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Kapitel 2

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Einige Kinder stürzten. Der Wind war bereits so stark, dass er die überall herumliegenden Äste und zu Boden gefallenen Früchte in Geschosse verwandelte, die wie Laserschüsse auf die Kraftfelder trafen und diese zum Teil bis an den Rand ihrer Belastbarkeit strapazierten. Das galt natürlich nicht für Lisas Board. Aber sie machte sich Sorgen um Katharina.

In der Woche zuvor war an Katharinas Board zwei Mal das Kraftfeld komplett ausgefallen. Sollte das nun wieder geschehen, konnte weiß Gott was passieren. Womöglich wurde sie ernsthaft verletzt. "Willst du mit mir fliegen?", fragte Lisa. Katharina schüttelte den Kopf. "Geht schon", antwortete sie. "Komm, lass' uns abhauen!"

Lisa sah sich um. Die Sonne war hinter dunklen Wolken verschwunden. Ein eigenartiges schmutzig-graues Licht umgab sie. Alles wirkte irgendwie fremd und unwirklich. Das kleine tropische Dorf verwandelte sich immer mehr in etwas, das sie nicht beschreiben konnte.

Gewiss, die niedrigen Häuser mit den weißen Wänden und den rotbraunen Dächern standen da wie eh und je und auch die üppige Vegetation an den Berghängen in der Ferne sah so aus wie immer, aber irgendetwas war plötzlich anders geworden. Alles wirkte mit einem mal so bedrohlich und beängstigend lebendig.

Die Bäume am Straßenrand, an denen sie seit Jahren jeden Tag vorbeigeflogen war, kamen ihr vor wie bösartige Riesen, die wütend ihre Fäuste schüttelten und sich brüllend von ihren Wurzeln zu befreien versuchten, welche sie am Boden festhielten. Lisa war beileibe kein abergläubisches Mädchen und auch nicht besonders schreckhaft, aber seit sie von den Monstern gehört hatte, die Menschen entführten und fraßen, war sie sich nicht mehr sicher, ob es nicht vielleicht doch so etwas wie Fabelwesen und Ungeheuer gab.

"Mach' dir keine Sorgen", sagte Harry. "Vor was fürchtest du dich?" Lisa wandte ihren Blick von den Bäumen ab. "Ach, nichts! Oder..., doch, Katharina, wird ihr Kraftfeld halten?" Harry scannte das Kraftfeld der neben ihnen fliegenden Katharina. "Es fluktuiert sehr stark", erklärte Harry. "Wir sollten uns besser beeilen!" Lisa gab Katharina ein Zeichen, daraufhin stiegen sie etwas in die Höhe und beschleunigten auf 35 km/h. "Was ist hier eigentlich los, Harry?", wollte Lisa wissen.

"Ein Sturm zieht auf", antwortete er mechanisch. "So schnell?" Lisas Stimme klang ängstlich. Harry schwieg einen Moment. Lisa wusste, dass er gerade die Datenbanken des Hauptrechners anzapfte, um die erforderlichen Informationen zu sammeln, die er für eine möglichst vollständige Antwort brauchte. "Es liegen keine Informationen vor, die erklären könnten, warum der Sturm so plötzlich entstanden ist. Die Meteorologen wurden von dieser Schlechtwetterfront ebenso überrascht wie alle anderen." Die Antwort machte Lisa nur noch nervöser. "Was ist mit den Wetter-Stationen im Weltall? Haben die nichts erkennen können?" Wieder ein kurzes Schweigen. "Der Kontakt zu den Forschungs-Androiden ist vor mehreren Stunden aus unbekannten Gründen plötzlich abgerissen", lautete die Antwort. "Aber mir sind nicht alle Informationen bekannt", fügte Harry hinzu. Lisa stutzte. "Was soll das heißen?" "Ein Teil der Daten ist als geheim eingestuft worden." "Von wem?" "Auf Anweisung des Verteidigungsministers." Gerade als Lisa eine weitere Frage stellen wollte, prallte ein schwerer Gegenstand gegen das Kraftfeld ihres Boards.

Sie sah hinüber zu Katharina und erkannte voller Entsetzen, dass deren Kraftfeld zerstört worden war. Mit den Händen rudernd, versuchte Katharina das Gleichgewicht zu halten. "Hilf ihr!", rief Lisa. In Sekundenbruchteilen dehnte Harry sein Kraftfeld über Katharina und deren beschädigtes Board aus und bewahrte sie so vor dem Sturz. "Deine Freundin ist unverletzt", stellte Harry fest, nachdem er ihren Körper geröntgt und gescannt hatte. "Das Board ist defekt." "Lass' es fallen!", sagte Lisa und half Katharina auf ihr Board. "Und jetzt bring' uns nach Hause!"

Lisas Mutter nahm ihre Tochter erleichtert in die Arme, als sie endlich ankamen. Doch für ein Gespräch oder Erklärungen blieb keine Zeit. Die Eltern waren bereits am Packen. "Bring Harry zu Papa! Schnell! Beeil dich!", drängte ihre Mutter. Vor dem Haus knallte es. Lisa rannte ans Fenster und sah hinaus. Im Garten gegenüber war ein Baum umgestürzt und auf den Gleiter in der Einfahrt der Nachbarn gefallen. Das Fahrzeug war nur noch Schrott. Lisa sah, wie die Frau aus dem Haus gestürzt kam und laute Entsetzensschreie ausstieß. Ihr Mann konnte sie kaum beruhigen. Der kleine Tommi stand in der Haustür und hielt sich beide Hände vors Gesicht. Lisa!", rief ihre Mutter noch einmal. "Bitte!"

Eine knappe Stunde später saß Martin im Gleiter, sein Stofftier in der Hand und brachte kein Wort mehr heraus. Der fünfjährige Lausejunge, der sonst nichts als Unsinn im Kopf hatte und mit Vorliebe seine große Schwester ärgerte, war so schockiert von dem, was um ihn herum vorging, dass er nur noch die Augen schloss und wartete. Er hoffte, dass alles nur ein böser Traum war und er nur wieder aufwachen musste, um allem ein Ende zu setzen. Doch dem war nicht so. Ganz im Gegenteil. Die Schreie und das Getöse um ihn herum wurden immer lauter.

Inzwischen war von Toten die Rede. Ein Mann am unteren Ende der Straße war angeblich von einem Baum erschlagen worden. In der Nähe des Supermarktes wurde ein Kind von einem Gleiter erfasst und gegen eine Hausmauer geschleudert. Es verstarb noch am Unfallort. Niemand kümmerte sich mehr um die

Unfallfahrerin, die mit zwei Kindern auf den Rücksitzen paralysiert in ihrem Gleiter saß und die blutverschmierte Wand anstarrte. Auch die schrillen Schreie der Mutter des getöteten Kindes schien keiner mehr wahrzunehmen. So wenig wie die Eltern den Streit der Nachbarn zur Kenntnis nehmen wollten. "Wir müssen hier weg!", rief der Vater so laut er konnte.

Lisa verstand kaum, was er sagte. Das Wüten des Sturmes hatte eine Intensität und Lautstärke erreicht, die es Lisa schier unmöglich machten, auf ihren eigenen Beinen zu stehen. Sie hielt sich die Hand über die Augen und sah zum Himmel empor. Es war finster geworden. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass es gerade einmal zwei Uhr nachmittags war. Der Vater drückte ihr drei Körperlampen in die Hand. Eine befestigte sie mit einem Stirnband an ihrem Kopf, die anderen beiden mit Stoffbändern an ihren Handgelenken.

"Hast Du deinen Kommunikator bei dir?", schrie der Vater ganz dicht neben ihrem Ohr. Sie hielt ihn hoch. Der Vater nickte und wollte zurück ins Haus laufen. Da hielt ihn Lisa an der Hand fest. "Papa, was ist los?", fragte sie. "Sei ehrlich! Kommt der Sturm von diesen Monstern?" Der Vater nahm sie ganz fest in den Arm. "Sie wissen es nicht mit Sicherheit, aber es sieht ganz so aus!" Lisa schossen die Tränen in die Augen. Wie zu Stein erstarrt stand sie neben dem Gleiter ihrer Eltern, sah die Straße hinab auf die grellen Lichtkegel der anderen startenden Fahrzeuge und wurde sich plötzlich bewusst, dass all diese Leute ebenso wie sie selbst um ihr Leben fürchteten. Sie flüchteten nicht vor dem Sturm, sondern vor den menschenfressenden Bestien, von denen keiner wusste, wo sie herkamen und warum sie ausgerechnet die Erde angriffen.

"Steig ein!", sagte die Mutter mit mühsam unterdrückter Nervosität. Sie war mit den Nerven am Ende, wusste nicht mehr ein noch aus und zitterte aus Angst um das Wohl ihrer beiden Kinder. Lisa gehorchte wortlos, setzte sich zu ihrem Bruder auf die Rückbank und sah ihn an. Im bläulichen Innenlicht des Gleiters wirkte sein schweißnasses Gesicht wie das verzerrte Antlitz eines Toten. Seine Augen schienen tief eingesunken, dunkle Schatten lagen auf seinen Wangen und die Lippen wirkten blass und leblos. Lisa nahm Martins Hand und drückte sie. "Los geht's!", meinte der Vater und wollte den Gleiter starten. "Nicht!", rief Lisa.

Die Eltern erschraken und drehten sich entsetzt um. "Was ist? Ist etwas passiert? Bist Du verletzt?" Die Mutter fasste mit fahrigen Bewegungen nach hinten und tastete den Körper ihrer Tochter ab. "Wohin fliegen wir?", wollte Lisa wissen. "Was?" Lisas Vater sah sie verständnislos an. "Wohin fliegen wir?", wiederholte sie. "Lisa, bitte!", tadelte die Mutter. "Dafür ist jetzt wirklich keine Zeit!" Als der Vater wieder starten wollte, legte Lisa ihm schnell die Hand auf die Schulter. "Papa!" Es klang wie ein Hilfeschrei.

Der Vater drehte sich um und sah sie besorgt an. "Nach Norden, hinauf ins Grasland", antwortete er mit einem fragenden Blick auf Lisa. "Warum ist das so wichtig? Dort sind wir sicherer als hier unten im Regenwald." Lisa schwieg einen Moment. "Das glaube ich nicht", antwortete sie entschlossen. "Alle gehen dorthin, nicht wahr?" "Ja, es ist das Vernünftigste. Dort versammeln sich auch die Kämpfer und die Denker. Sie werden uns beschützen." Lisa schüttelte langsam den Kopf. "Wir werden dort alle sterben!"

Lisa erklärte ihren fassungslosen Eltern, dass es eine Falle sei. Sie war der Ansicht, die Monster hätten alles so geplant, um sie dort oben besser fangen oder töten zu können. Deswegen auch der Sturm. "Wie kommst du bloß auf sowas?", wollte die Mutter wissen. Lisa deutete nach hinten in den Gepäckraum. Dort lag Harry bei den anderen hastig verstauten Sachen. "Er hat vorhin zu mir gesagt, dass die Wetter-Stationen ausgefallen sind, bevor der Sturm kam. Das kann kein Zufall sein. Lass' mich ihn noch einmal fragen, in Ordnung?"

Sie aktivierte den Board-Androiden. "Hallo Harry, du musst mir unbedingt etwas sagen", begann sie. "Es ist wirklich wichtig!" "Sehr gerne! Du siehst schlecht aus, geht es dir nicht gut?" "Die Monster kommen", fuhr Lisa fort. "Alle fliehen ins Grasland. Sind wir dort sicher?" Harry schwieg und recherchierte in den Daten des Hauptrechners. "Unwahrscheinlich!", lautete die Antwort. "Die Spione haben vor etwa zehn Minuten an die Denker und Kämpfer gemeldet, dass sich eine große Zahl von feindlichen Raumschiffen direkt auf das Grasland im Norden zubewegt." Die Mutter riss die Augen auf und legte sich beide Hände vor den Mund.

"Mein Gott!"

"Wo können wir uns sonst verstecken?", wollte der Vater wissen. "Im Wald!", gab Harry prompt zur Antwort. Die Mutter protestierte energisch. "Bei dem Sturm? Da wimmelt es nur so von gefährlichen Tieren!", schrie sie hysterisch. "Außerdem weiß doch jeder, dass diese Bestien sich im Wald verstecken. Das haben sie bisher doch auch getan." Harry widersprach. "Jetzt verstecken sie sich aber nicht mehr!", sagte er. "Jetzt machen sie ganz offen Jagd auf Menschen." Als Harry das sagte, wurde es still im Gleiter.

"Also was machen wir jetzt?" Die Stimme der Mutter zitterte. Keiner wollte etwas sagen. "Wenn ich einen Vorschlag machen dürfte?", fragte Harry. "Die Vulkanhöhlen scheinen mir ein geeignetes Versteck zu sein." Die Mutter war schockiert. "Dort überleben wir keine drei Tage! Diese Höhlen sind voller giftiger Dämpfe, es ist unerträglich heiß und darüber hinaus sollen sich dort unten alte Mülldeponien aus dem 20. und 21. Jahrhundert befinden. Ich habe keine Lust, neben radioaktiv verseuchtem Computerschrott zu schlafen. Ohne mich!"

"Hier draußen überleben wir wahrscheinlich nicht einmal die nächsten drei Stunden", sagte der Vater leise und resigniert. "Ich finde, Harry hat recht. Wir sollten zu den Höhlen fliegen." Lisa stimmte ihrem Vater zu. Martin starrte nur fassungslos aus dem Fenster des Gleiters, hinaus in die von gigantischen Blitzen erhellte Finsternis. Die Erde bebte unter gewaltigen Donnerschlägen. Zumindest hörte es sich an wie das Grollen eines sich nähernden Gewitters. Doch dann tauchten die Umrisse des Raumschiffs über ihnen auf. Das was sie eben noch für Blitze gehalten hatten, war nichts anderes als die Leuchtspur von lasergesteuerten Raketen. Direkt vor ihren Augen zerbarst das Haus der Rektorin in tausend kleinste Teile und verwandelte sich in einen Meteoriten-Hagel, der über dem ganzem Dorf niederging. Ein Steinbrocken traf mit voller Wucht die Frontpartie des Gleiters.

"Flieg los!", schrie die Mutter.

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