Читать книгу Eine Jugend im III. Reich und im Chaos der Nachkriegszeit - Rolf H. Arnold - Страница 9

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Die dänische Komponente

Durch meine Großmutter väter-licherseits, Henriette C. Schmidt, geb. 1866 in Sonderborg, Dänemark, ist in meinen Gencocktail auch ein Gutteil dänischer Beigabe eingeflossen, die sich zurückverfolgen lässt bis 1784. Meine Cousine Ellie aus New York hat sich bei der Verfolgung dieser Linie sehr verdient gemacht. So hat sie einige unserer gemeinsamen dänischen Vorfahren aus dem Dunkel der Vergangenheit in unser Bewusstsein gehoben, und zwar bis zu Andreas Clausen (1784 - 1829) und seiner Frau Sille Margarethe Andersdatter (1791 - 1854). Wenn sie weiter nachgeforscht hätte, wäre sie vermutlich auf Wikinger als Vorfahren gestoßen.

Andreas Clausen wurde in Faustrup, Tyrstrup, 1784 als Sohn des Schmiedes Claus Mikkelsen und dessen Frau Catharine Knudsdatter. geboren. Er war Bauer und Schmied in Odis und verheiratet mit Sille Margarethe Andersdatter aus Stougaard, Dybbol – Island of Als, geboren 1791 als Tochter des Bauern Anders Nissen und dessen Frau Maren Christiansdatter.

Die Geschwister der Familie Schmidt aus Sonderburg, Dänemark.

Von links nach rechts:

Henriette, heiratete Wilhelm Arnold in Hamburg.

Christian, heiratete und lebte in Elmira, NY.

Harald Schmidt, heiratete

Charlotte Bruhn (Tante Lottchen) in Hamburg.

Dora, heiratete Hugo Klapproth und lebte in New Haven, Connecticut.

Großmutter Henriette Christine Bernhardine Schmidt heiratete am 14. 10. 1891 Großvater Wilhelm Arnold

Henriette ca. 1869 mit ihrer Mutter Henriettes Vater

Anne Marie Delf und ihrem Vater Claus Clausen Schmidt

Dora Schmidt heiratete 1898 Hugo Klapproth

Sie lebten in New Haven, Connecticut, und waren die Anlaufstelle für die Auswanderung von Dora und Erna Arnold.

Ehepaar Klapproth mit Margarethe Schmidt, der Tochter von Doras Bruder Christian. Sie lebte in Elmira, New York.

Die Nachkommen der Familie Schmidt in den USA

Von den Geschwistern meiner Großmutter, Henriette Arnold, geborene Schmidt, wanderten ihre Schwestern Dora und Christina sowie ihr Bruder Christian in die USA aus. Ihr Bruder Harald und sie selber, Henriette, wanderten nach Deutschland, Hamburg, aus.

Christian SCHMIDT, geb.1856, gest. 21. 3. 1925 in Elmira, NY, heiratete Anna DYNA, geb. 15. 5. 1854 in Bogense, Odense, Dänemark, gest. 25. 5. 1925 in Elmira, NY.

Ihr Sohn Christian Schmidt JR., geb.1887, gest. 12. 11. 1916 in Gary, Indiana.

Ihre Tochter Margarethe Schmidt wurde 1890, geboren und starb am 29. 1. 1962 in Elmira, NY.

Dora Schmidt, geb. 1873, gest. 6. 10. 1951 in Philadelphia, Pennsylvania,.heiratete 1898 Hugo Klaproth aus Lüneburg, gest. 6. 7. 1948 in New Haven, Connecticut.

Sie war bereits mit Hugo Klaproth verheiratet, als sie im Alter von 50 Jahren am 11. September 1923 mit der S. S. „Mongolia“ von Hamburg nach New Haven kam. Ihr Mann wohnte bereits dort in New Haven, Connecticut. Gemäß Einwanderungspapier von Ellis Island war sie bereits im März 1919 durch Heirat US-Bürgerin geworden.

Christina Schmidt, gest. in Westville, Connecticut, verheiratet mit Emil Engel, der mit 24 Jahren 1904 mit der S. S. „Deutschland“ von Hamburg nach New York „segelte“. Im Schiffspapier wird sein Beruf mit Schneider angegeben. Es wird darin ferner festgestellt, dass er die Passage selbst bezahlte, noch über 30 Dollar verfügte, aber keinen Fahrschein für die Fahrt zum Bestimmungsort besaß.

Harold Christian Schmidt, geb. 14. 2. 1896 in Hamburg, gest. Juli 1970 in Oak Park, Illinois, war der Sohn von Harald Schmidt, gest. 1945 in Schnackenburg an der Elbe, Niedersachsen, und Charlotte Bruhn (Tante Lottchen), geb.7. 11. 1868, gest. 1954 in Schnackenburg an der Elbe.

Harold Schmidt kam im Alter von 17 Jahren am 24. April 1913 mit der S. S. „Barbarossa“ von Bremen nach New York. In den Einwande-rungspapieren wird seine Barschaft mit 25 Dollars angegeben und als Ziel für die Weiterreise die Adresse seines Onkels Christian Schmidt, Elmira, NY. Das Formular verweist darauf, dass die Fahrkarte für die Weiterfahrt vorhanden war. Es enthält übrigens auch den Hinweis, dass er lesen und schreiben konnte. Das war damals bei den Einwanderern wohl noch nicht so ganz selbstverständlich. Das Formular des „States Immigration Officer at Port of Arrival“ fragte übrigens auch ab, ob der Einwanderer ein Polygamist oder ein Anarchist war.

Harold Schmidt lebte in Chicago und stellte dort als 40-Jähriger am 13. 2. 1937 als Arbeitsloser einen Antrag auf Sozialhilfe. Er war verheiratet mit einer unbekannten Frau.

Sein Sohn Harold E. Schmidt ist 1944 über Deutschland durch Abschuss seines US-Bombenflugzeugs umgekommen.

Harold Schmidt war dann mit einer weiteren unbekannten Frau verheiratet, von der nur ihr Vorname Molly bekannt ist. Aus dieser Ehe entstammt die Tochter Margareth (Margie) Schmidt, die 1943 geboren wurde.

Die Nachkommen der Familie Arnold in den USA

Wenn man sich die beiden Stammbäume der Nachkommen der Familie Arnold und der Familie Schmidt in den USA ansieht, kann man den Eindruck gewinnen, dass beide Familien nicht unwesentlich zur Besiedlung der Ostküste der Vereinigten Staaten von Amerika beigetragen haben. Bei einer Auszählung sind es dann doch nicht ganz so viele, aber immerhin haben wir nach jetzigem Stand 37 Blutsverwandte in den USA. Die Zahl kann sich jedoch aufgrund der erheblichen Anzahl von Enkeln und Urenkeln während des Schreibens dieses Buches durchaus schon wieder erhöht haben.

Von der Familie Arnold sind drei Schwestern meines Vaters in die USA ausgewandert:

Dora Arnold, geb. am 29. 3. 1898 in Hamburg, gestorben am 6. 3. 1986 in New York. Sie war die Älteste der drei ausgewanderten Schwestern meines Vaters und „sailed“ als erste am 12. 1. 1924 mit 25 Jahren mit der S. S. „Thuringia“ von Hamburg nach New York. Grund für die Auswanderung wird die katastrophale, hoffnungslose wirtschaftliche Lage mit extrem hoher Arbeitslosigkeit in Deutschland gewesen sein, vor der sich leuchtend das gelobte Land der unbegrenzten Möglichkeiten abhob.

Der Sprung ins Ungewisse war für sie abgefedert, da ihre Tante Dora Schmidt, die Schwester ihrer Mutter, sie zunächst aufnahm. Diese war mit ihrem Mann Hugo Klapproth bereits nach New Haven, Connecticut, ausgewandert.

Dora Arnold scheint nicht das Einverständnis ihrer Eltern für die Auswanderung gehabt zu haben, denn als Heimatadresse gab sie bei der Einwanderungsbehörde nicht die ihrer Eltern an, sondern die ihres Onkels Harald Schmidt, Hamburg, Conventstraße 2, dessen Sohn schon 1913 als 17-Jähriger auswandern musste, da er als Lehrling „iin die Kasse gegriffen“ hatte, wie es hieß. Möglicherweise hat ihr Onkel die Überfahrt bezahlt. In dem Einwanderungspapier heißt es nur, der Onkel habe die Kosten der Passage übernommen, wobei offen bleibt, ob damit ihr Onkel Harald Schmidt in der Heimatadresse gemeint war oder der ebenfalls als Onkel bezeichnete Hugo Klapproth in der Zieladresse, der Mann ihrer Tante Dora.

Die Einwanderungspapiere weisen Dora als „house maid“ aus und halten fest, dass sie 55 Dollar aber keinen Fahrschein für die Weiterfahrt zum Bestimmungsort besaß.

Unsere Tante Dora heiratete John Baptist Miller, geb. 1. 11. 1898, gest. 1972.

Ihre Tochter Charlotte Margaret Miller wurde am 28. 11. 1926 geboren.

Ihr Sohn John Arnold Miller wurde am 12. 8. 1944 geboren. Er heiratete Monica Foster, geb. 23. 11. 1944, gest. 1997.

Ihr Enkelsohn Saari Daun Miller, geb. 29. 9. 1969, heiratete im Januar 1998 Joel Lynch.

Erna Arnold, geb. am 3. 6. 1899 in Hamburg, die Zweitälteste der ausgewanderten drei Schwestern meines Vaters. Sie fuhr mit 27 Jahren am 27. Dezember 1926 zunächst von Hamburg nach Southampton und von dort am 10. 1. 1927 mit dem Schiff S.S. „Lappland“ nach New York. Auch sie ging wie ihre Schwester Dora zunächst zur Tante Dora Klapproth nach New Haven, Connecticut. Im Einwanderungspapier wird als Berufsbezeichnung „Servant“ angegeben. Es wurde ferner in dem Papier festgehalten, dass die Überfahrt von der Tante in New Haven bezahlt wurde.

Zu Tante Erna hatte meine Mutter immer ein besonders enges Verhältnis, sie schrieben sich regelmäßig Briefe. Das war auch gut zu verstehen, denn Tante Erna war im Gegensatz zu ihrer Schwester Grete unkompliziert, unprätentiös und liebenswürdig. Sie besuchte uns zweimal in Hamburg.

Sie heiratete im Alter von 28 Jahren am 2. 6. 1927 in New York den ebenfalls 28-jährigen Karl (Charles) Anton Hamel, geb. am 23. 1. 1899 in Sandweier, heute Stadtteil von Baden-Baden.

Charles war gelernter Koch und besaß in New York 28 das „Central Restaurant – Known For Excellent Food“ in der 1642 Second Avenue Bet 85th & 86th Sts., in dem Erna mitarbeitete. Das Restaurant musste aufgegeben werden, als eine Bank in den Räumen eine Filiale einrichtete. Später arbeitete Tante Erna bis ins hohe Alter im Kaufhaus Gimbels in New York City.

Charles verstarb am 5. 3. 1967 in Bronx, NY. Erna starb mit 96 Jahren am 2. 2. 1996 in Albany, NY.

Ihre Tochter Eleanor (Ellie) Joan Hamel, geboren am 4. 2. 1938 in New York, heiratete am 3. 3. 1962 Ronald Peter Nielsen, geb. am 23. 2. 1935 in New York.

Cousine Ellie hat uns zweimal in Deutschland besucht, in Hamburg und in Wiesbaden. Wir haben sie als sehr liebenswürdig, intelligent und lebensklug kennen gelernt. Wir hatten zusammen schöne Tage, was auch dadurch begünstigt wurde, dass sie sehr gut Deutsch spricht. Auch die lebhafte Korrespondenz wurde erst möglich, da sie auch sehr gut Deutsch schreibt. Sie hat sich das alles selbst erarbeitet. Das lässt ihre hartnäckige Zielstrebigkeit deutlich werden. Sie hat mir dankens-werterweise die von ihr erarbeiteten Daten zu unseren Verwandten in den USA und Dänemark zur Verfügung gestellt.


Familie Hamel

Erna, Charles (Carl) und Kurt Hamel im Jahre 1932

Kurt Hamel war Berufssoldat

Als 22-Jähriger ging er 1950 in einer der ersten Angriffswellen der US-Interventionstruppen in Südkorea an Land, wurde verwundet und schwer traumatisiert. . .

Ellies Tochter Susan Valerie Nielsen, geb am 21. 12 1962 in New York, heiratete am 1. 7. 1989 Thomas Eugene Perino, geb. am 23. 12. 1960 in East Islip, NY.

Am 9. 4. 2000 heiratete Susan erneut, und zwar Michael Herbert Goldstein, geb. 30. 10. 1956. Er ist der Sohn von Solomon Goldstein und Constance Borrok.

Susan haben wir kennengelernt, als sie uns mit ihren Eltern besuchte. Sie ist eine bewundernswert tüchtige Frau, die trotz einer qualifi-zierten Volltagstätigkeit im Personalmanagement einer Bank gleich-zeitig zwei minderjährige Söhne großzieht und den Haushalt in ihrem Haus in Huntington, N.Y führt.


Eleanor (Ellie) Nielsen, Ronald (Ron) Nielsen

und Tante Erna (Hamel)

Susan und Michael haben die Söhne Gregory Scott, geb. am 15. 3. in Huntington, NY., und David Craig, geb. am 17. 7. 2006 in Huntington, NY.

Ellies Sohn Douglas John Nielsen, geb. am 11. 2. 1969 in Coblesskill, NY. ist Rechtsanwalt und noch unverheiratet.

Ellies Bruder Kurt Harold Hamel, geb. am 27. 1. 1932 in New York, heiratete am 8. 3. 1952 Virginia Faye Rodgers, geb. am 31. 7. 1933 in Stoney Point, NY.


Besuch in Wiesbaden im Mai 2001: Elke, Frauke, Susan und Ellie

Ellie, Ron, Gregory, Susan, David und Michael

Sein Sohn Kent Scotty Hamel, geb. 5. 12. 1964, heiratete am 28. 9. 1991 in San Antonio, Texas, Priscilla Alonzo Cantu, geb. 16. 6. 1965.

Seine Enkelin Korey Louisa Hamel wurde am 9. 6. 1993 geboren, seine Enkelin Nicole Lee Hamel am 16. 4. 1995.

Seine Enkeltochter Karen Ann Hamel, geb. 27. 10. 1956 in Topeka, Kansas, heiratete am 16. 9. 1977 in San Antonio, Texas, Larry Joseph Voelkel.

Deren Tochter Lauren Rae Voelkel, wurde am 15. 8. 1987 geboren.

Margareth Arnold, geb. 30. 8. 1905 in Hamburg, verstorben am 1. 4. 1981 in New Jersey. Sie war die jüngste der Schwestern meines Vaters und ging als Dritte 1928 mit 22 Jahren in die USA. Ihre Schwester Erna und deren Mann Charles hatten Geld gespart und ihrem Vater ein Ticket geschickt, damit er sie besuchen könne. Da dieser sich dazu nicht in der Lage oder Willens sah, hat er die Passage seinem Sohn, meinen Vater, zur Auswanderung angeboten. Der aber zeigte sich nicht interessiert, denn er hatte in Bonn bei der Post eine feste Anstellung und war gerade frisch verliebt. So bekam seine Schwester Margareth das Ticket für die Ausreise in die USA. Nach ihrer Ankunft in New York wohnte sie zunächst bei ihrer Schwester Erna und deren Mann, bis sie eine Anstellung als Kindermädchen fand. Am 6. 9. 1932 heiratete sie Lawrence Jacobs, geb. am 15. 3. 1900 in Armenien, verstorben am 13. 5. 1991 in New Jersey.

Tante Gretel war eine sehr dominante, durchsetzungsfähige und manchmal etwas schwierige Frau. Sie hat uns mit ihrer Familie einige Male in Berlin und Hamburg besucht. Mit ihrem Mann Larry hat sie auch eine Europareise gemacht, diese aber unter Verzicht auf die skandinavischen Länder in „dem schmutzigen Amsterdam“ abgebro-chen.

Onkel Larry und Tante Gretel

Ihr Mann Larry war Unternehmer. Er betrieb zusammen mit einem Partner eine Gummifabrik, in der u.a. das Gummi für die Mercury-Kapsel hergestellt wurde, die im ersten bemannten Raumfahrtpro-gramm der USA von 1958 bis 1963 verwendet wurde, um einen Menschen im Orbit um die Erde fliegen zu lassen.

Larry war eine Seele von Mensch. Ich hatte den Vorzug jahrelang mit ihm korrespondieren zu können. Er war eine große, reife Persönlichkeit, und Tante Gretel wird schon Recht gehabt haben, wenn sie sagte, dass er bei den Freimaurern in New York die Stellung „gleich hinter dem Präsidenten“ einnahm.

Ihre Tochter Harriet Joan Jacobs, geb. 9. 3. 1935 in New York, gestorben 25. 9. 2003 in Princeton, New Jersey. Sie heiratete am 6. 4. 1957 in New York den Chemiker Arthur Lyding.

Onkel Larry

Ihr Enkel Christopher Scott Lyding, geb. 11. 2. 1960, heiratete am 31. 8. 1985 in Princeton, New Jersey, die Japanerin Taiko Konno. Ihr Sohn Charles Lyding wurde im September 1997 geboren.

Als ich in den 90er Jahren beim Besuch meiner Cousine Ellie aus New York einmal feststellte, dass es der jüngsten, sehr gut aussehenden Schwester Gretel meines Vaters von seinen drei Schwestern in den USA am besten ergangen sei, da sie einen Millionär geheiratet habe, wurde ich von ihr feinsinnig korrigiert: Gretel habe ihn nicht als Millionär geheiratet, aber sie habe das Potential gesehen.


Cousine Harriet-Joan


Onkel Larry und Tante Gretel vor ihrem Haus und Auto


Onkel Larrys Haus in New Jersey


Ingrid, Harriet-Joan, Tante Gretel und mein Vater


Arthur, Harriett-Joan und Christopher Lyding


Arthur und Harriet-Joan mit ihrem Enkel Charles


Christopher Lyding 1978

Ein Großvater, der auf der Walz

in Hamburg hängen blieb

Mein Großvater väterlicherseits, geboren am 15. 5. 1862, war Schneidermeister in Hamburg-Harvestehude. Seine Werkstatt und seine Wohnung lagen in der Hochallee Nr. 27, und zwar im Souterrain. Das war ein Problem für seine fünf Kinder und insbesondere für meinen Vater, denn sie fühlten sich als „Kellerkinder“ ausgegrenzt von den wohlhabenden Mietern ihrer Nachbarschaft. Es kam noch erschwerend hinzu, dass mein Großvater als Uniform-schneider hauptsächlich Berufsoffiziere des kaiserlichen Heeres als Kunden hatte, die ihn oft buchstäblich von oben herab behandelten, wenn sie auf seinem Schnei-dertisch arrogant herumspazierten und meistens am Fall der Hosen etwas auszusetzen hatten. Das verärgerte meinen zum Jähzorn neigenden Großvater oft, der dann seinen Frust aus kleinstem Anlass an meinem Vater ausließ und ihn manches Mal, mit der großen Schneiderbürste nach ihm schlagend, um den Schneidertisch trieb.

Mein Vater, geboren am 23. 11. 1902, hatte es auch sonst nicht leicht in dieser Familie. Während seine vier Schwestern die Schule regelmäßig besuchen konnten, eine von ihnen sogar die Oberschule, musste mein Vater als Hilfskraft in der Schneiderei aushelfen. Er war oft gezwungen, die Schule zu schwänzen, um für seinen Vater Pakete mit den fertigen Schneiderprodukten auszutragen. So war ihm eine höhere Schulbildung verwehrt, was er Zeit seines Lebens nicht verwunden hat. Das war auch der Grund, warum er später sehr darauf achtete, dass mir eine gute Schulbildung ermöglicht wurde. Er sparte sich und seiner Familie das Schulgeld für mich und die Mittel für die Schulbücher sowie für die Klassenreisen buchstäblich vom Munde ab und achtete sehr darauf, dass ich durch Zeitungsaustragen und andere Arten mir Taschengeld zu verdienen, nicht zu sehr von der Arbeit für die Schule abgelenkt wurde. Mit der Begründung, ich müsse mich auf die Schularbeiten konzentrieren, untersagte er mir auch, Mitglied bei den Pfadfindern zu werden. Er glaubte auch, in dieser Organisation militärische Strukturen zu erkennen, die ihm nach den Erfahrungen des Krieges verhasst waren.

Mein Vater war am Ende des ersten Weltkrieges 16 Jahre alt. Ob die wirtschaftlich schwächelnde Situation der Schneiderwerkstatt die Ursache war, dass er sich nicht für das Schneiderhandwerk und die Fortführung der Werkstatt entschied, oder ob es eher eine nach seinen Erfahrungen nachvollziehbare Aversion gegen die Schneiderzunft war, ist mir nicht bekannt. Jedenfalls absolvierte er eine Lehre als Feinmechaniker, die ihm später die Möglichkeit bot, als Telegraphen-handwerker zur Post zu gehen und in einer späteren Phase Beamter im Technischen Dienst der Post zu werden.

Sein Vater kam von einem Weinbauernhof aus Weinsheim an der Nahe, nicht weit von Bad Kreuznach. Dieser Hof lag am Rande des Ortes und es sollen manches Mal Rehe über den Hof gelaufen sein. Mein Vater erzählte gern, dass er, als er in Bonn als Telegraphen-handwerker bei der Post arbeitete, sich mit Freunden auf dem Hof in Weinsheim regelmäßig mit Wein versorgte. Während der Rückfahrt mit der Bahn ergaben sich oft problematische Situationen, weil seine Freunde in ihrer Weinlaune Vertretern der französischen Besatzungs-macht links des Rheines freundschaftlich auf die Stahlhelme schlugen.

Als ich in den siebziger Jahren einmal diesen kleinen Ort Weinsheim mit meiner Frau besuchte, trafen wir einen sehr alten Mann an, der in der Sonne auf einem Stuhl vor seinem Hause saß. Als wir ihn fragten, ob er noch den Schneidergesellen Wilhelm Arnold kenne, sagte er: „Ach der Wilhelm, ja, der ist damals nach Hamburg ausgewandert.“ Mein Großvater war in der Tat als Schneidergeselle auf der Walz nach Hamburg gewandert und nicht zurückgekehrt. Diesen Wandertrieb scheint er an drei seiner Töchter weitergegeben zu haben, denn die sind in den zwanziger Jahren nach Amerika ausgewandert.


Henriette und Wilhelm Arnold

Nach dem Ende des ersten Weltkrieges war mein Großvater 56 Jahre alt. Da viele seiner Kunden im ersten Weltkrieg „im Felde geblieben waren“ und viele andere nach der Auflösung des kaiserlichen Heeres in der Nachkriegszeit arbeitslos verarmt waren, geriet auch seine Schneiderwerktatt in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Im allgemeinen wirtschaftlichen Niedergang der Nachkriegszeit war es ihm nicht möglich, einen neuen Kundenstamm aufzubauen. Da die Werkstatt sich nicht mehr rentierte, gab er sie mit 60 Jahren auf. Ich kenne meinen Opa Arnold nur aus Erzählungen und von Bildern. Als mein Großvater mit 70 Jahren starb, war ich erst 5 ½ Monate alt.


Die Familie Arnold: Henriette Arnold, Wilhelm, genannt Willy, Erna, Margarethe, genannt Gretel, Dora, Olga und Wilhelm Arnold. Der Sohn Valdemar verstarb kurz nach der Geburt.

Eine Jugend im III. Reich und im Chaos der Nachkriegszeit

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