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II.

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Inhaltsverzeichnis

Wie hat ihn Rolland gesehen? — Er schreibt als einundzwanzigjähriger Pariser Student — in der Not seines Herzens — einen Brief an Tolstoi, den Sechzigjährigen, dessen Pamphlet gegen die Kunst und die Künstler gerade alle jungen, vor der Verlogenheit der Zeit und der Gesellschaft sich ekelnden Geister in Europa aufgerüttelt hatte. Tolstois Aufklärungsbroschüre „Was sollen wir denn tun?” hatte den jungen Rolland nicht genügend aufgeklärt. Er wollte mehr.

Das Ziel war schon damals: Einheit zwischen Leben und Denken. Aber wie? Der Wahrheitsrigorist, zu dem die jungen Sucher und Stürmer unter den ernsten Künstlern als zu ihrem Führer emporschauten, klagte die Kunst an, verachtete und schmähte die reinsten und mächtigsten Bildner, Beethoven und Shakespeare? Unüberbrückbarer Gegensatz. Wo war seine Lösung?

Tolstoi empfängt den Brief des aus seiner Gewissensqual um Hilfe flehenden jungen Rolland anders als der sechzigjährige Goethe das rührende Schreiben des Dichters der „Penthesilea”. Er antwortet ihm in einem achtunddreißig Seiten langen Schreiben, das mit den Worten beginnt: Lieber Bruder, ich habe Ihren ersten Brief empfangen. Er hat mich im Herzen berührt. Mit Tränen in den Augen habe ich ihn gelesen...” Die Mehrzahl seiner Fragen, erwidert Tolstoi, hätten ihre Wurzeln in einem Mißverständnis. Und er versucht noch einmal die von ihm gegen die Überschätzung der Kunst gerichtete Kritik dem jugendlichen Wahrheitsforscher auseinanderzusetzen. Schon in seiner Abhandlung hatte er sich gegen die fragwürdigen Verteidiger der Kunst mit den Worten gewandt: „Sagt mir nicht etwa, daß ich Kunst und Wissenschaft verwerfe. Ich verwerfe sie nicht nur nicht, sondern in ihrem Namen will ich die Tempelschänder verjagen.” Wissenschaft und Kunst seien so notwendig wie Brot und Wasser, sogar noch notwendiger. Aber daß sie ein Lügenleben führen wollen, daß sie den Dualismus zwischen Leben und Handeln fördern, daß sie sich zu „Mitverschworenen des ganzen bestehenden Systems gesellschaftlicher Ungleichheit und heuchlerischer Gewalttätigkeit” erniedrigen, daß sie als Forscher, Dichter, Künstler sich stets zu Stützen der gerade herrschenden Klasse degradieren, das ist es, was die Verachtung des Wahrheitsfanatikers hervorrief. „Die Betätigung von Wissenschaft und Kunst ist nur fruchtbringend, wenn sie sich kein Recht herausnimmt und nur Pflichten kennt... Die Menschen, die berufen sind, den anderen durch Geistesarbeit zu dienen, leiden immer in der Ausübung dieser Arbeit; denn die geistige Welt gebiert nur in Schmerzen und Qualen.” Das war es, was die jungen Künstler mit Tolstoi verband: sein Ernst, sein Leidenkönnen, seine Kompromißfeindschaft, seine Unbestechlichkeit, sein absoluter Wahrheitsrigorismus. Das war es, was den jungen Rolland zu Tolstoi hinzog, kurz nachdem er dessen aufwühlende Schrift 1887 gelesen hatte. Das war es, was ihn fast fünfundzwanzig Jahre später dazu drängte, das tragische Leben dieses im Grunde Einsamen zu malen.

Das Leben Tolstois

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