Читать книгу friedvoll deutsch - Roland Reitmair - Страница 5
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ОглавлениеAn einem sonnigen Frühsommertag 1986 wanderte ich mit meinen Eltern zur Radeck-Alm. Dieses Ausflugsziel war in den 80ern längst kein Geheimtipp mehr – wer seinen Sommerurlaub in Bad Gastein verbrachte, kam um einen Besuch der Alm nicht herum. Das Gebiet gehört auch heute immer noch der Familie Czernin – einem ehemaligen Grafengeschlecht der KuK-Monarchie. Gepachtet hatte die Alm zu der Zeit eine eingesessene Bauernfamilie aus dem Gasteinertal. Frau Meikel, die Bäuerin und zugleich lebenslange Sennerin der Alm, hatte einen besonderen Charme. Ihr Kaiserschmarren, ihre Bretteljause und der Selbstgebrannte waren legendär. Sie hatte immer eine Flasche „Selbstgebrannten“ in der Küche – Schnaps aus dieser Flasche wurde allerdings ausschließlich Einheimischen kredenzt, Touristen würden ohnehin viel lieber den Industriekorn trinken…
Nicht nur die Sennerin und ihr Schnaps, sondern auch die Tatsache, dass die Radeck-Alm quasi am Heimweg von einigen sehr anspruchsvollen und wunderschönen Bergtouren lag, zeichneten dafür verantwortlich, dass sich dort im Sommer fast jeden Tag Einheimische einfanden, die oft bis spät in die Nacht lachten, tranken und musizierten – was wiederrum als Touristenmagnet wirkte.
An besagtem Tag – es war Samstag, der 28. Juni 1986 – machten sich meine Eltern mit uns auf den Weg in die Alm. Schon bald holten wir deutsche Touristen ein, und wie das in Österreich am Land so der Brauch ist, grüßten wir die Leute. Diese erwiderten den Gruß – nicht ohne festzustellen, welch freundliches Volk die Österreicher wären, sogar der „Halbwüchsige“ würde Grüßen… - „wie alt biste denn überhaupt?“ „Dreizehn“, erwiderte ich schon viel weniger freundlich. Nichtsdestotrotz entwickelte sich zwischen meinen Eltern und den Touristen ein angeregtes Gespräch. Mutter kannte die Gegend in Deutschland, wo die Leute her waren, Vater wiederrum konnte als eingefleischter Bergsteiger alle Fragen nach den Bergen rundum beantworten.
Irgendwann kam es wie es kommen musste – der Deutsche fragte mich, ob ich Fußball spielen würde. Nein sagte ich, bin Schifahrer, gehe im Sommer auch ganz gern bergsteigen und manchmal klettern… Meine Ausführungen ignorierte er: „Aber interessieren für Fußball tuste dich schon oder?“
„Naja“, sagte ich, „ich weiß, dass gerade WM ist und ich weiß wie super der Maradona spielt, aber sonst nicht viel“.
„Ja der spielt morgen auch“, meinte er, und zwar würde Deutschland gegen Argentinien spielen.
„Maradona spielt? Ich dachte der wäre Italiener?“
„Nein, isser nich. Iss Argentinier“.
„Aha.“
„Und zu wem hältste morgen dann?“
„Na zu Argentinien natürlich. Maradona wird Deitschlond wegschießen…“
„Aber Roland“, sagte meine Mutter…
„Doch, doch“, ich wurde euphorisch, „der wird den Deitschen zeigen, wie man wirklich Fußball spielt…“
Jetzt wurde das Gesicht des Mannes lang. Er erklärte mir kurz die Vorzüge der deutschen Mannschaft, die Kampfkraft einzelner Spieler, und dass es eben ein Kollektiv wäre, eine Mannschaft und nicht irgendwelche viel zu hoch gepriesenen Einzelspieler. Von Taktik redete er und von Aufstellung, von hartem Training und dem besten Teamchef – dem Kaiser Franz.
Nun war ich verwirrt – warum ist der Klammer Teamchef von Deutschland? Was hat der mit Fußball zu tun? „Nein“, sagte der Mann und fühlte sich irgendwie verhöhnt – er rede vom Beckenbauer.
„Aha – ja schon mal gehört. Aber Kaiser Franz – das ist der Klammer und kein Piefke.“
Wieder ermahnten mich die Eltern, „Piefke“ würde sich nicht gehören. Jetzt erst wurde der Tourist hellhörig, das in Österreich weit verbreitete Schimpfort für Deutsche, kannte er gar nicht. Durch meine Eltern aufgeklärt, wurde er jetzt aber sehr ernst. Ihm sei vorher schon mein respektloses „Deitsche“ aufgefallen und Österreicher würden generell neben ihrer Höflichkeit eben oft auch so eine latente Deutschfeindlichkeit an den Tag legen, aber er sei keine Melkkuh, sowas müsse er sich im Urlaub nicht bieten lassen…
„Wir sprechen doch alle eine Sprache – woher kommt denn dieser blinde Hass auf Deutschland?“
Meine Beteuerungen, dass „Deitsche“ nicht böse gemeint war, sondern eine Eigenheit meines Dialektes ist und mir Piefke eben nur so rausgerutscht wäre, halfen nichts. Er versuchte nun der Sache auf den Grund zu gehen. Ein Seitenblick auf meine Mutter sagte mir, dass ihr die Sache sehr unangenehm war, ein Seitenblick auf meinen Vater genügte um mich zu vergewissern, dass es ihm nicht nur unangenehm war, sondern dass langsam aber sicher die forsche Art des Herren auch bei ihm seine Wirkung zeigte. Er redete kein Wort mehr und beschleunigte seine Schritte.
Meine Mutter, herzensgut und weltgewandt, versuchte irgendwie die Situation zu beruhigen: Österreicher sind nicht deutschfeindlich, im Gegenteil wir mögen nicht nur die Touristen, wir leben ja auch zu einem Gutteil von dem Tourismus in Österreich – und es wäre schon ein wenig dumm, wenn man Leute bewirten würde, die man gar nicht mag…
Woher dann meine Deutschfeindlichkeit kommen würde?
„Wir machen in Geschichte gerade den zweiten Weltkrieg durch“, ätzte ich, „Deutschland hat Österreich überfallen und annektiert – wir waren sogar in Mauthausen...“ Dass der Lehrer uns auch von den Massen am Wiener Heldenplatz erzählt hat, die dem Führer zugejubelt hatten, ließ ich unerwähnt – was glaubte der Typ eigentlich? Kommt hier her und bringt seine Politik mit auf unsere friedliche Alm?!
Auf dem Gesicht des Herrn machte sich schlagartig eine ungesunde Röte breit… Jetzt war Mutter gefragt und sie brillierte. Wie eine gelernte Diplomatin warf sie das Argument „Naja – Hitler war jedenfalls Österreicher“ in die Diskussion und lenkte über einige Episoden österreichischer Nationalsozialisten geschickt vom Thema ab. Irgendwann wich die Röte wieder aus dem Gesicht des Mannes und völkerverbindend versöhnlich hielt er mir die Hand her: „Komm wir lassen es gut sein…“ meinte er, „aber wir wetten auf das Ergebnis morgen. Wenn Argentinien gewinnt, zahl ich nen Kasten Bier – wenn Deutschland gewinnt, dann zahlste du, ja?!“
Ich schlug ein. „Roland, du hast kein Geld“, mahnte mein Vater – ich schaute zur Mutter. Die nickte nur. „Gut“, sagte ich, „ein Kasten Bier, von mir aus, die Eltern werdens schon austrinken…“
Dann kam der Abend des 29.06.1986 und der Morgen am Tag danach – ich wusste in welcher Pension der „Deitsche“ wohnte, aber er zahlte die Wettschuld nicht und ließ sich auch nicht mehr blicken.