Читать книгу Komm ja mit heiler Haut davon: Detektei Vokker: Ein Wien Krimi - Roland Heller - Страница 7

1

Оглавление

KALT ist der Glanz der kostbaren Steine, der Brillanten, Rubine, Saphire.

HEISS sind die Augen der Sammler, blind ihr Verlangen, diese Kostbarkeiten zu besitzen.

WILD ist die Leidenschaft derer, die solche Kostbarkeiten kennen und ihren Reichtum darauf bauen.

TÖDLICH wird die Leidenschaft, wenn das Glitzern der Steine die Vernunft lähmt.

*


Ich leerte mein Glas Wein – einen Blauen Zweigelt - und legte dem Mixer eine Zehnernote auf den Tresen. Das Trinkgeld legte ich daneben hin, da die Rechnung eine gerade Summe ausmachte. Als er mir das Wechselgeld herausgab, sagte unerwartet die Frau neben mir: „Würden Sie eine Ratte vor dem Ersaufen bewahren?“

Ohne viel Begeisterung zu zeigen, blickte sich sie an. Ich hatte befürchtet, dass sie mich ansprechen würde. Solche Dinge passieren nun mal, wenn man gegen Mitternacht in einem Bumslokal herumhängt. Ich war beruflich in diese Pinte gegangen, um einen meiner Informanten anzutreffen. Der Bursche war aber nicht aufgekreuzt.

Ich steckte die Münzen, die mir der Mixer in die Hand zählte, ein und musterte die Frau genauer. Das hatte ich bisher vermieden, denn natürlich war es mir längst aufgefallen, dass sie mich immer wieder verstohlen angestarrt hatte. Ich wusste nicht, was sie mit ihren Worten bezweckte. Wollte sie sich interessant machen? War sie betrunken? Oder suchte sie mit einer Masche, die sie für originell hielt, den üblichen Anschluss?

Sie war weizenblond, grauäugig und tadellos gewachsen, so um die achtundzwanzig herum. Harte, wenn auch keineswegs hässliche Züge. Ein Gesicht, dem in seiner Jugend nicht viel Anlass zum Lachen geboten worden war, und das auch später kaum Gelegenheit gefunden hatte, sich darin zu üben.

„Ich bin Emma“, sagte sie.

Ich nickte uninteressiert und glitt vom Barhocker. Der Zigarettenqualm hing wie dichter Morgennebel im Raum. Morgen würde wieder mein gesamtes Gewand danach riechen. Ich marschierte zur Tür. Wenn ich etwas hasste, dann waren es diese Mitternachtsbienen mit ihren alkoholgetränkten Sentimentalitäten und dem Wunsch, sich von einem zahlungskräftigen Kavalier trösten zu lassen.

Die Puppe folgte mir auf die Straße. „Sie haben meine Frage nicht beantwortet“, sagte sie. „Würden Sie eine gefährliche Giftschlange vor dem Zertretenwerden retten?“

Ich blieb stehen und pumpte frische Luft in meine Lungen. Mein Oldtimer Jaguar stand an der nächsten Straßenecke. Ich hatte plötzlich das Bedürfnis, schnell nach Hause und in die Federn zu kommen. Woran lag es bloß, dass dieser Wunsch immer dann auftauchte, wenn ich keine Chance hatte, ihn zu erfüllen?

„Sie haben die Frage das erste Mal anders formuliert“, stellte ich fest.

„Es kommt auf das Gleiche heraus“, erklärte die junge Frau. Sie schaute sich um. Seltsamerweise wirkte sie auf der Straße ziemlich nervös, sogar furchtsam. Fühlte sie sich beobachtet oder verfolgt?

„Ratten tötet man, Schlangen tötet man“, fuhr sie mit plötzlicher Bitterkeit fort. „Das ist nun mal so. Wer macht sich schon Gedanken darüber, dass auch diese Lebewesen Partner haben?“

„Kommen Sie zur Sache“, sagte ich ungeduldig.

„Es geht um Peter“, meinte sie. „Um Peter Kehl.“

Ganz in der Nähe krachte es.

Ich zuckte zusammen, aber nicht wegen der Fehlzündung eines Wagens, der den Krach verursacht hatte. Ich starrte der Frau in die Augen. Ich hätte nicht erstaunter sein können, wenn sie mir die Formel für eine neue Weltraumbombe mitgeteilt hätte.

Peter Kehl war Staatsfeind Nummer drei. Er war es seit fünf Jahren. Es war ihm gelungen, sich immer wieder dem Zugriff der Behörden zu entziehen. Es gab Leute, die ihn seit Langem für tot hielten. Für viele war er eine Legende. Für die Polizei war er der gefährlichste, auf freiem Fuß befindliche Killer. Selbst ich hatte ihn in meiner aktiven Laufbahn als Kriminalbeamter vergeblich zu Fall zu bringen versucht.

„Sie sind mit ihm befreundet?“, sagte ich langsam, fast gegen meinen Willen. „Oder gar seine Ehegattin?“

„Ich bin die Freundin“, erwiderte die Frau. „Ich bin alles, was ihm geblieben ist... Und er ist der einzige Mensch, an dem ich hänge.“

Ich hielt mich nicht damit auf, ihr zu sagen, wer Peter Kehl war. Ein neunfacher Mörder. Ein Mann ohne Skrupel. All das wusste Emma wahrscheinlich. Es störte sie nicht. Für sie war Peter Kehl ein Mensch, der sie brauchte. Das war ihr wichtiger als Kehls Vergangenheit, wichtiger auch als seine Spitzenposition auf der Gesuchten-Liste des Innenministeriums.

Es war verdammt schwierig, in dieser Situation abgeklärt und gelassen zu erscheinen. Hatte ich eine Spinnerin vor mir, eine publicityhungrige Frau, die Schlagzeilen machen wollte? Ich glaubte nicht daran. Ich wusste, dass ich jetzt keinen Fehler machen durfte, nicht den allerkleinsten. Es ging darum, durch richtiges Taktieren an den Staatsfeind Nummer drei heran zu kommen.

Ich blickte sie jetzt mit anderen Augen an. Sie machte einen durchaus ernsten Eindruck und wartete anscheinend auf meine Entscheidung. Verdammt, ich brauchte Zeit, um mit mir selbst klar zu kommen. Ich war ja im strengen Sinn des Wortes kein Bulle mehr. Vor meiner Berufsbezeichnung Detektiv prangte das Wort privat.

„Setzen wir uns in meinen Wagen“, schlug ich vor.

Die Frau schaute sich erneut um. Fürchtete sie einen Verfolger? Dann nickte sie. Wir gingen zu meinem Jaguar und nahmen darin Platz.

„Ist Peter in Wien?“, fragte ich wie beiläufig.

„Darüber darf ich nicht sprechen.“

„Sie sind mir in das Lokal gefolgt?“

„Ja. Ich weiß, dass Sie Harald Vokker und ein Privatdetektiv sind. Ich hoffe, dass Sie mir helfen können.“

Ich blickte die Frau an. Emma starrte durch die Windschutzscheibe ins Leere. Ich fühlte die Spannung, die in der Frau vorhanden sein musste. Ihre gekrümmte Unterlippe schillerte im Licht einer nahen Straßenlaterne wie rot gelackt. Das Kinn war kräftig und energisch. Es war das Kinn einer Frau, die zu kämpfen verstand.

Wenn es stimmte, dass sie Peter Kehls Freundin war, musste ihr klar sein, dass sie sich an seinen unversöhnlichsten Gegner gewandt hatte. Was erwartete sie von mir?

„Schießen Sie los“, sagte ich. „Klären Sie mich auf.“

Die Frau holte tief Luft. „Sie wollen ihn töten“, murmelte sie.

„Ich?“

„Ja, auch Sie. Alle wollen ihn töten. Er wird gejagt, schon seit Jahren. Die einen sind hinter dem Ruhm her, die anderen hinter der Belohnung, und die Polizei hinter dem gesuchten Verbrecher. Ich bin die Einzige, die zu ihm hält. Darauf bin ich stolz.“

Ich schob mir ein Pfefferminzbonbon in den Mund. Ich brauchte dieses Gefühl der Frische. Was sollte ich schon zu diesem Ausbruch sagen? Ich wusste, dass die Frau keine Antwort erwartete, nicht in diesem Moment. Sie wollte weitersprechen, sie musste endlich einmal ihr Herz ausschütten.

„Peters Feinde haben erneut unsere Fährte gefunden“, sagte sie kaum hörbar. „Sie sind entschlossener denn je, ihn zu töten. Das will und muss ich verhindern. Ich kann es nicht mit einer ganzen Gruppe aufnehmen. Deshalb wende ich mich an Sie.“

„Halten Sie das wirklich für eine gute Idee?“

„Es ist meine einzige Chance“, sagte sie bestimmt.

„Ich verstehe“, sagte ich. „Die Ratte, von der Sie sprachen, ist Peter Kehl. Ich bin der Mann, der ihn retten soll.“

„Stimmt. Peters Feinde sind zu mächtig für ihn. Ich weiß es.“

„Er ist ein Verbrecher.“

„Das sind seine Gegner auch. Sie brauchen deswegen Ihr Gewissen nicht zu belasten.“

„Seit wann ist er in Wien?“, fragte ich.

„Mich locken Sie nicht aufs Glatteis“, meinte sie ruhig. „Gegen Fangfragen dieser Art bin ich immun.“

„Sie erwarten von mir, dass ich Ihrem bedrängten Freund Peter Kehl helfe. Wie stellen Sie sich das vor?“

„Das ist die Preisfrage“, gab die Frau zu. „Sie werden inzwischen begriffen haben, warum ich den Vergleich mit der Ratte und der Schlange wählte. In Ihren Augen ist Peter beides, nicht wahr? Im Grunde wären Sie und Ihre Gesinnungsfreunde von der Kriminalpolizei heilfroh, wenn Peter irgendwo krepierte und von Ihrer verdammten Liste gestrichen werden könnte. Warum also sollten Sie auch nur den kleinen Finger rühren, um Peter in seiner jetzigen Notlage beizuspringen?“

„Es geht dabei nicht bloß um Peter Kehl“, machte ich der Frau klar. „Die Polizei hält nichts von der Schnelljustiz der Unterwelt. Sie bekämpft jede Form des Terrors, egal, woher er kommt und wen er treffen soll.“

„Ich will offen mit Ihnen sprechen“, meinte die Frau. „Ich habe mit dieser Haltung spekuliert.“

Ihr Mund zuckte. „Etwas ist gut an Gesetz und Anstand... Es sind unverrückbare Faktoren, auf die man immer bauen kann. Ich hasse Sie und Ihren blöden Verein unterbezahlter Gerechtigkeitsfanatiker, Vokker, aber ich bin bereit, mich mit Ihnen zu arrangieren, um Peter aus der Patsche zu helfen.“

Sie griff in ihre Handtasche und ihre Hand kam mit einer Rolle Fünfziger Noten zum Vorschein. Sie öffnete das Handschuhfach meines Jaguars und legte die Geldrolle hinein. „Sie können das Geld später zählen“, meinte sie.

„Mich können Sie nicht kaufen.“

„Ich kaufe Sie nicht. Ich engagiere Sie!“

„Die Kriminalpolizei bzw. ich sollen, wenn ich Sie recht verstehe, als Ihr Werkzeug Peter Kehls Gegner zur Strecke bringen, ohne an ihn selbst heranzukommen. Das ist Ihre erklärte Absicht, nicht wahr?“

„Stimmt.“

„Und Ihr Freund Peter ist damit einverstanden?“, wollte ich wissen.

Emma schüttelte den Kopf. „Er hat keine Ahnung, dass ich diesen Plan zu seiner Rettung entwickelte. Peter würde dafür kein Verständnis aufbringen.“

Ich kurbelte das Fenster herunter. Als ich einen Blick auf die gegenüberliegende Straßenseite warf, sah ich eine Zigarette im Dunkel eines auf der anderen Straßenseite liegenden Hauseinganges aufleuchten. Der Raucher selbst war nicht zu sehen.

Ich fragte mich unwillkürlich, ob Peter Kehl da drüben stand. War er seiner Freundin gefolgt, um herauszufinden, was sie vorhatte. Wusste er, mit wem sie sprach?

Wenn meine Vermutung zutraf, waren Emma und ich tödlich gefährdet, denn es gab ein paar Dinge, die Peter Kehl niemals akzeptieren würde — und dazu gehörte die Kooperation mit der Kriminalpolizei, seinem Todfeind.

Trotzdem konnte ich nicht glauben, dass Peter Kehl uns so nahe sein sollte. Ich hielt es für wahrscheinlicher, dass es sich um zwei verliebte Leutchen handelte, von denen einer rauchte. Eine dritte Möglichkeit war die, dass Peter Kehls Gegner das Mädchen beschatteten.

„Wohnen Sie mit Peter Kehl zusammen?“, fragte ich.

„Nicht immer“, sagte Emma ausweichend.

„Kann es sein, dass Ihnen jemand bis hierher gefolgt ist?“, wollte ich wissen.

„Ich habe eine gute Technik entwickelt, meine Bewacher nach Belieben abzuschütteln“, erklärte die Frau selbstbewusst mit erhobenem Kinn.

„Sie muss nicht immer klappen.“

„Wollen Sie mir Angst machen?“

„Keineswegs, aber ich fühle mich irgendwie für Ihre Sicherheit verantwortlich, wenn Sie mich schon engagieren.“

Während ich sprach, blickte ich schon wieder geradeaus. Der Abstand zwischen dem Raucher und meinem Jaguar betrug etwa dreißig Meter. Er war zu groß, um von einer Pistole mittleren Kalibers mit guter Durchschlagswirkung überbrückt zu werden, bildete aber kein Problem für einen Gewehrschützen. Ich fand es wichtig, aber wenig trostreich, dass ich auf der Straßenseite saß und die Frau mit meinem Körper abdeckte. Zugleich beruhigte mich die Erkenntnis, dass ein schussbereit wartender Gangster nicht gleichzeitig rauchen würde.

„Quatschen Sie keinen Unsinn“, meinte Emma scharf. „Meine Sicherheit! Die interessiert Sie doch einen feuchten Schmutz. Für Sie bin ich nur eine ganz gewöhnliche Gangsterbraut. Ich weiß genau, wie es jetzt in Ihnen aussieht. Sie haben Mühe, mit Ihrer Erregung fertig zu werden. Der Gedanke, dass Sie durch mich an Peter herankommen könnten, bringt Sie buchstäblich zum Kochen, was? Schlagen Sie sich das aus dem Kopf, Vokker. Ich serviere Ihnen ein paar brutale Killer, aber Peter behalte ich für mich.“

„Eine Frage“, sagte ich. „Warum wird er von Leuten seiner Branche gejagt?“

„Die sind nicht hinter ihm, sondern hinter seinem Schatz her“, sagte das Mädchen hart. „Diese Burschen wissen, dass der Weg zu dem Schatz nur über Peters Leiche führt.“

„Peter Kehl lebt seit Jahren im Untergrund“, erinnerte ich mich. „Soviel ich weiß, floh er seinerzeit mit der Beute der Hammerschmid Juwelen, das waren immerhin einige Millionen. Wie viel kann davon heute noch übriggeblieben sein?“

„Ich habe nicht vor, mit Ihnen Peters Vermögensverhältnisse zu diskutieren“, schnappte die Frau.

„Okay“, sagte ich. „Kommen wir zur Sache. Wer sind seine Gegner?“

Während ich fragte, versuchte ich dahinterzukommen, was an Emmas Geschichte faul war. Die Frau machte rundherum einen cleveren Eindruck. Sie musste sich darüber klar sein, dass sie mit der Namenspreisgabe von Kehls Gegnern der Kriminalpolizei die Chance einräumte, über diese Gangster an Peter Kehl heranzukommen. Was veranlasste die Frau, sich dieser Gefahr auszusetzen?

„Sie erfahren die Namen zu gegebener Stunde“, erklärte sie und öffnete erneut den Verschluss ihrer Lederhandtasche. Sie griff ruhig hinein, als wolle sie ihr Taschentuch herausholen, aber sie zog blitzschnell eine Bernadelli Pistole hervor.

Die Bewegungen des Mädchens hatten etwas von der traumwandlerischen Sicherheit eines Zauberkünstlers. Sie ließen aber auch erkennen, dass das Mädchen mit der Waffe umzugehen verstand.

„Was soll dieser Blödsinn?“, herrschte ich sie an.

„Eine Vorsichtsmaßnahme“, antwortete sie. „Ich muss sicherstellen, dass Sie mir nicht folgen werden.“

„Sie wollen gehen?“

„Für heute haben Sie genug erfahren“, meinte die Frau. „Das nächste Mal setze ich mich telefonisch mit Ihnen in Verbindung. Ich kann mir dann die Einleitung sparen. Sie werden wissen, wer ich bin und worum es geht.“

Ich blickte aus dem Fenster. In der Hauseinfahrt auf der gegenüberliegenden Straßenseite war es stockdunkel. Entweder hatte der Raucher seine Zigarette ausgetreten, oder er war in das Haus gegangen. Ich wandte mich erneut der Frau zu.

„Sie stammen aus Tirol?“, sagte ich.

„Merkt man das am Dialekt?“

„Ein wenig“, sagte ich. „In einer Stunde werde ich wissen, ob Sie vorbestraft sind.“

„Damit verschwenden Sie nur Ihre Zeit“, meinte sie. „Mein Name steht in keiner Polizeikartei.“

Ich runzelte die Augenbrauen. Die Aussprache des Mädchens wurde schleppend und schwer. Es schien, als hätte sie auf einmal Mühe, ihre Zunge zu bewegen. Die Stirn des Mädchens glänzte feucht.

„Fühlen Sie sich nicht wohl?“, fragte ich sie.

„Es ist so heiß hier drin... Zum Ersticken!“, murmelte sie.

Durch die herabgekurbelten Seitenfenster strömte milde Nachtluft ins Innere des Wagens. Ich begriff, dass die Hitze, von der das Mädchen sprach, nur in ihrem Körper existierte. Emma atmete tief durch. Sie schien damit einen unsichtbaren Ring sprengen zu wollen, der sie plötzlich einengte.

„Mir ist es auf einmal so — so...“, würgte sie hervor und suchte nach einem Vergleich. Sie gab es auf, als ich mich besorgt zu ihr hinüberbeugte. „Stopp!“, rief sie laut und warnend. Ihr Atem ging auf einmal schwer – und laut.

Ich nahm den Oberkörper zurück und drückte auf den Anlasser. „Ich bringe Sie zu einem Arzt“, entschied ich.

„Das werden Sie schön bleibenlassen“, keuchte das Mädchen. „Verdammt, was ist denn bloß mit mir geschehen?“

Eine Art Schüttelfrost erfasste sie. Ich hatte plötzlich keine Mühe mehr, ihr die Pistole abzunehmen. Emma setzte sich nicht dagegen zur Wehr. In ihren weit aufgerissenen Augen formte sich ein Ausdruck wachsender Angst.

Ich ließ die Bernadelli in meine linke Jackentasche gleiten und fuhr los. Zwei Häuserblocks von hier entfernt war die Praxis eines mir bekannten Arztes. Wenn wir Glück hatten, war Rottenmann zu Hause. Das Mädchen rutschte neben mir in sich zusammen. Es stöhnte und griff sich mit einer Hand an den Hals.

Als ich den Wagen aus der Parklücke lenkte, warf ich routinemäßig einen Blick auf die andere Straßenseite. In dem dunklen Hausflur rührte sich nichts. Ich gab Gas und stoppte eine Minute später vor dem fünfzehnstöckigen Haus, in dem Rottenmann wohnte.

Ich sprang aus dem Jaguar, sprintete um seine lange Schnauze und öffnete dann die Tür auf der Beifahrerseite. Emma hatte das Bewusstsein verloren. Die Handtasche war ihr vom Schoß geglitten und auf den Wagenboden gefallen.

Ich zerrte das Mädchen aus dem Wagen und trug sie in die Halle des Apartmenthauses. Ein am Aufzug hängendes Schild teilte mir mit, dass der Lift wegen Reparaturarbeiten nicht in Betrieb war.

Ich trug das Mädchen nach oben in die zweite Etage. Emma war nicht sehr schwer, aber als ich mein Ziel endlich erreicht hatte, war ich völlig außer Puste. Ich klingelte mit dem Ellenbogen an Rottenmanns Tür. Ich musste das Manöver zweimal wiederholen, ehe ich schlurfende Schritte hörte. Die Tür öffnete sich!

Rottenmann war fünfzehn Jahre lang Amtsarzt gewesen. Er fühlte sich nach seiner Pensionierung nicht ausgelastet und hatte sich als praktischer Arzt etabliert. Mit seinem hageren, faltigen Gesicht, den eingefallenen Wangen und den dicken, spezialgeschliffenen Brillengläsern sah er aus, als ob er selbst dringend ärztlichen Rat brauchen könnte. Er hatte schütteres graues Haar und schlechte Zähne.

Rottenmann trug einen schäbigen Bademantel. Er warf einen Blick auf das Mädchen in meinen Armen, dann machte er kehrt und eilte voraus, um die Tür zu seinem Sprechzimmer zu öffnen. Ich folgte ihm und bettete das Mädchen behutsam auf eine Lederliege.

„Warten Sie draußen, Harald“, knurrte Rottenmann und vertauschte seinen museumsreifen Bademantel mit einem weißen Arztkittel. Ich ging ins Nebenzimmer und wartete. Fünf Minuten später kam Rottenmann herein. Er rauchte eine Zigarette und hatte sein Haar gekämmt.

„Wer ist die Tote?“, fragte er mich.

*


Ich stand auf. Mir erging es wie immer, wenn ich eine Schockwirkung verkraften musste. Überdeutlich registrierte ich einige völlig nebensächliche Kleinigkeiten: das Hupen eines Autos auf der Straße, einen kleinen roten Fleck auf der Tapete, der von einem zerdrückten Insekt stammte, und Rottenmanns spitzen, weit nach vorn ragenden Adamsapfel.

Ich griff zum Smartphone, um die Mordkommission anzurufen. „Das habe ich schon erledigt“, meinte Rottenmann, der meine Bewegung richtig deutete. „Ivo hat Nachtdienst. Er kommt mit seinen Leuten her.“

Er meinte Inspektor Ivo Barisic. Ich betrat das Sprechzimmer. Rottenmann hatte die Tote mit einem verknitterten weißen Laken abgedeckt.

„Gift?“, fragte ich und hob einen Zipfel des Lakens an.

„Da gibt es keine Zweifel“, meinte der Arzt. „Sehen Sie sich die erweiterten Pupillen an.“ Mit diesen Worten trat er an die Tote heran und schob die Lider zurück, damit ich seine Behauptung überprüfen konnte.

„Wann hat sie das Gift geschluckt?“, fragte ich.

„Schwer zu sagen. Das wird die Autopsie ergeben.“

Ich wandte mich Rottenmann zu. „Sie behauptete, Peter Kehls Freundin zu sein“, sagte ich.

„Der Gangster. Ich kann mich an den Namen erinnern“, sagte Rottenmann.

Ich wiederholte den Namen, als sollte mich der Klang an etwas erinnern, das mir momentan nicht einfallen wollte. Die Worte kamen ganz mechanisch über meine Lippen. Sie stellten aber keine Verbindung zu meinen Gedanken her. Ich versuchte, mich an das Geschehen in der Kneipe zu erinnern.

Das Mädchen Emma war ein paar Minuten nach mir hereingekommen. Sie hatte sich neben mich an den Tresen gesetzt und einen Gin mit Tonicwater bestellt. Die Art, wie der Barkeeper sie gemustert hatte, hatte deutlich gemacht, dass man sie in dem Lokal nicht kannte.

Die Frau hatte mich angestarrt und hin und wieder an ihrem Glas genippt. Ab und zu war jemand an die Theke getreten, um sich ein Bier oder ein Päckchen Zigaretten zu holen. Falls es jemand darauf angelegt haben sollte, dem Mädchen Gift ins Glas zu schütten, hätte das sicherlich keine Schwierigkeiten bereitet. Natürlich konnte Emma das Gift auch schon zu einem früheren Zeitpunkt geschluckt haben. Fest stand, das es kein Selbstmord gewesen war. Emma hatte nicht sterben wollen. Sie hatte ein Ziel gehabt. Sie war entschlossen gewesen, Peter Kehl vor seinen Feinden zu beschützen.

Dummerweise machte es mir Mühe, mich an die Gesichter der Gäste zu erinnern. Sie hatten mich nicht interessiert. Der Mann, den ich in dem Lokal anzutreffen gehofft hatte, war nicht erschienen.

„Peter Kehl?“, sagte Rottenmann langsam.

Ich zuckte leicht zusammen. Ich hatte fast vergessen, wo ich war. Rottenmanns Stimme klang geradezu andächtig, als er jetzt sagte: „Es gibt Leute, die ich bewundere“, fuhr der Arzt fort. „Peter Kehl gehört dazu.“

„Sie träumen wohl?“, entfuhr es mir. „Kehl hat neun Menschen auf dem Gewissen!“

“Das meine ich nicht. Nehmen Sie mir es nicht übel, Harald — aber Kehl hat es fertiggebracht, die Polizei lächerlich zu machen, und das freut mich.“

„Was gefällt Ihnen daran so gut?“, fragte ich erstaunt. Rottenmann war ungefähr der letzte, von dem ich eine solche Bemerkung erwartet hätte.

Rottenmann zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht“, sagte er. „Er ist intelligent. Und er hat die große Superorganisationen einfach ausgespielt.“

Ich war nicht in der Stimmung, dieser Ansicht zu widersprechen. „War sie schon tot, als ich sie herbrachte?“, wollte ich stattdessen wissen.

„Nein. Sie starb unter meinen Händen.“ Ein schiefes Lächeln huschte um seinen blutleeren Mund. „Wenn Sie zur Böswilligkeit neigten, könnten Sie behaupten, dass ich es getan hätte.“

Geschmacklose Witzchen dieser Art gehörten zu Rottenmanns Repertoire. Es hatte keinen Sinn, sich darüber aufzuregen.

„Hat sie vor ihrem Tod noch etwas gesagt?“, erkundigte ich mich.

„Ja, sie nannte einen Namen.“

Mein Herz machte einen Sprung. „Und damit rücken Sie erst jetzt heraus?“

„Sie haben mich bislang nicht danach gefragt.“

„Packen Sie aus, Doktor“, sagte ich ungeduldig. „Wie lautete der Name?“

„Simms oder so ähnlich.“

„Haben Sie ihn denn nicht genau verstanden?“

„Das Mädchen war zu schwach, um klar sprechen zu können“, meinte Rottenmann. „Sie brachte kaum die Zähne auseinander. Ich bin nicht mal sicher, ob sie das Wort richtig zu Ende führen konnte. Vielleicht wollte sie Simms oder Simson sagen... Ich weiß es nicht.“

„Simms“, murmelte ich. „Das war alles, was sie hervorbrachte? Das ist ein Familienname. Ich kenne sogar jemanden, der Simms heißt.“

Ich überlegte. Simms. Simson. Wir hatten ein paar Leute mit dem Namen Simson in unserer Kartei, aber keiner war so prominent, dass ich ihn mir fest eingeprägt hatte.

„Was wollte sie denn als Kehls Freundin von Ihnen?“, fragte Rottenmann interessiert. „Ich verstehe schon“, gab er sich selbst zur Antwort. „Sie wollte ihn verpfeifen. Die Belohnung hat sie gereizt. Kehl muss geahnt haben, was sie wollte. Ehe sie ihn verließ, kippte er ihr das Gift in den Kaffee. So ist es gewesen, nicht wahr?“

„Wie kommen Sie denn gerade auf Kaffee?“

„Den hat sie doch vorher getrunken. Das habe ich sofort gerochen.“

„Als sie neben mir saß, trank sie Gin mit Tonic.“

„Dann muss sie den Kaffee vorher getrunken haben. Liege ich mit meinem Tipp richtig? Wollte die Puppe Peter Kehl verpfeifen?“

„Nein“, sagte ich.

Rottenmann trat an das Fenster und blickte träge hinaus. „Diese verdammte Stadt“, meinte er versonnen. „Dieser schillernde Moloch! Ich weiß nicht, warum ich Wien liebe. Es bietet mehr Schmutz, Gemeinheit und... He, da ist jemand an Ihrem Wagen, Harald!“

Ich nahm mir nicht die Zeit, mich von der Richtigkeit seines Hinweises durch einen Blick aus dem Fenster zu überzeugen. Ich machte kehrt und sprintete aus der Wohnung. Ich raste die Treppe hinunter, durchquerte die Halle und betrat die Straße.

Die Tür meines Jaguars war auf der dem Bürgersteig zugewandten Beifahrerseite nur angelehnt. Ich riss sie auf. Die Handtasche des Mädchens Emma war verschwunden.

Ich drehte auf den Absätzen herum und sah gerade noch, wie ein Mann mit eiligen Schritten um die Ecke ging. Ich rannte bis zur Kreuzung und stoppte dort. Der Mann war verschwunden.

Ich ging langsam die Straße hinab und hielt mich dabei dicht an den Häuserwänden. Vermutlich hatte der Handtaschenräuber meine Schritte gehört und es vorgezogen, sich in das Dunkel eines Hauseinganges zu verziehen.

Plötzlich tauchte er wieder auf. Knapp zehn Meter vor mir trat er aus einem Torbogen. Er hatte den Kragen seines Sportsakkos hochgestellt und beide Hände in die Hosentaschen vergraben. Er rauchte eine Zigarette. Ich erreichte ihn mit wenigen Schritten. Er hob eher erstaunt als erschreckt die Augenbrauen, als ich mich ihm.in den Weg stellte und meine Hand ausstreckte. „Her mit der Tasche!“

Mein Gegenüber sah aus, als ob er so ungefähr alles brauchen könnte... Vornehmlich aber eine Rasur und eine Mütze voll Schlaf. Er machte den Eindruck, als befände er sich auf dem besten Weg zu einer Stadtstreicherkarriere.

„Sie haben wohl ’n Knick im Pony?“, erkundigte er sich mit rauer Stimme. Mir schlug eine Fahne ins Gesicht, die aus billigstem Fusel gestrickt war.

„Her damit!“, sagte ich bestimmt.

Er schlug meine Hand zur Seite und versuchte einen rechten Schwinger anzubringen. Ich ließ ihn leerlaufen und regte mich nicht weiter darüber auf. Aber als er meinte, mich mit einem Tiefschlag der faulsten Sorte bedienen zu müssen, stoppte ich ihn mit einem trockenen Konterhaken. Er stolperte gegen die Hauswand und sah ebenso erschrocken wie benommen aus.

„Harald Vokker, Ex-Bulle von der Mord“, stellte ich mich vor und hielt ihm meine ID-Card unter die Nase. „Mit wem habe ich das Vergnügen?“

„Warum sagen Sie das nicht gleich?“, murmelte er. „Ich bin Rudi.“

„Wo ist die Tasche?“

Er hob beide Hände. „Durchsuchen Sie mich“, meinte er. „Ich habe keine.“

Ich klopfte ihn ab. Seine Behauptung stimmte. „Folgen Sie mir“, sagte ich und führte ihn zu dem Torbogen. Dort lag die Handtasche am Boden. Sie enthielt einen Schlüsselbund, einen Lippenstift und eine Puderdose, sonst nichts.

„Geben Sie mir die Brieftasche, die Sie herausgenommen haben“, sagte ich.

„Da war keine drin, Mister“, meinte der Penner. „Ehrlich nicht!“ Widerstrebend zog er ein Bündel Banknoten aus seinem Jackett. „Das ist alles.“

Ich nahm ihm das Geld ab und zählte es nach. Es waren einhundertsiebzig Euro.

Dann forderte ich ihn auf, mich zu begleiten. Als wir um die Ecke bogen, stoppten vor Rottenmanns Haus zwei Einsatzfahrzeuge der Polizei. Sie waren als Vorausabteilung der Mordkommission eingetroffen. Ich übergab einem Beamten meinen Gefangenen und kehrte mit der Handtasche in Rottenmanns Wohnung zurück.

„Haben Sie den Kerl erwischt, der Ihren Wagen klauen wollte?“, fragte er mich.

„Ihm ging es nur um die Handtasche“, sagte ich und untersuchte nochmals den Tascheninhalt bei vollem Licht. In dem Innenfach befand sich ein Spiegel, den ich vorher nicht bemerkt hatte. Ansonsten gab es keinerlei Hinweise auf die Identität der Ermordeten.

„Es hat den Anschein, als hätte sie bewusst keine Ausweispapiere mitgenommen“, sagte ich.

„Arbeitete der Handtaschenräuber im Auftrag des Killers?“, wollte Rottenmann wissen.

„Das bezweifle ich. Er macht den Eindruck eines Penners, der einen Blick in meinen Wagen geworfen hat und dabei nicht der Versuchung widerstehen konnte, die Tasche mitzunehmen.“

Fünf Minuten später traf die Mordkommission ein. Inspektor Barisic war wie elektrisiert, als er erfuhr, wer die Tote war. „Peter Kehls Freundin? Das wäre ja phantastisch! Dann schnappen wir auch ihn...“

„Das versucht ihr seit vier Jahren“, höhnte Rottenmann. „Er wird euch auch diesmal entwischen. Ich wette, ihr werdet sogar Schwierigkeiten haben, die Puppe eindeutig zu identifizieren.“

Ich gab zu Protokoll, was ich wusste, und fuhr dann mit meinem Jaguar zurück zum Ausgangspunkt des Verbrechens.

Ich fand eine Parklücke unweit des Lokals, in dem ich von Emma angesprochen worden war, stieg aus und überquerte die Straße, um mir den Hauseingang anzusehen, der dem unsichtbar gebliebenen Raucher als Unterschlupf gedient hatte.

Obwohl keineswegs feststand, dass die von mir gemachte Beobachtung mit dem Verbrechen zusammenhing, hielt ich es für notwendig, ihr die erforderliche Aufmerksamkeit zu schenken. Ich knipste mein Gasfeuerzeug an und leuchtete mit der hochgedrehten Flamme den Boden ab.

Als ich mich nach einer Kippe bücken wollte, traf mein Auge den blitzenden Lichtreflex eines geschliffenen Steins. Ich hob ihn auf. Er versprühte eine Kaskade gelber, roter und violetter Funken.

Der Stein war ungefasst. Ich vermochte nicht zu sagen, ob er echt oder falsch war. In der Größe entsprach er einem fünfkarätigen Brillanten. Ein echter Stein dieses Gewichtes hatte einen Handelswert von zirka zwölftausend Euro.

Die Kippe stammte von einer weit herabgerauchten Zigarette. Der in das Papier eingeprägte Name war nicht mehr zu lesen. Ich wickelte den Stein und die Kippe in mein Taschentuch, knipste das Feuerzeug aus und begab mich in das Lokal auf der anderen Straßenseite.

Es war inzwischen null Uhr fünfzig geworden. Der Barkeeper gähnte und schielte missmutig zu den drei noch verbliebenen Gästen hinüber, die an einem Tisch Runden ausknobelten. Er betrachtete mich als Stammgast, da ich ab und zu hereinkam, um mit David, meinem Informanten, zu sprechen.

Ich bezweifelte, dass der Barkeeper wusste, welchen Beruf ich ausübte. Ich hatte auch jetzt nicht vor, meinen Beruf zu offenbaren.

„Das übliche?“, fragte er.

Ich nickte und sah zu, wie er mir ein Glas Wein füllte. Er grinste mir dabei Verständnis vortäuschend in die Augen. „War es schön?“, wollte er wissen.

Natürlich hatte er beobachtet, dass mir das Mädchen gefolgt war. Er hatte sich seinen eigenen Vers darauf gemacht. „Kennen Sie die Puppe?“, fragte ich ihn.

Er schüttelte den Kopf und befasste sich damit, ein paar Gläser zu polieren. „Sie war heute zum ersten Mal hier“, antwortete er. „Aber Fred hatte schon mal was mit ihr.“

Ich stellte meine Lauscher hoch. „Fred?“

„Friedrich Lampe“, antwortete er und hielt prüfend ein Glas gegen das Licht. „Er ist schon nach Hause gegangen.“

„Wo wohnt er?“

„Gleich um die Ecke. Die Hausnummer kenne ich nicht. Im Erdgeschoß ist ein Kettenladen der City-Reinigung.“ Er stellte das Glas beiseite und schaute mich großäugig an. „Sie wollen ihn doch jetzt nicht stören?“

Ich blieb ihm auch darauf eine Antwort schuldig. „Was geschieht mit den benutzten Gläsern, wenn ein Gast geht“, fragte ich ihn. „Waschen Sie sie gleich ab?“

Er sah erstaunt aus. „Das kommt darauf an, wieviel ich zu tun habe. Im Allgemeinen stelle ich sie erst mal ins Spülbecken. Ich trockne sie ab, wenn ich dafür Zeit finde. Warum fragen Sie?“

„Ich interessiere mich für das Glas, aus dem das Mädchen getrunken hat.“

Seine Verblüffung wuchs. „Das ist längst abgewaschen“, meinte er.

„War David heute hier?“ lenkte ich ab.

„Nein. Der ist in Prag.“

„Was treibt er dort?“

„Das weiß man bei David nie. Sie kennen ihn doch. Urlaub oder Arbeit. Bei dem ist immer alles allerlei.“

Prag! Mir fiel ein, dass diese Stadt ebenfalls Peter Kehls Tätigkeitsgebiet gewesen war. Obwohl er später auch in München, Graz, Budapest und wer weiß wo noch aktiv gewesen ist, hatte er sich in Prag zu dem entwickelt, was er heute noch ist: zum Staatsfeind Nummer drei.

Als Bankräuber hatte Peter Kehl trotz der Hammerschmid-Juwelen niemals überdurchschnittliche Erfolge erzielt. Es war ihm nicht gelungen, Mitglied des Millionenräuberklubs zu werden. Seinen Platz in der Rangliste des Verbrechens verdankte er der Skrupellosigkeit, mit der er neun Menschen ermordet hatte.

Mir fiel ein, was Emma über Peter Kehls Schatz gesagt hatte. Musste ich das Glitzerding, das ich in dem Hauseingang gefunden hatte, damit in Zusammenhang bringen? Das hielt ich für wenig wahrscheinlich. Vermutlich war es ein Simili, das aus einer schlecht verarbeiteten Modeschmuckbrosche stammte, ein Fünf Cent Brillant.

„War heute Abend ein fremder Gast da?“, wollte ich von dem Barkeeper wissen.

„Zwei oder drei. Warum?“

„Ich dachte, Sie hätten nur Stammgäste.“

„Es kommt immer mal ein fremdes Gesicht herein“, sagte er. Er machte jetzt einen mürrischen Eindruck. Offenbar gingen ihm meine Fragen auf die Nerven. Ich leerte das Glas, zahlte und ging.

Ich ging zu Fuß zu dem von dem Barkeeper beschriebene Haus und fand es ohne Mühe. Es war ein alter, abbruchreifer Kasten, dessen Fassadenanstrich lange vor mir auf die Welt gekommen sein musste. Die Tür war unverschlossen. Ich stellte am Klingelbrett fest, dass Fred Lampe im Dachgeschoß wohnte, und fuhr mit dem Lift nach oben.

Als ich mich der Tür näherte, hörte ich den Schrei. Er war schrill und laut, eine Stimmexplosion des Schmerzes und der tödlichen Angst. Der Schrei kam aus Fred Lampes Wohnung. Ihm folgte ein harter, dumpfer Fall. Dann war Stille.

Komm ja mit heiler Haut davon: Detektei Vokker: Ein Wien Krimi

Подняться наверх