Читать книгу Krisenfälle – Insolvenzen hautnah - Rolf-Dieter Mönning - Страница 5
Schatzsuche
ОглавлениеEin trüber 13. Oktober. Nieselregen in Innsbruck. Fast den ganzen Tag. Die Hungerburg hoch über der Stadt war nur zu erahnen, ein dichter Grauschleier lag über dem Inntal.
Zimmer 233, Hotel Tirol am Südtiroler Platz. Blick auf Oberleitungen und Straßenbahnschienen, ich zog die Vorhänge zu und schaltete das Deckenlicht ein, damit es nicht zu gemütlich wurde. Draußen war es bereits dämmrig, die Fassadenstrahler leuchteten schon violett, obwohl der Sonnenuntergang erst in einer halben Stunde anstand.
Frau Dr. Binding saß auf der rechten Seite des Doppelbettes, das rechte Bein über das linke geschlagen. Modischer Kurzhaarschnitt, kleine graue Ansätze im schwarzen Haar. Sorgfältiges Make-Up, nicht aufdringlich, anwaltstypisch. Graue Bluse, zugeknöpft bis zum Hals, Stehkragen mit Schluppe, lange Ärmel mit Knopf und Manschette. Darunter eine schwarze Hose aus angesagtem Breitcord. Stiefeletten aus dunklem Verloursleder, die Kleidung passend zur schlanken Erscheinung. Und auch der schwarze Aktenkoffer fügte sich ins Erscheinungsbild. Klassisch, schmal, enger Griff, ungeeignet für kräftige Männerhände, mit silbernen Schnappverschlüssen und Zahlenschlössern. Das Gegenstück zu meinem schweinsledernen, schon durch viele gewichtige Akten, Flugreisen und Kofferraumquetschungen ramponierten Aktenkoffer, der mitten auf dem Bett stand.
Das Kontrastprogramm zu Dr. Binding, einer Syndikusanwältin aus Salzburg, hockte auf der gegenüberliegenden Seite des Bettes, das zu ¾ mit einer dunkelgrünen Tagesdecke bedeckt war. Ein blonder Engel, ähnlich der Lottofee im deutschen Fernsehen. Bei einer gebürtigen Griechin konnte die Farbe des schulterlangen, welligen Haares vermutlich nur Ergebnis intensiver Färbung sein, wie die schwarzen Ansätze verrieten. Kräftiges Rouge, auffallender Lippenstift, ziemlich rot. Dazu ein dunkelblauer Rollkragenpullover, Alpha und Omega in Strasssteinchen als Zierrat auf der Rückseite. Eine hellgraue Culotte mit Glencheck-Muster, hohe Stilettos, um Größe zu gewinnen. Sophia Makropoulos, sehr beherrscht, sehr gepflegt, Anfang 40, die blauen Augen auf den abgewetzten Koffer gerichtet.
„Können wir anfangen, ich will heute noch nach Wien zurück?“, fragte Sophia in der mir inzwischen hinreichend bekannten direkten Art und zeigte auf den Koffer.
„Wie Ihr wollt, ich habe meinen Teil erfüllt, es ist an Euch“, erwiderte die Kollegin Dr. Binding leicht tirolerisch gefärbt und verschränkte die Arme vor der Brust.
Damit kein Zweifel aufkommen konnte, dass es sich trotz zweier gut aussehender Frauen auf einem Doppelbett in einem 5-Sterne-Hotel um eine geschäftliche Veranstaltung handelte, hielt ich Distanz und setzte mich auf den Stuhl vor dem kleinen Schreibtisch.
„Also los, fangen wir an“, sagte ich zur kühlen Kollegin gewandt, die sich vorbeugte, den Koffer aufnahm, die Schnappschlösser klicken ließ und die Klappe zurückschlug.
Fast zwei Jahre war es her, dass mich Frau Bodenmeyer, kettenrauchende und leicht verschrobene Richterin am Insolvenzgericht, anrief und mir sagte, sie hätte mich als Verwalter im Nachlassinsolvenzverfahren eines örtlichen Textilunternehmers bestellt. Ernst Reinartz war mir aus einem Presseartikel geläufig. Wegen Steuerhinterziehung in beachtlicher Höhe hatte er zwei Jahre gesessen, seine Weberei auf Sohn und Tochter übertragen müssen und war eine Woche nach seiner vorzeitigen Haftentlassung gestorben.
Meine Ermittlungen zu den Vermögensverhältnissen gestalteten sich schwierig. Die Ehefrau trauerte nur wenig und wusste noch weniger. Das schöne Haus im Vorgebirge war ihr Alleineigentum, samt Inventar, wie sie betonte. Ihr Sohn Rainer könne mir mehr sagen, meinte sie knapp, er führe die Firma inzwischen allein, habe seine Schwester im Streit vor die Tür gesetzt. Diese wisse nicht mehr als sie selbst.
Aber auch Rainer war zugeknöpft und zudem sauer, dass es überhaupt zu einem Insolvenzverfahren gekommen war. Was den Nachlassverwalter veranlasst hätte, trotz überschaubarer Zahl an Gläubigern ohne Abstimmung einen Insolvenzantrag zu stellen, war ihm völlig unverständlich. Das hätte man regeln können. Kunststück, dachte ich, bei acht Millionen Steuerverbindlichkeiten gegenüber Finanzamt und Stadtkasse, aufgeteilt in 168 Einzelforderungen des Finanzamtes und mehr als 30 Positionen bei der Stadt. Dazu mehr als 4 Mio. € Forderungen verschiedener Kreditinstitute aus Darlehen.
„Alles besichert“, meinte Rainer, das wäre bei ordnungsgemäßer Verwertung der Gewerbeflächen in guter Stadtlage darstellbar gewesen. Den Nachlassverwalter hielt er für eine Flasche, der normalerweise nur mit kleinen Nachlässen befasst und mit dieser Angelegenheit schlicht überfordert gewesen wäre.
Er kündigte mir an, dass sich die Familie mit allem Nachdruck gegen den Insolvenzantrag zur Wehr setzen und versuchen würde, sich mit Finanzamt, Stadt und Banken außergerichtlich zu einigen.
„Wo hat denn Ihr Vater zuletzt gewohnt?“, wollte ich wissen.
„In Rheinbach, das wissen Sie doch, hinter drei Meter hohen Mauern. Nach seiner Entlassung noch wenige Tage im Domhotel, da Mutter ihn wegen alter Geschichten nicht im Haus haben wollte.“
Natürlich hatte er auch keine Kenntnis, wo sich persönliche Sachen des Vaters befanden. Die Geschäftsanteile an der Spedition gehörten, so Rainer, nicht zum Nachlass, sondern waren schon während der Untersuchungshaft auf ihn und seine Schwester übertragen worden.
„Familiär ging es bei uns schon lange nicht mehr zu. Und der Laden stand vor der Insolvenz. Ich hatte alle Mühe, das Geschäft am Laufen zu halten, trotz der Bemühungen meiner lieben Schwester, die von nichts Ahnung hat.“
Da die Familie nicht helfen wollte oder konnte, machte ich die Runde durch die wichtigsten Gläubiger. Die Banken wollten so schnell wie möglich die zur Insolvenzmasse gehörenden Grundstücke verkaufen, Käufer gab es bereits, die Verträge waren verhandelt. Ein einfacher Fall, so schien es.
Zur Gläubigerversammlung erstattete ich Bericht und gab die freie Masse mit 250.000,-- € an. Aus Mieteinnahmen, freien Spitzen aus der Verwertung der Immobilien sowie etwas Kleinkram. Kurz und schmerzlos, die in der Versammlung anwesenden Vertreter stimmten der Veräußerung des Grundbesitzes zu, mit dem Erlös konnten ihre Forderungen nahezu vollständig bedient werden. Sohn und Ehefrau, die mit ihren Beschwerden gegen die Insolvenzeröffnung gescheitert waren, erschienen nicht. Außer den Vertretern der Banken, saß in der letzten Reihe des Saals 404 eine ältere Frau im nicht mehr ganz zeitgemäßen Kostüm. Die frühere Sekretärin des Seniors, vom Sohn gefeuert, mit Ansprüchen auf Resturlaub und Bonus.
Kurz vor Ende der Versammlung bat sie ums Wort.
„Ich vermisse in Ihrem Bericht Ausführungen zum Verbleib der Wohnung in Seefeld. Wieso wird dieser Wert nicht aufgeführt?“
Derartige Fragen vor aller Ohren waren mehr als unbeliebt. Sie implizierten, dass man als Insolvenzverwalter seine Arbeit nicht gemacht hatte, jedenfalls nicht sorgfältig. Von einer Wohnung in Seefeld, einem bekannten Wintersportort in Tirol, zwischen Innsbruck und der deutschen Grenze idyllisch gelegen, hörte ich zum ersten Mal, von der Gläubigerin auch noch als Luxusappartement bezeichnet. Also werthaltig.
Rechtspflegerin Scharf, die die Versammlung leitete, jung und noch nicht lange dabei, mit Atomkraftgegneraufkleber auf ihrem Notizbuch, schaute vorwurfsvoll. Sie gab mir auf, die Sache aufzuklären und kurzfristig ergänzend zu berichten.
Leicht geladen fuhr ich zur Weberei. Rainer war ahnungslos. „Seefeld, Wohnung – nie gehört, oder doch, warten Sie. Da hat der Vater Urlaub gemacht, glaube ich. Aber ich weiß nichts davon, dass ihm dort eine Wohnung gehören soll.“ Jetzt kam ich richtig in Fahrt.
„Appartementhaus Panorama, Leutascherstraße, klingelt es? Oder soll ich Sie durch das Gericht vorladen und vernehmen lassen?“
Das zog. Rainer knickte ein. Die Mutter hätte ihm aufgegeben, den Mund zu halten. Ja, es sei zutreffend, der Vater hätte in Seefeld schon vor Jahren ein Appartement gekauft.
Und so konnte ich dem Gericht schon einen Tag später einen ergänzenden Bericht senden und mein Versäumnis korrigieren.
„Auf Vorhalt hat der Sohn des Verstorbenen eingeräumt, dass dieser wirtschaftlich Berechtigter einer in Seefeld, Tirol, gelegenen Eigentumswohnung, bestehend aus vier Zimmern, Küche, Bad, Gäste-WC, Terrasse, Keller und Garage Nr. 10 ist. Die Wohnung liegt in einem größeren Appartementhaus mit dem Namen „Alpenpanorama“. Eigentümer der Wohnung ist Wilhelm Bischofer, wohnhaft Poststraße 31 in Seefeld. Mit Vertrag vom 16.12.1991 hat Herr Bischofer, von Beruf Immobilienmakler und Liegenschaftsverwalter, die Wohnung an Ernst Reinartz für die Dauer von 99 Jahren vermietet und auf ein Kündigungsrecht verzichtet. Die Errichtung der Wohnung wurde vom Schuldner finanziert. Die dafür benötigten Mittel in Höhe von umgerechnet 330.000,00 € wurden von Reinartz geleistet. Im Auftrag von Herrn Bischofer ist ein im Objekt wohnender Hausmeister beauftragt, diese und weitere Eigentumswohnungen zu verwalten und für Rechnung des Eigentümers bzw. wirtschaftlich Berechtigten zu vermieten. Zu Gunsten des Verstorbenen ist die Eintragung eines Bestandsrechts im Grundbuch erfolgt. Ich rege an, die Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners in Österreich bekannt zu machen.“
Anfang Juli fuhr ich nach Seefeld. Hausmeister Obermayer, grauer Kittel auf kurzer Hose mit Gamsbarthut und derben Schuhen, empfing mich misstrauisch und wortkarg. Er hatte erst kürzlich vom Tod und der vorangegangenen Haftstrafe von Ernst Reinartz erfahren und sich gewundert, dass dieser mehr als zwei Jahre nicht mehr aufgetaucht war. Nur das Fräulein, gemeint war die Tochter, wäre hin und wieder – meist im Winter – vorbeigekommen. Aber nur kurz und zuletzt vor einigen Monaten. Den Schlüssel rückte er erst raus, nachdem Bischofer meine Kompetenz telefonisch bestätigte.
Die Wohnung roch muffig. Schwere Bauernmöbel im Stil des letzten Jahrhunderts, sicherlich wertvoll, aber nicht jedermanns Geschmack, Bilder an den Wänden, vom Alpenglühen bis zum obligatorischen Hirsch vor irgendeiner Steilwand, Zinnbecher auf Holzablagen. Massiver Parkettboden, darauf echt aussehende Perserteppiche, Ornamentkacheln im Bad, Wanne, Kloschlüssel und Waschbecken in Rosa mit vergoldeten Armaturen. Gediegen, fast luxuriös, konnte man sagen. In den Schränken lagen noch einige Kleidungsstücke, so als käme ihr Besitzer gleich wieder zurück, wenn nicht der Modergeruch gewesen wäre. Der gute Obermayer ließ mich nicht aus den Augen.
„Dürfen Sie das überhaupt?“, meinte er, als ich nacheinander Schränke und Schubladen öffnete.
„Ein Insolvenzverwalter darf alles. Er darf Sie sogar bitten, zu gehen. Ich bringe Ihnen die Schlüssel, wenn ich hier fertig bin.“ Er zog beleidigt ab.
Ich fand nichts, was mir helfen konnte. Die Kopie des Mietvertrages, den ich schon kannte, Stadtpläne von Innsbruck und Garmisch-Partenkirchen, Briefpapier, Briefumschläge, Kugelschreiber und Stifte, die meisten Utensilien mit dem Logo der Weberei versehen. Aber auch ein gerahmtes Foto im 10x15-Format lag in der Schreibtischschublade. Es zeigte eine ansehnliche, blonde Frau im roten Skianzug vor der Talstation der Bahn zur Rosshütte. Auch Obermayer reihte sich in die Schar der Ahnungslosen ein. Die Frau hatte er nie gesehen. Die in Seefeld gewonnenen Erkenntnisse fasste ich in einem kurzen Zwischenbericht für das Insolvenzgericht zusammen.
„Meine Überprüfungen vor Ort haben in Anbetracht der gegenwärtigen Marktlage, der Ausstattung der Wohnung und ihrer Lage ergeben, dass der tatsächliche Veräußerungswert mit mindestens 420.000,-- € zu veranschlagen ist.
Dieser Betrag entspricht Veräußerungserlösen, die laut Auskunft des Verwalters noch in jüngster Zeit für vergleichbare Wohnungen im Ferienhaus „Panorama“ erzielt wurden. Das Ferienhaus ist ein Neubau, der 1991 fertiggestellt wurde. Er liegt in ruhiger und zentraler Lage des vorwiegend als Wintersportort bekannten Dorfes Seefeld.
Zu der Wohnung gehört ferner eine Garage, deren Veräußerungswert mit 10.000,-- € zu veranschlagen ist. Auch insoweit können Veräußerungserlöse aus der jüngsten Zeit als Vergleichswerte herangezogen werden.
Der verstorbene Schuldner hat die Wohnung luxuriös ausgestattet. Wohn- und Schlafraum wurden vollständig in Massiv-Eiche verkleidet. Auch Bad und Küche und die sonstige Ausstattung erfüllen gehobene Ansprüche. Nach Auffassung des Verwalters, der die Anlage betreut, ist der Veräußerungswert der Einrichtung mit mindestens 40.000,-- € zu veranschlagen. Die Materialien sind vom Schuldner überwiegend von Deutschland aus nach Seefeld transportiert und an Ort und Stelle eingebaut worden.
Dem Verwalter sind auch bereits zwei potenzielle Käufer bekannt. Mit Herrn Bischofer habe ich eine Vereinbarung geschlossen, wonach er zu den ortsüblichen Vermittlungsprovisionen berechtigt ist, einen „Verkauf“ der Wohnung bzw. die Übertragung des Mietvertrages zu vermitteln.“
Kurz darauf teilte mir das Amtsgericht Ende Juli per Verfügung mit, dass die Eröffnung des Verfahrens auch in Österreich veröffentlicht wurde.
Kaum hatte ich die Verfügung des Gerichtes auf dem Tisch, rief mich meine Assistentin an. Dr. Karl Dietrich Zimmer wollte mich sprechen. Ein Kollege aus Wien.
„Habe die Ehre Herr Kollege“, tönte es aus dem Hörer, „wir sind wieder zusammen.“
Kollege Dr. Zimmer war mir aus einem kürzlich abgeschlossenen Verfahren bekannt. Er vertrat in dieser Sache eine Wiener Gesellschaft, mit hoher Wahrscheinlichkeit eine frühere Auslandsgesellschaft des sowjetischen Geheimdienstes zur Devisenbeschaffung sowie weitere Personen, die nicht gerade zur besten Gesellschaft zu zählen waren. Aber es war Verlass auf ihn. Ich sah ihn leiblich vor mir, klein, kaum 1,65 m groß, dunkler Anzug, weißes Hemd, grelle Krawatte. Dicke, stark geränderte Brille über ausgeprägter Nase, kurze schwarze Haare, meist leicht ölig, breiter Mund, Wiener Schmäh.
„Verehrter Herr Kollege, Sie sind Masseverwalter in der Causa Reinartz? Sehr gut, wirklich sehr gut. Ein Glücksfall, wenn ich das sagen darf. Kompliment. Schaun’s, ich habe die Ehre, eine sehr beeindruckende Dame aus bester Gesellschaft zu vertreten. Griechin, mit österreichischem Pass, bekannte Familie, hochrangige Politiker darunter. Meine Mandantin sollte, wären nicht unschöne Umstände eingetreten, die zukünftige Frau Reinartz werden, nach der Scheidung versteht sich. Der liebe Ernst wollte nach Seefeld übersiedeln. Wo das Paar schon einige Zeit gemeinsam in der Wohnung verbracht hat, die Ihnen, verehrter Kollege, wohl derweil geläufig sein dürfte. Die Wohnung sollte, so der gemeinsame Plan, auf meine Mandantin überschrieben werden. Leider hat es nur noch zur Übertragung der Garage gereicht. Sehr bedauerlich aus unserer Sicht, sehr gut für Sie, verehrter Kollege. Erhöht es doch die Masse, wenn Sie wissen, was ich meine. Aber vielleicht finden wir wieder eine amicale Lösung. Ganz korrekt natürlich. Ganz korrekt.“ Zimmer war nicht zu bremsen. Ich hörte weiter zu.
„Aber das ist nicht alles. Meine Mandantin weiß, dass in Österreich Geld liegt. Viel Geld. Vermutlich im schönen Tirol. Aber wo? In Geldgeschäften war der gute Ernst eigen. Da durfte keiner dabei sein.“
Das war neu. Und jetzt wurde es spannend. „Wo soll das sein?“, wollte ich wissen.
„Ja, das ist die Frage. Es könnte um anonym geführte Bankschließfächer gehen. Sie haben nicht zufällig Schlüssel in der Wohnung gefunden?“
Er kündigte mir ein Schreiben an, mit dem er seine Mandatierung bestätigen und weitere Details nennen wollte.
„Sie, verehrter Kollege, haben die Rechtsmacht, wir haben das Wissen, leider nicht die Schlüssel. Also tun wir uns zusammen.“
„Wie heißt denn Ihre Mandantin, Herr Kollege?“
„Sophia Makropoulos.“
Jetzt wusste ich, wer die Frau im Skianzug auf dem Foto war.
Ich fuhr zur Spedition. Rainer war nicht erfreut, mich zu sehen.
„Sie bringen uns ins Gerede“, meinte er. Das übliche Schicksal bekannter Insolvenzverwalter. Egal wohin man ging, wurde man gesehen, gab es sofort Gerüchte. War der Laden vielleicht schon pleite?
„Was wissen Sie über Geldanlagen Ihres Vaters in Österreich?“, fragte ich ihn ganz direkt. Und ebenso prompt kam die Antwort: „Nichts.“ Ich ließ nicht locker.
„Sophia Makropoulos! Schon mal gehört?“
„Ach, das wissen Sie auch schon? Eine Bekannte meines Vaters, wenn ich mich nicht irre.“ Rainer verbarg seine Überraschung nur schlecht. Das hatte gesessen.
„Bekannte? Besser wohl Stiefmutter, wären Haftstrafe und Tod nicht dazwischengekommen. Sie wussten doch um die gemeinsame Wohnung in Seefeld. Oder?“
Er blieb dabei, von Geld bei Banken, in Tresoren, auf Sparbüchern, Konten oder über Schließfächer wusste er nichts. Die Mutter angeblich auch nicht. Ja, die meiste Zeit habe der Vater in Tirol verbracht und sich kaum noch um die Firma gekümmert. Und vermutlich auch das eine oder andere Geschäft schwarz abgewickelt. Er saß ja nicht umsonst. Für ihn hätte nur noch seine – wie er meinte – Trulla existiert.
„Seine Bekannte, wie Sie sagen“, entgegnete ich trocken und ließ ihn mit der Drohung zurück, die Familie durch das Insolvenzgericht vernehmen zu lassen.
Wenig später kam das angekündigte Schreiben des Wiener Kollegen. Zimmer hatte die Ehre, mir seine Mandatierung in der Causa Makropoulos gegen Reinartz anzuzeigen. Und dies mit vorzüglicher kollegialer Hochachtung. Er berichtete nur kurz, schrieb von Schließfächern, deren Schlüssel im Besitz der Familie sein müssten. Beim anschließenden Telefonat deutete er weiteres Wissen an.
„Schaun’s verehrter Herr Kollege, an manche unterirdische Vorrichtungen unter den Schalterhallen der Banken gelangt man nur mit Schlüssel und Deckungswort.“
„Pin! Meinen Sie? Und diese haben Sie oder Ihre Mandantin?“
Er ließ sich nicht locken. Aber mir dämmerte, dass Sophia wusste oder annahm, dass es sich um Schließfächer handelte, deren Zugangswort sie kannte, ohne jedoch zu wissen, bei welcher Bank die vermeintlichen Schätze liegen würden.
Ich grillte nacheinander Rainer, Mutter Margarethe und die leicht einfältige Schwester Laura. Sie wussten nichts und überhaupt nichts, hatten keine Schlüssel im Besitz, nie welche gesehen, und von Schließfächern irgendwo in Österreich nie etwas gehört. Und das wollten sie auch beeiden.
Kollege Dr. Zimmer war nicht überzeugt.
„Schwer zu glauben, verehrter Herr Kollege. Dann müssen der oder die Schlüssel noch irgendwo anders liegen!“
Bischofer meldete sich telefonisch. Er hatte einen Käufer für die Wohnung und die Garage. 450.000,-- € plus 25.000,-- € für die Einrichtung, 5 % Provision für sich. Ich drückte ihn auf 3 % und trat wegen der Abwicklung auf die Bremse und sagte ihm, dass ich nochmals in die Wohnung fahren wollte.
„Sagen Sie Obermayer Bescheid, ich komme nächsten Dienstag. Wir können dann alles vor Ort regeln.“
Hinter Kranebitten verließ ich die Inntalautobahn und fuhr den Zirler Berg hoch. Fast hätte mich in Gedanken versunken der Blitzer in Reith erwischt. Gleich hinter dem Seefelder Sattel bog ich links ab, fuhr vorbei am Wildsee, wo Anfang September noch reger Badebetrieb herrschte. Die sportlichen Rentner joggten, badeten und wanderten, fuhren mit dem Mountainbike und das meist im schicken Dress passend zu jeder Aktivität. Von der Olympiastraße aus konnte ich den Appartementkomplex schon sehen, Obermayer war dabei, den Hof zu kehren. Freundlich wäre anders, aber immerhin war ich angekündigt, so rückte er den Schlüssel ohne lange Erklärungen heraus. Die Wohnung schien mir gelüftet zu sein, vermutlich als Folge mehrerer Besichtigungen mit Interessenten. Wo könnte man hier Schlüssel versteckt haben? Im Schreibtisch. Da hatte ich schon nachgesehen. Aber ich wiederholte die Suche in allen Schränken, Schubladen, schaute unter dem Teppich nach, hob die Matratzen auf und überprüfte selbst den Badschrank. Eher versehentlich verschob ich eine schwere, dunkelgrüne Lederauflage mit umlaufender Kontrastnaht auf dem Schreibtisch. Ein Stück Papier kam zum Vorschein, das sich als Briefumschlag entpuppte. Ein Auszug der Sparkasse Mittenwald. Kontoinhaber Ernst Reinartz. Offensichtlich war es der letzte Auszug. Glattgestellt durch eine Barabhebung in Höhe von 128.768,-- € im April. Also nach Eröffnung des Verfahrens. Ein sicherer Anspruch für die Masse. Die Reise hatte sich schon gelohnt. Jetzt musste ich nur noch wissen, wer das Geld geholt hatte. Ich beschloss, auf dem Rückweg über Mittenwald zu fahren.
Der Zufallsfund motivierte die erneute Sucharbeit. Nach dem kleinen Arbeitszimmer nahm ich mir die Küche vor. Ich bewegte Tassen und Gläser, Schüsseln und Dosen. Nichts. Dann nochmal ins Schlafzimmer. Eine schwere Doppelmatratze ließ sich nur mit Mühe liften. Anders als zuvor, schaute ich jetzt auch unter dem Fußteil nach. Ebenfalls nichts. Mit den Händen fuhr ich in die wenigen Kleidungsstücke und tastete auch die gefaltete Wäsche ab. Mittels Küchenleiter kontrollierte ich auch die oberen Ablagen in den Schränken. Sämtliche Nachttische waren leer, ebenso die massige Kommode im Schlafzimmer. Ich rollte die Teppiche auf, suchte im Bad, im Spind, warf einen Blick in die Abstellkammer. Am Ende kam das Wohnzimmer an die Reihe, ein fast 40 qm großer Raum mit dreiteiliger Couchgarnitur aus schwarzem Glattleder, Marmortisch, einer Leseecke unter den Seitenfenstern, Sideboard, Beistelltische. Auf dem Weg zur Küche ein Essplatz, Tisch – natürlich aus Eiche – mit sechs gepolsterten Stühlen, Servierwagen davor. Darüber an der Wand ein Eichenboard mit sechs Bechern, einem Bierseidel und einer Schnapsflasche. Alles aus Zinn. Auf dem ersten Becher links ein mit Hörnern behelmter Siegfried im Kampf mit dem Drachen. Siegfried holte gerade zum tödlichen Streich aus, das Schwert in der Rechten, weit hinter Kopf und Schulter ausholend, den Drachen fest im Blick, der seinen Kopf emporreckte und so ein treffliches Ziel bot. Die Nibelungensage hatte mich schon immer fasziniert. Nicht unbedingt in einer solchen Kitschvariante, ebenso martialisch wie hässlich. Ich griff nach dem in der Reihe ganz links stehenden Becher. Es klingelte, sacht, kaum hörbar. Ich drehte den Becher herum und in meine linke Handfläche fielen drei Schlüssel. Zwei typische Tresorschlüssel, jeweils mit Doppelbart, unterschiedlich ausgeprägten Nocken, einmal mit runder und einmal mit rechteckiger Reite und kleiner Lochung. Auch der dritte Schlüssel, wesentlich kleiner als die beiden anderen, war ein Bartschlüssel, aber lediglich mit einseitig ausgeprägten Nocken und einem kurzen, sehr viel dünnerem Halm.
Keiner der Schlüssel trug eine Nummer oder irgendeinen Hinweis auf den Hersteller oder den Verwender.
In rascher Folge schüttelte ich auch die übrigen Becher. Ohne Resonanz, nur Staub rieselte heraus. Aber immerhin. Das war ein erfolgreicher Vormittag. Klare Hinweise auf eine anfechtbare Entziehung von Insolvenzmasse durch Abräumung eines Bankkontos und der Fund von drei Schlüsseln, die mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit wenigstens in zwei Fällen zu Schließfächern oder gar Tresoren gehören sollten.
Bischofer wartete auf mich in seinem Büro. Wenn es einmal läuft, dann läuft es – war die Devise meines rheinischen Großvaters. Der Kaufvertrag für die Wohnung lag vor. Ein Steuerberater aus Bregenz hatte nochmals eine Schüppe draufgelegt und einen Sägewerksbesitzer aus Jenbach im letzten Moment überboten. Der Kaufpreis für die Wohnung und die Garage betrug insgesamt 475.000,-- €. Zudem sollten 25.000,-- € für das Eichenholzkabinett gezahlt werden. Wahrscheinlich alles frei für die Masse. In dem Entwurf des von einem Innsbrucker Notar gefertigten Kaufvertrages interessierten mich die Zahlungsmodalitäten, der Rest war Routine und ging in Ordnung. Obwohl ich nicht Verkäufer, sondern lediglich wirtschaftlicher Berechtigter aus dem Verkauf war, legte Bischofer Wert auf meine Paraphe.
Da der Käufer keine Auslandsüberweisung tätigen wollte, suchte ich gemeinsam mit Bischofer am Ende der Fußgängerzone die mitten im Zentrum liegende Raiffeisenbank auf und eröffnete ein Abwicklungskonto. Herr Geiger kontrollierte Ausweis, Ernennungsurkunde und die öffentliche Bekanntmachung der Insolvenzeröffnung. Sodann ließ er mich einige Minuten mit den Geschäftsbedingungen für Anderkonten in Österreich allein, deren Kenntnisnahme ich quittieren musste. Die Ernennungsurkunde fand sein besonderes Interesse. Ich beobachtete ihn kritisch.
„Sagt Ihnen der Name Ernst Reinartz etwas?“, fragte ich möglichst harmlos.
„Nein, nie gehört“, antwortete er, ohne dabei eine Miene zu verziehen, sich ans Ohrläppchen zu fassen oder über den Kopf zu streichen, sondern schaute mir lächelnd in die Augen. Das wirkte glaubhaft. Dennoch beschloss ich, nichts von den Schlüsseln zu sagen, die Geschichte von Freundin, Wohnung, Geld in Österreich, Deckungswort oder Pin-Code für mich zu behalten. Jedenfalls vorläufig. Ich musste erst mit Zimmer reden. Er und seine Mandantin würden kooperieren, davon ging ich aus. Auch die Familie würde, so mein Kalkül, sich überlegen, ob sie weiter mauern wollte. Denn jetzt war ich zumindest im Besitz eines Pfandes, ohne das die anderen Beteiligten nicht an Schließfächer oder Tresore und ihren jeweiligen Inhalt herankommen konnten.
Ich strich die Fahrt nach Mittenwald und fuhr nach Innsbruck. Denn mein Freund Walsky war mir eingefallen, Leiter einer kleinen Zweigstelle der Hypobank gleich am Campus. Walsky hatte mir schon einmal geholfen und erkannte mich auch gleich wieder.
„Na, erneut auf Schatzsuche in Österreich, hoffentlich nicht wieder bei einem unserer Kunden?“
Ich zeigte ihm die Schlüssel.
„Von uns sind sie nicht“, erklärte er mir, nachdem er jeden Schlüssel eingehend begutachtet hatte. Sein Fazit, zwei der drei Schlüssel könnten bei aller Vorsicht Schließfachschlüssel sein, der kleinere Schlüssel hingegen dürfte eher zu einer Geldkassette gehören.
„Gratuliere, da können Sie die Nadel im Heuhaufen suchen! Aber vielleicht hilft es Ihnen, wenn wir feststellen können, wer solche Schlüssel in Österreich herstellt!“
Walsky ging in sein hinter der Schalterhalle liegendes Zimmer und telefonierte.
„Sie haben Glück, es gibt nur 15 Herstellerfirmen in Österreich, fünf davon allein in Wien. Von einem dort ansässigen Unternehmen beziehen auch wir die Schlüssel für Schließfächer und Tresore. Die sind auf Banken spezialisiert. Ich gebe Ihnen die Adresse. Vielleicht versuchen Sie dort Ihr Glück. Wien ist immer eine Reise wert.“
Zimmer versorgte ich nur mit dem Allernötigsten. Von der geplanten Reise nach Wien sagte ich erst einmal nichts. Es war schwer zu sagen, ob er sich über den Schlüsselfund freute oder sich lieber mit der Familie arrangiert hätte.
Kurzfristig wurde aus meiner geplanten Reise nach Wien nichts. Insolvenz hatte Konjunktur und so legte ich die Akte erst einmal auf die Seite und widmete mich neuen Aufgaben und Verfahren.
Der Weihnachtsmarkt am Wiener Rathaus war schon eröffnet, als ich endlich den Termin bei dem Schlüsselhersteller, der Firma Voigtmann, wahrnehmen konnte. Ich lief vom König von Ungarn, meinem Wiener Domizil, das ich schon im vorangegangenen KGB-Verfahren schätzen gelernt hatte, über den Markt, der nicht anders daher dudelte und roch, wie tausend andere Weihnachtsmärkte auch, in Richtung Fleischmarkt, vorbei am Griechenbeißl. Die Liedzeile „Oh Du lieber Augustin“, kam mir im Vorbeilaufen in den Sinn. Das Spottlied war hier im 17. Jahrhundert entstanden, so die Erzählungen. Alles ist hin, heißt es im Refrain. Davon ging ich aber nicht aus und hoffte, dass mir Herr Landauer, der Geschäftsführer von Voigtmann, helfen konnte. Über die Schwedenbrücke führte mein Weg in die Praterstraße und kurz nach 17:00 Uhr stand ich auf dem Firmengelände vor dem Bürotrakt. Eher sollte ich nicht kommen, hatte man mir am Telefon gesagt.
Landauer empfing mich in seinem Büro. Überall Rohlinge und Muster, unglaublich, was es für eine Vielfalt an Schlüsseln gab. Auf ausgelegten Flyern und Plakaten hieß es, dass man für jedes Problem im Sicherheitsbereich eine Lösung haben würde. Für mich dann hoffentlich auch.
Landauer war im Druck, er wollte rechtzeitig raus nach Hütteldorf zu Rapid zum Derby gegen die Austria. Wir verloren also keine Zeit, ich zeigte ihm meine Schätze.
„Den hier können Sie gleich wegtun, der gehört zu einer Kassette, aber zu keiner Bank.“ Damit war der Fall, soweit er den kleinen Schlüssel betraf, schon mal gelöst. Bei den Schlüsseln mit Doppelbart war Landauer ebenso sicher.
„Die sind von uns, keine Frage. Aber aus einer früheren Serie, für Schließfächer ausgeführt. Die Gegenstücke sind immer bei der Bank.“
Das machte Hoffnung, war aber erst die halbe Miete. Ohne Umschweife wollte ich wissen, für welche Bank oder Sparkasse die Schlüssel produziert wurden. Landauer lief zum Schreibtisch an seinen PC, dann zum Aktenregal. Zielstrebig zog er einen nummerierten Ordner heraus und blätterte mit großer Sorgfalt, Seite für Seite glattstreichend. Mir fiel gleich der Witz vom Schneckerl ein, das seinem Wiener Sammler entwichen war, den ich aber lieber für mich behielt, die Warnung meiner Töchter im Ohr, die mich eindringlich gemahnt hatten, Randgruppenwitze nicht immer an Randgruppen zu testen. Endlich sah er zu mir auf.
„Ja mei, was ich Ihnen sagen kann ist, diese Schlüssel wurden bis vor fünf Jahren für Volks- und Raiffeisenbanken in Bayern, Tirol und Vorarlberg hergestellt und ausgeliefert. Und, sehe ich gerade, auch für die Bank für Tirol und Vorarlberg, die haben aber auch Niederlassungen in Wien und sogar in Bayern.“
Bedauernd fügte er hinzu, dass der frühere Vertriebsleiter, der vielleicht noch etwas mehr sagen und den Kreis der Bezieher eingrenzen könnte, vor einigen Jahren ausgeschieden und kurz nach Renteneintritt gestorben war. Das war wie ein Schlag in die Magengrube. Ich hatte gedacht, Landauer würde mir Namen und Adresse der Bank liefern. Alles was ich dann noch tun musste, war dort hinzufahren und die Schließfächer zu öffnen. Gut, möglicherweise hätte ich noch Deckungswort oder Pin benötigt. Aber mit Zimmer wäre mit Sicherheit eine schnelle Einigung möglich. Jetzt kam halb Europa als Zielort in Frage. Landauer erriet meine Gedanken.
„ Da ham’S was zu tun. Deckungswort oder Pin kennen Sie vermutlich? Sonst nützen Ihnen die Schlüssel eh nix.“
Versunken in Gedanken lief ich zur Bäckerstraße zu Oswald & Kalb. Ich brauchte erst einmal ein Bier und was zu essen. Aus dem Szenelokal rief ich Zimmer an. Er war überrascht, dass ich mich vorher nicht angemeldet hatte. Wir verabredeten uns für den nächsten Morgen im Foyer des König von Ungarn. Seine Mandantin würde mitkommen.
In Anwesenheit von Sophia Makropoulos vergaß Zimmer seine Konzilianz und machte einen auf harter Anwalt. Es ging zur Sache. Erst recht, als sich auch noch Jannis, der Bruder von Sophia, dazu gesellte. Wir saßen in der Lobby, einem überdachten Innenhof, ich im Sessel, Sophia und Dr. Zimmer auf einem Sofa mit Streifenmuster. Die Akten mussten auf dem Fußboden ausgebreitet werden, da der kleine Tisch gerade noch die Kaffeetassen fasste. Zimmer erschien im dunklen Anzug, zur Abwechslung mal mit roter Krawatte und Einstecktuch, galant um das Wohl seiner Mandantin bemüht.
Sophia war leicht verschnupft. Das Wetter wäre schuld. Ende November in Mitteleuropa, für eine Griechin geradezu eine Zumutung. Die blonden Haare hochgesteckt, ohne Schmuck, mit dickem Rollkragenpullover und Flanellhose, ganz in Schwarz, überließ sie Anwalt und Bruder die Argumentation. Zimmer fuhr schwere Geschütze auf.
„Ohne uns erreichen Sie nichts, verehrter Herr Kollege. Ja, Sie haben die Schlüssel, aber wir haben Deckungswort oder Pin, ganz wie Sie wollen. Was wir erwarten ist, dass die Versprechen des Verstorbenen zu Gunsten meiner Mandantin eingelöst werden. Ihr sollte die Wohnung übertragen werden, so wie schon die Garage, dieses Geld bekommen wir in jedem Fall.“
„Und damit das auch gleich klar ist, bei einem Verkauf der Wohnung beansprucht meine Schwester den Erlös, denn sie hat Reinartz unterhalten, als dieser nicht mehr über seine Bankkonten verfügen konnte.“
Zimmer und Jannis gerieten richtig in Fahrt und in eine Art Überbietungswettbewerb. Auch zur Aufteilung etwa bei Banken deponierter Gelder hatten sie klare Vorstellungen. Der Erlös sollte zu 80 % an Sophia gehen. Als angemessene Kompensation für liebevolle Zuwendung und finanzielle Unterstützung. Irgendwann war es genug. Höflich, aber bestimmt, erläuterte ich Bruder und Schwester die rechtlichen Grundlagen eines Aussonderungsanspruches und die Anforderungen, die ein Gläubiger zu erfüllen hatte, um ein solches Begehren geltend zu machen und durchzusetzen.
„Ein Insolvenzverfahren ist kein Wunschkonzert. Rechte an der Wohnung und ihrer Einrichtung haben Sie keine. Das können Sie vergessen. Und einen finanziellen Ausgleich für liebevolle „Zuwendungen“ kennt die Insolvenzordnung auch nicht.“
„Trotzdem“, beharrte Zimmer, „ohne uns erreichen Sie nichts.“
Für das Amtsgericht fasste ich das Ergebnis der Wiener Verhandlungen in einem Zwischenbericht zusammen und beantragte die Einberufung einer Gläubigerversammlung.
„Die vom Amtsgericht verfügte Veröffentlichung des Nachlassinsolvenzverfahrens in Österreich hat dazu geführt, dass sich zwischenzeitlich eine Frau Makropoulos gemeldet hat und Aussonderungsansprüche an der Eigentumswohnung in Seefeld sowie der zugehörigen Garage und an dem Inhalt eines bislang unbekannten Banktresors geltend macht. Die Existenz eines Banktresors oder Bankschließfaches war bislang nicht bekannt. Bei meinem letzten Aufenthalt in Seefeld habe ich in der Eigentumswohnung drei Schlüssel gefunden, von denen zwei zweifelsfrei einem Bankschließfach zugeordnet werden können. Eine genaue örtliche Bestimmung war allerdings nicht möglich. Der Schlüsselhersteller konnte lediglich angeben, dass diese Art von Schlüsseln überwiegend im Raum Tirol, Vorarlberg und Bayern bei Volks- und Raiffeisenbanken sowie der Bank für Tirol und Vorarlberg verwendet wurden. Auch Frau Makropoulos konnte oder wollte dazu keine näheren Angaben machen, berühmt sich aber, im Besitz eines PINs oder eines Deckungswortes zu sein, das für den Zugang zu den Bankschließfächern benötigt wird. Deren Preisgabe macht sie vom Abschluss eines Teilungsabkommens abhängig, dass ihr einen 60 %igen Anteil an allen Werten zuspricht, die im weiteren Verlauf des Verfahrens noch in etwaigen Bankschließfächern oder Tresoren gefunden werden.
Selbst wenn es mir gelänge, die Bank, bei der der verstorbene Schuldner die Bankschließfächer oder Tresore gemietet hat, ausfindig zu machen, käme ich ohne Mitwirkung von Frau Makropoulos nicht an die dort etwa lagernden Werte heran. Ein Teilungsabkommen ist daher alternativlos.
Nach Abschluss eines derartigen Abkommens werde ich alle in Betracht kommenden Banken und Sparkassen in Tirol, Vorarlberg und Bayern anschreiben und um Auskunft ersuchen. Allerdings ist es denkbar, dass Bankschließfächer, in denen Sparbücher und/oder Tresorschlüssel aufbewahrt werden, anonym angemietet wurden.
Den Aussonderungsanspruch bezüglich der Garage in Seefeld werde ich anerkennen. Meine Überprüfungen haben ergeben, dass die Garage an Frau Makropoulos übertragen wurde. Die Garage wurde bereits auf sie umgeschrieben.
In Bezug auf die Wohnung werde ich den Aussonderungsanspruch ablehnen. Frau Makropoulos hat nicht nachweisen können, dass ihr die Wohnung rechtsverbindlich zugesprochen, geschweige denn übertragen, wurde. Eigentümer ist unverändert Herr Bischofer, wirtschaftlich Berechtigter war und ist der verstorbene Schuldner beziehungsweise heute der Insolvenzverwalter.
Der Abschluss eines Teilungsabkommens über etwaige Geldbestände unterliegt als wesentliche Rechtshandlung der Zustimmung der Gläubigerversammlung, da ein Gläubigerausschuss nicht bestellt wurde. Ich beantrage daher die Einberufung einer Gläubigerversammlung zum nächstmöglichen Zeitpunkt.“
„Ist denn eine solche Vereinbarung überhaupt mit den guten Sitten vereinbar?“, wollte die Rechtspflegerin wissen. Erst nach Bedenkzeit und rechtlicher Prüfung kam sie meinem Antrag nach und berief die Gläubigerversammlung für den 15. Februar ein. In der Karnevalswoche ausgerechnet. Aber vielleicht passend zum Anlass.
Familie Reinartz stieg in den Schützengraben und feuerte aus allen Rohren, um die Versammlung zu verhindern. Aber mit Platzpatronen, das Gericht blieb dabei, die Gläubigerversammlung fand statt. Zudem stand fest, dass die liebe Laura es war, die das Konto in Mittenwald abgeräumt hatte. Und zwar nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Strafanzeige oder sofortige Rückzahlung war die Alternative, die ich ihr aufzeigte. Wenige Tage später war das Geld auf meinem Konto. Die Familie schloss mich immer mehr in ihr Herz und ins Abendgebet ein.
Im tristen Saal 404, oben im 4. Stock des Justizgebäudes, ging es hoch her. Schweinerei, Winkeladvokaten, Flittchen, Nuttenlohn waren einige der Ausdrücke, die die aufgebrachte Margarete in den Raum schrie. Die junge Rechtspflegerin ließ sie eine Zeitlang gewähren. Ich hielt mich raus, blätterte in der Akte und schaute in den Saal, um zu sehen, wer an der Versammlung teilnahm und abstimmungsberechtigt sein würde. Meier vom Rechtsamt der Stadt war da, in Jeans und rotem Rollkragen, aber immerhin mit dunklem Sakko. Dahinter Küsters vom Finanzamt, ständiger Gast in Gläubigerversammlungen. Er hatte eine ganze Reihe in Beschlag genommen und saß zwischen seinen Akten, die er links und rechts neben sich platziert hatte. Die Vertreter der beteiligten Sparkassen, vorschriftsmäßig in Blau und Grau, Anzug mit weißem Hemd und Krawatte, auf die ich schon länger verzichtete. Dazu ein paar Kleingläubiger. Mir gegenüber im Dreierpack Margarete und Rainer Reinartz in Begleitung ihres Anwalts. Kollege Dr. Jansen, in Kollegenkreisen nur Jansen III genannt, obwohl Jansen I schon länger auf dem Westfriedhof ruhte und Jansen II vor einigen Jahren in der „letzten Instanz“ seinen Ausstand gegeben hatte und anschließend in den Süden verschwunden war. Vergebens versuchte der Kollege, seine Mandantin zu besänftigen, die weiter zeterte.
„Wenn Sie sich nicht beruhigen, muss ich Sie des Saales verweisen“, machte Rechtspflegerin Scharf ihrem Namen Ehre.
„Bitte, Herr Insolvenzverwalter, tragen Sie zu Tagesordnungspunkt 1 vor. Ich darf wiederholen: Gehör der Gläubiger und Beschlussfassung der Gläubiger zu einem Teilungsabkommen mit Frau Sophia Makropoulos, Wien!“
Verspätet erschien Zimmer mit rotem Kopf.
„Bitte höflichst um Vergebung. Aber ich hatte Orientierungsprobleme und wurde zudem an der Personenkontrolle aufgehalten.“ Glücklicherweise war er meinem Rat gefolgt und erschien ohne seine Mandantin.
Mit kurzen Worten erläuterte ich der Versammlung nochmals die Hintergründe. Kaum hatte ich geendet, bat Jansen III ums Wort und beantragte mit viel Pathos und großen Gesten, die Zustimmung zu einem derartigen Teilungsabkommen zu verweigern.
„Das ist ein Schlag gegen die guten Sitten, gegen Anstand und Moral – und zudem völlig insolvenzzweckwidrig. Sollte es tatsächlich, was wir bezweifeln, bei österreichischen Banken Geld geben, gehört es ohne jeden Abzug in die Masse.“
Wie würde sich das Finanzamt verhalten, war die entscheidende Frage. Denn die Steuerforderungen machten mehr als die Hälfte der Gesamtverbindlichkeiten aus. Küsters konnte fast im Alleingang entscheiden, gegen ihn war nichts zu machen.
„Da es keine Folter gibt, muss der Insolvenzverwalter kooperieren, wenn er etwas für die Masse holen will. Aber aus unserer Sicht stimmt das Verhältnis nicht. 60 % für Frau Makropoulos kann die Finanzverwaltung nicht akzeptieren.“
Damit hatte ich gerechnet. Kollege Dr. Zimmer wand sich; er müsse erst mit seiner Mandantin reden, die leider mit Grippe im Bett läge und deshalb nicht hätte mitkommen können.
„Das wäre auch noch schöner, wenn sich das Flittchen hierher getraut hätte“, tönte es von der anderen Seite.
Jetzt hatte Scharf genug. Die Sitzung wurde unterbrochen, zur Beruhigung.
„Unter 50 % werden die Gläubiger nicht zustimmen, Kollege Zimmer, Sie müssen sich bewegen.“
„Okay, ich telefoniere.“
Nach kurzer Zeit ging es weiter, ohne Margarete, die sich diese „Schmierenkomödie“ nicht länger antun wollte.
Frau Makropoulos war nicht bereit, sich auf 50 % zu einigen. Nach einigem Hin und Her fasste die Versammlung aber trotzdem auf meinen Vorschlag den Beschluss, mich zu ermächtigen, mich auf hälftiger Basis mit Frau Makropoulos zu verständigen und stimmte einer entsprechenden Regelung bereits vorab zu. Jansen III kündigte an, einen Untersagungsantrag für seine Mandanten zu stellen. Und Rainer rief hinterher, man werde bis nach Karlsruhe gehen.
„Gute Reise, nehmen’s Proviant mit“, riet Dr. Zimmer. Bevor es zum Handgemenge kommen konnte, zog Kollege Jansen glücklicherweise seinen Mandanten aus dem Saal.
Beim Italiener am Bahnhof besprachen Zimmer und ich das weitere Vorgehen.
„Kein Alleingang, verehrter Herr Kollege, wenn Sie dies zusagen, werde ich mein Möglichstes tun, meine Mandantin für eine amicale Lösung auf hälftiger Basis zu gewinnen. Aber die Schatzsuche geht nur gemeinsam.“
Es dauerte fast vier Monate, bis das Amtsgericht den Untersagungsantrag zurückwies. Von einer Beschwerde sahen die Reinartz ab. Jetzt musste die Vereinbarung auf Grundlage des Beschlusses der Gläubigerversammlung geschlossen werden. Ich flog nach Wien, morgens hin und abends wieder zurück; mit einer unterschriebenen Vereinbarung im Koffer. Dem Gericht erstattete ich einen weiteren Bericht.
„1. Die Gläubigerversammlung am 15. Februar 1987 hat mich mit absoluter Stimmenmehrheit auf Vorschlag des Finanzamtes ermächtigt, mit Frau Makropoulos ein Teilungsabkommen über den Inhalt eines oder mehrerer Banksafes zu schließen, wobei der Insolvenzmasse mindestens 50 % des Erlöses zufließen müssen.
2. Über die Modalitäten eines derartigen Abkommens habe ich zwischenzeitlich am 27. Juni mit Frau Makropoulos und ihrem anwaltlichen Bevollmächtigten verhandelt. Frau Makropoulos ist damit einverstanden, etwaige Vermögensgegenstände im Verhältnis von 50 zu 50 zu teilen. Die Vereinbarung ist als Anlage 1 beigefügt.
3. Bei der Besprechung hat Frau Makropoulos Wert auf die Feststellung gelegt, dass sie keine weiteren Ansprüche an Vermögensgegenständen des Verstorbenen erhebt. Ihr geht es vielmehr um die Rückerstattung der von ihr für den gemeinsamen Lebensunterhalt geleisteten Zahlungen. Der Anspruch auf Aussonderung der Wohnung bzw. des Erlöses aus dem Verkauf der Wohnung wird von Frau Makropoulos nicht weiterverfolgt.“
Jetzt wurde es ernst. Erreicht war noch nichts. Die Überlegung, alle Banken und Sparkassen in den fraglichen Regionen anzuschreiben, wurde verworfen. Zu aufwändig, viele Banken würden vermutlich auch nicht antworten oder sich auf Bankgeheimnisse oder Datenschutz berufen. Und wenn der gute Ernst noch zu Lebzeiten eine Verfügung zu Gunsten der Familie getroffen haben sollte, wäre dieser Weg erst recht verschlossen. Dann aber musste der Clan früher oder später aus der Deckung kommen. Denn ich hatte die Schlüssel und Sophia den Pin oder das Deckungswort. Wir neutralisierten uns also gegenseitig und ohne uns ging nichts. Meine Überlegung war, dass wir so nahe wie möglich an den Verwahrungsort herankommen mussten, um Druck aufzubauen, um diejenigen, die wussten, wo sich die Schließfächer befanden, aus der Deckung zu locken. Aber was, wenn die Familie tatsächlich nichts wusste und Ernst das Geheimnis mit ins Grab genommen hatte? Wir hatten es zwar nicht in unsere Vereinbarung geschrieben, aber auf Handschlag versprochen: Keine Alleingänge.
Sophia fuhr im Sommer nach Griechenland zur Familie. An ihrer Stelle begleitete mich ihr Bruder Jannis, der mich mit Dr. Zimmer im Fond seines großen Audis in Kranenbitten abholte. Seefeld, Reith und Mittenwald – die hier ansässigen Banken und Sparkassen waren unsere Ziele, die wir uns für diesen Regentag Anfang August vorgenommen hatten. Wie das Wetter, so war auch die Laune am Ende eines verlorenen Tages.
Das von Laura abgeräumte Konto hatte uns zunächst nach Mittenwald geführt. Aber weder bei der dortigen Sparkasse, noch bei der Raiffeisenbank und erst recht nicht bei der kleinen Hypo-Bank-Filiale konnte man uns helfen. Entweder gab es keine Schließfächer oder keine mit den entsprechenden Schlüsseln. Also wieder zurück. Jannis fuhr, was der Wagen hergab. Auf halber Strecke legten wir in Scharnitz einen ursprünglich nicht geplanten Stopp bei der dortigen Raiffeisenbank ein. Diese Bankstelle hatten wir nicht auf dem Schirm, sie war uns aber auf der Hinfahrt aufgefallen, aber zu diesem Zeitpunkt noch geschlossen. Wir erläuterten unser Begehren, wobei Kollege Zimmer die Sprecherrolle übernahm, da er überzeugt war, dass die Tiroler gegenüber Preußen weniger freundlich sein würden, als gegenüber Wienern. Ich hatte da meine Zweifel, mochte dies aber nicht mit ihm ausdiskutieren. Frau Larcher gab sich Mühe und hörte uns interessiert zu. Sie ließ sich auch die Schlüssel zeigen. Ja, man verfüge über Kundensafes mit Schließfächern, da es genügend Kunden aus Deutschland mit entsprechender Nachfrage gebe. Aber mit unseren Schlüsseln kämen wir in Scharnitz nicht weiter, auch im Leutasch nicht, das konnte sie mit Bestimmtheit sagen, da sie auch dort hin und wieder tätig wäre. Vielleicht in Seefeld, aber das müssten wir dort klären.
In Seefeld wartete dann die nächste Enttäuschung auf uns. Die Dame am Schalter zeigte sich konziliant und holte Geiger, den mir schon bekannten Leiter der Geschäftskundenabteilung, nach vorne, der uns aber eröffnete, dass die Hauptstelle keine Schließfächer, sondern nur Kundentresore hatte. Auf den ersten Blick wollte er bereits erkannt haben, dass es sich bei unseren Schlüsseln nicht um Tresorschlüssel handeln könnte.
„Aber kommen Sie, setzen wir uns in mein Zimmer, kann ich Ihnen einen Kaffee anbieten? Wie ich sehe, sind Sie ja auch Kunde unseres Hauses.“ Zur Verstärkung holte er den Prokuristen Wenzel dazu. Dieser wollte es ganz genau wissen. Zimmer erzählte bereitwillig und ließ sich auch von meinen warnenden Blicken nicht bremsen.
„Sehr spannende Geschichte. Schade, dass wir Ihnen nicht helfen können“, mit diesen Worten verabschiedeten uns die beiden. Mehr als eine Stunde war vergangen. Auf der Münchner Straße begegneten uns viele Urlauber, sie kamen vom See, zurück von Bergwanderungen, saßen in den Straßencafés oder auf den Terrassen der Restaurants, nachdem sich die Regenwolken verzogen und die Berge für kurze Zeit freigegeben hatten.
Nur wenige Schritte waren es bis zur Sparkasse am Bahnhofsplatz. Aber schon nach fünf Minuten waren wir wieder draußen, keine Schließfächer, keine Tresore, also auch keine Schlüssel.
Blieb noch die Bank für Tirol und Vorarlberg, die in einem holzverkleideten Gebäude in der Klostergasse ansässig war. Filialdirektor Heindel empfing uns freundlich, aber nachdem Zimmer sein Sprüchlein aufgesagt hatte, schüttelte er nur den Kopf.
„Da sind Sie bei mir leider falsch. Bei den Kollegen von der Raiffeisen haben Sie möglicherweise mehr Glück.“
„Da kommen wir gerade her.“
Für den Bruchteil einer Sekunde hatte ich den Eindruck, als wäre er überrascht. Dann wünschte er uns viel Erfolg und brachte uns zur Tür.
Jannis war unwirsch.
„Das gibt’s doch gar nicht, wo hat der Kerl sein Geld geparkt?“
Den Ärger übertrug er auf das Gaspedal seines Audi, er jagte trotz einsetzenden Regens den Zirler Berg hinunter, als wäre es ein Bergrennen.
Einige Wochen nach der ergebnislosen Rundreise rief Bischofer an und bat um Auszahlung seiner Provision. Tatsächlich war der Kaufpreis für die Wohnung termingerecht gezahlt worden. Nun forderte Bischofer seinen Anteil. Ich fragte nach seiner Bankverbindung.
„Die finden Sie unten auf meiner Rechnung. Seit Heindel die Raiffeisenbank verlassen hat, bin ich bei der BTV.“
Heindel? Das war doch der Mensch, der spontan meinte, wir sollten es bei der Raiffeisen versuchen. Ich griff zum Hörer.
„Kollege Zimmer, wir müssen nochmals zur Raiffeisen nach Seefeld.“ Ich berichtete ihm, ohne die Quelle preiszugeben, von meinem Wissen.
Als ich mit Zimmer einige Zeit später einen Termin ausmachen wollte, war er untröstlich. Er hatte sich beim Bergwandern in der Steiermark den Fuß gebrochen.
„Ich kann nicht mit, verehrter Kollege“, jammerte er. Er wollte mich aber auch nicht allein fahren lassen, denn immer noch galt: Keine Alleingänge. Sophia und Jannis würden mich begleiten.
Ich fuhr mit dem Wagen. Man sah die Hand nicht vor den Augen an diesem tristen 12. Oktober. Auf dem Parkplatz an der Münchner Straße warteten schon die Geschwister.
Bewusst hatten wir uns nicht angemeldet. Prokurist Wenzel war nicht im Haus, aber Geiger, der für Geschäftskunden zuständige Abteilungsleiter, hatte Zeit.
„Herr Geiger, wir haben eindeutige Hinweise, dass es sich um Schlüssel zu Schließfächern der Raiffeisenbank handelt!“, fiel ich gleich mit der Tür ins Haus. Er wurde verlegen. Sophia, die wieder aussah wie die bekannte Lottofee im Fernsehen mit ihrem welligen blonden Haar, den großen Augen, im dunkelblauen Wollmantel mit hohem Kragen und halblangen Schaftstiefeln, strahlte ihn an.
„Wenn Sie können, müssen Sie mir helfen, an mein Geld zu kommen.“
Diesem Blick hätte auch ich kaum widerstehen können. Grandiose Schauspielerin dachte ich bei mir.
„Dazu reichen meine Kompetenzen nicht. Bitte fahren Sie zur Hauptstelle nach Innsbruck. Am Bozner Platz ist unsere Rechtsabteilung. Assessor Klammer. Vielleicht kommen Sie dort weiter.“
Volltreffer. Wir liefen zu den Fahrzeugen. 25 km nach Innsbruck, das letzte Stück Autobahn, mautpflichtig. Wir fuhren hintereinander her, was die Strecke hergab. Und Jannis riskierte es, ohne Vignette bis zur Ausfahrt Innsbruck Zentrum zu fahren. Wir wollten unbedingt noch vor der Mittagspause ankommen. Witterungsbedingt brauchten wir aber am Ende trotzdem fast 45 Minuten. Wir nahmen den Parkplatz am Herzog Siegmund Ufer. Das letzte Stück bis zum Bozner Platz liefen wir zu Fuß.
„Zur Rechtsabteilung? Wen wünschen Sie zu sprechen?“
„Den Leiter der Abteilung, Herrn Assessor Klammer.“
„Tut mir leid, der Herr Assessor ist bereits zur Mittagspause und hat heute Nachmittag Auswärtstermine.“
Die ist geimpft fuhr es mir durch den Kopf.
„Dann melden Sie uns bitte für morgen früh, sagen wir 10:00 Uhr, bei Herrn Klammer an. Hier haben Sie meine Karte.“
Die blonde Frau in der Trachtenbluse war beeindruckt.
„Ich trage Sie ein, Herr Professor, mehr kann ich nicht tun. Assessor Klammer ist Herr über seinen Terminkalender.“
Meine Assistentin meldete sich kurze Zeit später, nachdem ich ihr bereits von unterwegs gesagt hatte, dass ich ein Zimmer in Innsbruck bräuchte. Sie hatte im Hotel Tyrol am Südtiroler Platz gebucht. Sophia und Jannis gingen eigene Wege. Sie wollten mir nicht verraten wohin.
Abends saß ich im Stüberl. Der Tafelspitz sah gut aus, ob er auch so schmeckte, hatte ich nicht bemerkt. Zu sehr war ich damit beschäftigt, über die richtige Taktik für das Gespräch mit Klammer nachzudenken. Fast lautlos trat der Oberkellner im Trachtenanzug an meinen Tisch.
„Herr Professor, Telefon für Sie.“
Eine Frau am anderen Ende. Sie kam gleich zur Sache.
„Carla Binding. Herr Kollege, ich würde gern in der Causa Reinartz mit Ihnen sprechen. Können wir uns treffen? Morgen um 09:00 Uhr? Ich komme zu Ihnen ins Tyrol.“
„Ich bin da, müsste aber auch Frau Makropoulos informieren und einen Termin verschieben.“
„Müssen Sie nicht, Frau Makropoulos weiß schon Bescheid.“
Eine Anwältin. Sie hatte es zwar nicht konkret gesagt, aber vermutlich vom Reinartz Clan engagiert. Und woher wusste sie, dass ich im Tyrol abgestiegen war? Meine Handynummer kannte sie jedenfalls nicht, sonst hätte sie mobil angerufen.
Der nächste Morgen, es regnete weiter. Ich wartete in der Lobby. Erst kam Sophia, allein. Heute im Ledermantel. Kurze Zeit darauf betrat eine typische Anwältin den Raum. Schwarzer Aktenkoffer, Umhängetasche, grauer Wollmantel, unauffällig, aber hochpreisig. Die Damen kannten sich, so mein Eindruck, obwohl sie sich artig mit Handschlag begrüßten und siezten.
Ich verschob den Termin bei der Bank, organisierte mit Hilfe des Concierge einen kleinen Besprechungsraum in der ersten Etage. Etwas Wasser, Kaffee, ein wenig Obst, das übliche Besprechungsgedeck. Sophia und Dr. Binding warteten so lange in der Rezeption in einer Sitzecke, schweigend.
„Wo ist Jannis? Kommt er noch?“
„Wir regeln das unter uns. Zu Dritt“, stellte Binding klar. Sophia nickte.
„Er wartet draußen.“
Binding begann ohne Vorrede.
„Sie, Herr Kollege, haben die Schlüssel, Frau Makropoulos hat den Pin, ich weiß, wozu beides gehört und wo sich das Ziel Ihrer Anstrengungen befindet.“
„Schließfächer?“
„Ja, richtig, Schließfächer. Zwei Schlüssel, zwei Fächer. Ganz einfach.“
„Okay, dann wollen Sie uns jetzt sicher sagen, wohin wir gehen müssen und, was mich auch interessiert, wen vertreten Sie?“
Binding lächelte leicht, fast unmerklich und trank einen Schluck Kaffee.
„Zwei Fragen auf einmal. Mal der Reihe nach. Ich vertrete diejenigen, die wissen, wo sich die Schließfächer befinden. Und ich bin bevollmächtigt, alle notwendigen Erklärungen abzugeben und alle zweckmäßigen Handlungen vorzunehmen. Aber zunächst wären noch ein paar Kleinigkeiten zu regeln.“
„Die wären?“
„Ich gehe zur Bank und hole das Geld, allein! Sie, verehrter Herr Kollege, überlassen mir die Schlüssel, die Sie vermutlich im Gepäck haben werden. Von Sophia bekomme ich den Pin.“
„Was sonst noch?“
„Sie beide unterschreiben mir eine Erklärung, dass Sie keine weiteren Nachforschungen anstellen werden. Mit dem Geld, das ich holen und Ihnen übergeben werde, ist die Sache beendet. Ein für alle Mal.“
„Sie wollen also allein zur Raiffeisenbank?“
„Zu einer Bank. Oder wohin auch immer, ja!“
Sophia hatte ruhig zugehört. Sie saß auf ihrem Stuhl wie ein eisiger Engel. Beherrscht, keine Regung. Wusste sie längst was anstand? Ruhe im Raum, dann stand sie auf, ging ans Fenster und schaute auf den Südtiroler Platz. Eher zu sich selbst gab sie zu bedenken:
„Und dann kommen Sie mit 1.000,-- Euro und sagen uns, das war’s.“
„Es werden mehr als 2 Millionen Euro sein!“ Binding ließ sich nicht beirren.
„Das Finanzamt unterstellt höhere Hinterziehungen“, warf ich ein.
„Es sind gut 2 Millionen, das muss Euch reichen. Wir können das heute über die Bühne bringen. Wenn ihr wollt und wir uns einigen.“
Es wurde schon vertraulicher, Bandenmitglieder unter sich. Sophia stand auf. Sie wollte mit ihrem Bruder sprechen. Wieso zögerte sie? Hatte sie geblufft? War der Pin nur eine Erfindung? Oder spielten die beiden Frauen Theater? In Hauptrollen mit mir als Statist. Aber für eine Million konnte man auch mal den Komparsen machen, das würde die Vergütung gewaltig erhöhen und die Gläubiger freuen. Zu Binding gewandt fragte ich „Sind wir Euch zu dicht auf den Pelz gerückt?“
„Sagen wir mal so, Ihr wurdet langsam lästig. Sie haben beachtliche Hürden übersprungen. Erstaunlich, dass sich Masseverwalter so festbeißen können. Kompliment, Herr Kollege.“ Sie lächelte und ich sah hinter der kühlen Kollegin plötzlich eine attraktive Frau.
Bevor ich den sich anbahnenden Gedanken zu Ende spinnen konnte, betrat Sophia den Raum, Jannis im Schlepptau.
„Wir sind einverstanden. Meine Schwester wird Ihnen den Pin geben. Was ist mit Ihnen Professor?“
Das war die Chance, auf Augenhöhe zu kommen. Ich ließ mir Zeit, stand auf und holte mir einen Kaffee vom Sideboard.
„Wann wollen Sie die Erledigungserklärung haben, Frau Kollegin?“
„Jetzt!“
„Ausgeschlossen, erst das Geld!“
„Und dann war’s das mit der Unterschrift?“
„Vertrauen gegen Vertrauen. Zug um Zug. Wir leisten vor, dann sind Sie dran und wenn es so ist, wie Sie sagen, bekommen Sie anschließend von mir die Erklärung, aber erst dann. Und auch nur, wenn Sie garantieren, dass der Schatz vollständig ist.“
Jetzt wollte Binding eine Auszeit und verließ den Raum. Ich orderte Kaffee beim Zimmerservice und blätterte in der Akte. Deckte der Zustimmungsbeschluss der Gläubigerversammlung eine Beschränkung auf den Inhalt zweier Safes? Oder zweier Schließfächer, mit dort hinterlegten Schlüsseln zu Tresoren oder mit Sparbüchern?
„Nach fest kommt ab! heißt es doch bei Euch im Rheinland, oder? Wir sollten es nicht übertreiben“, warnte Jannis.
„Aber wir sollten auch keine Freifahrtscheine ausstellen.“
Erst kam Kaffee, dann nach einer halben Stunde auch die Kollegin. Jannis verließ den Raum. Binding war einverstanden, wer immer ihr die Ermächtigung dazu gegeben hatte. Aus der Hotelmappe nahm ich zwei Briefumschläge und einen Briefbogen. Sophia drehte sich um und schrieb etwas auf den Briefbogen, faltete ihn sorgfältig, steckte das Blatt in den Umschlag, strich mit der Zunge über den Klebestreifen und drückte diesen dann fest auf das Kuvert. Ich tat es ihr gleich. Meine Schlüssel wanderten in den zweiten Umschlag. Binding steckte beide in ihren Aktenkoffer. Sie hatte während der Unterbrechung schon telefoniert. Für 15:00 Uhr war sie angemeldet. Sie ließ sich auch auf nochmalige Nachfrage nicht locken, wo genau war nicht zu erfahren. Sie bat um meinen betagten Aktenkoffer aus hellem Schweinsleder mit den goldenen Klappschlössern, der Größe wegen. Es konnte also stimmen mit gut 2 Mio. €.
Binding hatte nichts dagegen, dass wir sie bis zum Bozner Platz begleiteten.
Sophia, Jannis und ich standen fröstelnd unter Regenschirmen am Rand des Platzes. Wir hatten verabredet, hier zu warten, da Binding auf dem Rückweg Begleitschutz haben wollte. Gleich vor der Bäckerei Rütz. Ich schlug vor, drinnen einen Kaffee zu trinken. Aber Sophia zog es vor, draußen zu bleiben. Der Rudolfsbrunnen plätscherte vor sich hin. Die Vereinigung von Adler und Löwe, den Wappentieren Tirols und Habsburgs, dokumentierte eine wichtige historische Begebenheit, die mich aber an diesem Tag nicht sonderlich interessierte.
Binding übergab mir meinen Koffer. Er war schwer. Ich hatte die Mittagspause genutzt und nachgesehen. 2 Mio. € in 200-Euro-Scheinen würden 10 kg wiegen. In 500-Euro-Scheinen 4,4 kg. Letzteres konnte passen, dann müssten es etwa 4.400 Scheine sein, hoffentlich schön gebündelt. Bei der Menge wurde mir immer klarer, das war vorbereitet. Soviel Geld wurde nicht in wenigen Stunden mobilisiert, schon gar nicht in 500-Euro-Scheinen.
Ich schaute auf die Uhr, kurz vor 19:00 Uhr. Draußen war es inzwischen richtig dunkel. Sophia schlug die Bettdecke zurück, um eine glatte Fläche herzustellen.
Ein lilafarbenes Banknotenmeer breitete sich auf dem weißen Laken aus, nur von einigen losen gelblich-braunen Scheinen durchbrochen. Hoffentlich sind die alle echt, durchfuhr es mich. Die Kollegin schien meine Gedanken lesen zu können.
„Alles gecheckt!“
„Und dies in drei Stunden, beeindruckend!“
Sie lächelte.
„Wir Österreicher können auch schnell sein, wenn es darauf ankommt.“
4.000 Scheine wollten gezählt sein. Auch wenn eine Bündelung von je 20 Scheinen kleine Päckchen mit jeweils 10.000,-- € ergab.
Sophia mochte jedes Bündel zählen. Wir einigten uns auf Stichproben, um nicht 200 Bündel mit Banderole auseinanderreißen zu müssen. Ich bot Getränke aus der Minibar an. Die Damen lehnten ab. Es waren tatsächlich immer 20 Scheine, jedenfalls dort, wo wir kontrollierten. Aus den Kennbuchstaben erkannte ich auch mit nur halbem Auge, dass die Scheine überwiegend aus Deutschland und Österreich stammten. Am Ende zählten wir 2 Mio. € in 500-Euro-Scheinen und 160.000,-- € in 200-Euro-Scheinen. Also 2.160.000,-- €.
„Jetzt seid Ihr dran“, meinte Carla, als die Zähl- und Sortierorgie endlich beendet war. Ich verstaute meinen Anteil in meinen Koffer. Sophia steckte die Scheine in ihre große Umhängetasche.
Auf dem Hotelbriefbogen prangte der Tiroler Adler in Seitenmitte mit Blick nach links. Fast amtlich, also passend. Ich schrieb von Hand:
„In Erfüllung der mit Zustimmung der Gläubigerversammlung am 15. Februar geschlossenen Vereinbarung vom 27. Juni diesen Jahres hat Frau Makropoulos heute einen Betrag in Höhe von 1.080.000,-- € erhalten. Frau Makropoulos erklärt sich damit wegen aller Ansprüche aus der vorgenannten Vereinbarung und aller bekannten oder unbekannten Ansprüche gegen den verstorbenen Schuldner für befriedigt und wird keine weiteren Forderungen gegen die Insolvenzmasse oder die Erben geltend machen.“
Sophia wollte vor Unterzeichnung ihren Bruder fragen und lief aus dem Zimmer. Ich schaute Carla an.
„Ihr kennt Euch schon länger, oder?“
Sie wurde der Antwort enthoben, weil Sophia wieder zurückkam und die Erklärung unterzeichnete.
„Wem gegenüber sollen wir erklären, dass es keine weiteren Nachforschungen geben wird? Und was ist mit Zufallsfunden?“
Es ging hin und her. Ich bot an, dem Amtsgericht mitzuteilen, dass meine Ermittlungen dazu geführt hatten, in Österreich liegende Vermögenswerte im Wert von 2.160.000,-- € zu realisieren und diese nach Maßgabe des Teilungsabkommens mit Frau Makropoulos zu teilen. Damit sollte es sein Bewenden haben, weitere Nachforschungen mit dem Ziel, unbekannte Vermögenswerte ausfindig zu machen, wurden mangels konkreter Anhaltspunkte ausgeschlossen. Im Gegenzug erhielt ich die geforderte Vollständigkeitserklärung.
Sophia hörte zu, während Dr. Binding und ich über die Umsetzung stritten. Schließlich einigten wir uns darauf, dass ich einen Schriftsatz mit gemeinsam abgestimmtem Inhalt unmittelbar nach meiner Rückkehr beim Insolvenzgericht einreichen sollte. Carla formulierte den Text, den ich an einigen Stellen änderte und dann handschriftlich auf den nächsten Hotelbriefbogen übertrug.
Das war juristisch nicht unbedingt wasserdicht, aber die Kollegin war zufrieden, bemängelte lediglich meine Handschrift.
„Wer soll das denn lesen?!
Sophia fragte: „Muss ich das auch unterschreiben?“
Ein kurzer Blickwechsel zwischen den beiden Frauen. Die kennen sich, fuhr es mir erneut durch den Kopf. Binding bejahte, nahm die beiden Schriftstücke und lief zur Rezeption, um Kopien zu fertigen. Wir unterzeichneten reihum. Jeder erhielt eine Ausfertigung mit Unterschriften. Auf meinem Handy erschien eine Nachricht vom Kollegen aus Wien.
„Gratulation zur erfolgreichen Schatzsuche!“
Sophia hatte es eilig. Kein langer Abschied. Alles Gute und vielen Dank, melden Sie sich, wenn sie mal nach Athen kommen. Die üblichen Abschiedsfloskeln. Und weg war sie.
Ich schaute Carla an. „Was halten Sie von einem gemeinsamen Abendessen, ich lade Sie ein?“
„Gerne, in einer guten halben Stunde an der Bar?“
Ich reservierte einen Tisch im Stüberl. Mein Aktenkoffer kam in den Kleiderschrank. Schon mittags hatte ich in der Hypobank angerufen und Walsky meinen Besuch für den nächsten Morgen angekündigt, zwecks Kontoeröffnung.
„Sie waren erfolgreich? Kompliment. Bis morgen.“
Carla saß schon an der Bar. Vor ihr ein Zimmerschlüssel, 235.
„Ich habe vorsorglich auch ein Zimmer gebucht, man weiß ja nie.“
Eine andere Frau. Umgezogen, dreiviertellange Jeans mit weißer Chiffonbluse, ausgeschnitten, ein blauer Pullover lässig um den Hals gelegt.
Wir einigten uns auf zwei Gin mit Tonic.
„Worauf stoßen wir an?“, wollte ich wissen.
„Vielleicht auf Deinen Mut?“
„Mut?“
„Ich hätte doch mit Deinen Schlüsseln auch auf und davon laufen können?“
„Das Risiko musste ich eingehen, gehört zu meinem Beruf.“
Darauf konnte man anstoßen.
„Das heißt, Du bist mit dem Ergebnis zufrieden?“
„Ziemlich. Und noch mehr, wenn Du mir verrätst, ob Du Sophia schon länger kennst und ob es noch weitere Schätze gegeben hätte?“
Sie beugte sich vor, stützte sich mit der linken Hand auf meinen Oberschenkel und griff mit der rechten hinter meinen Hals und zog mich leicht zu sich herab, hauchte mir einen Kuss auf die Wange.
„Vielleicht später, vielleicht morgen. Vielleicht auch nie. Berufsgeheimnis!“