Читать книгу Die Mangrovenblüte - Robin Kerr - Страница 4
1.Havanna 2005
ОглавлениеWie jeden Nachmittag genoss die ältere Dame ihren Kaffee im Arkadengang des Hotels Inglaterra und beobachtete von dort aus das quirlige Treiben am Paso del Prado.
Obwohl ihr Haar etwas zerzaust und ihre Kleidung ein wenig in die Jahre gekommen war, konnte man anhand ihrer feinen Mimik erkennen, dass der Horizont ihrer Gedankenwelt weit über das ortsübliche hinausging.
Die vielen Falten und Fältchen konnten ihren vom Leben beschriebenen Gesicht seine angeborene Schönheit auch nach den Jahren nicht wirklich etwas anhaben, zumal es meistens von einem zarten Lächeln umgeben war und sorgenvolle Ausdrucke nie lange verweilten.
Ihre ausgetretenen Schuhe schimmerten in seidenmatt wie ihr graues Haar und ihre glasigen Augen glänzten wie der abgegriffene Knopf ihres Portemonnaies.
“Una Vida Triste“, könnte man nun meinen - zu Unrecht, wie der geübte Beobachter festhalten muss, denn ein zartes Lächeln, wenn es denn aus der Seele kommt, wiegt mehr als tausend Falten.
Die alte Dame saß mit dem Gesicht zur Straße, ihre Aufmerksamkeit aber galt dem Tisch hinter ihr, wo ein kaffeebraunes Mädchen und zwei blass weiße junge Männer versuchten sich in gebrochenem Englisch zu verständigen und offensichtliche Schwierigkeiten damit hatten, denn einigen dahin gestammelten Wörtern folgten nur fragende Blicke.
Zwar versuchte das Mädchen sich wieder ein Lächeln zu entreißen, aber wenn sie im selben Moment verstohlen um sich sah, entlarvte das ihr Unbehagen.
Als einer der beiden Männer mit stählernem Grinsen ein Bündel Geldscheine aus den Hosentaschen zog und einige davon demonstrativ auf den Tisch blätterte, hob sich die Stimmung zusehends.
Eifrig machten sie sich nun daran ihre Mojitos zu leeren, um nach der Rechnung zu rufen. Somit war nun auch klar, was die Gegenleistung für eine Hand voll Pesos war. Im Allgemeinen jedenfalls.
Als sich die Drei nun augenscheinlich bestens gelaunt anschickten sich auf den Weg zu machen, griff die alte Dame nach dem Unterarm des gerade vorbeigehenden Mädchens und flüsterte mit entschlossenem Ausdruck »ciento por ciento cubano«.
Die Eindringlichkeit und Bestimmtheit, mit der sie diese Worte in die Gruppe der jungen Menschen gehaucht hatte, ließ das Mädchen kurz innehalten und einen verschreckten Blick nach ihr werfen.
Als sich ihre Blicke für einen Moment trafen, begegneten einander zwei Welten so gegensätzlich und doch so gleich.
Für den Bruchteil einer Sekunde herrschte weder Raum noch Zeit, sondern nur das Sein, gefangen in einer Blase der Ewigkeit.
»Socialismo o muerto, eh«, mit diesen Worten betonierte das Mädchen förmlich die Gegenwart zurück und riss mit einem spöttischen, ja geradezu verächtlichen Lachen ihren Arm los, um sogleich ein Wortgefecht bester kubanischer Tradition zu eröffnen, um nebenbei jeden eifrig zuhörenden Ausländer an den dabei entstehenden Klängen zu erfreuen - ohne freilich dem Inhalt folgen zu können.
Obzwar dieses » theatro del mundo « nur einige Sekunden andauerte, hielt alles Treiben ringsum still, da die Aufmerksamkeit sich nur auf dieses Schauspiel fokussierte, um sich im nächsten Atemzug wieder im Getöse der Stadt sowie im allgegenwärtigen Gestank der Autos zu verlieren.
Das Mädchen war schweigsam geworden und ihre Gesichtszüge wie Schultern hingen deutlich mehr als die der Alten.
Die beiden jungen Männer blickten wieder ratlos umher und drängten schließlich mit gewohnter Sprachbegabung zum Aufbruch.
Die alte Dame aber bat das Mädchen an ihrem Tisch Platz zu nehmen und instruierte den beiden jungen Männern, in feinstem Englisch gesprochen, dass die junge Lady nicht länger an ihren Diensten interessiert sei, zog ihr Portemonnaies aus der Tasche, nahm ein paar Geldscheine heraus, legte sie auf den Tisch und forderte die verdutzten Männer auf sie zu nehmen und zu gehen. Und genau so geschah es auch.
Dann setzte sich die alte Dame, die in unglaublichem Charisma erstrahlt war neben das Mädchen, das inzwischen feuchte Augen bekommen hatte, und bat sie ein wenig zuzuhören, denn sie erinnere an ein Mädchen, das sie vor langer Zeit einmal kannte: