Читать книгу Komm ja mit heiler Haut davon: Detektei Vokker: Ein Wien Krimi - Roland Heller - Страница 9

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Mein erster Impuls war es, einfach die Tür einzutreten, mein zweiter, zu klingeln. Ich brauchte nur eine Sekunde, um mir darüber klarzuwerden, dass beide Aktionen unklug gewesen wären.

Der Schrei in Lampes Wohnung ließ auf ein Verbrechen schließen. Wenn ich mich an der Tür bemerkbar machte, würde der Täter logischerweise versuchen, durch das Fenster und über das Dach zu entkommen.

Ich hielt es für zweckmäßiger, darauf zu bauen, dass er, da er sich weder verfolgt noch beobachtet fühlen konnte, durch die Wohnungstür verschwinden würde. Ich konnte ihn dann stoppen und festhalten.

Ich drückte mich hinter einem Mauervorsprung an die Wand und wartete mit angehaltenem Atem. Soweit ich es übersehen konnte, befanden sich im Dachgeschoß nur zwei Wohnungen. Die anderen Türen gehörten zu Kammern und Speichern.

Ich wurde unruhig. Falls Lampe den Schrei ausgestoßen hatte, war anzunehmen, dass er verletzt worden war und ärztliche Hilfe brauchte. Ich verließ mein Versteck und presste ein Ohr gegen die Wohnungstür.

Ich hörte das Leiern eines Radiolautsprechers. Ansonsten waren keine Geräusche zu vernehmen. Gerade als ich klingeln wollte, ertönte hinter der Tür ein schlurfendes Geräusch, das sich wiederholte.

Im nächsten Moment öffnete sich die Tür. Ich erwartete auf gleicher Höhe mit meinem Kopf ein Gesicht zu sehen, erblickte es aber stattdessen in der Gegend meiner Knie.

Der Mann hielt sich auf allen Vieren. Er war in einen schmuddelig aussehenden Pyjama gekleidet und atmete mit weit offenem Mund. Seine Augen fielen ihm fast aus den Höhlen. Er hatte es sichtlich mit letzter Kraft geschafft, sich bis an die Tür zu schleppen. Er hatte ein Messer im Leib stecken und blutete heftig.

Als ich ihn behutsam auf die Seite bettete, verlor er das Bewusstsein. Ich richtete mich auf und hastete ins Wohnzimmer. Das Fenster stand offen. Die Gardine bauschte sich im Nachtwind.

Ich warf einen Blick aus dem offenen Fenster und sah mich um. Ein breiter Steinsims lief unter der Fensterreihe entlang. Ich konnte bis zur Hausecke sehen. An der Ecke ragte das Flachdach eines Nachbargebäudes bis auf einen Meter heran. Diese Entfernung konnte leicht mit einem Sprung überbrückt werden. Mit ziemlicher Sicherheit hatte der Täter diesen Weg genommen. Er konnte noch nicht weit gekommen sein, aber an seine Verfolgung war im Augenblick nicht zu denken.

Auf dem Notizblock neben dem Telefon entdeckte ich die Nummer von Lampes Hausarzt. Er wohnte nur drei Häuserblocks von hier entfernt. Ich rief ihn an. Er versprach, schnellstens herzukommen. Ich alarmierte noch die Ambulanz und die Polizei, dann kümmerte ich mich erneut um den Verwundeten. Die Blutung hatte nachgelassen, aber es sah böse mit ihm aus.

Zum Glück kreuzte der Arzt nur wenige Minuten später auf. Er hatte einfach seine Schuhe über die bloßen Füße gezogen und einen Mantel über den Pyjama gestreift und war dann mit seiner Instrumententasche losgeeilt.

Während er sich um den Verletzten bemühte, schaute ich mich in Lampes Wohnzimmer um. Es war mit Möbeln aller Stilepochen vollgestopft und machte nicht den Eindruck, als ob Lampe jemals genug Geld gehabt hätte, sich ein neues Stück zu kaufen. Auf einem Sideboard standen ein paar gerahmte Fotos. Eines davon zeigte den jungen Fred Lampe im Fußballdress und Siegerpose, die beiden anderen waren blasse, unscharfe Amateuraufnahmen von einem bleichen, ziemlich spitznasigen Mädchen.

Ich knöpfte mir erneut den Notizblock vor, der neben dem Telefon lag. Obenan stand eine durchgestrichene Nummer, die durch eine neue ersetzt worden war. Sie hatte im Gegensatz zu den anderen keinen Namenshinweis. Ich vermutete, dass es sich um die Nummer von Lampes Freundin handelte, und rief sie kurz entschlossen an.

Eine verschlafene Mädchenstimme meldete sich. „Harald Vokker“, sagte ich. „Ich befinde mich in Herr Lampes Wohnung. Sie sind doch mit ihm befreundet?“

Pause.

„Was ist denn mit ihm?“, fragte sie dann.

„Er ist überfallen worden.“

Weitere Pause. „Ist es schlimm?“

„Ziemlich. Wie ist Ihr Name, bitte?“

„Augenblick mal... Wie kommen Sie denn in Freds Wohnung?“

„Ich bin Privatdetektiv“, teilte ich ihr mit.

Sehr lange Pause.

„Ein Bulle?“, murmelte das Mädchen am anderen Leitungsende leise. „Hört sich ja toll an. Ich weiß, dass Fred nicht immer den geraden Weg ging — aber das...?“ Ein großer Seufzer folgte. „Ich bin Viola Beiler“, sagte sie dann. „Soll ich hinkommen? In fünf Minuten kann ich bei Ihnen sein.“

„Ich erwarte Sie“, sagte ich und legte auf.

Ich ging in die Diele. Der Arzt hatte das Messer entfernt und bemühte sich darum, die Blutung endgültig zu stillen. „Wird er durchkommen?“, wollte ich wissen.

„Schwer zu sagen“, meinte der Arzt, ohne seine Arbeit zu unterbrechen. Sein Name war Lothar Schell. „Es sieht nicht gut aus. Hoffentlich kommt bald die Ambulanz. Mir fehlen einfach die Mittel, Herrn Lampe über den Berg zu bringen. Er muss in die Chirurgie. Wie konnte das bloß passieren? Hat es einen Streit gegeben? Lampe ist doch kein Mann, bei dem etwas zu holen ist...“

Ich zuckte mit den Schultern. „Als ich heraufkam und klingeln wollte, hörte ich den Schrei. Ich wartete eine Minute, weil ich hoffte, dass mir der Täter in die Arme laufen würde, aber das war eine Fehlkalkulation. Der Bursche ist über das Dach entkommen. Ich mache mir deshalb Vorwürfe.“

„Wegen des Täters?“

„Nein, wegen meiner verspäteten Reaktion. Sie hat Lampe einen empfindlichen Blutverlust gekostet.“

„Ihre Vorwürfe sind fehl am Platze“, tröstete mich Schell. „Ich hätte auch nicht mehr erreichen können, wenn Sie mich eine Minute früher gerufen hätten.“

Ich betrachtete Fred Lampes fahles Gesicht. Er war um die Fünfunddreißig herum, hatte dichtes, langes Haar, das ihm bis weit in den Nacken wuchs, und eine auffallend klobige, kräftige Nase.

„Was wollten Sie denn von ihm... um diese Zeit?“, fragte mich Schell.

„Er kennt ein, Mädchen, das heute ermordet wurde“, sagte ich. „Ich wollte von ihm den Namen des Mädchens erfahren. Es ist zu befürchten, dass der Killer des Mädchens zugeschlagen hat, um die Identifizierung der Toten zu erschweren.“

Es klingelte. Ich öffnete die Tür. Draußen standen zwei Polizisten und zwei Männer in weißen Kitteln, die eine Tragbahre bei sich hatten. Sie legten den Verletzten unter Anleitung von Dr. Schell auf die Bahre und trugen ihn hinaus.

„Bleiben Sie bei ihm, bis er in das Krankenhaus eingeliefert ist“, bat ich die Polizisten. „Lampe darf keine Sekunde unbewacht bleiben. Es kann sein, dass der Täter nachzuholen versucht, was er auf Anhieb nicht geschafft hat. Ach ja, und informiert Inspektor Barisic.“

Die Polizisten folgten den Krankenträgern. Dr. Schell wusch sich im Badezimmer die Hände. Ich lehnte mich an den Türrahmen. „Wie gut kennen Sie Lampe?“ wollte ich wissen.

„Er hat’s mit der Leber und braucht mich mindestens einmal im Monat“, meinte der Arzt und hielt seine Arme bis zu den Ellenbogen unter das Wasser. „Obwohl ich mich mit meinen Honoraren an der unteren Grenze bewege, hat er Mühe, mich zu bezahlen. Es liegt nicht an seiner Krankheit. Arbeiten könnte er schon, aber er hat kein Stehvermögen. Er wechselt oft und legt immer wieder Bummelperioden ein.“

„Woher stammt er?“

„Keine Ahnung. Er wohnt schon seit Jahren in diesem Haus“, sagte Schell und trocknete sich die Hände ab. „Ich schicke meinen Bericht morgen früh zum Revier. An wen?“

„Inspektor Barisic“, sagte ich. „Soll ich es aufschreiben?“

„Nicht notwendig. Ihn kenne ich.“

Als er sich verabschiedete, kreuzte Viola Beiler in einem luftigen Shirt Kleid auf. Sie war das spitznasige Mädchen auf den gerahmten Fotos. „Wo ist er denn?“, fragte sie und schaute sich neugierig in der Wohnung um.

„Er ist vor ein paar Minuten abgeholt worden“, sagte ich. „Er ist jetzt auf dem Weg ins Krankenhaus.“

„Hat er eine Schlägerei gehabt?“

„Er wurde hier in seiner Wohnung niedergestochen. Es sieht so aus, als ob der Täter durch das Fenster eingedrungen ist. Zumindest ist er auf diesem Weg aus der Wohnung verschwunden.“ Viola Beiler setzte sich und holte sich eine Zigarette aus ihrer Handtasche. Ich gab dem Mädchen Feuer. Viola Beiler war wie ein kühler Fisch. Sie machte nicht den Eindruck, als ob sie die Nachricht von Fred Lampes Verletzung sonderlich zu irritieren vermochte. Es war nicht leicht, das Alter der Besucherin zu bestimmen. Obwohl sie die Dreißig sicherlich schon erreicht hatte, stand fraglos fest, dass sie mit Zwanzig nicht viel anders als jetzt ausgesehen hatte und dass sie mit Vierzig ebenso reizlos aussehen würde. Schön waren nur ihre großen grauen Augen, die Hände und die Beine.

„Erzählen Sie mir etwas von ihm“, bat ich sie.

„Du lieber Himmel“, meinte sie bitter. „Wo soll ich da beginnen? Fred ist ein Katalog der Enttäuschungen — für mich jedenfalls. Es gab einmal eine Zeit, zu der ich bereit war, ihn zu heiraten, aber jetzt bin ich froh, dass nichts daraus geworden ist. Fred hat keinen Charakter. Er ist nicht schlecht, aber labil.“

„Seit wann kennen Sie ihn?“

„Seit zehn Jahren, als er von Kufstein nach Wien zog.“

Ich beugte mich nach vorn und gab mir Mühe, meine Erregung nicht zu zeigen. »Wie lange wohnte er in Kufstein?“

„Er ist dort geboren worden“, sagte sie.

„Was veranlasste ihn, nach Wien zu ziehen?“

„Das kann ich nur vermuten. Ich wette, es störte ihn, dass seine Klassen- und Alterskameraden reich geworden waren, dass sie Ansehen und Einfluss gewonnen hatten, während er, der frühere Star der Schulmannschaft, quasi ein Gammler-Dasein führte. Fred ist nicht dumm. Er hätte es genauso gut wie die anderen schaffen können, aber das lag ihm nicht. Es störte ihn, die Erfolge der anderen fortwährend vor Augen geführt zu bekommen.“

„Welche Schule besuchte er in Kufstein?“

„Das Gymnasium, wie wir alle“, antwortete Viola Beiler. „Den Abschluss hat er leider nicht geschafft. Er hatte eine Affäre mit der jungen Frau seines Direktors. Der Skandal führte zu Freds Rausschmiss.“

„Stand er noch mit irgendwelchen Freunden oder Freundinnen aus seiner Kufstein—Zeit in Verbindung?“, erkundigte ich mich.

Viola Beiler schüttelte ihren Kopf. „Bestimmt nicht“, meinte sie überzeugt. „Fred hasste es, Briefe zu schreiben. Was hätte er seinen Exfreunden denn auch mitteilen sollen? Dass er in Wien genauso eine Flasche ist, wie er es in Kufstein war?“

„Sie gehen sehr streng mit ihm ins Gericht“, sagte ich. „Er schwebt in Lebensgefahr.“

Viola Beiler hob die Augenbrauen. „Das wusste ich nicht“, meinte sie ohne sichtbare Gefühlsregung. „Es tut mir leid. Ich werde Fred im Krankenhaus besuchen, obwohl ich bezweifle, dass das viel Sinn hat. In der letzten Zeit haben wir uns immer wieder angeschrien und zerstritten, weil ich es ihm und mir schuldig zu sein glaubte, sein verpfuschtes Leben zu ändern.“

„Ist er vorbestraft?“

„Davon weiß ich nichts.“

„Hat er jemals ein Mädchen namens Emma erwähnt?“, wollte ich erfahren.

„Nein.“

„Kannte er Peter Kehl?“

„Wer ist denn das?“

„Ein gesuchter Schwerverbrecher. Ein mehrfacher Mörder. Kehl wird seit Jahren gesucht und stammt aus Kufstein.“

„Ich glaube, damit liegen Sie schief. Energieleistungen, wie sie im Grunde jedes Verbrechen erfordern, liegen Fred nicht“, meinte Viola Beiler.

„Sie ließen vorhin am Telefon durchblicken, dass Fred Lampe nicht immer den geraden Weg zu gehen pflegte“, stellte ich fest.

„Ach, das“, meinte sie und winkte ab. „Er ist mal dabei erwischt worden, wie er eine Flasche Gin zu klauen versuchte, und vor einiger Zeit hatte er Ärger mit einem Wagenverleiher, weil Fred auf die idiotische Idee kam, den Meilenzähler des Leihfahrzeuges zu verstellen. Fred hatte gehofft, den Mann täuschen zu können, um weniger bezahlen zu müssen. Fred hat diese Dinge und ähnlichen Unsinn immer nur dann getan, wenn er finanziell in Druck war und keinen rechten Ausweg sah. Die Art seiner Vergehen macht schon klar, dass er nicht Format für große Delikte hat.“

Ich stellte noch ein paar Fragen, dann verließ ich zusammen mit Viola Beiler Fred Lampes Wohnung.

Jeder ging seines Weges.

*


Am nächsten Morgen kam ich endlich dazu, meinem Compagnon Florian Mittendorfer in die Geschehnisse des letzten Abends einzuweihen.

„Wir haben also wieder eine tote Auftraggeberin“, stellte Florian lakonisch fest. „Es wird außerdem Zeit, dass ich mehr in deine Fälle eingebunden werde.“

„Was hast du gegen deine Arbeit?“, fragte ich scheinheilig. „Jemand muss diese Dinge erledigen und dafür sorgen, dass wir am Ende des Monats zahlungsfähig sind.“

„Partner teilen redlich“, sagte Florian. „So, wie es aussieht, brauchst du mich ja lediglich dazu, untreue Ehefrauen zu beschatten, um der Männerwelt einen Grund zu liefern, sie, ohne viel zahlen zu müssen, loszuwerden.“

„Ist doch besser, die Herren zahlen unser Honorar, als sie lassen sich immer wieder Hörner aufsetzen.“

„Es gibt den umgekehrten Fall ...“

„Wenn die Damen zu uns kommen und uns bezahlen, darfst du auch hinter untreuen Herren her schnüffeln!“, sagte ich.

„Der Rest meiner Zeit ist mit Recherchearbeiten ausgefüllt“, beschwerte sich Florian.

„Die du begnadigt erledigst. Ehrlich, ich kenne niemanden, der in so kurzer Zeit so tolle Ergebnisse zustande bringt.“

„Vielleicht mache ich mich selbstständig.“

„Schluss jetzt mit dieser Debatte. Wir haben einen konkreten Fall zu bearbeiten. Also streng dein Gehirn an. Emma sowieso ist die Freundin von Peter Kehl. Dem wollen seine alten Freunde ans Leder. Das sollen wir verhindern. Also, wo setzten wir an?“

„Bei dem Nachnamen von Emma. Das kann nicht schwer sein. Sie hat zwar behauptet, in keiner Kartei der Polizei aufzuscheinen, aber vielleicht findet sich anderswo ein Hinweis auf die Dame. Du hast gesagt, ihrer Aussprache nach ist sie Tirolerin. Ich tippe darauf, sie stammt aus Kufstein. Dort haben sich vermutlich alle kennengelernt. Kehl, Lampe, Beiler - auch wenn sie es abstreitet, aber sie stammt ja auch aus Tirol - und auch Emma. Emma ist ja nun leider tot, aber wenn wir erfahren, was sie so alles getrieben hat, kommen wir an Kehl heran. Dem musst du nur verklickern, dass du als Ex-Bulle nicht darauf aus bist, ihn an die Justiz auszuliefern. Vielleicht wird er dann schwach und beginnt zu reden.“

„Zuerst muss ich ihn finden.“

„Ich wette, das schaffen wir spätestens bis heute Abend.“

„Ich wette nicht.“

„Auf ein Essen ‚Bei Susi - Steaks and More‘.“

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