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II. Historische Entwicklung der E-Vergabe

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Die Freigabe der Nutzung elektronischer Kommunikationswege ist nicht etwa eine Entwicklung der umfangreichen Vergabereform, angestoßen durch die RL 2014/24/EU, RL 2014/25/EU sowie RL 2014/23/EU und deren zwingende Umsetzung in die nationale Gesetzgebung. Sondern dieses Ergebnis ist letztlich die Folge einer fortwährenden Weiterentwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologie, die insbesondere eine Hinwendung zu webbasierten Kommunikationswegen umfasst.

Die ursprünglichen Fassungen der nationalen Vergabeverordnungen stammen noch aus der Zeit der Weimarer Republik,29 in der moderne Kommunikationsmittel noch Illusion und Träumereien waren.

Europäisiert wurde das Vergaberecht erstmals durch die Vergaberichtlinie RL 71/305 für Bauaufträge und die RL 77/62 für Lieferaufträge.30 Ausgangspunkt des modernen Vergaberechts waren die RL 93/36/EWG, RL 93/37/EWG, RL 92/50/EWG und RL 93/38/EWG sowie die RL 97/52/EG, die als Begründungsversuch einer einheitlichen europäischen Auftragsvergabe verstanden werden können.31

Die Hinwendung zu elektronischen Mitteln begann mit der RL 97/52/EG32 sowie der RL 98/4/EG.33 Der Ursprung dieser Initiative liegt im damaligen Modernisierungsbedarf des Vergaberechts im Rahmen der notwendigen Umsetzung der Vorgaben des WTO-Beschaffungsübereinkommens.34 Um die neuen Kommunikationsmöglichkeiten nutzbar zu machen, wurde im Beschaffungsübereinkommen lediglich festgelegt, dass mittels moderner Technik übersendete Angebote genauso verbindlich sind wie Angebote in Schriftform.35

Die RL 97/52/EG zählt – neben der durch das WTO-Übereinkommen zugelassenen Fernkopie – auch die webbasierte Kommunikation als zugelassenen Kommunikationsweg auf.36 Konkret regeln die Richtlinien, dass die Mitgliedstaaten auch die elektronische Einsendung von Angeboten zulassen können, soweit gewährleistet ist, dass jedes Angebot die notwendigen Inhalte enthält und die Vertraulichkeit des Angebots gewahrt wird. Soweit notwendig, kann eine umgehende schriftliche Bestätigung der auf anderem Wege eingereichten Angebote vorgenommen bzw. verlangt werden. Abschließend verlangt die Richtlinie, dass die Öffnung der Angebote erst nach Ablauf der Frist erfolgt.37

Die RL 98/4/EG ist an dieser Stelle über die Regelung der RL 97/52/EG hinausgegangen, da erstmals explizit sonstige elektronische Übertragungswege in einer RL niedergelegt worden sind.38

Die nationale Umsetzung dieser europäischen Vorgaben erfolgt mit der Neufassung der Vergabeverordnung im Verkündungsstand 2001. In § 15 VgV wird es öffentlichen Auftraggebern ermöglicht, digitale Angebote – soweit weitere Vorgaben bzgl. elektronischer Signaturen und Verschlüsselung eingehalten worden sind – zuzulassen. Parallel dazu werden in die (damals noch Verdingungsordnungen genannten) Verordnungen Regelungen zur elektronischen Vergabe eingeführt.39 Teil dieser Reform ist u.a. auch die Einführung der elektronischen Vergabebekanntmachung gewesen.40

Die nächsten Schritte, welche die eVergabe in ihrer Ausbreitung unterstützt haben, sind die Richtlinien der Europäischen Union 2004/17/EG und 2004/18/EG. Die Ausrichtung beider Richtlinien zielt von vorneherein auf eine Gleichstellung des Verfahrens mit elektronischen Kommunikationsschritten mit den althergebrachten schriftlichen Verfahren.41 Mit Fug und Recht haben diese europäischen Richtlinien länger als eine Dekade (bis zu den Richtlinien 2014) das Herz des europäischen Vergaberechts gebildet.42 Beide Richtlinien erlauben die optionale Nutzung elektronischer Kommunikation im Rahmen eines Vergabeverfahrens.43 Dabei definiert die RL 2004/18/EG, dass ein elektronisches Verfahren dann gegeben ist, wenn elektronische Geräte für die Verarbeitung (ggf. auch Kompression) und Speicherung von Daten zum Einsatz kommen und dabei Informationen mittels verschiedener technischer Möglichkeiten übertragen, weitergeleitet und empfangen werden können.44

Mit beiden Richtlinien RL 2004/17/EG bzw. RL 2004/18/EG wird es erstmals auch zur Vorgabe gemacht, dass Vergabebekanntmachungen elektronisch vorzunehmen sind. Auch das Internet wird zur Bereitstellung der Vergabeunterlagen zugelassen.45 Elektronische Kommunikation ist durch die Freigabe in den Richtlinien in allen Phasen der Beschaffung gestattet. Rückblickend war dies die Geburtsstunde der echten eVergabe.46

Gleichfalls sind mit den beiden vorgenannten Richtlinien dynamische Beschaffungssysteme sowie elektronische Auktionen eingeführt worden. Dynamische Beschaffungssysteme sind nach Vorstellung der Richtlinie vollelektronische Verfahren, in denen marktübliche Leistungen zeitlich befristet eingekauft werden können.47 Elektronische Auktionen hingegen werden lediglich in einer besonderen Verfahrensform (einem europaweiten Verhandlungsverfahren mit vorgelagerten öffentlichen Teilnahmewettbewerb) zugelassen,48 wobei Preise direkt nach unten korrigiert werden können.49 Dies führt dazu, dass dieses Verfahren angesichts eines ständigen nach unten gerichteten Preisdrucks gegenüber potentiellen Teilnehmern dieses Verfahrens schon vor der Einführung kritisch bewertet worden ist.50

Im Rahmen dieser Anpassungen sind 2009 sowohl das GWB51 als auch die Vergabeverordnungen, die als grundlegende Prozessanweisungen für die Verfahren zur Vergabe von Liefer- und Dienstleistungen (im Fall der VOL/A), die Vergabe von Bauleistungen (im Fall der VOB/A) sowie von freiberuflichen Leistungen (nach der VOF) zu verstehen sind, überarbeitet worden. In die Überarbeitung einschlossen wurde die Informationsübermittlung auf elektronischem Wege (u.a. nach § 11 VOL/A oder § 13 EG VOL/A), soweit ein ungehinderter Zugriff auf die Vergabeunterlagen gewährt wurde.52 Auch die Bekanntmachungen müssen im Fall von Liefer- und Dienstleistungen, soweit elektronisch vorgenommen, entweder an das EU-Amtsblatt oder über die Veröffentlichungsplattform des Bundes vorgenommen werden.53 Mittlerweile finden die Bekanntmachungen ausschließlich elektronisch mittels des EU-Ausschreibungsdienstes Tenders Electronic Daily (TED) statt,54 zumal sich damit als maßgeblicher Vorteil eine Fristverkürzung im Vergabeverfahren einstellt,55 die dann zu einer Verfahrensbeschleunigung führt. Soweit im jeweiligen Vergabeverfahren bzgl. Liefer- oder Dienstleistungen eine elektronische Übermittlung zugelassen ist, ist im Regelfall dafür eine elektronische Signatur zu verwenden.56 Die Öffnung der Angebote muss nach der Reform die elektronische Übermittlung berücksichtigen. Dies wird dadurch realisiert, dass gemäß § 14 VOL/A bzw. § 17 EG VOL/A solche Angebote bei Eingang mit einem elektronischen Zeitstempel zu versehen sind und ein vorzeitiges Öffnen des Angebots ausgeschlossen werden soll.57 Die Öffnung der elektronisch eingereichten Angebote umfasst die Prüfung der Rechtsgültigkeit der Signatur sowie das Aufheben einer Verschlüsselung, welche den vorfristigen Zugriff auf das Angebot verhindern soll.58 Auch der Zuschlag kann (gemäß § 18 VOL/A bzw. § 21 EG VOL/A) bereits im Rahmen einer zulässigen elektronischen Kommunikation erteilt werden, soweit eine entsprechende elektronische Signatur durch den öffentlichen Auftraggeber verwendet worden ist.59

Des Weiteren wurde das dynamische elektronische Verfahren (in § 5 VOL/A sowie § 5 EG VOL/A)60 in die Vergabeverordnung (VgV a.F.) überführt; allerdings hat der Gesetzgeber – trotz einer gesetzlichen Umsetzung der elektronischen Auktion im GWB – auf die Einführung der elektronischen Auktionen in der VgV a.F. verzichtet.61

In der Zwischenzeit hat die EU-Kommission begonnen, im Rahmen ihres Vorschlages KOM (2011) 896/2 die eigentliche eVergabe – in Gestalt einer verpflichtenden elektronischen Kommunikation – vorzubereiten. Dieser Vorschlag ist Teil der Strategie zu Europa 2020, die zum Ziel hat, Europa durch wirtschaftliches Wachstum noch stärker zu einem gemeinsamen Wirtschaftsraum zu verschmelzen.62 Schon im Vorschlagstext wurde eben jene Verpflichtung der elektronischen Kommunikation festgehalten, da die Übermittlung von Bekanntmachungen in elektronischer Form, ebenso wie die elektronische Verfügbarmachung von Ausschreibungsunterlagen sowie die ausschließliche elektronische Kommunikation (insbesondere eine elektronische Einreichung von Angeboten) zum künftigen Standard erklärt wurde.63

29 Burgi, Vergaberecht, 2017, § 2 Rn. 2; Noch, in: Noch, eVergabe, 2014, Kapitel 1 Rn. 12. 30 Müller, in: Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, 2016, Rn. 1. 31 Müller, in: Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, 2016, Rn. 2f.; Wankmüller, in: Soudry/Hettich, Vergaberecht, 2014, S. 218. 32 EU ABl. L 328 (Amtsblatt Nr. L 328) v. 28. November 1997. 33 EU ABl. L 101 (Amtsblatt Nr. L 101) v. 1. April 1998. 34 Noch, in: Noch, eVergabe, 2014, Kapitel 1 Rn. 14. 35 Noch, in: Noch, eVergabe, 2014, Kapitel 1 Rn. 14; Siegel, LKV 2017, S. 385; Wankmüller, in: Soudry/Hettich, Vergaberecht, 2014, S. 218. 36 Müller, in: Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, 2017, § 9 VgV, Rn. 9; Rechten, NZBau 2004, S. 366 (369). 37 RL 97/52/EG Art. I Nr. 6; Noch, in: Noch, 2014, Kapitel 1 Rn. 16. 38 RL 98/4/EG Art. 1 Nr. 7; Antweiler, CR 2001, S. 717 (719); Noch, in: Noch, 2014, Kapitel 1 Rn. 17. 39 Noch, in: Noch, eVergabe, 2014, Kapitel Rn. 20. 40 Antweiler, CR 2001, S. 717 (720). 41 Rechten, NZBau 2004, S. 366 (370); Noch, in: Noch, eVergabe, 2014, Kapitel 1 Rn. 47. 42 Burgi, Vergaberecht, 2018, § 3 Rn. 39. 43 Müller, in: Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, 2017, § 9 VgV, Rn. 12; Siegel, LKV 2017, S. 385 (386), Wankmüller, in: Soudry/Hettich, Vergaberecht, 2014, S. 217 und S. 219. 44 Graef, NZBau 2008, S. 34 (35); Hertwig, Auftragsvergabe, 2016, Rn. 36. 45 Hertwig, Auftragsvergabe, 2016, Rn. 36; Noch, Vergaberecht, 2016, Rn. 566. 46 Noch, in: Noch, eVergabe, 2014, Kapitel 1 Rn. 58. 47 RL 2004/18/EG Art. 1 Abs. 6; RL 2004/17/EG Art. 1 Nr. 5; Müller/Ernst, NJW 2004, S. 1768 (1772); Noch, in: Noch, eVergabe, 2014, Kapitel 1 Rn. 52. 48 Müller/Ernst, NJW 2004, S. 1768 (1772). 49 RL 2005/17/EG Art. 56; RL 2004/18/EG Art. 54. 50 Noch, in: Noch, eVergabe, 2014, Kapitel 1 Rn. 56 mit Verweis auf eine Stellungnahme des BDI aus 2008: „Kritisch zu bewerten ist vor allem die Tendenz zu ruinösem Preisdruck bei umgekehrten Auktionen.“ 51 BGBl. I v. 23. April 2009, S. 790ff. 52 Noch, in: Noch, eVergabe, 2014, Kapitel 1 Rn. 121 und Rn. 156. 53 Noch, in: Noch, eVergabe, 2014, Kapitel 1 Rn. 126ff. 54 Hertwig, Auftragsvergabe, 2016, Rn. 39. 55 Noch, in: Noch, eVergabe, 2014, Kapitel 1 Rn. 49. 56 Rechten, NZBau 2004, S. 366 (370); Noch, in: Noch, eVergabe, 2014, Kapitel 1 Rn. 132. 57 Noch, in: Noch, eVergabe, 2014, Kapitel 1 Rn. 136. 58 Noch, in: Noch, eVergabe, 2014, Kapitel 1 Rn. 138. 59 Rechten, NZBau 2004, S. 366 (370); Noch, in: Noch, eVergabe, 2014, Kapitel 1 Rn. 148f. 60 Noch, in: Noch, eVergabe, 2014, Kapitel 1 Rn. 141. 61 Noch, in: Noch, eVergabe, 2014, Kapitel 1 Rn. 145ff. 62 Mertens, in: Taeger, Smart World – Smart Law, 2016, S. 853; Opitz, NZBau 2014, S. 129; Noch, in: Noch, eVergabe, 2014, Kapitel 1 Rn. 64; Oberndörfer/Lehmann, BB 2015, S. 1027 (1028); Wankmüller, in: Soudry/Hettich, Vergaberecht, 2014, S. 216 und S. 220. 63 KOM (2011), 896/2, 10; Stoye, NZBau 2016, S. 457 (458); Wankmüller, in: Soudry/Hettich, Vergaberecht, 2014, S. 217.

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