Читать книгу Gestatten, mein Name ist Cox - Rolf A. Becker - Страница 5

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I.

DIE KLEINE HEXE

Sie war hübsch und jung. Sehr hübsch.

Sehr jung.

Genau neunzehn Jahre alt.

Und gerade das machte ihr Kummer. Es ist offenbar eine große Belastung, ein junges Mädchen zu sein. Ihre Augen blitzten trotzig, als gälte es, allen Älteren Kampf anzusagen, ihr flammendes rotblondes Haar umwehte ihren Kopf wie eine Sturmfahne, die die ganze Welt zur Übergabe aufforderte. Das wirkte so niedlich, dass man dauernd versucht war, das Persönchen in die Arme zu schließen.

Ja, sie war klein. 1 Meter 64 von oben bis unten. Aber glauben Sie mir, diese 164 Zentimeter hatten es in sich. Und sie war hübsch. Ihr duftiges Sommerkostüm brachte ihre hinreißenden Konturen raffiniert zur Geltung.

Es war windig, regnerisch und kalt. Ein Sonntag, wie zum Zuhausebleiben geschaffen. Dass ich nicht zu Hause geblieben war, lag eigentlich an Mrs. Shanders, meiner vierschrötigen, lauthalsigen, aber mittlerweile unentbehrlichen Haushälterin, die mir am Morgen mit lieblicher Strenge verkündet hatte, dass sie ihrerseits zu Hause zu bleiben gedenke. Die Aussicht, den Sonntag neben meinem kochtopfpolternden, staubsaugerheulenden, aschbecherausleerenden, fensteraufreißenden, frischluftbesessenen Haustyrannen verbringen zu müssen, war so trostlos, dass es mich in den Regen hinausgetrieben hatte.

Auf der Rückfahrt streikte der Motor. „Plopp-plopp, klack-klack, krr-krr“ - und das am Ortsrand von Illingham, 25 Kilometer vor den Toren Londons.

Später habe ich mir viele Gedanken über diesen Motordefekt gemacht. Habe versucht, mir die Einzelheiten der Fahrt ins Gedächtnis zurückzurufen, vor allem das Gesicht des Radfahrers, der kurz vor Illingham meinen Wagen angehalten und mich um ein Stück Heftpflaster aus der Autoapotheke gebeten hatte.

Mit Hängen und Würgen quälte ich meinen Wagen zur einzigen Reparaturwerkstatt dieses Örtchens, das manche Leute verträumt, die meisten aber öde nennen, in der vagen Hoffnung, den Werkstattbesitzer anzutreffen.

Ich hatte Pech. Er war nicht da. Er besuchte seine Schwägerin in Chelsea, deren Tochter am vergangenen Donnerstag den silbernen Wanderpokal des „Chelsea-Badminton-Clubs“ erstritten hatte.

„In drei Sätzen“, erklärte mir die Autowerkstattbesitzersgattin, „6 zu 4, l0 zu 8, 7 zu 5, und das wird natürlich ein bisschen gefeiert.“

Meinen Wagen, tröstete sie mich, könne ich aber, bitte sehr, gerne hier lassen. Ihr Mann würde sich am nächsten Morgen gleich dranmachen.

Ich hatte die Wahl zwischen dem staatlichen Eisenbahn--Vorortsverkehr und dem „Goldenen Schwan“. Der nächste Zug fuhr 22 Uhr 47, und so entschied ich mich für Illingham, den „Goldenen Schwan“, ein warmes Abendbrot und troc-kene Füße.

Man reichte Rehrücken in Sahne, mit Preiselbeeren und Kartoffelkroketten. Das hätte meine Laune sicherlich etwas aufgebessert, wenn der Rehrücken nach Rehrücken geschmeckt hätte. Das tat er aber nicht. Er schmeckte nach morschem Violinenkasten mit Worcestersauce.

Nun ist es freilich ein verwerflich Tun, den Herrn Oberkellner für die Missetaten des Küchenchefs verantwortlich zu machen; aber nachdem der Sonntag vom Morgen bis zum Abend voller Tücken und Enttäuschungen gewesen war, wollte ich mir wenigstens diese kleine Freude gönnen.

Der Ober zuckte mit den Schultern, verwandelte seine Stirn in ein Waschbrett und beteuerte, dass dies nie wieder vorkommen werde, der Braten sei jetzt auch alle, und vorgestern habe er noch sehr gut geschmeckt. Es war wohl sein Wunsch, dieses peinliche Thema zu wechseln, der ihn die Bemerkung fallen ließ, die er sich vorher so sorglich verkniffen hatte. Eine Bemerkung, die mir zunächst wie Sphärenmusik in den Ohren klang, die aber, aus heutiger Sicht, besser entfallen wäre. Denn sie leitete den ärgsten Schlamassel ein, den ich je erlebt habe. So kalt wie die Kartoffelkroketten waren, so heiß war die Suppe, die ich mich in diesem Moment auszulöf-feln anschickte. „In der Halle“, tuschelte mir der Ober zu und verzog sein Gesicht zu einem Raubvogelgrinsen, „sitzt eine junge Dame, die sich für Sie interessiert, Mr. Cox.“ Gleich darauf schwappte das Grinsen über und wandelte sich in die Starre eines Schrumpfkopfes.

„O je - das hätte ich vielleicht nicht sagen sollen. Sie hat sich zwar nach Ihnen erkundigt, aber ich soll nicht darüber reden.“

„Schon gut, ich werde die Dame nicht belästigen.“

Und das war auch mein fester Vorsatz. Er geriet erst ins Wanken, als ich die Dame sah.

Sie war jung und hübsch. Sehr jung, sehr hübsch.

Sie saß in der Hotelhalle auf einem der Rohrgeflechtstühle, die Beine mit berechnender Grazie übergeschlagen. Vor ihr auf dem Tisch stand ein halb geleertes Glas Pfefferminzlikör, in den Händen hielt sie ein Modejournal, das zu lesen sie den Anschein zu erregen suchte. In Wirklichkeit blinzelte sie unter dick getuschten Wimpern zu mir herüber und war viel zu sehr damit beschäftigt, weltstädtisch zu wirken.

Und dann kam das Spiel mit der Zigarette und dem Feuerzeug, das nicht funktioniert.

Nun, ich wusste, wie man sich in solchen Fällen verhält. Ein paar Schritte vorwärts, ein inniges Hoffen auf das Funktionieren des eigenen Fahrzeugs und „Gestatten?“ Dann knips (ein Glück, es funktionierte), und schließlich: „Sie wollten mich sprechen, mein Fräulein?“

Der Erfolg war mäßig. Sie lächelte flüchtig, legte die Zeitschrift hin, griff nach dem Likörglas und vertauschte es mit der Zigarette. Dann war die Verlegenheitspause beendet.

„Ich? O nein, ich glaube, das stimmt nicht.“

„Verzeihung. Aber der Ober teilte mir mit, in der Halle säße eine auffallend hübsche junge Dame, die mich zu sprechen wünsche.“

„Da hat er übertrieben“, entgegnete sie mit gespielter Gelassenheit. „Alle Kellner übertreiben. Sie meinen das nicht schlecht, es liegt wohl an ihrem Beruf. Aber setzen Sie sich doch, Mr. Cox!“

„Immerhin kennen Sie meinen Namen?“

„Natürlich kenne ich ihn, sonst hätte ich mich ja nicht nach Ihnen erkundigen können. Aber ich wollte nur wissen, wie Sie aussehen. Und wenn Sie mir gefallen hätten, wäre es vielleicht möglich gewesen, dass ich mit Ihnen gesprochen hätte.“

„Und? Habe ich die Prüfung bestanden?“

Sie sah mich ernst an, stupste sich eine Haarlocke aus der Stirn. „Ich spreche ja schon mit Ihnen.“ Aber sofort schaltete sie wieder auf den Rückwärtsgang. „Das will natürlich gar nichts sagen. Bis jetzt kenne ich nur Ihre Maske. Jeder Mensch hat eine Maske, hinter der er sich so lange wie möglich verbirgt. Eine Art Schutzschild, nehme ich an. Ich bin die einzige Ausnahme, die ich kenne. Ich bin immer, wie ich bin.“

Ich tat der Kleinen den Gefallen, sie ernst zu nehmen, und fragte nach ihrem Namen. Das war ein Fehler, denn damit hatte ich offenbar die Schleuse zu ihrem Lieblingsthema geöffnet.

„Ich heiße Emely oder Constance. Manchmal auch Gertrud. Das ist nie so bestimmt. Heute heiße ich Esmeralda. Es gibt so viele hübsche Namen, dass ich gar nicht weiß, welcher mir am besten gefällt. Wenn Sie eine Frau wären, würden Sie dann gerne Winnifred heißen? “

„Ich glaube nicht.“

„Sehen Sie, deswegen heiße ich auch nicht so.“ Sie lachte. Doch dann wurde sie sachlich und erklärte mit feurigem Ernst, sie hielte es für absolut selbstverständlich, dass wir in unserer aufgeklärten, fortschrittlichen Welt das wichtigste Attribut, das sich unserer Persönlichkeit zugestellt, nämlich den Namen, selbst auswählen.

„Wo kommen wir denn hin mit unseren Idealen von Menschenwürde und Freiheit, wenn wir in der Wahl unseres intimsten Eigentums beeinträchtigt werden?!“

Ihre Augen blitzten, ihre Worte schepperten dahin wie schillernde Münzen, die aus dem Prägestock fallen. Ich merkte, dass dies ein Thema war, über das sie viel und häufig gesprochen hatte, so fließend sprudelten die Argumente. Das war keine Konversation, sondern eine Volksrede.

„Unsere Welt ist modern“, rief sie mir über den Rand ihres Likörglases zu. „Fast alles können wir selbst entscheiden. Beruf, Ehe, Babyverhütung, Wohnsitz. Aber unsere Welt ist nicht modern genug! Was die Wahl des Namens betrifft, ist sie um Jahrhunderte rückständig. Das ist Mittelalter, Lebenswirtschaft, Sklaverei! Wenn ich einmal volljährig bin, gründe ich eine Liga für freie Namensgebung!“

Um der Gefahr weiterer Überzeugungsversuche zu entgehen, nickte ich gedankenverloren, behauptete, ganz ihrer Meinung zu sein, und bestellte ihr einen neuen Pfefferminzlikör.

„Was treiben Sie hier, Miss... Constance war der Name für heute, nicht wahr?“

„Esmeralda“, verbesserte sie. „Ich warte hier.“

„Worauf?“

„Dass es neun Uhr wird. Sie warten auch, nicht wahr?“

„Glauben Sie?“

„Ich weiß es!“ sagte sie und lächelte triumphierend. „Sie wollten eigentlich heute Abend schon in London sein. Aber Sie hatten eine Autopanne, und jetzt müssen Sie warten, bis Ihr Wagen wieder in Ordnung ist.“ Sie sagte es mit einer Sicherheit, als habe sie darüber ausführlich in der Times gelesen.

Aber sie wusste noch mehr über mich. So zum Beispiel, dass ich vor drei Jahren eine private Spielbank in Kensington gesprengt, Schwierigkeiten mit dem Besitzer und schließlich auch mit der Polizei bekommen hatte. Sie kannte sogar die Summe, um die es damals ging, kannte sie auf Heller und Pfennig.

„Meine Hochachtung“, staunte ich. „Wo haben Sie denn das alles erfahren?“

„In dem Spielsalon.“ Ihre Augen strahlten. „Man erzählt dort von Ihnen!“

In den Spielsalons... Sie hatte also auch schon Bekanntschaft mit Jetons, Karten und Würfeln gemacht, die Kleine mit den hundert Namen. Sie mochte kaum 19 Jahre alt sein, für meinen Geschmack ein bisschen zu jung für das Glücksspiel. In dem Alter sollte man dem Leben noch andere Freuden abgewinnen können. Aber ich hütete mich, etwas darüber zu sagen, denn sie hielt sich natürlich für kolossal erwachsen, und jede kritische Bemerkung über ihr Alter hätte zweifellos eine hitzige Diskussion über Menschenwürde, Generationsprobleme, Komplexverhaftungen oder was weiß ich nach sich gezogen.

Ja, sie spielte leidenschaftlich, jede Art von Glückspiel, besonders aber Roulette. Und das, so vertraute sie mir an, sei auch der Grund, warum sie in Illingham sei. Sie habe hier nämlich eine kleine, private Spielbank entdeckt.

„Illegal natürlich, in einem Privathaus, alles ein bisschen behelfsmäßig, nichts für so große Spieler wie Sie, aber streng reell! Übers Ohr gehauen wird dort niemand. “

Hm. Das klang verheißungsvoll. Möglicherweise war Illingham doch nicht so trostlos, wie ich angenommen hatte.

„Wie wär’s, wenn wir in diesen Spielklub gingen?“ fragte ich. Der Vorschlag erstaunte sie. „Wie? Sie mit mir?“ Sie fiel mir fast um den Hals vor Freude. Und das wiederum erstaunte mich.

Ich bestellte ihr einen neuen Pfefferminzlikör, mir einen Brandy und konzentrierte mich auf das Studium ihrer Augen. Sie waren groß und klar, schimmernd wie bunte Glaskugeln, mit einem eigentümlichen Glanz von Melancholie. Erst nach einer ganzen Weile bemerkte ich, dass sie mir genauso tief in die Augen sah wie ich ihr.

Sie lächelte nicht mehr. Sie sah mich abwägend und kritisch an.

„Sie müssen verdammt aufpassen, dass ich mich nicht in Sie verliebe?“

Es klang wie eine nüchterne Feststellung, als wolle sie mich vor den Folgen meiner Existenz warnen.

Und so unternahm ich dann auch gar nicht den Versuch, eine Erwiderung zu finden. Ich reichte ihr stumm ihr Glas, trank meinen Brandy aus, sah auf die Uhr. Es war fünf vor neun. Sie erriet meine Gedanken.

„Gehen wir“, sagte sie.

Vor der Tür stand ein zitronengelber Ferrari-Sport. Er nahm sich auf der grobgepflasterten Kleinstadtstraße aus wie ein Haifisch in Großmutters Ententeich.

„Steigen Sie ein!“ strahlte die Kleine, stolz auf ihr ungetümes vierrädriges Spielzeug.

„Mbwwwfff...“machtederMotor, und wir brausten los. Weil ich als artiger Mensch weiß, was sich gehört, machte ich einige bewundernde Bemerkungen über das Auto und ihre Fahrkünste, sonst schwiegen wir uns vielsagend aus. Nur hin und wieder traf mich ein kleiner, koketter und zugleich ängstlicher Seitenblick. „Wird er wohl die Gelegenheit ausnützen“, schien er einerseits zu fordern, wie „wehe ihm!“ andererseits. Ich nützte nicht aus.

Nach zehn Minuten waren wir zwar nicht am Ziel unserer Wünsche, wohl aber am Ziel unserer Fahrt, einer alten, grobklotzig in einen weiten Park hineingepflanzten Villa.

Ein Anblick zum Gruseln. Kleine, sinnlose Erkertürmchen straften die strenge Giebelfront Lügen. Behäbige Fensterbänke aus Marmor strebten in die Breite, verkünstelte Sandsteinschnörkeleien in die Höhe. Offenbar hatten seinerzeit der Architekt und der Bauherr eine strapaziöse stilistische Fehde ausgefochten. Der Kompromiss, den sie ausgehandelt hatten, war ein Ungebilde aus Backstein und Mörtel und überdies so stabil gebaut, dass über Generationen kaum Hoffnung darauf bestand, dass es an natürlicher Baufälligkeit eingehen werde.

Ein untersetzter Mann mit rundem, gutmütigem Gesicht öffnet die Tür und ließ uns eintreten. Er verlor dabei kein Wort, nickte nur freundlich und wies uns mit einer Handbewegung den Weg zum Spielsalon.

Die Inneneinrichtung des Hauses machte die Drohung, die die Fassade ausgesprochen hatte, nicht wahr. Hatte ich mich auf Plüsch und Semimonde der Jahrhundertwende eingestellt, so wurde ich nun von Wollboucle, Teakholz und Stahlrohr überrascht, alles ein bisschen billig, aber ich hatte Schlimmeres befürchtet.

Auch das Publikum, das sich um die beiden Roulette-Tische scharte, ließ manchen Wunsch offen. Es war weder mondän noch interessant, weder vornehm noch verworfen, es war ganz einfach langweilig. Ich verbiss mir eine Bemerkung darüber, denn meine kleine Begleiterin war offenbar sehr stolz darauf, mir in der Einöde von Illingham die Oase eines Spielklubs bieten zu können.

„Wo ist denn nun der geheimnisvolle Mann hinter den Kulissen, dem ich mich vorstellen muss?“ fragte ich. „Nirgends“, flüsterte sie zurück. „Sie brauchen sich niemand vorzustellen. Man fragt hier nicht nach dem Namen der Gäste. Tun Sie ganz harmlos, einfach so, als ob Sie hier schon seit Jahren ein und aus gehen!“

Ich gab mein Bestes, tat so harmlos wie möglich. Es nützte nicht viel. Wie Stechmücken umschwirrten mich die prüfenden, neugierigen Blicke der Illinghamer Spießbürger. Dann trat er auf mich zu.

Das auffallendste an ihm war sein scharfer Mundgeruch. „Hallo, Mr. Cox!“ sagte er.

All dies gefiel mir nicht. Der Mann am wenigsten. Er hatte ein profanes Dutzendgesicht mit einem kläglichen, blonden Schnurrbartbüschel unter der Nase. Eine mickrige Gestalt, zu kurze Arme, zu große Füße, ein Mann in sehr sparsamer Ausgabe, der sich dringend hätte strecken lassen müssen, denn er wirkte viel zu klein für seinen Anzug.

Wie von einer Fliegenklatsche totgeschlagen verlosch sein Lächeln, das er zu meiner Begrüßung aufgesetzt hatte.

„Wenn Sie nachher mal ‘ne Spielpause machen, Mr. Cox - ich hätte ‘n paar Worte mit Ihnen zu reden.“

„Und wenn ich keine Worte mit Ihnen zu reden habe?“

„Och“, sagte er mit übertriebener Bescheidenheit, „darüber machen Sie sich keine Sorgen. Ich kann mir schon Gehör verschaffen. Also, bis nachher!“

Das junge Mädchen, das heute auf den Namen Esmeralda hörte, war genauso erstaunt wie ich.

„Ich habe ihn noch nie hier gesehen. Und er ist auch bestimmt kein Stammgast. Sonst hätte er Sie nicht mit Namen angeredet.“

Sie blickte ihm ergriffen nach. Ohne die Spieltische zu beachten, schlurfte er auf seinen großen Füßen in den Nebenraum, wo er sich mit einem überraschend elastischen Schwung auf einen der Barhocker hievte.

Es war ein Mensch, der einem auf den ersten Blick den Appetit verdarb. War es in diesem Spielklub ohnehin nicht übertrieben lustig, so war mir die Laune durch dieses Männlein gänzlich ruiniert. Freilich, ich hätte ihn auf seinem Hocker sitzen lassen und einfach nach Hause gehen können. Aber dann hätte die Sache völlig den Reiz verloren, denn ich war neugierig geworden, auf eine unbequeme und kribblige Art neugierig.

Nach einer Viertelstunde übergab ich meine Chips dem Mädchen und ging hinüber in die Bar. Ich setzte mich neben ihn, bestellte einen Whisky, beauftragte den Barkeeper, meiner kleinen Spielgefährtin einen Pfefferminzlikör zu bringen, und wartete.

Er baumelte mit den Beinen und klimperte mit den Eiswürfeln in seinem Drink.

„Ich glaube, ich habe Ihnen noch nicht gesagt, wer ich bin“, begann er, ohne von seinem Glas aufzusehen. „Ich heiße Goodman.“

„Gleichgültig, Cox.“

„Sergeant Goodman, Scotland Yard.“

Er hatte sich offenbar mehr Effekt von dieser Mitteilung versprochen; denn er machte eine bedeutungsschwere Pause, ehe er fortfuhr:

„Sie haben ja schon einige Male mit uns zu tun gehabt, Mr. Cox, und Sie werden sicherlich zugeben, dass sich der Yard Ihnen gegenüber immer sehr fair verhalten hat.“

Was wollte der Mann? Eine Spende zur Anschaffung von Gebißreinigungsmittel für zahnbeschädigte Kriminalbeamte?

„Gut“, brummte ich, „wenn es Sie glücklich macht, gebe ich es zu. Und was nun?“

Er hob sein Glas, drehte es im Licht und betrachtete es wie eine künstlerische Rarität. „Diesmal möchten wir Sie um eine Gefälligkeit ersuchen.“

„Immer zu! Ersuchen Sie!“

„Sie kennen sich doch in den Londoner Spielklubs einigermaßen aus?“

„Ich weiß gar nicht, wovon Sie sprechen.“

Er bemühte sich um das, was in eleganten Romanen immer als „feines Lächeln“ beschrieben wird. Es gelang ihm nicht. Er sah eher aus, als habe er eine Kieler Sprotte mit Kopf und Schwanz verschluckt.

„Wir wollen nicht Versteck spielen, Mr. Cox. Diese Lokale sind natürlich illegal, das wissen wir. Wir wissen aber auch, dass es solche Lokale gibt, und wir wissen ferner, dass Sie in ihnen verkehren. Sie kennen vermutlich die Mosquito-Bar in der Clayton Street?“

Natürlich kannte ich sie. Ein trübes Etablissement. „17 und 4“, „Poker“ und „Lahme Ente“, nichts für mich.

„In der Mosquito-Bar arbeitete eine junge Dame“, fuhr Goodman fort. „Sie heißt Laura Corell und war als Zigarettenfräulein angestellt. Sie ist seit zwei Tagen verschwunden.“

„Wie traurig! Und das hat die armen Beamten von Scotland Yard aus dem Mittagsschlaf gerissen?“

„Uns liegt sehr daran, mit dieser Dame in Verbindung zu treten. Andererseits wollen wir in der Mosquito-Bar keinen Staub aufwirbeln. Die Leute sollen nicht merken, dass sich die Polizei für Miss Corell interessiert. “

Mich ließ das ziemlich kalt.

„Ihre Sorge, mein Herr.“

Er nickte stumpf. „Und ab heute ist es auch Ihre Sorge, Mr. Cox! Alles, was Sie zu tun haben, ist, Miss Corell aufzustöbern.“

Jetzt legte ich ein „feines Lächeln“ vor. „Und alles, was Sie zu tun haben, ist, sich einen anderen zu suchen, Mr. Goodman. Es hat mich sehr gefreut, empfehlen Sie mich der Frau Gemahlin.“

Er hielt mich am Rockzipfel fest.

„Ich bin ermächtigt, Ihnen für Ihre Spesen und Mühen eine Summe von 500 Pfund auszuhändigen.“

Alle Achtung! Das musste ein ziemlich heißer Fall sein, wenn die Polizei so viel springen lassen wollte. Aber auf mich machte das wenig Eindruck.

„Behalten Sie Ihr Geld, und machen Sie sich einen vergnügten Abend.“

Zum zweiten Mal wollte ich vom Barhocker rutschen, zum zweiten Mal hielt er mich fest.

„Sollten Sie ablehnen, uns diese kleine Gefälligkeit zu erweisen, sähe ich mich leider gezwungen, Sie wegen unerlaubten Glücksspiels in Haft zu nehmen.“

Es dauerte eine Weile, bis ich merkte, dass es kein schmutziger Scherz war, sondern bitterer Ernst. Sergeant Goodman meinte haargenau, was er sagte. Er bestritt nicht mal, dass es eine Art Erpressung war. Aber, so sagte er, es ging darum, einen Mord zu verhüten, und da sei eben jedes Mittel recht.

Mir war es zwar nicht recht, aber was half ’s? Ich hatte die Wahl, den Sergeant entweder zur nächsten Polizeiwache oder nach London zu begleiten. Denn leider war die Sache auch noch eilig. Scotland Yard brauchte meine Dienste noch in dieser Nacht. Ich musste mich also schnell entscheiden, und ich kann nicht mal sagen, dass mir darüber das Herz gebrochen ist. Sowenig mir Sergeant Goodman gefiel, im Grunde war es doch eine Geschichte nach meinem Geschmack. Eine angemessene Abwechslung - und 500 Pfund sind anerkanntermaßen ein hübsches Taschengeld.

Ich zahlte, ging hinüber in den Spielsalon, um mich von meinem Wunderschönchen zu verabschieden.

Ihr Platz war leer.

Ich wollte gerade anfangen, darüber zu staunen, als der Ober an mich herantrat.

„Die junge Dame wurde abberufen. Sie lässt grüßen, wünscht Ihnen einen angenehmen Abend und hofft, Sie bald mal wieder hier zu sehen.“

Ich gab ihm ein Trinkgeld. „Kommt sie öfters her?“

„Fast jeden Abend.“

„Dann können Sie mir wahrscheinlich auch sagen, wie die Dame heißt?“

Er sah mich an, als hätte ich ihn nach der Hutnummer von Georg Washingtons Großvater gefragt.

„Bedaure, mein Herr, ich kenne keinen der Gäste mit Namen.“

Während der Fahrt nach London erzählte mir Sergeant Goodman über das verschwundene Zigarettenmädchen. Er erzählte mir alles, was die Polizei über sie wusste - und das war nicht viel: Sie hießt Laura Corell, war etwa 24 Jahre alt, nicht gerade hübsch, aber ganz apart. Sie war in Kanada geboren und vor acht Jahren nach England gekommen. Hier hatte sie erst eine Stelle in einem Haushalt angenommen, darauf für kurze Zeit eine Mannequinschule besucht und sich schließlich als Zigarettenmädchen verdingt. Ihre Eltern lebten nicht mehr, nur noch ein alter Onkel, der irgendwo drüben in den kanadischen Wäldern als Holzfäller arbeitete. Vor zwei Tagen nun war sie verschwunden. Sie hatte ihr möbliertes Zimmer aufgegeben und war auch nicht mehr in der Mosquito-Bar erschienen.

„Und warum interessiert sich die Polizei für das Mädchen? “ fragte ich.

„Ich bin nicht autorisiert, Sie darüber zu informie ren.“

„Wenn ich schon für Scotland Yard die Kastanien aus dem Feuer holen soll, muss ich wenigstens wissen, wie heiß sie sind.“

„Das müssen Sie nicht. Je weniger Sie über den Fall wissen, desto weniger können Sie falsch machen.“

An der Ecke Clayton Street machte er halt.

„Die letzten Schritte gehen Sie besser zu Fuß. Ich möchte nicht, dass man meinen Wagen vor dem Lokal sieht. Und hier - eine kleine Anzahlung. 250 Pfund. Den Rest kriegen Sie, wenn der Auftrag erledigt ist.“

Er reichte mir ein Bündel l0-Pfund-Noten, klopfte mir auf die Schulter und ließ mich aussteigen.

„Ach, noch etwas“, sagte er und griff in seine Jackettasche. Er tat es umständlich und bedächtig wie St. Nikolaus, der dem braven Jungen ein Schokoladenherz aus dem Sack holt. Es war aber kein Schokoladenherz. Es war eine 7,65er Mauser.

„Damit Sie sich nicht so einsam fühlen, falls irgend etwas nicht nach Plan geht.“

Gestatten, mein Name ist Cox

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