die Jahre 1900 bis 1907 verbrachte Michel in Innsbruck. Hier heiratete er 1903 Eleonore Sniźek, welche ihm drei Kinder schenkte: Leopold, Adalbert und Agathe. In dieser Zeit entwickelte sich auch eine intensive Freundschaft mit Ludwig von Ficker, die aus der Zusammenarbeit bei der Tiroler Zeitschrift „Brenner“ hervorging. Ihre Briefwechsel reichen bis ins Jahr 1955. Ab 1914 erkennt man allerdings eine gewisse Abkühlung des freundschaftlichen Verhältnisses, welche von ihren unterschiedlichen Einstellungen zum Weltkrieg geprägt wurde.

1909 erschien Michels erster Roman, „Der steinerne Mann“, mit einem sehr autobiographischen Kontext und 1911 der Sammelband „Geschichten von Insekten“.

Am 10. 12. 1913 präsentierte Michel das erste Mal öffentlich bei einer „Brenner“-Vorlesung einen Teil aus seinem noch unveröffentlichten Roman „Die Häuser an der Džamija“. Die Lesung verhalf Michel zum Prestige einer breiteren Tiroler Öffentlichkeit.

Von sämtlichen Werken Robert Michels wurden der Novellenband „Die Verhüllte“ (1907), der Roman „Die Häuser an der Džamija“ (1915), die „Briefe eines Hauptmanns an seinen Sohn“ (1916) und die „Briefe eines Landsturmleutnants an Frauen“ (1917) mehrmals aufgelegt. Dies war zur damaligen Zeit überraschend, da die Konkurrenz am literarischen Markt sehr groß war.

Zu Propagandazwecken wurde 1914 in der österreichisch-ungarischen Armee als Sondereinrichtung des Armeeoberkommandos ein „Kriegspressequartier“ (KPQ) gegründet, das die Aufgabe hatte, der Presse Berichte über das Kriegsgeschehen in Wort und Bild zu liefern. Zur so genannten „literarischen Gruppe“ des Kriegsarchivs zählten neben Robert Michel unter anderem Hans Rudolf Bartsch, Karl Ginzkey, Stefan Zweig, Alfred Polgar, Leopold Schönthal, Felix Salten, Paul Wengraf und für kurze Zeit auch Rainer Maria Rilke.

Die vielfältige Produktion Michels während des Ersten Weltkriegs reicht von der Erzählung bis zum Brief, vom Kriegsbericht bis zur Regimentsgeschichte. Neben dieser „Kriegsliteratur“ schrieb Michel aber auch Werke, die ihm große schriftstellerische Ehren einbrachten. Der Roman „Die Häuser an der Džamija“, der in Südslawien spielt, wurde eines der bekanntesten Werke des Autors und brachte ihm den begehrten „Kleistpreis“ ein. Eine äußerst positive Reaktion von Oskar Loerke in der „Neuen Rundschau“ von 1915 hebt die Ursprünglichkeit und Echtheit der Charaktere im Roman hervor. „Die Häuser an der Džamija“ gilt als Höhepunkt seiner atmosphärischen Poetik. Seine Schilderung der Bräuche dieses neu gewonnenen österreichischen Volkes, dessen als arm und rückständig empfundenes, aber geliebtes Land wird von Michel zur neuen Heimat der Sehnsucht auserkoren. Robert Michel bezeichnet einen Brief von Hugo von Hofmannsthal zum Erstentwurf des Romans als seinen „Ritterschlag“ – einen wichtigen Wendepunkt in seinem Leben:

Mein lieber Robert,

Deine hercegovinische Dorfgeschichte habe ich mit einem wahrhaft seltenen Vergnügen gelesen. Ich glaube wohl, sie ist dein Meisterstück. Wie schön die sinnliche Anschaulichkeit, mit der alles Geschehen sich zu kleinen Katastrophen der äußeren Welt verdichtet: der Unfall Božkos, […], die Schlangenabenteuer, […], die Entführung.

Wie ist das Geschehen zugleich ungewöhnlich und gewöhnlich, fremd und zugleich heimlich und Zutrauen erweckend, und wie schön ist das Naturhafte dieser Menschenwelt, die Reinheit, die nur reine Spiegel eines dichterischen Gemütes so rein zurückstrahlen konnte. Hier zum ersten Mal fühle ich in [Dir] (und nun auf immer) nicht nur den dichterisch begabten Menschen, sondern den Dichter.

Meine Freude war groß und wird nachhaltig sein, mein guter Robert, denn was ist woltuender als ein reines Wollen und Gelingen bei einem Mitlebenden, Befreundeten, dem man in die Augen sehen kann! […]

(Hugo von Hofmannsthal an Robert Michel, 1913)

Michel war in erster Linie Epiker und nicht Dramatiker. Dennoch wurden einige seiner epischen Arbeiten als dramatische Fassungen aufgeführt – so auch „Die Häuser an der Džamija“ unter dem Titel „Muharrem der Christ“.

Am 27. August 1918 setzte Leopold von Adrian, Generalintendant der Hoftheater, ein Dreierkollegium zur Führung der Geschäfte am Burg- und Akademietheater in Wien ein: Hermann Bahr, Max Devrient und Robert Michel, der als „Vertreter für die Generalintendanz“ tätig war. Dieses Kollegium bestand jedoch nur bis 2. November 1918 – also ungefähr zwei Monate. Als im Herbst 1918 die Monarchie aufgelöst wurde und eine „Deutsch-Österreichische Provisorische Nationalversammlung“ die Regierungsgeschäfte übernahm, wurden auch die Hoftheater aufgelöst. Nach dieser Tätigkeit gab Michel seinen Offiziersberuf auf und arbeitete von nun an als freier Schriftsteller mit großen finanziellen Sorgen.

Daß nach 1918 die südslawische Thematik immer seltener Inhalt seiner Werke ist, hat seine Ursache darin, daß diese Gebiete Österreich verlorengingen und somit der aktuelle Bezug fehlte. Nach dem Ersten Weltkrieg versuchte sich Michel mehr beim Film. Michels Ruf als Prosaist war jedoch nicht verklungen, was zahlreiche Literaturpreise belegen. Die letzten Romane und ihre Thematik dienen als Beweis für Michels nostalgisches Festhalten an der Welt der k.u.k.-Monarchie: „Jesus im Böhmerwald“ (1927), „Die Augen des Waldes“ (1946) und „Die allerhöchste Frau“ (1947).

1933 übernahm Michel einen Feuilletonvertrieb – R.O.M.I. (= Robert Michel) – und vermittelte erzählende Prosa österreichischer Schriftsteller an Tageszeitungen und Zeitschriften, wie zum Beispiel Josef Friedrich Perkonig, Max Kammerlander, Cäcilie Tannings, Paul Anton Keller und Hermann Hesse. 1946, als seine rechte Hand Cäcilie Tandler starb, gab Michel den Vertrieb auf. Einige Wochen, nachdem das Bundesministerium für Unterricht Robert Michel den Titel „Professor“ verliehen und ihn die Stadt Wien mit einer Ehrenmedaille geehrt hatte, erlitt der Schriftsteller 1951 einen Schlaganfall. Robert Michel starb am 12. Februar 1957 in Wien.

Hans Heinz Hahnl zählt Robert Michel zu den „Verschollenen“ der österreichischen Literatur. Selbst das Verdienst, die bosnisch-herzegowinische Landschaft und ihre pittoresken muslimischen Bräuche für die österreichische Literatur entdeckt zu haben, wurde über den engeren Kreis der Gönner und wenigen Leser hinaus substanziell nie wahrgenommen. Ziel dieser Neuauflage des Romans „Die Häuser an der Džamija“ soll es sein, dem Vergessen ein wenig entgegenzuarbeiten – die Konturen dieser am Rande der österreichischen Literaturgeschichtsschreibung gebliebenen Figur wieder zum Leben zu erwecken.

Mag. Sabine Wimmer

Die Häuser an der Dzamija

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