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II.

HALTEN SIE SICH FEST, DIE GESCHICHTE WIRD SPANNEND

Die Mosquito-Bar war so voll wie eine japanische Straßenbahn zur Hauptverkehrszeit.

Nur nicht so gemütlich.

Sie war zweifellos dazu angetan, sich das Trinken in der Öffentlichkeit abzugewöhnen. Trübes Licht, muffige Luft, miese Leute. An den Wänden hingen so genannte Künstlerfotos, auf denen dreiviertel nackte Damen das zur Schau stellten, was sie für ihre Reize hielten. Am Piano saß ein heruntergekommener Schönling und bemühte sich, mit sentimentalen Songs die Luft noch undurchdringlicher zu machen, als sie sowieso schon war. Und die Gestalten, die an den Tischen herumsaßen - Mama mia, die waren atemberaubend.

Trotzdem konnte man nicht sagen, dass es hier hoch herging. Die Leute waren merkwürdig ruhig, stierten in ihre Gläser und schienen sich an eine Geheimparole zu halten, wonach es bei Strafe verboten war, sich zu amüsieren.

An einem Ecktisch fand ich einen leeren Stuhl neben einem alt gewordenen Mädchen. Verquollene Karpfenaugen, fettige Haarsträhnen und eine Oberweite von sensationellen Ausmaßen gaben ihr die Grazie eines Alptraumes.

„Genieren Sie sich nicht, junger Mann“, krähte sie mir mit hoher Fistelstimme entgegen, „setzen Sie sich, ich beiße nicht.“

„Ich war nicht ganz sicher“, sagte ich und setzte mich auf den freien Stuhl.

Sie hielt es für einen famosen Witz und lachte sich beinahe den Busen aus der Bluse. Vergeblich versuchte sie, mich mit einem Schnürsenkel von Mann bekannt zu machen, den sie Max nannte, der aber nichts davon wissen wollte - er schlief. Er kannte offenbar das Lokal, wusste, dass er nichts versäumte.

Das dicke Mädchen war daher doppelt froh, einen Gesprächspartner gefunden zu haben. Sie hieß Lizzi, war 48 Jahre alt und hatte es in diesen 48 Jahren zu nicht viel mehr als einem Stammplatz in der Mosquito-Bar und ihrem schläfrigen Bräutigam Max gebracht.

Von ihr erfuhr ich, dass die Bar dem berühmten Hotelkönig Christopher Malone gehörte, dem man ja nachsagte, er habe das Geld für seine großen, seriösen Hotels mit solchen absonderlichen Nachtspelunken gemacht. Der Geschäftsführer hieß Carlos Rocca und war, wie Lizzi glaubwürdig versicherte, ein dreimal gehenkter Windbeutel.

Ich legte die dümmliche Platte auf, gab mich als kanadischer Provinzler, der hierher gekommen war, um der Krone des Leichtsinns zu frönen: einer Partie 17 und 4.

„Ja, ja“, schwelgte ich in Vorfreude auf das zu erwartende Abenteuer, „so was soll’s ja hier geben, im Hinterzimmer, hat man mir gesagt. 17 und 4 und sogar Poker, was mir ja eigentlich noch lieber wäre. Zwar kenne ich die Regeln noch nicht, aber die kann mir doch bestimmt jemand beibringen.“

Der Erfolg war erschütternd. Ihr ganzer schwammiger Körper wabbelte in einem einzigen Lachanfall.

„Ein Spielchen?“ quietschte sie zwischen den einzelnen Lachstößen, „ein Spielchen wollen Sie wagen? Mann, o Mann, Sie haben Nerven! Ich frag’ mich nur, ob Sie wirklich so naiv sind. Ein Spielchen...“

Es folgte eine weiter Salve von „Hihis“, dann meinte sie etwas ernster: „Aber wie Sie’s auch drehen, es geht nicht. Das Hinterzimmer ist außer Betrieb. Geschlossen wegen Renovierierungsarbeiten, aus Gesundheitsgründen, wegen eines Trauerfalles - wie Sie’s lieber haben. “

Wenn ich mir auch noch keinen Reim darauf machen konnte, was das dicke Mädchen so auf Touren gebracht hatte, eines war sicher: Das war kein Fettnäpfchen, in das ich getreten war, das war eine ganze Ölwanne. Und selbst wenn ich noch naiver gewesen wäre, als Lizzi annahm, im nächsten Augenblick hätte ich es endgültig merken müssen.

Der Ober trat an unseren Tisch. Er sah aus wie eine riesige, vorsintflutliche Mischung aus Grizzlybär und Bulldogge.

Der Mann stieß die Luft aus und röhrte: „Sie, wenn Sie Stunk haben wollen, wenden Sie sich an mich, dann kriegen Sie welchen, aber belästigen Sie nicht die Gäste! “

Ich mag es nicht, wenn das Personal so mit mir spricht. Aber ich musste meine Rolle als Provinzonkel weiterspielen. „Verzeihen Sie, ich wollte nur eine kleine Partie 17 und 4 spielen, da ist doch wohl nichts dabei. Außerdem such’ ich ‘ne alte Freundin von mir. Sie ist in diesem Lokal beschäftigt. Aber da ich sie hier nicht sehe, dachte ich, sie arbeitet vielleicht im Hinterstübchen. “

„Wie heißt Ihre Bekannte?“

„Laura Corell.“

Einen Moment dachte ich, jetzt geht die Luft aus ihm raus. Doch dann pumpte er sich schnell wieder auf.

„Ich darf wohl gleich abkassieren, mein Herr. Macht 15 Shilling, ohne Trinkgeld. Laura Corell arbeitet nicht mehr hier, und wenn Sie Ihren Whisky ausgetrunken haben, gehen Sie besser und suchen Ihre Freundin woanders.“

Er machte auf den Hacken kehrt und stiefelte davon. Lizzi hinderte mich daran, ihm zu folgen.

„Vorsicht, Junge! Jim war früher Berufsboxer. Und er ist geradezu wild darauf, den Leuten zu beweisen, dass er noch immer in Form ist.“

„Ich hab’ keine Angst. Ich bin stark im Nehmen.“

Sie zog mich mit sanfter Gewalt auf den Stuhl zurück.

„Wie konnten Sie aber auch von Laura Corell anfangen? Ihretwegen ist doch das ganze Malheur. Sehen Sie sich doch um, wie die Figuren hier die Ohren hängen lassen. Die warten alle auf Laura.“

„So ein fröhliches Mädchen ist sie?“

Lizzi kam nicht dazu, mir zu erklären, ob Laura fröhlich war oder nicht. Der Steinzeitkellner stand wieder neben mir.

„Sie hatten sich nach Miss Corell erkundigt?“ schnurrte er, und diesmal hatte er sogar einen Hauch von Höflichkeit in der Stimme. „Mr. Rocca möchte Sie sprechen. “

Carlos Rocca sah genau so aus, wie man sich einen Barbesitzer vorstellt, der Carlos Rocca heißt. Ein Talmi-Mensch vom Scheitel bis zum Zeh. Das Lächeln zu freundlich, der Anzug zu elegant, der Siegelring zu protzig, die Fingernägel zu schmutzig. Er saß auf einem Schreibtischsessel, der ihm gut zwei Nummern zu groß war. Aber er wirkte deswegen nicht lächerlich. Nur gefährlich. Er lächelte mir höflich entgegen und wartete, was ich zu sagen hatte. Das war nicht viel.

„Gestatten - mein Name ist Petersen.“

Er bat mich, Platz zu nehmen, schenkte mir ein Glas Whisky ein und versicherte mir, dass der bärgesichtige Ober in Wahrheit ein friedfertiger Mensch sei, der nur in Notfällen von seinen boxerprobten Händen Gebrauch mache, dies aber vorher fairerweise ankündige. Und was ich denn, bitte, auf dem Herzen habe?

Ich erzählte ihm mit der gebotenen Ausführlichkeit, dass ich in Kanada aufgewachsen und ein Jugendfreund der kleinen Laura Corell sei. Und da war mir schon der erste Schnitzer passiert.

„Tatsächlich?“ lächelte er. „Ich hätte Sie aber für wesentlich älter geschätzt.“

„Ja, ja“, korrigierte ich mich, „wir sind ein paar Jahre auseinander. Ich war so ‘ne Art Bruderersatz, wissen Sie. Laura müsste jetzt ungefähr vierundzwanzig sein.“

Und damit hatte ich recht. Ich flocht also meinen Zopf weiter. Als ich kürzlich wieder drüben in Kanada war, so erzählte ich, sei ich mit dem Onkel zusammengetroffen. Der habe mir Grüße aufgetragen.

„Wie nett“, nickte er. „Von ihrem Onkel hat sie mir viel erzählt. Er hat irgendwo in den Wäldern gearbeitet, nicht wahr?“

„Holzfäller. Ein netter, alter Kerl, ehrlich, rechtschaffen... “

„So? Ich dachte, er sitzt im Gefängnis?“

Verflixt! Gerade, als ich so schön im Zug war, entgleiste er. Was mich noch mehr verwirrte als Roccas Bemerkung, war der Umstand, dass er unbeirrt weiterlächelte.

„Ach nein!“ sagte ich und brachte eine Spur Empörung in meine Stimme. „Hat Ihnen das Laura etwa erzählt? “

„Soviel ich weiß, hat sie ihre Briefe immer in das Gefängnis von Toronto geschickt. Und zu allen Festtagen ein Päckchen. Laura hat ein gutes Herz.“

Ich versuchte, die Panne zu reparieren, versuchte, ihn zu überzeugen, dass Onkelchen seine Strafe abgesessen hatte, als er mit mir sprach, und mir dabei schamhaft seine Schande verschwiegen hatte. Ich weiß bis heute nicht, ob Rocca mir meine Geschichte geglaubt hat; jedenfalls war er höflich genug, so zu tun, als ob.

Und dann rückte er endlich mit der großen Neuigkeit heraus: dass nämlich Laura seit zwei Tagen nicht mehr zum Dienst erschienen sei, und zwar aus unerfindlichen Gründen, ohne Entschuldigung, ohne sich krank gemeldet zu haben, bedaure sehr.

Nicht, dass ich mir einbilde, ein besonders guter Menschenkenner zu sein, aber ich hatte das sichere Gefühl, dass Roccas Behauptung nicht echt war. Vermutlich kannte er sowohl die Gründe für Lauras Verschwinden als auch ihren Aufenthaltsort.

„Aha“, sagte ich, „sehr schade!“ und stand auf. „Dann muss ich wohl zur Polizei gehen, wenn ich Lauras Adresse bekommen will. Auf jeden Fall danke ich Ihnen schön.“

„Sie haben Ihren Whisky noch nicht ausgetrunken, Mr. Petersen!“ Rocca lächelte immer noch. „Vielleicht könnte ich Ihnen auch einen Tipp geben.“

„Wie viel kostet er?“

„Aber, aber“, wehrte er ab, „Sie wollen mich doch nicht beschämen! Ich weiß auch nicht, ob Sie damit Glück haben werden. Es ist nur eine Vermutung.“

Aha!

„Miss Corell wohnte bei unserer Garderobenfrau zur Untermiete. Dort ist sie ausgezogen, und zwar genau am selben Tage, als eine gute Freundin von ihr aufs Land gezogen ist. Mrs. Irena Rutherford. Sie ist Besitzerin einer Mannequinschule und hat ein hübsches Landhaus, irgendwo im Grünen. Ich weiß natürlich nichts Genaues, aber ich könnte mir vorstellen, dass Laura in der Stadtwohnung ihrer Freundin untergekrochen ist.“

„Könnten Sie sich vorstellen?“

„Mrs. Irena Rutherford, Pennington Road 16, ein kleiner Bungalow, Sie können ihn nicht verfehlen.“

Ich trank mein Glas aus, verabschiedete mich von Rocca, indem ich behauptete, ihm überaus dankbar zu sein, und trollte mich.

Ich war heilfroh, als ich wieder auf der Straße stand. Diese Mosquito-Bar war lauschig wie ein Güterbahnhof. Was immer Laura Corell bewogen haben mochte, sich hier dünne zu machen, sie hatte mein tiefstes Verständnis.

Fast automatisch gab ich dem Taxichauffeur Anweisung, mich in den Pennington Road zu fahren. Wollte doch sehen, wo sich mein Liebling verkrochen hatte.

Es war eine saubere, langweilige Straße in einer stillen Gegend, fein ordentlich parzelliert, eine lange Kette von Bungalows links und rechts, die sich wie Zwillinge glichen.

Es war längst Mitternacht vorbei und zweifellos nicht gerade eine schickliche Zeit, einer alleinstehenden Dame einen Besuch zu machen. Aber im Hause Numero 16 brannte noch Licht, und so schien die Gelegenheit günstig. Eine alte chinesische Weisheit sagt ja bekanntlich: „Wer nicht klingelt, dem wird nicht aufgetan.“

Also klingelte ich.

Eine Weile tat sich gar nichts. Dann hörte ich leise, tappende Schritte und schließlich eine fette, leicht ordinäre Altstimme: „Hallo? Ist da jemand?“

„Das will ich meinen“, antwortete ich. „Ich möchte gern Miss Corell sprechen.“

„Ja?“ klang es etwas beklommen. „Wer sind Sie denn? Kommen Sie von der Polizei?“

Das war eine Gretchenfrage. Wie konnte ich wissen, wie sie reagierte, wenn ich „ja“ sagte. Ich riskierte es und sagte: „Ja.“ Die Antwort kam prompt. Sie öffnete mir die Tür.

Man sah Laura Corell an, dass sie jahrelang die miefige Luft der Mosquito-Bar eingeatmet hatte. Sie sah mit ihren 24 Jahren wie 35 aus, hatte eingefallene Wangen, die ohne Make-up wie Pampelmusenschalen aussahen. Feuchtglänzende Augen lagen in tiefen Höhlen, umzingelt von einem Kranz grauer Fältchen. Nein, man kann nicht sagen, dass sie sich übertrieben vorteilhaft bot. Sie trug Hausschuhe, hatte einen gelbgeblümten Morgenrock nachlässig übergeworfen; ihre Haare sahen aus, als habe sie gerade die entscheidende Runde im Damenringkampf verloren. Man brauchte kein Kenner des schwachen Geschlechts zu sein, um aus ihrem Aufzug zu schließen, dass sie frisch aus dem Bett gestiegen war. Sie schien aufgeregt, fummelte nervös an einem Taschentuch, während sie mich mit einer Mischung von Erstaunen, Furcht und Freude ansah.

„Ich - ich hatte zwar damit gerechnet, dass Sie mich besuchen“, sagte sie ein wenig stockend, „aber mitten in der Nacht...“ Sie deutete mit einer hilflosen Gebärde auf den Morgenrock. „Es tut mir leid“, entschuldigte ich mich. „Ich sah Licht im Bungalow und war der Meinung, Sie seien noch auf.“

„Ich war gerade aufgewacht. Ich schlafe in letzter Zeit ziemlich unruhig. Aber treten Sie doch näher.“

„Ich werde Sie nicht lange aufhalten“, tröstete ich sie, zog die Tür hinter mir ins Schloss und drehte den Schlüssel herum.

„Oh, nun kommt’s auch nicht drauf an. Ich will mir nur schnell die Haare kämmen. Bitte, warten Sie hier einen Augenblick!“ Sie nickte mir freundlich zu und ließ mich allein.

Die Diele des Bungalows war klein, aber mit erlesenem Geschmack eingerichtet. Die Besitzerin des Hauses musste über einen weit besseren Geschmack verfügen, als er diesem Mädchen Laura zuzutrauen war.

Ich setzte mich auf einen kleinen Louis-Quatorze-Sessel und zündete mir eine Zigarette an.

Das heißt, ich hatte vor, mir eine Zigarette anzuzünden.

Ich kam nicht dazu. Gerade als die Flamme meines Feuerzeuges aufzüngelte, geschah es: ein Schrei, laut, schrill, kläglich - drei Schüsse, Ruhe.

Ich ließ Zigarette und Feuerzeug fallen, zog die Pistole, die mir Sergeant Goodman gegeben hatte, und sprang zu der Tür, durch die Laura verschwunden war.

Sie war verschlossen. Ich unterdrückte einen Fluch, warf mich mit meinem ganzen Gewicht gegen die Tür. Beim dritten Versuch sprang sie auf.

Es war, wie ich vermutet hatte, das Schlafzimmer. Doch Laura lag nicht im Bett. Sie lag auf dem Fußboden. Es war kein schöner Anblick. Das gelbe Blumenmuster ihres Morgenrockes war um eine rote Blüte vermehrt. Es war Blut.

Laura Corell war tot.

Der Mörder musste noch vor wenigen Sekunden hier im Raum gewesen sein. Eine schmale Verbindungstür führte in ein kleines Badezimmer. Diesen Weg musste er genommen haben. Im Badezimmer war niemand. Von hier aus führte eine zweite Tür auf den Flur. Ich rannte hinaus und von hier aus in das Wohnzimmer, das rechter Hand lag. Ich fand den Lichtschalter - doch nicht den Mörder.

Auch in der Küche war er nicht, und ich begann, an bösartige Heinzelmännchen zu glauben - da läutete es. Gleichzeitig pochte jemand an die Haustür wie weiland Knecht Ruprecht.

„Ja, ja“, rief ich, schloss die Tür auf und öffnete.

Der Mann reichte mir knapp bis zu den Schultern, was er allerdings durch den doppelten Bauchumfang wettzumachen suchte; er hatte aufgedunsene, mit einem weitverzweigten rötlichen Adernetz gemusterte Wangen und hervorquellende wimpernlose Augen, die mich voller Entsetzen anstierten. Seine Lippen bewegten sich tonlos, er wich furchtsam einige Schritte zurück.

Ich merkte, dass es meine Pistole war, vor der er Angst hatte. Ich steckte sie in die Tasche.

„Sie wünschen?“ fragte ich.

„Entschuldigen Sie - entschuldigen Sie vielmals, mein Name ist Kilburn. Ich wohne im Bungalow gegenüber. Es liegt mir fern zu stören, aber... Sie sind ein Bekannter von Mrs. Rutherford?“

„Nein. Ist das schlimm?“

„Durchaus nicht, aber...“

Vermutlich hielt er es doch für schlimm, denn er sah mich an, als hätte ich seinem Enkelkind die Milch aus der Flasche gestohlen.

„Ein - ein Geräusch hat mich beunruhigt“, stammelte er weiter. „Mir war, als hätte ich in diesem Hause Schüsse gehört.“

„Sie haben richtig gehört.“

Wieder bekam sein Blick etwas Glasiges. „Du mein Schreck! Ist etwas geschehen? Ein Unfall? Kann ich irgendwie behilflich sein?“

„Kennen Sie dieses Haus?“

„Ja.“

„Wie viel Zimmer hat es?“

„Zwei Zimmer, Küche, Bad.“

„Keller?“

„Nein.“

„Dann brauchen wir nicht mehr zu suchen. Diese Räume bin ich schon durchgegangen.“

Natürlich wollte er wissen, wonach sich nicht mehr zu suchen lohnte; natürlich wollte er wissen, was vorgefallen war.

Ich bat ihn herein und zeigte es ihm.

Es war beinahe zu viel für ihn. Er lehnte sich mit der Schulter gegen den Türpfosten, tupfte mit einem zerknitterten Taschentuch den Schweiß von der Stirn.

„Waren Sie das?“ fragte er.

Ich schüttelte den Kopf. Plötzlich wurden seine Augen wieder stier.

„Um Gottes willen, sie darf das nicht sehen! Wir müssen sie erst vorbereiten“, sagte er und schloss die Tür zum Schlafzimmer.

Kilburn hatte sie durch die noch offen stehende Haustür bemerkt. Sie kam den kurzen Gartenweg herauf, mit hastigen und doch geschult gesetzten Schritten. Sie trug ein elegantes Schneiderkostüm mit Nerzkragen, Nerzhut und nerzbesetzten Handschuhen. Sie war etwa Ende 30, mühelos schlank und, wenn man von dem etwas strengen Zug um die Mundwinkel absehen will, von makelloser, betörender Schönheit.

„Laura“, rief sie, noch bevor sie beim Haus angelangt war, „warum steht denn die Tür offen? - Oh, Mr. Kilburn! “

„Guten Abend, Mrs. Rutherford“, sagte Kilburn und bemühte sich um eine höfliche Verbeugung.

Aha. Das also war sie, die Freundin von Laura Corell.

Als erstes fiel mir - völlig unpassend, ich gebe es zu - das schreiend Paradoxe dieser Freundschaft auf: Hier die Vierzigjährige, die aussah wie 24, elegant, reich, vital, dort die Vierundzwanzigjährige, die aussah wie 40, schlampig, arm und tot.

Ich machte einen etwas misslungenen Versuch, meine Anwesenheit zu erklären, Kilburn stammelte in gesetzten Worten, und Irena Rutherford bewies Haltung. Schon nach Kilburns erstem Halbsatz hatte sie begriffen, was los war. Ohne eine Miene zu verziehen, ließ sie sein Gerede über sich ergehen. Dann öffnete sie schweigend die Schlafzimmertür, trat ein.

Jetzt endlich hörte Kilburn zu schwatzen auf. Er ging ins Wohnzimmer und rief die Polizei an.

Zehn Minuten später war der erste Streifenwagen zur Stelle. Kurz darauf kamen die Beamten der Mordkommission und schwärmten im Haus aus, an ihrer Spitze, wie der Feldherr vor der Schlacht, Detektivinspektor Small, ein kleiner, drahtiger, Karrierebewusster Mann mit einem mächtigen Schnauzbart, wie ihn eigentlich nur Karikaturisten erfinden, wenn sie einen typischen Engländer zeichnen.

Der Inspektor nahm mich sofort auf die Seite.

Ich erzählte, was ich hier im Hause erlebt hatte. Der Inspektor hörte aufmerksam zu, ohne mich ein einziges Mal zu unterbrechen. Als ich geendet hatte, nickte er mit dem Kopf.

Das konnte er gut. Er verstand es, seinem Nicken Würde und Seriosität zu verleihen, wie es eigentlich sonst nur den Richtern und Oberstudienräten eigen ist. Oder Schauspielern, die Richter und Oberstudienräte spielen.

Er bat mich Platz zu nehmen, was überflüssig war, denn ich saß schon, und wandte sich der Wohnungseigentümerin zu. Jetzt geschah es das erste Mal, dass ich Irena Rutherford bewunderte. Trotz des begreiflichen Schocks hatte sie sich fest in der Hand. Wenn auch ihre Stimme ein wenig flatterte, so zwang sie sich doch, klar und präzise auf des Inspektors Fragen zu antworten.

„Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, Inspektor“, sagte sie. „Natürlich erschüttert mich der Tod meiner Freundin, aber...“

Sie stockte und sah den Inspektor zweifelnd an. Wahrscheinlich fürchtete sie, dass er sie doch falsch verstehen würde. „Aber?“

„Nun ja - ich will nicht sagen, ich hätte erwartet, dass so etwas passiert, aber es überrascht mich nicht. Laura war in letzter Zeit furchtbar nervös und fahrig. Sie litt unter Depressionen und Angstzuständen. Das ist auch einer der Gründe, warum ich sie in meiner Stadtwohnung aufgenommen habe. Sie sollte hier auf andere Gedanken kommen.“

„Wissen Sie, wovor sie Angst hatte?“

„Nein. Darüber hat sie nie gesprochen. Ich dachte zuerst, es gäbe keinen besonderen Grund. Lebensangst - man hat das manchmal. Aber seit heute Nacht weiß ich, dass ich mich geirrt habe. Die arme Laura war sich völlig darüber im klaren, was geschehen würde.“

„Sie meinen, Miss Corell hat ihren Tod vorausgeahnt?“ Mrs. Rutherford nickte. „Ja. Gegen Mitternacht hat sie mich angerufen. Sie war entsetzlich aufgeregt. Sie bat mich dringend, sofort in die Stadt zu kommen, es ginge um Leben und Tod. Ich habe mir gleich eine Taxe genommen und bin hergefahren. Aber ich kam zu spät.“

Der Inspektor stand auf, ging nachdenklich ein paar Schritte auf und ab, blieb dann vor Kilburn stehen.

„Sie haben den Vorfall beobachtet?“

Kilburn schüttelte heftig den Kopf. „Nein, nein, nein, nicht beobachtet, das wäre zuviel gesagt. Ich habe ihn wahrgenommen. Ich habe die Schüsse gehört, das ist alles.“

„Haben Sie schon geschlafen?“

Erneutes Kopfschütteln. „Dann hätte ich wohl nicht so schnell zur Stelle sein können, nicht wahr? Nein, ich war noch mit meinen Schnecken beschäftigt.“

„Schnecken?“

„Ja, ich sammle Schneckenhäuser.“

„Hm“, brummte Inspektor Small und nahm seinen Rundgang durch das Zimmer wieder auf. „Was taten Sie, als Sie die Schüsse hörten?“

„Ich zog mein Jackett an, rannte hinüber zum Bungalow von Mrs. Rutherford und klingelte.“

„Als Sie über die Straße liefen, haben Sie da jemand aus dem Haus kommen sehen?“

„Nein, niemand. Aber das will nichts besagen, denn von der Straße aus kann man die Hintertür nicht sehen.“

Wieder blieb Small vor Kilburn stehen. „Aber wenn jemand durch den Vorderausgang geflohen wäre - das hätten Sie doch sehen müssen?“

„Aber ja, natürlich! Das wäre mir nicht entgangen. Ich war wenige Sekunden, nachdem die Schüsse fielen, auf der Straße. Außerdem war die Tür abgeschlossen. Ich musste ja klingeln.“

„Gut. Was geschah dann?“

„Dann öffnete mir dieser Herr.“ Er deutete auf mich. „Er schien ziemlich verwirrt und auch ein bisschen aus der Puste. Den Revolver hatte er noch in der Hand.“

Kilburn hätte genauso gut einen Molotow-Cocktail schleudern können, so durchschlagend war die Wirkung. Wie angestochen rotierte Inspektor Small zu mir herum.

„Sie haben einen Revolver?“

„Eine Pistole“, verbesserte ich ihn und reichte ihm die Waffe. „Ich hatte sie gezogen, als ich das Haus durchsuchte. Ich musste doch jeden Augenblick gewärtig sein, dem Mörder gegenüberzustehen.“

Small schnupperte am Lauf, zog das Magazin aus der Halterung - und jetzt zeigte der Molotow-Cocktail auch bei mir seine Wirkung.

„Die Waffe ist erst vor kurzem benutzt worden, denn der Lauf riecht brenzlig. Es fehlen drei Schuss im Magazin. “

Darauf war ich nicht vorbereitet.

Es wäre übertrieben, wenn ich sagen würde, dass meine Gedanken in diesem Moment „fieberhaft arbeiteten“. Sie taten nichts dergleichen. In meinem Kopf war ein dumpfes, beklemmendes Vakuum.

„Sie sind also der Meinung“, hörte ich Smalls Stimme die Leere durchdringen, „der Mörder sei aus dem Haus entwischt, während Sie in der Diele gewartet haben?“

„Natürlich“, sagte ich. „Als ich ins Schlafzimmer kam, war er jedenfalls nicht mehr da. Vermutlich ist er durchs Fenster geflohen oder durch die Haustür.“

Der Inspektor nickte. Aber in diesem Kopfnicken konnte ich wenig Zustimmung erkennen.

„Haben Sie hier im Haus etwas angerührt?“

„Nein.“

Er fragte auch Mrs. Rutherford und Mr. Kilburn. Beide hatten nichts berührt, mit Ausnahme des Telefons, das Kilburn benutzt hatte, als er die Polizei verständigte.

Diese Aussagen bestätigten einen Denkvorgang, auf den der Inspektor offenbar ungewöhnlich stolz war. Er lächelte ein knappes, verkniffenes Beamtenlächeln und sagte mit Triumph in der Stimme:

„Es steht im ganzen Haus kein Fenster offen. Die Hintertür ist verschlossen, der Schlüssel steckt innen. Der Mörder kann das Haus also nicht verlassen haben.“

Das einzige, was über diese Nacht noch zu berichten wäre, ist die Tatsache, dass die Polizei verzichtete, mir Handschellen anzulegen. Aber das war auch nicht nötig. Sie waren in der Überzahl. Es waren vier Beamte, die mich abführten.

Gestatten, mein Name ist Cox

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