Читать книгу Der Hebräerbrief - Ein heilsgeschichtlicher Kommentar - Roman Nies - Страница 7

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Das große Erbe

Heb 1,1-13; 2,1-11

Der Verfasser des Hebräerbriefs stellt Jesus gleich zu Anfang als Erben „von allem“ vor, durch den Gott „auch die Äonen gemacht hat“ (Heb 1,2). Das ergibt mit der Aussage von Vers 1 eine heilsgeschichtlich erhebliche Aussage, denn Gott hat „vielfach und [auf] viele Weise [zu] den Vätern durch die Propheten gesprochen“ (Heb 1,1 KÜ), ehe „Er an [dem] letzten dieser Tage [zu] uns in [dem] Sohn“ (KÜ) gesprochen hat. Der Sprecher am Ende war der Sprecher am Anfang, denn es war am Anfang der Schöpfung als Gott sprach „Es werde!“, und es wurde. Das größte „Es werde!“ wurde am Kreuz von Golgatha zum „Es ist geworden!“, nämlich die Erlösung der Menschheit ist geworden.

Und auch das hat der Sohn ausgeführt. Er ist immer der Sprecher, immer das Wort Gottes, immer auch der Berufende. Wer von Ihm nicht angesprochen wird, dessen Zeit der Näherung Gottes ist offensichtlich noch nicht gekommen und er muss warten, bis er endlich angesprochen wird.

Heb 1,2 bezeichnet Jesus als „Losteilinhaber [von] allem … durch den Er auch die Äonen gemacht hat.“ (KÜ) Und damit ist der erste Satz des Hebräerbriefes noch gar nicht beendet. Die Tragweite dieses einen Satzes hat kaum einer richtig erfasst. Er enthält gleich mehr Grundlegendes als viele theologischen Werke, wenn man sie ihrer Bibelzitate entledigt hat.

Die erste Feststellung lautet, dass der Brief an die Nachkommen von Juden gerichtet ist, denn Gott hat einst „zu den Vätern durch die Propheten gesprochen“. Die Propheten hatten immer Angehörigen Israels die Worte Gottes weitergegeben. Dass Gott überhaupt gesprochen hat, damit sagt der Verfasser außerdem zugleich etwas, was den jüdischen Lesern selbstverständlich war: Das Alte Testament, die hebräische Bibel, ist das zuverlässige Wort Gottes. Seine weiteren Ausführungen würden sonst auch keinen Sinn machen, denn er lässt eine Beleuchtung des Alten Bundes durch die Darstellung des Neuen Bundes folgen. Im Rückblick auf das Alte wird auch das Neue erlichtet. Am Ende der Tage hat Gott „zu uns durch den Sohn gesprochen.“ (Heb 1,2) Das Frühere läuft in Christus auf das Ziel des Ganzen zu und anders als bei anderen „Geschichten“ und „Abläufen“, ist das, was erreicht wird, nicht ein Ergebnis, sondern die Vollendung eines Weges Gottes mit den Menschen, bei dem der Weg mit ein Bestandteil der Vollendung wird.

Leibniz sprach einmal von unserer Welt als bester aller Welten. Aus Sicht der Bibel ist der Weg Gottes mit den Menschen der einzig mögliche Weg des Heils, welches in der Vollendung der Schöpfung in Christus besteht und damit planmäßig alles erfasst. Mit einem Teil-Heil ist Gott nicht zufrieden. Teil-Heilungen sind wie Schein-Heilungen Kennzeichen von Gottes Widerwirker.

Der Vater sprach nicht nur durch den Sohn zu den Menschen, sondern diesem Sohn wird alles untergeordnet und durch Ihn wird alles zur Vollendung gebracht, damit der Sohn dem Vater alles zu dessen Verherrlichung als vollendet darstellen kann. Angedeutet wird die Bedeutung Jesu im zweiten Satz des Hebräerbriefes. Der Vater hat den Sohn „zum Erben über alles eingesetzt; durch ihn hat er auch die Welten geschaffen.“ (Heb 1,2)

Das sind gewaltige Sätze von unerhörter Tiefe. Hier wird offenbart wie das göttliche Erbe und die Schöpfung zusammenhängen. Da sollte man nicht so schnell drüber weg lesen. Was bedeutet das, „Erbe über alles“? Was ist alles? Alles ist die ganze Schöpfung. Was soll aber Christus mit dem ganzen Müll und Dreck, den unbekehrten Menschen mit ihrer ganzen abscheulichen Sündhaftigkeit, den unendlichen, kalten Weltallweiten und all den unwirtlichen lebensfeindlichen Umweltverhältnissen und verhärteten Herzensinnereien einer gefallenen Schöpfung? Sollte Christus da nicht das Erbe ausschlagen? Angenommen Er hätte keinen Plan, was wegen Lk 14,28 ausgeschlossen ist. *60 So müsste Er auch noch das Seufzen und Leiden der Schöpfung ignorieren (Röm 8,22). *61 Die Schöpfung weiß nach der Bibel, dass sie erlöst werden wird. Nur einer scheint das zu ignorieren und das ist der Mensch.

Gott wird die Schöpfung also nicht eine gefallene bleiben lassen. Sie „will“ ja, wenn sie wissend ist, erlöst werden und das ausgebären, was sie in Geburtswehen wahrnimmt. Gott gibt sich nicht mit ein paar frommen Kirchgängern und noch ein paar Juden aus der Zeit des Alten Testaments zufrieden, die noch zu seufzen lernen müssten, wenn sie mit ihrer eigenen Unvollkommenheit zufrieden wären. Gott wird nicht die einstmals schöne Welt wieder ein wenig aufbessern und polieren und danach trauern, was aus diesem Rest-Erbe geworden sein könnte, wenn der Mensch es nur zugelassen hätte! Und diese Klage lässt Er dann die übrig gebliebenen Menschen bis in alle Zeit vortragen, dass sie mit Satan gemeinsame Sache gemacht und Gottes schöne Schöpfung zerstört und zu einer gefallenen Welt gemacht haben. Die Geschöpfe haben Gottes Pläne, alles herrlich zu machen, durchkreuzt und nun bleibt dem Sohn Gottes nur ein dürftiger Rest an Herrlichkeit, eine Art beschädigtes Tafelsilber.

Zwar lässt Gott alle Schuldigen an dem Desaster nochmal die Knie beugen vor Seinem Thron, bevor Er sie in die Hölle verbannt, aber der Schaden ist irreparabel. Gott hat einfach Pech gehabt! Er hätte sich nicht mit dem Menschen und Satan anlegen sollen! Noch besser, Er hätte sie gar nicht erschaffen sollen, denn jetzt bleibt der ewige Makel einer unvollendeten Schöpfung. Das ist eigentlich die Konsequenz dessen, was die Traditionskirchen lehren und weshalb intelligente Menschen, die das durchschauen, nicht zu diesem Glauben hingezogen werden.

So sieht die Bilanz Gottes nach Ansicht dieser Kirchen aus, ein hoher Einsatz, die ganze Menschheit, das Opfer Seines Sohnes, der für jeden einzelnen Menschen am Kreuz gelitten hat, und ein schmaler Gewinn, der angesichts der Verluste eine traurige Ausbeute darstellt: das Häuflein der Aufrechten, die zusehen sollten, dass sie so schnell wie möglich in den nächsten paar Ewigkeiten das unendliche Leid, das ihre Mitmenschen in der Hölle erfahren, vergessen und ignorieren lernen sollten, sonst wird der Himmel nur zu einem Jammertal de luxe.

Armer Jesus, der sich solche Hoffnungen machte, als Gott „durch ihn auch die Welten geschaffen“ hat (Heb 1,3), der dieser Hoffnung noch vor Seinem Gang ans Kreuz Ausdruck gegeben hat: „wenn ich von der Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen!“ Joh 12,32). Armer Jesus, der Schöpfer auch der Menschen, der nach Seiner Himmelfahrt auf dem Thron im Himmel sitzend die weitgehend fruchtlosen Bemühungen der Kirchen, alle Menschen zu Christen zu machen, mit ansehen musste! Er verfolgte mit Grausen und Abscheu ihre Religionskriege, ihre Selbstzerfleischung, die erfolgreichen Gegenreformationen Satans und seiner Wütereien hin und her in den Reihen der Anwärter auf einen Platz im Himmel. Und Er ärgerte sich über die vielen vergeblichen und dilettantischen Anstrengungen zur Missionierung aller Menschen, die Ausbreitung anti-christlicher Religionen und Reiche, die sein Vorhaben vereitelten. Und dieser Ärger geht in alle Ewigkeit! All das und unfassbar schrecklich mehr musste Jesus über sich ergehen lassen und wird Ihn endlos weiter beschäftigen!

Alledem musste Er in letzter Konsequenz machtlos zusehen mit einer unvorstellbaren Bangigkeit, eingedenk der schrecklichen Folgen! Und dazu die millionenfachen Abtreibungen, die den kleinen Menschlein nicht die geringste Chance gab, dazu zu kommen, ein für die Erlösung notwendiges Bekenntnis zu Christus auszusprechen, oder für den Fall, dass das für Ungeborene und Kleinkinder, die sterben, nicht erforderlich ist, die Millionen von Frauen, die anstatt ihre Kinder abzutreiben oder wenigstens dann im Kindbett zu ersticken, um sie direkt in den Himmel zu befördern, das unverzeihliche Risiko eingingen, ihre Kinder erwachsen werden und damit zu ungläubigen Sündern heranwachsen zu lassen.

So müssen die Kirchen in ihrer Theologie über Christus und den Gottvater, wie sie Ihn sich vorstellen, und die heillosen Verhältnisse in dieser schlechtesten aller Welten, die sich Gott ausdenken konnte, denken. Das Erbe Jesu, meinen sie und lehren sie, ist nur ein Bruchteil von dem, was es hätte sein können, denn schmal ist der Weg, der nicht ins Verderben führt und nur wenige gehen darauf. So steht es geschrieben (Mt 7,14)!

Hat man Beispiele für so einen verschwenderischen Einsatz von Material nicht auch sonst in der Schöpfung? Wie viele Kaulquappen, die ein Frosch laicht, werden erwachsen? Ist es nicht bei den meisten Lebewesen so, dass die meisten Kinder der grausamen Natur zum Opfer fallen? Warum soll das nicht auch bei den Menschen so sein? Ist also doch der gnadenlose Darwinismus, das Naturgesetz, das Gott der Schöpfung vermachte? Nein, ist es nicht! Mord und Totschlag gibt es ebenso wie den Tod erst mit dem Sündenfall. So sagt es die Bibel!

Um dies alles richtig bedenken zu können, ist es unbedingt erforderlich, dass man den Gesamtüberblick behält. Unter Wasser sollte man die Luft anhalten, über Wasser sollte man atmen und nicht umgekehrt! Gleicher Ort, verschiedene Verhaltensweisen! Grausam ist die Natur erst nach dem Sündenfall geworden! Der Irrtum der Darwinisten gehört zu der Verirrung des Menschen, die ihn außerhalb der Obhut Gottes befallen musste! Zu dieser gefallenen Welt passen Menschen, die sich ausdenken, dass Gott nichts gegen die Evolution des Bösen tun kann und die Schöpfung immer mehr zerfallen lässt und das, was einmal zerfallen ist, unwiederbringlich verloren sei. Das glauben die Kirchenleute, denn auch sie sind von der Welt. Man soll aber nicht von der Welt, sondern nur in der Welt sein und sein Denken von Gott beziehen.

Muss nicht jede Logik, die darauf aufbaut, dass Gott mit Seiner Schöpfung nicht zum Ziel kommt, degenerativ sein und ihr hässliches Gesicht nur zu deutlich offenbaren? Wie und was ist also das Erbe Jesu? Das was die Evolution übrig lässt? Das was der Mensch daraus macht? Oder ist es doch eher das, was dasteht, wenn Sünde und Tod, der letzte Feind, überwunden sind und zwar auch faktisch, nicht nur theoretisch oder juristisch? Wo könnte das geschehen sein, wenn nicht am Kreuz von Golgatha?

Wie hängen Erbe und Schöpfung zusammen? So, dass Christus der Schöpfer ist, der sich Sein Erbe so zubereitet, dass es vollständig und vollkommen wird, damit Er es verherrlicht dem Vater übergeben kann. Die Vervollkommnung der Schöpfung bedeutet aber, dass es nichts gibt, was unvollkommen geblieben wäre. Da gibt es nichts mehr, was zum Himmel schreit oder auch nur seufzt.

Es ist daher auch nicht verwunderlich, wenn der Verfasser des Hebräerbriefs auf das Zentrum des neuen Glaubens zu sprechen kommt, nämlich Jesus Christus. Was soll das heißen, dass Gott Jesus Christus „zum Erben über alles eingesetzt hat“, wenn es zugleich heißt, dass Gott durch den Sohn auch alle Welten erschaffen hat? Gibt er Seinem Sohn nur ein kümmerliches Erbe? Gehört die ewige Hölle auch zur Erbmasse? Was wäre das für eine herrliche Ehrung, wenn die Hölle ein Ort des endlosen Grauens wäre! Unwürdigkeit und Schändlichkeit für alle Zeiten! Es ist sonderbar, dass die Menschen bereitwillig andere im Verderben wissen wollen, solange nur sie gerettet sind. Diese Bereitwilligkeit ist Folge ihres persönlichen Gefallenseins und muss bereut werden. Der Mensch ist rachsüchtig und missgünstig. Gott ist es nicht. Er „sucht“ die Rache nicht, er handelt wie einer, der sich rächt. Doch am Ende versteht der Mensch, dass die Vergeltung Seinem Heilsziel diente. Zum Erben über alles eingesetzt, bedeutet, dass einst alles Christus untergeordnet und verherrlicht ist. Das krasse Missverhältnis zwischen dem, was an Herrlichkeit jetzt vorhanden ist und dem, was sein wird, kann man mit einem kleinen Vergleich verdeutlichen. Die Erde ist im Vergleich zum Mond ein herrlicher Planet. In neuerer Zeit meint man, in der nächsten astronomischen Umgebung der Erde, d.h. in einem Umkreis von wenigen hundert Lichtjahren, den Nachweis von Planeten in anderen Sonnensystemen gefunden zu haben. Angenommen, es hätte jeder Stern im Weltall ein Planetensystem (oder wahlweise nur jeder tausendste) und jeder dieser sicherlich wüsten und lebensleeren Planeten, sollte eine Bearbeitung erfahren, welche die Erde zwischen 1 Mos 1,2 und 1 Mos 1,26 erfahren hat, mit Ausnahme der Erschaffung des Menschen. Das waren die Ereignisse zwischen dem zweiten und dem sechsten Schöpfungstag. Dann hätte man eine Vorstellung, was Verherrlichung der Schöpfung bedeutet. Aber diese Herrlichkeit könnte man verständlicherweise noch mehr zur Verherrlichung Gottes steigern.

Man stelle sich vor, diese vielen Milliarden Planeten wären mit Menschen besiedelt, die alle Gott loben und preisen würden! Nicht nur von einer kleinen Schar, vergleichbar mit den Zeugen Jehovas, die irgendwann im 19. Jahrhundert aufgetaucht sind. Nicht nur die etwas größere Schar, die der Zahl der sehr frommen Katholiken entsprechen würde, die in den letzten 1.700 Jahren gelebt haben. Das würde das Weltall noch herrlicher machen und Gott noch mehr verherrlichen. Doch immer noch wäre eine Steigerung möglich: Wenn nicht nur eine begrenzte Schar von Menschen ihr Paradies bewohnen würde, sondern alle 100 Milliarden Menschen, die jemals gelebt haben! Warum also sollte Gott etwas herrlich nennen, was noch gar nicht die höchste Ehrung verdient hätte?

So wird es nicht kommen, weil kein Mensch je gesehen oder erdacht hat, wie die Verherrlichung Gottes letzten Endes sein wird. Auch ist das jetzige Weltall nur ein äonisch limitiertes Anhängsel an die Erde, denn beide werden nicht nur neu gemacht werden, sondern abgelöst (Of 21,1). Gott kann es sich leisten, das Tohu wa Bohu, d.h. die vorläufige Leere und Unordnung scheinbar grenzenlos und unausmessbar auszudehnen, weil Er es nicht so belassen wird. Es genügte Ihm ein Tag, um das Licht zu schaffen und es genügte Ihm ein Tag, um die Sterne in den Himmel zu setzen. Der forschende Blick in die Weiten des Weltraums sollte den Menschen eigentlich demütig machen, stattdessen fährt er fort, Gott zu spotten, indem er sagt: „Wir haben überall nach Gott geschaut, ihn aber nirgendwo entdeckt!“ Dabei könnten sie Seinen Anblick nicht ertragen, sie würden vergehen, vor lauter Scham- und Schandbewusstsein. Sie sollen sich in Erwartung üben, wie eine schwangere Frau! Wenn Jesus kommt, dann fällt auch dieser Spott, dass doch alles so bliebe wie es unvollkommen ist, auf sie zurück.

Wie armselig doch die Vorstellungen der Religionen und so mancher theologischer Systeme der Kirchen sind. Sie stellen sich ein Paradies vor, in dem sich ein kleiner Überrest besonders frommer Menschen hineingerettet hat. Es wäre ein Paradies von überschaubarer Ausdehnung, denn viele Fromme hat die Menschheit nicht hervorgebracht. Und wie armselig die Phantasieregungen der Astrophysiker, dass das, was auf der Erde unmöglich geschehen sein kann, nämlich die Entwicklung des Menschen über zufällige Zwischenstufen aus Materie plus Zufall plus Zeit, sich in ähnlicher Weise mit anderen Lebensformen millionenfach im Universum, allerdings isoliert und unerreichbar voneinander, ereignet haben könnte.

Die Bibel erteilt dieser Vorstellung eine Absage. In der Bibel ist Gott der Schöpfer aller Welten. Er bestimmt, was geschieht. Er spricht und es geschieht. Und es geschieht auch, wenn der Mensch beständig weghört. Gott kann machen, dass der Mensch das Hören lernt!

Das Erbe beinhaltet alles. Das griechische „ta panta“ kann sowohl „alles“ als auch „das Alles“ oder „das All“ bedeuten. Es steht nicht, wenn Gott spricht, für den Inhalt einer Schnupftabakdose! Christus macht aus diesem Allem etwas Wunderbares. Und dann legt Er es dem Vater vor. Es geht nicht um Planeten und Sterne. Es geht um den Menschen, denn nur der Mensch ist im Ebenbild Gottes gemacht und nur der Mensch hatte bereits vor Grundlegung der Welt Existenz und sei es nur in den Gedanken Gottes (Eph 1,4). Die Hauptsache des Erbes Jesu Christi ist also die Menschheit. Die Schöpfung wird nur verherrlicht, wenn die Menschheit verherrlicht ist. Die Erforschung des Weltraums durch den Menschen ist eine Forschung ins Nichts hinaus. Sie ist eine teure Sackgassenforschung, denn hier auf Terra spielt die Musik.

Der Verfasser des Hebräerbriefes weiß, dass der Gottessohn bereits als Mensch in einer Hinsicht Seine Göttlichkeit nicht verborgen hat. „Er ist der Abglanz der Herrlichkeit und hat das Ebenbild seines Wesens.“ (Heb 1,3) Ob die Menschen, die Augen haben, das zu erkennen, ist eine andere Sache. Man benötigt dazu die richtige Herzensbildung, um die göttliche Wesensart erkennen zu können.

Jesus hatte also die Wesen- und Charakterart Seines Vaters. Es ist das Ziel der Heiligungsprozesse an den Gliedern Seines Leibes, diese Ebenbildlichkeit, die der Sohn vom Vater geerbt hat, an die Glieder weiter zu vererben. Da der Mensch aber nicht vom heiligen Geist vor seiner irdischen Geburt gezeugt worden ist, ist er mit einem sündigen Wesen geboren worden und der heilige Geist muss eine Neuzeugung und eine Wiedergeburt vornehmen. Es ist ein Irrtum, anzunehmen, dass eine Taufe alles ist, wozu der Geist Gottes beteiligt werden muss, wie es einige Kirchen annehmen. Der Geist beginnt erst mit der Geistesgabe in der Neuzeugung sein Wachstums- und Heiligungswerk, denn die Ebenbildlichkeit, die bei Gott schon längst als Plan auch für jeden einzelnen vorliegt, ist noch lange nicht erreicht.

Der Verfasser schreibt mit diesem Satz für die Ohren und das Verständnis eines Juden ganz Ungeheuerliches. Wie kann ein Mensch, selbst wenn er der Messias ist, das Ebenbild Gottes sein? Aber es kommt ja noch „schlimmer“. Alle Gläubigen sollen ein Ebenbild Christi werden und wären damit ein Ebenbild Gottes selbst. Und das aus zweierlei unfassbaren Gründen. Zuerst, weil Jesus Christus Gott ist, und dann, weil Er das Ebenbild des Vatergottes ist. Das Erbe ist also doppelt abgesichert.

Und noch einmal betont der Verfasser die besondere Stellung von Christus zur Schöpfung: „Er trägt das All durch sein machtvolles Wort.“ Jemand, der die Schöpfung durch sein Wort trägt, kann niemand anderes sein als der Schöpfergott! Und der Gott, der in der Schöpfungswoche die Himmel und die Erde in sechs Tagen erschafft und alles was darin ist, hat alles in die Existenz gerufen. Er rief und es wurde, er sprach und es stand da. Und hier erfährt man etwas, was Generationen an Naturwissenschaftler nicht erforschen können, weshalb sie nicht verstehen können, was die Welt im Innern zusammenhält: Der für sie große Unbekannte trägt das All durch sein machtvolles Wort! Sie suchen nach der Weltformel und nach der Urkraft der Schöpfung, dabei handelt es sich um eine Person, über die sie das Wichtigste in der nächsten Bücherei erfahren könnten. Die deutschen Nobelpreisträger und Quantenphysiker Max Plank und Werner Heisenberg scheinen von dieser tragenden Urkraft etwas geahnt zu haben. Sie haben sie mit Gott identifiziert. *62

Gott hat ganz am Anfang alle Dinge ins Dasein gerufen. Sein Ausruf, „Es werde Licht!“, ist Sein Programm und seither trägt Er nach Heb 1,3 alle Dinge mit seinem kräftigen Wort. Ohne Gott würden augenblicklich alle Elementarteilchen ins Nichts stürzen. Heisenberg und Planck, die in diese Grenzen der Elementarteilchenmechanik, in die sogenannte Welt der Quanten, vorgestoßen sind, müssen das auch so gesehen haben. Und da fragt sich dann nicht mehr, ob der Glauben an Gott vernünftig ist, sondern wie man daran zweifeln kann.

„Er trägt das All durch sein machtvolles Wort.“ - Das ist nicht einfach eine schöne Metapher. Im tiefsten Innern des Existentiellen gibt es keinen echten Dualismus mehr. Denn alles was ist, kann nicht ohne Gott sein. Was ist, kann nicht für sich sein. Wenn Gott Seinen Geisthauch zurückzieht, bricht alles zusammen. Seine unsichtbare Kraft ist die Urkraft, die alles erschaffen hat und im Sein festhält. Sein „machtvolles Wort“ ist ein Befehlswort, ist um ihr Ziel wissende Informationsfülle, ist geistiger Input, Programm, Anweisung, Gesetz, aber auch Gnadenwort und Heilswort. Alles was Gott so aufruft, dass es die Elemente hören, geschieht. Er hat die Macht, Seinen Ratschluss auszuführen und Er hat alles in Seiner Schöpferhand. Und was sie nicht hat, hat der Zeugungsgeist. Die Welt mit ihren Geschöpfen hat einen jeweiligen Zustand, der immer nur oberflächlich vermessen und beschrieben werden kann, aber das, was aus ihnen wird, kann nicht vermessen werden, weil sich das Werden in seinem Entstehen durch was es initiiert und angeschoben wird und in seinem Fortgang nur über einen geistigen Prozess bestimmen lässt. Es müsste angehalten werden, um wieder in einem neuen Zustand vermessen und beurteilt werden zu können. Dieses Nichtmessbare, das sich einer absoluten Beurteilung entzieht, wird vom Zeugungsgeist Gottes fortgetragen und weiterentwickelt. Das ist wichtig zu wissen, denn die meisten, die an einen Gott glauben, sehen Ihn als inkompetent und impotent. Sie haben keinen Sinn für Seine Handlungsebene.

In einem bekannten Kommentar zu Heb 1,3 meint man das Heilshandeln Gottes mit der Ausbildung der Gemeinde zum Abschluss gekommen sehen zu müssen. *63 Dabei ist die Ausbildung der Gemeinde nur ein Anfang zu einem heilswirksamen Fortgang der Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen. Hat der Kommentator nicht 1 Kor 15,22-24 gelesen? Da gibt Paulus einen Überblick über das, was nach der Gemeindegründung erst noch ablaufen wird. *64 Zuerst ist Christus als Haupt der Gemeinde vollendet worden, dann kommt Seine Gemeinde und dann werden sogar alle, die irgendwann Feinde Gottes waren, ihm untergeordnet, damit Er alles dem Vater präsentieren kann (1 Kor 15,25). Dann ist Seine Herrschaft komplett und allumfassend.

Und dann, heißt es im folgenden Vers noch, wird auch noch der Tod abgetan. Der Tod ist das, was in dieser Welt eine Existenz beendet hat. Tod bedeutet immer einen Wechsel der Existenzform von einer unvollständigen Existenz in der Abgeschiedenheit von Gott zu einer anderen, von welcher der Mensch noch nicht weiß, ob sie ihn näher oder ferner zu Gott gebracht hat. Der Tod ist nicht das Ende, sondern er wird am Ende sein, wenn Gott alles in allem sein wird (1 Kor 15,28). Und dann wird in allem Leben aus Gott sein, das bleibt, denn in Gott stirbt nichts mehr. In Gott ist jeder Gott nahegekommen.

Das ist nicht das Ende, dass Christus wiederkommt, „um seine Gemeinde heimzuholen und Gericht über die Völker zu halten.“ wie es ein Ausleger schreibt. *65 Als nächstes wird Israel ganz in den Dienst Christi gestellt und das Tausendjährige Reich beginnt. Und viele Äonen folgen, bevor Gott alles in allem ist. Es gibt eine frohe Botschaft. Gott ist der Sieger. Er bringt alles zurecht. Er macht nicht Schluss so kurz nach dem Anfang!

Im Widerspruch zu seiner eigenen Aussage, sagt der Kommentar weiter biblisch richtig: „Wollen wir versuchen, uns die unermessliche Größe unseres Herrn und Heilandes recht vor Augen zu stellen, so müssen wir uns deutlich machen, dass Jesus Christus Schöpfer der Welt, Erlöser der Welt und Vollender der Welt in einer Person ist.“ *66 Und was ist die Vollendung der Welt? Doch nicht, dass die Gemeinde in die Herrlichkeit Gottes eingeht und der Rest der Schöpfung auf die Müllhalde des Weltalls gekippt wird?

In Psalm 102,26 spricht der Beter Gott an: „Du hast einst die Erde gegründet, und die Himmel sind deiner Hände Werk.“ Das greift der Verfasser des Hebräerbriefs in Heb 1,10 auf und nennt Gott Kyrios-Herr: „Du, Herr, hast im Anfang die Erde gegründet, und die Himmel sind Werke deiner Hände“, zugleich identifiziert er diesen Herrn mit Christus. Das ergibt sich aus der Anrede ab Heb 1,8, da spricht der Vatergott „zu dem Sohn“ (KÜ) oder „von dem Sohn“ (ElbÜ): „Dein Thron, [o] Gott, [besteht] für den Äon des Äons, und das Zepter der Geradheit [ist das] Zepter Deiner Königsherrschaft.“ (KÜ) *67

Der Vater spricht den Sohn als „Gott“ an, der nach Heb 1,9 Gerechtigkeit liebt und Ungerechtigkeit hasst und deshalb von Gott gesalbt wird. Der Gesalbte, das ist auf Hebräisch der Meschiach.

Zu Seinem Sohn sagt Er aber auch: „Dein Thron, o Gott, …“ So eine Botschaft an die Hebräer! Gleich am Anfang kommt die Schlüsselstelle. Wem das zu schwer ist, der braucht nicht mehr weiterlesen. Jesus Christus wird mit Gott gleichgesetzt, was eigentlich nur folgerichtig ist, wenn Er der Sohn Gottes ist. Zugleich wird verdeutlicht, dass da, wo im Alten Testament vom Schöpfergott geredet wird, niemand anderes als der Sohn Gottes gemeint ist.

Der Verfasser verdeutlicht auch, dass dieser „Sohn Gottes“ größer ist als die anderen „Söhne“ im Himmel, die nur Boten Gottes sind, denn „[zu] welchen Boten hat Er jemals gesagt: Mein Sohn bist Du! Heute habe Ich Dich gezeugt? Anderswo wieder: Ich werde Ihm Vater sein und Er wird Mir Sohn sein?“ (Heb 1,5 KÜ) Das ist zum Teil ein Zitat aus Psalm 2,7. Was bedeutet es, Gottes Sohn zu sein? Von Engeln angebetet zu werden (Heb 1,6). Der Vater bestätigt die Richtigkeit der Königsherrschaft Seines Sohnes, denn Er sagt, dass Sein Thron äonenlang bestehen bleibt. Alle Boten Gottes werden den Sohn als Erstgeborenen anbeten (Heb 1,6). Jesus ist der Erstgeborene. Doch viele werden Ihm folgen. Jesus Christus ist also Gott und König. König von wem? Von allen, die Ihm nachgeboren werden. Wenn Jesus der Messias ist, dann weiß jeder Jude, dass Er sein König, der König Israels und damit aber auch der König aller Nationen ist.

Die aus der hebräischen Denkweise stammende Bezeichnung „für den Äon des Äons“ muss heilsgeschichtlich verstanden werden. Die menschliche Chronologie greift hier nicht. Gottes Heilsgeschichte dauert ebenso wie die Regentschaft des Königs mehrere Zeitabschnitte nach irdischer Zählung. Und alle diese Zeitabschnitte ergeben natürlich zusammengenommen wieder einen Gesamtzeitabschnitt. Für niemanden ist bisher, d.h. bis zum Antritt der Regentschaft des Königs, die erst bei Seiner für den Verfasser noch in der Zukunft liegenden Zeitpunkt erfolgt, möglich gewesen, mehr als den Äon, in dem er selber lebte, zu erfahren. Jeder Mensch hat nur eine begrenzte Lebensdauer und es liegt nicht in seinen Möglichkeiten zu entscheiden, wann er ins Leben gerufen wird. Ob zur Zeit des Alten Bundes unter König David, oder zur Zeit Jesus. Daher wäre es etwas Besonderes mehr als ein Äon zu erleben. Dies wird erst ab der Wiederkunft Jesus der Fall sein, denn Er wird in den künftigen Äonen regieren, ebenso wie diejenigen, die mit Ihm angehören.

Herausragendes Merkmal eines Königs ist, wenn er mit Gerechtigkeit regiert. Der Hebräerbrief hebt hervor, dass dies für Jesus Christus zutrifft. Christus hat aber Seine eigene Gerechtigkeit, die in einem besonderen Punkt von der Gerechtigkeit und dem Gerechtigkeitsverständnis der Menschen verschieden ist. Er hat eine Gerechtigkeit geschaffen, die in gewisser Weise das Gegenteil der Gerechtigkeit des Menschen ist und alles, was zwischen den Rechtsvorstellungen der Menschen und der vollkommenen Gerechtigkeit, die bei Gott gilt, ist, mit abdeckt und so in vermeintlich widersprüchlicher Weise zur vollkommenen und allumfassenden Gerechtigkeit wird. Wie ist das möglich? Alle Menschen sind Sünder und haben gerechterweise nicht verdient, nach ihrem physischen Ableben einen Anspruch auf ein göttliches Weiterleben geltend machen zu können. Das liegt daran, dass Gott in Seiner Heiligkeit nichts Unheiliges verewigen kann. Ewigkeit ist ja eines Seiner göttlichen Wesensmerkmale. Alle Seine Wesensmerkmale hängen in vollkommener Weise miteinander zusammen.

Es wäre abgesehen davon auch für niemand ein Segen, endloses Leben zu haben, wenn es nicht auch zugleich ein vollkommenes Leben wäre. Zwar bemühen sich fromme Menschen zeitlebens „gerechte“ Werke zu tun und „gerecht“ zu sein, aber sie erreichen niemals dieses Ziel, völlig gerecht gewesen zu sein. Sie können ja nicht einmal Geschehenes rückgängig machen. So wie der Mensch bei der Geburt anfängt zu sterben, steht auch seine menschliche Natur unter dem Urteil, Todeswesen in sich zu haben. Deshalb gilt für alle Menschen, dass sie sich völlig unter den Gerichtsspruch Jesu Christi, des Weltenrichters, stellen und auf eine Gnade hoffen müssen, die sie nicht nur in eine andere Lebenssituation stellt, sondern auch von Grund auf reinigt und heiligt.

Tatsächlich bietet ihnen Jesus Christus die Rechtfertigung und Freisprechung von aller Sündenschuld und allen Folgen ihrer Sündhaftigkeit an. Dies geschieht durch einen Gnadenakt, weil es kein Mensch verdient hat. Jeder Mensch muss in der Trennung von Gott verbleiben, wenn er nicht zulässt, dass Gott ihn aus dieser Trennung herauszieht. Es ist der Gnadenakt des Freispruchs durch den Richter, der ihn eigentlich zu lebenslanger Trennung verurteilen müsste, wenn es immer nur danach ginge, das Menschenmögliche zu beurteilen. Aber:

Das Menschenmögliche ist nicht das Maßgebliche,sondern das Gottesmögliche!

Die Berechtigung dieses Freispruchs nimmt Gott nicht von den Werken des zu Beurteilenden, also nicht vom Menschenmöglichen! Er nimmt Sein eigenes stellvertretendes Werk und setzt es heilsvermittelnd ein. Das ist das, was Gott möglich ist!

Golgatha geschah unter völliger Teilnahmslosigkeit der Menschheit – außer in zweierlei Hinsicht: jeder hat den Gott JHWH da hingebracht und Ihm die Nägel eingeschlagen. Jeder hat somit das schlimmste Un-Werk getan, das sich überhaupt denken lässt. Und zweitens erklärt Gott Sein stellvertretendes Opfer für uns. Das ist unsere Beteiligung, dass für uns etwas getan wird, was uns aus dem Tod ins Leben bringt, aus der Trennung zu Gott. Das bedeutet also, dass der Gnadenakt aufgrund Gottes eigener Rettertat, die durch das Erleiden einer Todesstrafe bewirkt wurde, in dem vollendeten Ausdruck der Gerechtigkeit Gottes in einem scheinbar „ungerechten“ Rechtsakt bestand. Unverdiente, gleichwohl vollkommen wirkende Gnade! Gottes Gnade erklärt sich aus Seiner Gerechtigkeit. Wenn Gott alle gerecht machen will, damit Er sie am Leben erhält, damit sie mit Ihm leben, muss Er sie alle begnadigen. Das „Müssen“ ist Ihm eine Freude, die in der Umsetzung Schmerzen bereitet. Der Prozess, das Leben hinzugeben, fällt jedem Menschen schwer. Und so fiel es auch dem Mensch Jesus schwer. Zu beachten ist, dass Jesus nicht nur für einen Menschen starb, den er so sehr liebte oder von dem Er geliebt wurde, sondern für alle. *68 Das bereitet unsägliche Schmerzen, von denen niemand außer Gott die richtige Vorstellung hat. Und nichts schmerzt mehr, als die Vorstellung darüber.

Begnadigung ist ein Rechtsspruch zum Aussetzen der Gerechtigkeit. Aber nicht, wenn der höchste Richter, der die Gnade erlässt, selbst das Opfer einer alles abgeltenden Strafe auf sich nimmt. Da Gott der Vater aller Menschen, und Sein Sohn Jesus Christus der Richter und König aller Menschen ist, liegt es in Ihrem Willen und in Ihrem Entschluss und in Ihrem Gnadenakt, ob und wie die Schuld aller Menschen abgelöst werden kann. Gott hat eine Wahl getroffen, die alle Menschen, wenn sie Gottes Handeln erfasst haben, zutiefst erschüttert und von Gottes Liebe erfassen lässt. Gott hat beschlossen Menschen zu erschaffen, die Er von aller Schuld befreien kann und will. Es sind aber auch Menschen, die es zulassen können, von Gottes Liebe erreicht zu werden und in ihr zu ihrem Vollendungsziel zu kommen.

Die „Gerechtigkeit“ des Sohnes Gottes besteht also ebenso wie Seine Gnädigkeit in seinen Absichten vor Golgatha und in der Ausführung Seiner Absichten auf Golgatha. Bei dieser Gerechtigkeit und dieser Gnade geht es darum, dass alle Menschen gerettet werden, denn bei Gott geht es um alle Menschen, um die ganze Gerechtigkeit, die volle Gnade, die vollendete Königsherrschaft. In dem Hebräerbrief geht es dem Verfasser aber hauptsächlich um das Verhältnis zwischen Gott und den Juden. Wenn er sagt, dass der Sohn die Gerechtigkeit ist, ist das ein neuer Gedanke für die Juden, die ihre Gerechtigkeit in dem Befolgen der Torah sahen. Die Argumentation in diesem Brief ist eine ungeheure Herausforderung für jeden noch unbekehrten Juden. Jemand, der die Gerechtigkeit, die bei Jesus Christus gilt, für sich noch nicht entdeckt und angenommen hat, kann die frohe Botschaft der Rechtsprechung durch die Heilstat des Sohnes auch nicht als solche erkennen. Solange kann Gott nicht zu ihm sagen: „Du hast Gerechtigkeit geliebt und Gesetzlosigkeit gehasst; darum hat dich, Gott, dein Gott gesalbt mit Freudenöl vor deinen Gefährten." (Heb 1,9)

Der Brief klärt die Hebräer auf, dieser Jesus ist der Schöpfergott (Heb 1,10). Er ist der, zu dem es schon im Psalm hieß: „Setze Dich zu Meiner Rechten, bis Ich Deine Feinde Dir [zum] Schemel Deiner Füße lege!“ (Heb 1,13 KÜ).

In Heb 2,1 wird davor gewarnt, dass man das Angebot des Heils geringschätzen könnte: „Deswegen müssen wir umso mehr auf das achten, was wir gehört haben, damit wir nicht etwa [am Ziel] vorbeigleiten.“ Wer es nicht tut, bekommt die „Vergeltung“ (Heb 2,2), also den Lohn des Versäumnisses, zu spüren: „Wie werden wir entfliehen, wenn wir eine so große Errettung missachten?“ (Heb 2,3)

Die Vergeltung ist irgendeine Form des Gerichts. Das Gericht ergeht am Menschen in jedem Äon. Auch Gläubige werden durchgerichtet. In diesem Leben gerichtet zu werden, ist vorzuziehen einem Gericht, das in einem der folgenden Äonen ergeht, denn in der Bibel werden anderen Äonen härtere Lebensverhältnisse zugeschrieben, mit ungewisser Dauer. Genaue Zeitangaben fehlen ja in der Bibel. Man weiß nur, dass ein Mensch in diesem irdischen Leben höchstens 120 Jahre alt werden kann und meist bleibt es bei 70 bis 80, was die Zahl der Gelegenheiten Leidvolles zu erfahren auf natürliche Weise reduziert. Das kann auch als Beispiel betrachtet werden, dass in einer Verkürzung von Lebenszeit sowohl ein Gerichtshandeln als auch ein Gnadenerweis gesehen werden kann, denn nach der Bibel lebten die Menschen vor der Sintflut viel länger und der Grund, warum sie in der Sintflut umkamen, war die Anhäufung ihrer Freveltaten und die Steigerung ihrer Bosheit. Für Gott wird es eine klare Sicht geben auf das Verhältnis von langem Leben, das nur gut gelebt wird, wenn es tugendhaft gelebt wird, zur Lebensfreude und das Verhältnis eines untugendhaften Lebens zum Lebensverdruss. Gott duldet das Böse nicht, daher beseitigt Er es. Es kann nicht bleiben. Bleiben kann nur das, was von göttlicher Dauerhaftigkeit ist! *69

Der Verfasser des Hebräerbriefs glaubt sicher nicht, dass er selber zu denen gehört, die die „Vergeltung“ zu befürchten haben. Wenn er „wir“ schreibt, solidarisiert er sich mit den hebräischen Brüdern und zwar behält er auch die nicht messianischen Juden im Sinn, auch wenn sie nicht die direkten Adressaten seines Briefes sind. Man darf aber nie vergessen, dass alle Apostel, einschließlich Paulus, Juden waren und dass alle Apostel, einschließlich Paulus, Juden missionierten und es als erste Pflicht sahen, das Evangelium dem Volk Gottes zuerst zu verkünden. Wenn heutige Kirchen in der Nachfolge der Apostel sein wollten, müssten sie es richtigerweise genauso machen. Stattdessen vertreten viele von ihnen, dass man Juden überhaupt nicht missionieren dürfte. Auch das zeigt, wie weit die Kirchen von den Ursprüngen des christlichen Glaubens abgewichen sind.

Bei Paulus drückt sich der große Wunsch, dass die Juden das Heil ergreifen, darin aus, dass er mehrfach zum Ausdruck brachte, wie sehr ihm das Wohl seines Volkes am Herzen lag. Er hätte sogar auf seine Bevorzugung, durch Gott gerettet und Werkzeug Gottes geworden zu sein, verzichtet. So etwas kann man nur ernst meinen, wenn man erstens eine große Zuneigung für das Volk der Herkunft hat und zweitens weiß, dass aufgeschoben nicht aufgehoben ist. *70 Wenn Paulus Verdammung nicht als vorläufige Zurücksetzung, sondern als endloses Unheil verstanden hätte, hätte er so eine Feststellung, lieber selber verdammt zu werden, vernünftigerweise nicht treffen können. Dass er an die Erlösung ganz Israels, also aller Juden glaubte, sagt er ja selber in Röm 11,26.

Der Verfasser des Hebräerbriefs zeigt ähnlich wie Paulus die gleichen Solidarisierungstendenzen. Und daher schreibt er, ganz ähnlich wie Paulus, „wir“, wohl wissend, dass er den Briefempfängern zeigen will, dass er sich nicht über sie stellt, sondern zu ihnen. Er will sie auf Augenhöhe ansprechen.

In Bezug auf das Heil sagt der Verfasser, dass es „uns von den Zuhörern bestätigt wurde.“ (Heb 2,3) Es scheint so, dass der Verfasser selber nicht zu den Zuhörern und Augenzeugen gehört hat. Paulus hätte sagen können, dass er das Heil sehr wohl von Jesus bekommen hat. Es ist zwar möglich, dass er so formuliert hätte, weil ja die Judenmission vorrangig Sache der zwölf Jünger Jesu war und sie die ersten Zuhörer Jesu waren, die auch den Auftrag bekommen hatten, das Evangelium der Beschneidung zu verkünden. Jedoch, als sehr wahrscheinlich kann man das schwerlich bezeichnen.

Dennoch sollte man sich vergegenwärtigen, dass Paulus sich lange Zeit gegen die messianischen Juden und ihre Verkündigung des Evangeliums der Beschneidung behaupten musste. Es gab also eine gewisse Distanz zwischen ihm und den messianisch-jüdischen Verkündern. Wenn Paulus nicht der Verfasser des Hebräerbriefs war, dann stand jener ihm aber lehrmäßig jedenfalls sehr nahe und war deshalb von der gleichen Problematik betroffen, wie man diese Botschaft den Juden verständlich machen konnte.

Paulus hatte einen zweifelhaften Ruf bekommen, als einer, der dem jüdischen Erbe einen Teil seiner Exklusivität nahm, manche hätten ihm Verunehrung vorgeworfen. Nachweislich enthielt seine Verkündigung ganz andere Lehren als diejenigen, die im Ansehen hoch standen, weil sie Jünger Jesu gewesen waren und außerdem, weil sie keine Christen verfolgt hatten wie Paulus. Die zwölf Jünger und einige ihrer Mitarbeiter waren Augen- und Ohrenzeugen der Verkündigung Jesu. Sie hatten Jesus zum Teil auch noch persönlich gekannt oder sogar nach der Auferstehung gesehen. Solche Zeugen gab es einige hunderte. Paulus hatte eine spektakuläre Geschichte, die er höchstwahrscheinlich ungern erzählte, die jedoch nicht jeder zu glauben bereit war.

Man muss annehmen, dass die messianischen Juden nicht immer wieder versucht hätten, die Gemeinden, wo Paulus aufgetreten war und gelehrt hatte, korrigierend zu missionieren, wenn man Paulus wirklich seine Vollmacht abgenommen hätte. Dass die Gemeinden von Paulus von an Jesus gläubig gewordenen Torahpredigern immer wieder Besuch bekommen hatten, wenn Paulus nicht da war, das ergibt sich aus den Briefen von Paulus. Er hatte eine Geschichte seiner Bekehrung erzählt, die keine Augenzeugen hatte, die noch dazu geeignet war, die Eifersucht zu wecken, wenn sie wahr war. Wenn sie nicht wahr war, war Paulus ein Lügner und Hochstapler, dem man kein Wort glauben konnte. Ausgerechnet Paulus, dieser Brüderverfolger, beanspruchte eine Privataudienz bei dem Auferstandenen bekommen zu haben! Und dann hatte er die Brüder auch noch mit etwas anderem Neuem auf die Probe gestellt. Er behauptet etwas, was sich die zwölf Jünger Jesu nie angemaßt hatten. Die Torah und die Beschneidung würden von Nichtjuden nicht beachtet werden müssen, wenn sie zum Glauben an Jesus Christus gekommen waren. Warum wussten die Zwölf Jünger nichts davon?

Und dann gab es ja auch noch die von Paulus so genannten „Geheimnisse“, die auf jeden Fall auch etwas damit zu tun hatten, die Sonderstellung, die die Juden in ihren eigenen Augen unter den Völkern hatten, zu relativieren. Paulus sprach von einer Gemeinde des Leibes Christi, die sich aus Juden und Nichtjuden zusammensetzte! Unter Juden hatte also Paulus einen höchst fragwürdigen Ruf. Er war sogar in Teilen der messianischen Christenheit eine Persona non grata. Und somit gab es einen guten Grund für Paulus - oder für jeden, der ihm nahestand - einen erklärenden und aufklärenden Brief an die messianischen Juden zu schreiben.

Diesem Jemand ging es aber weniger darum, seine Vollmacht durch theologische Argumente zu untermauern, sondern lehrhaft zu überzeugen. Und so begibt er sich auf die Stufe der Briefleser und sagt: „uns gegenüber von denen bestätigt worden, die es gehört haben“ (Heb 2,3). Was gehört haben? Das was Jesus und seine Jünger verkündet haben. Und damals war Paulus tatsächlich nicht dabei. Es handelt sich um das Evangelium der Beschneidung und der Zweck, diesen Brief zu schreiben, besteht eben darin, seine theologischen Überlegungen zu diesem Evangelium darzulegen und damit zu demonstrieren, „Ich bin einer von euch, denn ich kenne das Evangelium und weiß was euch, den Hebräern gesagt ist.“

Das scheint auch durch den nachfolgenden Vers bestätigt zu werden: „Wobei Gott zugleich Zeugnis gab durch Zeichen und Wunder und mancherlei Machttaten und Austeilungen des Heiligen Geistes nach seinem Willen.“ (Heb 2,4) Diese Zeichen und Wunder wurden hauptsächlich von Jesus und seinen zwölf Jüngern vollbracht. Es sind messianische Machterweise. Paulus selber wurde nicht so sehr durch Wunder und Machttaten bekannt, sondern durch seine Lehre.

Der Verfasser des Hebräerbriefs ermahnt die Hebräer, „eine Rettung solchen Ausmaßes“ sollten sie nicht missachten (Heb 2,3). Die Botschaft stand schon in der hebräischen Bibel, dem Anfang der Verkündigung. Es war die Botschaft von der Treue zu JHWH, die zu einer wunderbaren Gemeinschaft mit Ihm in Seinem Reich führen wird. Dann war Jesus gekommen und hatte die Botschaft bestätigt. Zwar war schon im Alten Bund die Gnade und Barmherzigkeit Gottes das vorherrschende Thema des Heilsgeschehenes und die Grundfeste des Heils, weil es ohne sie kein Heil für die Menschen geben kann und weil Gott so ist und so wahrgenommen und beschrieben werden will, aber jetzt waren die Gnade und die Barmherzigkeit im Christus vollumfänglich und für jedermann verständlich eingeführt worden durch das historische Geschehen auf Golgatha. Auch der Hebräerbrief hat das Kreuz Jesu im Blick. Christus ist die Mitte seiner Verkündigung.

In Heb 2,5-9 zeigt sich, dass die Unterordnung unter Christus stufenweise geschieht *71 Ebenso wie die Verheißung in 1 Mos 3,15 eine Zusage ist, die sich Zug um Zug verwirklicht. *72 Wobei man hier anstelle von „unterwerfen“, wie es meist übersetzt wird, besser mit „unterordnen“ übersetzen sollte. *73 Über die Bestimmung des Menschen heißt es, dass Gott Ihm alles untergeordnet hat. Und „indem er ihm alles unterordnet, ließ er nichts übrig, das ihm nicht untergeordnet wäre; jetzt aber sehen wir ihm noch nicht alles untergeordnet. Wir sehen aber Jesus, der ein wenig unter die Engel erniedrigt war, wegen des Todesleidens mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt, damit er durch Gottes Gnade für jeden den Tod schmeckte.“ Jesus hat anstelle aller Menschen, als Erstgeborener bereits das erfüllt, was für andere noch aussteht. Die vollständige Unterordnung unter Gottes Plan und Wille, mit der dann unaufhaltsamen Verwirklichung des göttlichen Willens und der menschlichen Bestimmung.

Zwar, sagt der Hebräerbrief, wurde Gottes Sohn für eine kurze Zeit geringer als Engel gemacht, aber Er hat alle Zeit Gottes Werk gewirkt (Heb 2,7). Und indem Er es ausgeführt hat, hat Er sich qualifiziert dafür, was Er selber ausgelöst hat, nämlich die Rettung aller und die BeHERRschung aller in einem Unterordnungsverhältnis wie es Gott von Anfang an geplant hat mit aller Konsequenz zur Vollendung zu bringen. So kann zu Gott, der über allem ist, zurecht gesagt werden: „Alles ordnest Du [ihm] unter seine Füße. Denn in[dem] [Er] ihm das All unterordnet, lässt Er nichts, [was] ihm nicht untergeordnet ist.“ (Heb 2,8 KÜ) Das ist der reine Universalismus. Er ist zwar noch nicht sichtbar, aber er ist unaufhaltsam, weil Jesus dafür schon alles getan hat, als Er sagte: „Es ist vollbracht!“ Der Hebräerbrief identifiziert diesen All-Retter, unter dem und Kraft dem diese Unterordnung des Alls unter Gott stattfinden wird, als den leidenden Jesus.

Und er sagt auch, dass es ein Akt der Gnade war, kein Akt des Zwangs oder der Gewaltherrschaft. Seine Aufgabe war es, der Gnade zum allheilsamen Durchbruch zu verhelfen, er wurde dadurch mit „Herrlichkeit und Ehre bekränzt, damit Er [nach] Gottes Gnade für jeden [den] Tod schmecke.“ (Heb 2,9 KÜ) Er hat den Tod für jeden erlitten, damit Er jeden zum Leben erwecken kann. Jeder kann nun als tot gelten. Er muss es aber auch wollen, diesem Leben des alten Adam die Absage zu erteilen. Jeder muss nur noch bekennen, dass er gestorben sein will den fruchtlosen und heillosen Elementen seiner früheren Existenz, um ein neues Leben, ein himmlisches Christusleben, ein äonenlanges äonisches Leben leben kann. „Denn es kam Ihm zu, um dessentwillen das All [ist] und durch den das All [ist], [den], [der] viele Söhne zu[r] Herrlichkeit führt, den Urheber ihrer Rettung, durch Leiden vollkommen zu machen.“ (Heb 2,10)

Vollkommen war Jesus schon immer, aber nicht hinsichtlich seiner Aufgabenerfüllung. Gott gab sich ja selber eine Aufgabe. Er gab sich aber gleich noch den Plan mit dazu, wie Er die Aufgabe erfüllen würde. Jesus hatte Seinen irdischen Auftrag erfüllt, als Er am Kreuz starb. Aber Er hat auch noch eine Aufgabe darüber hinaus, denn die meisten wissen noch gar nichts von Ihm. Er ging, nachdem Er gestorben war, noch vor Seiner Auferstehung, in die Totenträume, um den Toten zu predigen. *74

Er muss das vollziehen, wofür Er am Kreuz gehangen hat. Das All ist noch lange nicht vollendet. Aber nun kann es vollendet werden und nun wird es auch vollendet werden. Zuerst beginnt die Vervollständigung des Heils beim Christus selbst, denn Er hat noch viele Glieder, die zu Ihm gehören und die auch noch „durch Leiden vollkommen“ (Heb 5,9) gemacht werden müssen. Und sei es auch nur das „Leiden“ des Erleidens der Hinzuführung, die nicht notwendig wäre, wenn es keine Trennung vom Haupt des Christus gäbe. „Denn sowohl der Heiligende [wie] auch die geheiligt werden, [stammen] alle aus Einem, um welcher Ursache willen Er Sich nicht schämt, sie Brüder zu nennen“. (Heb 2,11 KÜ). Dass auch die Glieder einem Christus-Leiden ausgesetzt sind, welches hinzugefügt werden soll, bestätigt Paulus in Kol 1,24. *75

Alle stammen aus Einem! Alle stammen aus dem, der sie zu Menschen erschaffen und vor Grundlegung der Welt erwählt hat. *76 Der Eine ist Gott und wurde zu dem, zu was Er andere schuf, zu einem Menschen. Er erlitt das Menschentum wie auch seine Nachfolger das Menschentum erleiden mussten.

Der Hebräerbrief - Ein heilsgeschichtlicher Kommentar

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