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ОглавлениеDer Prozess, der zu einer (Ver)Einigung der vielen kleinen Grafschaften und Herrschaftsansprüche in Mitteleuropa und letztlich zu zwei (verfeindeten) Kaiserreichen führte, verankerte sich jeweils im kollektiven Geschichtsgedächtnis durch plakative und teilweise unwahre Parolen oder „Werbebotschaften“ – stellvertretend das „tu felix austria nube“ der Habsburger, und das von berliner Studenten (quasi künftigen Dichtern und Denkern) gesungene Spottlied über Wilhelm I:
„Schlächtermeister Prinz von Preußen
komm doch, komm doch nach Berlin!
Wir wollen dich mit Steinen schmeißen
und die Barrikaden ziehn“.
Hegemoniale Bestrebungen gab es im Laufe der Geschichte deckungsgleich in beiden Herrscherdynastien, aber die Wahrnehmung differierte völlig… In Österreich wurde (nach dem Wiener Kongress) das Bild des gütigen und durch Gottes Gnaden regierenden Kaisers etabliert, der als schützende Macht die vielen Völker und unterschiedlichen Regionen gerecht verwaltete und damit Reichtum und Sicherheit garantierte. Vielfalt, Toleranz und Weltoffenheit als Werte der eigenen Wahrnehmung standen in krassem Gegensatz zur (berechtigten) Kritik aus dem Ausland – vor allem aus Deutschland, bzw Preußen.
Dort wiederum trotzte die Eigenwahrnehmung dem Kaiserkult Wilhelms I und II, genauso wie der Verschlagenheit Bismarcks und schlug sich lieber konsequent auf die Seite der berühmten Dichter und Denker, als Idealbild des aufrechten und möglichst unabhängigen Bürgertums (siehe Spottlied). Diese ließen in denkwürdigen Schriften Werte hochleben, die am ehesten noch durch die Schlagwörter der Französischen Revolution beschrieben werden: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Dass der preußische Militärstaat im starken Gegensatz dazu stand und agierte, interessierte die Bürger Preußens so lange nicht, wie die Siege der Armee die eigene Stärke unter Beweis stellten (sowie Geld und Raum für philosophische Betrachtungen garantierten).
Der Knick im Hirn passierte – wie in Österreich – erst nach dem 2. verlorenen Weltkrieg. Eugen Roth meinte: „Die Hybris sitzt im Wesen tief, dem der (ger)manisch depressiv.“
100 Jahre vor dem Ende dieses vorläufig letzten Weltkrieges fiel die Saat der Dichter und Denker bei den Habsburgern auf fruchtbaren Boden – oder vielleicht war es auch nur wegen notorischem Geldmangel. Jedenfalls griffen sie Ideen gemeinsamer (Handels)Abkommen (in Anlehnung an das alte Hanse-Bündnis) auf und wollten auch rund um ihre Länder einen dadurch friedlich prosperierenden Wirtschaftsraum schaffen. Abgesichert und gestützt durch bilaterale Verträge wähnte sich Österreich sogar in der Position für Abrüstungspolitik – mit fatalen Folgen: Bismarck wollte die Vormachtstellung im Deutschen Bund und provozierte dafür (in geschickter Ignoranz eigentlich ausverhandelter Ergebnisse der Gasteiner Konvention) den Krieg – bei Königgrätz wurde Österreich nicht zuletzt die jahrelange Freistellung der Offiziere und die drastische, auch nach außen hin sichtbare Reduzierung der Militärausgaben (in Kombination mit einem fatalen Manöver) zum Verhängnis.
Doch schon im Erbfolgekrieg 1740, weitere 100 Jahre zuvor, nutzte Friedrich II diese „österreichische Schwäche“ (Abrüstung – damals noch durch die Entbehrungen aus den Türkenkriegen bedingt) zum preußischen Vorteil. Der gleiche Friedrich, der in Preußen die Folter abschaffte, sich für ein Ende der Leibeigenschaft einsetzte und sich mit den schönen Künsten, genauso wie mit Philosophie beschäftigte, stürzte halb Europa in den Krieg, nur um damit Maria Theresia und ihren Gemahl als Herrscher des römisch-deutschen Reiches zu verhindern.
Maria Theresia wiederum war bei weitem nicht so friedfertig oder gar friedliebend, wie man sie im österreichischen Geschichtsverständnis gerne hätte. Mit der immer wieder zitierten, angeblich friedvollen Heiratspolitik der Habsburger und damit verbundenen Phasen der Abrüstung war es nicht weit her – zwar wurden ganze Länder erheiratet, aber zudem wurde ausgiebig Krieg geführt. Wer die Geschichte des Hauses Habsburg liest, liest eine Liste von Kriegen.