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Moderne, erschöpft
Оглавление»Ungenau«, so Ihab Hassan 1973, bedeutet Postmoderne »die Erschöpfung der Moderne« (Hassan 1975, S. 12), so wie der Literaturwissenschaftler John Barth 1967 von der modernen »Literatur der Erschöpfung« gesprochen hatte.
Ihab Hassan bestimmt elf Merkmale der Postmoderne:
1 Unbestimmtheiten. »Hierunter fallen alle Arten von Ambiguitäten, Brüchen, Verschiebungen innerhalb unseres Wissens und unserer Gesellschaft.«
2 Fragmentarisierung – als Ursache der Unbestimmtheiten. Sie resultiert aus der »Verachtung jeglicher ›Totalisierung‹, jeglicher Synthese ...«
3 Auflösung des Kanons, das heißt Entlegitimierung gesellschaftlicher Normen; eine Subversion, die ihren schauerlichen Ausdruck im Terrorismus findet, ihren positiven Ausdruck indes im »Entstehen von Bewegungen gesellschaftlicher Minderheiten oder etwa in der Feminisierung der Kultur«.
4 Verlust von ›Ich‹ und ›Tiefe‹. »Das Ich löst sich auf in eine Oberfläche stilistischer Gesten, es verweigert, entzieht sich jeglicher Interpretation.«
5 Das Nicht-Zeigbare, Nicht-Darstellbare; das heißt, die postmoderne Kunst ist »irrealistisch, nicht-ikonisch«.
6 Ironie (Perspektivismus): Spiel, Wechselspiel, Dialog, Polylog, Allegorie, Selbstspiegelung und Reflexivität als Ausdruck permanenter Schöpfungstätigkeit des menschlichen Geistes.
7 Hybridisierung – als Genre-Mutationen: Parodie, Travestie, Pastiche, im Sinne einer »Entdefinierung« und Deformation kultureller Genres.
8 Karnevalisierung. Im Sinne Bachtins: das Anti-System – eine »fröhliche Relativität« der Dinge.
9 Performanz und Teilnahme. Unbestimmheit als Praxis, das meint »Perspektivismus und Performanz, Teilnahme am wilden Durcheinander des Lebens ... Immanenz des Lachens«.
10 Konstruktcharakter. Die Postmoderne arbeitet »auf radikale Weise mit Tropen, figurativer Sprache, mit Irrealismen ...«
11 Immanenz. »Sie verwandelt alles in Zeichen ihrer eigenen Sprache; Natur wird zu Kultur und Kultur zu einem immanenten semiotischen System. Dies ist die Zeit des Menschen als sprachliches Wesen, sein Maß ist die Intertextualität allen Lebens.« (Hassan, ›Postmoderne heute‹ in: Welsch (Hg.), ›Wege aus der Moderne‹, S. 47–56)
Die Moderne ist als die Epoche bezeichnet worden, die sich selbst legitimiert und sich nicht auf höhere, der Geschichte übergeordnete Instanzen (Religion, Gott, Schicksal) beruft, sondern ihren geschichtlichen Entwurf – das Versprechen auf Verwirklichung des freien Individuums in einer freien Gesellschaft – aus ihrer eigenen Logik und ihren eigenen Idealen heraus begründet: Die Vernunft beziehungsweise die Vernünftigkeit der Welt bilden das Programm der Moderne, das die Fähigkeit zur Selbstkritik einschließt. Grundlage ist die totalisierende Einheit aus Vernunft (Rationalität), Sinn (konsistente Bedeutung) und Geschichte sowie ein seine Geschichte und sich selbst bestimmendes Subjekt (der freie Mensch). Gleichzeitig ist die Moderne die Epoche, die wie keine andere zuvor im Widerspruch zu ihren Postulaten steht: Dieselbe Vernunft, die zum Programm der Aufklärung wurde, hat auch ein soziales wie technologisches Zerstörungspotenzial und eine rational organisierte Politik und Ökonomie der Vernichtung hervorgebracht; der proklamierte Fortschritt als höchster Sinn der Moderne hat sich im selben Maße als Rückschritt und Zivilisationsbruch erwiesen, mit verheerenden Folgen, denen man nur zynisch Sinn zu unterstellen vermag; das Subjekt droht an den sozialen wie individuellen Widersprüchen zu scheitern, ohne dass es sich in Freiheit verwirklicht hat. Kurzum: In der Perspektive der postmodernen Kritik der Moderne erscheint diese zugleich produktiv und destruktiv.
»Postmoderne in ihrer durch die schnelle Vermarktung verflachten Form ist ein leicht verständlicher Begriff, der alle Erwartungen erfüllt, die man in ein Schlagwort setzen kann, er bedient den Common Sense ... Die Moderne wird zum Sündenbock für alles, was man nicht mag, im Post aber ist man dann fein raus.«
Peter Engelmann, ›Einführung‹, in: Postmoderne und Dekonstruktion‹
In diesem kritischen Befund über die Moderne sind sich die unterschiedlichen Postmoderne-Theorien einig, unabhängig davon, ob die Postmoderne nun als Krise der Moderne, als Endzeit oder Stillstand der Moderne, als Zerfallsform der Moderne oder als reflektierte Stufe der Moderne verstanden wird.
»Was nennen wir die Postmoderne? ... Ich muss sagen, dass ich Schwierigkeiten habe, darauf zu antworten, weil ich niemals richtig verstanden habe, was eigentlich mit dem Wort Moderne gemeint ist.«
Michel Foucault
Im Namen der Postmoderne werden die Leitmotive der Moderne grundsätzlich in Frage gestellt, aber eben nicht im Sinne einer Korrektur oder Neuformulierung dieser Leitmotive, sondern durch ihre Radikalisierung. Diese postmoderne Radikalisierung der Moderne ist als Pluralisierung gefordert worden. So spricht Ihab Hassan von einer nötigen »Re-Vision der Moderne«; und Jean-François Lyotard hat sich sogar vom Begriff der Postmoderne distanziert, weil er nicht einer modischen Beliebigkeitsthese das Wort reden wollte, und stattdessen von einer »redigierten Moderne« gesprochen. Seine These lautet: Man muss postmodern gewesen sein, um wirklich modern zu werden. Insofern ist die Postmoderne immer beides: der Bruch mit der Moderne und der Zustand nach diesem Bruch. Die Postmoderne hat darin experimentellen Charakter und kann sogar als rettender und äußerster Selbstversuch der Moderne gelten.
Der marxistische Literaturwissenschaftler Fredric Jameson hat die Postmoderne als »Spannungsfeld« beschrieben, »in dem sich sehr unterschiedliche kulturelle Impulse behaupten müssen«. Jameson nennt fünf Merkmale der Postmoderne:
1 Eine neue Oberflächlichkeit, das heißt Verlust der Tiefendimension.
2 Der daraus resultierende Verlust der Historizität, nicht nur in Bezug auf das allgemeine Geschichtsverständnis, sondern auch in Hinblick auf das private Zeiterleben: Geschichte wird schizophren.
3 Das führt zu einer »völlig neuen emotionalen Grundstimmung«, gekennzeichnet durch »Intensitäten« und durch das Gefühl des Erhabenen.
4 Eine neue, die soziale wie ökonomische Struktur bestimmende postmoderne Räumlichkeit, bedingt und abhängig von der neuen Technologie.
5 Neue Maßgaben für eine politische Kunst innerhalb des »verwirrenden neuen Welt-Raums des multinationalen Kapitals«. (Jameson, ›Zur Logik der Kultur im Spätkapitalismus‹, in: Huyssen/Scherpe (Hg.): ›Postmoderne. Zeichen eines kulturellen Wandels‹, S. 50)
Die Postmoderne stellt die Prämissen der Moderne in Frage. Eine reflektierte Postmoderne, die nicht bloß die Moderne verachtet und ihre Katastrophe zynisch feiert, kann als radikale Selbstkritik der Moderne gelten. Sie verwirft Aufklärung, Vernunft, Wahrheit und andere Grundbausteine der Moderne nicht, sondern versucht, das jeweils Ausgeschlossene, Andere und Unterdrückte dieser modernen Leitmotive zu realisieren.