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Frank Goosen

Trainer, ey!

Jeder Verein sucht ja den jungen, hungrigen Trainer, der junge, hungrige Spieler jungen, hungrigen Umschaltfußball spielen lässt. So viel Hunger war in Deutschland zuletzt im berüchtigten Winter 46/47.

Auch die E1-Jugend der DJK Arminia Bochum 1926 war auf der Suche nach dem Tuchelklopp und fand – mich.

Zum Spieler hat es bei mir nie gereicht. Über die Wiese am Springerplatz in Bochum bin ich nicht hinausgekommen. Rätselhafterweise aber habe ich zwischen dem zwölften und achtzehnten Lebensjahr sechs Jahre Hallenhandball gespielt. Ein Dach überm Kopf war in der Gegend, in der ich aufgewachsen bin, schon eine Menge wert. Außerdem meinte ich beim Handball mangelnde Schnelligkeit und Kondition durch rücksichtslose Brutalität ausgleichen zu können. Was auch stimmte.

Mit den Asche-, Kunst- und Naturrasenplätzen der Amateurvereine des Fußballkreises Bochum kam ich erst durch meine Söhne in Berührung. Eine Trainerkarriere war dabei allerdings nie Teil meiner Lebensplanung gewesen. Fast fünf Jahre lang war ich mit einer Existenz als Fußballvater ganz zufrieden gewesen. Nur selten bin ich Sechsund Siebenjährigen, die meinen Sohn gefoult hatten, in die Kabine gefolgt, um sie in verschwitzten Klamotten unter die kalte Dusche zu stellen und dann bei offenem Fenster im Klo einzusperren. Meistens gelang es mir auch, meinen Unmut über Schiedsrichterentscheidungen, falsche Auswechslungen und grobe taktische Fehler nicht in Handgreiflichkeiten münden zu lassen. Auch wollte ich ja nie der Vater sein, der seinen Kindern vorheult, dass früher alles besser gewesen sei, man selbst vor allem härter im Nehmen. Manchmal aber konnte ich nicht anders.

Kaum hatten wir bei den Minikickern der DJK Arminia Bochum angefangen, wurde aus dem pittoresken Ascheplatz ein cooles Kunstrasenareal. Die Kinder machte das schnell anspruchsvoll. Ein paar Monate später traten wir etwa beim SV Bommern in Witten an, wo am Vereinsheim geschrieben steht: Die Macht vom Goltenbusch! Der Platz bestand noch aus körniger Asche, so dass ein Mitspieler meines Sohnes verwirrt ausrief: „Wo ist denn hier der Fußballplatz?“ Trotz der Tore hatte er die Fläche für den Parkplatz gehalten.

Und wenn es um richtige Natur geht, sind einige Blagen heute ja maximal überfordert. Das Spiel gegen Teutonia Ehrenfeld nämlich fand auf einem Spielfeld aus Naturrasen statt. „Ah!“, rief Vattern. „Echtes Gras! Kühe fressen es, Menschen rauchen es!”

Das Spiel ging 1:2 verloren, und hinterher hob großes Wehklagen an: „Der Platz war so holperig!”, beschwerte sich einer. „Ey, wir wären früher froh gewesen, wenn wir bei uns an der Alleestraße Gras auch nur von Weitem gesehen hätten!”, wies ich den Bengel zurecht. Ein anderer klagte darüber, der Gegner habe so hart gespielt. „Dann müsst ihr noch härter spielen! Hat der Trainer euch denn nicht gezeigt, wo es richtig wehtut?”

Und als im Auto der eigene Zweitgeborene dann auch noch jammerte, der Ball sei aber „total hart” gewesen, da war Vattern nicht mehr zu halten: „Mensch, Leute, wir wären froh gewesen, wenn wir überhaupt mal einen richtigen Ball gehabt hätten und nicht mit umwickelten Lumpen spielen mussten, damals, in der entbehrungsreichen Zeit der siebziger Jahre! Und wenn wir dann mal einen richtigen Lederball hatten, und wenn es dann auch noch geregnet hat …”

„Ja, Papa”, unterbrach mich der ebenfalls anwesende Erstgeborene „… dann hat sich der Ball immer voll Wasser gesogen, und du hast trotzdem Kopfball gemacht, die Mama sagt, das merkt man heute noch, und die Omma hat erst gestern gesagt: Ja, der Papa hat es immer schwer gehabt, ich hatte ja Glück, bei mir war nur Krieg!”

So hätte es bis zur A-Jugend weitergehen können, doch es kam anders …

Der Jüngere hatte mit seinen Trainern immer Glück, der Ältere hatte bis zum Frühjahr 2011 sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Sein erster Trainer war ein Zahnarzt, der von der Seite vor allem Fragen hineinbrüllte. Einmal stand ein schmächtiger Fünfjähriger blank vor einem 5 × 2 Meter großen Tor, mit einem vor Angst schlotternden, gleichaltrigen Keeper auf der Linie – und der Angreifer semmelte den Ball etwa drei Meter über den Kasten. Wo andere Minikicker-Trainer Mut zusprechen, dass es beim nächsten Mal sicher besser klappen werde, krakeelte der Dentist: „Warum machst du das?” Gute Frage? Spielte das Kind gegen den Trainer?

Der nächste Übungsleiter machte seine Sache ganz ausgezeichnet, und wahrscheinlich ist mein Sohn nur deshalb bei der Stange beziehungsweise am Ball geblieben. Dann kam einer, der seinen Sohn, der gefälligst möglichst noch mit zwölf Profi werden sollte, gleich mitbrachte und bald meinte, die Mannschaft könne im Prinzip gar nichts, vor allem aber nicht hart genug schießen. Die einzige Lösung? Torschusstraining mit Medizinbällen! Mit Neunjährigen. Ein zufällig vorbeikommender Felix Magath wäre weinend zusammengebrochen.

Nach einem 0:25 gegen Wattenscheid 09 (und nachdem mindestens ein halbes Dutzend Kinder den Verein gewechselt oder ihre Karriere beendet hatten) erklärte der gescheiterte Schleifer seinen Rücktritt. Danach hatte das Team ein halbes Jahr gar keinen Coach. Das Training wurde mal vom Jugendleiter, mal vom Platzwart, von Minderjährigen oder von wehrlosen Passanten beaufsichtigt. Und als man nach der Sommerpause noch immer keinen gefunden hatte, sagte ich: Ich habe ja eigentlich keine Zeit, aber ich mache das ein paar Wochen.

Doch gleich nach der ersten Trainingseinheit war ich angefixt. Eigentlich sogar schon in dem Moment, da die Jugendgeschäftsführerin mir den Schlüssel zum Platz überreichte. Wow, dachte ich, da gibt es jetzt einen Fußballplatz, da kann ich auch nachts hin! Ich ging nach Hause und sagte zu meiner Frau, wenn wir nicht schon zwei Kinder hätten, wüsste ich jetzt, wo wir welche machen könnten, stellte dabei aber auch mal wieder fest, dass unsere Vorstellungen von Romantik ziemlich weit auseinanderliegen.

Als Halbwüchsiger war ich begeistert, als ich zum ersten Mal gesiezt wurde. Heute weiß ich, das ist gar nichts gegen das Gefühl, von einem Zehnjährigen mit „Trainer” angesprochen zu werden. Wobei ich noch eine Zeit lang korrigieren musste: „Wie heißt das?” – „Oh, ‘tschuldigung: Trainer, ey!“

Nun gut, am Anfang war ich vielleicht etwas streng: „Trainer, darf ich mal zur Toilette?” – „Okay, aber auf dem Hinweg kurze Sprints, auf dem Rückweg Sidesteps. Und beim Pinkeln selber auf der Stelle tänzeln, um nicht kalt zu werden.” – „Ich muss aber groß!” – „Da kannst du immer noch im Takt die Knie anheben!”

Über Kinderfußball sagt man gern: Du kriegst so viel zurück! In meinem Falle ist es so, dass ich das, was ich „zurückbekomme”, sogar beruflich verwerten kann. In meiner Mannschaft wächst nämlich nicht nur astreiner Fußballnachwuchs heran, sondern mindestens ein talentierter Komiker. Und der heißt Yussuf.

Im letzten Sommer ging es in der ersten Runde des Kreispokals gegen den SV Phönix, gegen den man niemanden in Bochum großartig motivieren muss, denn die spielen in Gelb-Schwarz. Aus einem 0:1-Rückstand machte mein Haufen junger Hunde tatsächlich noch ein umjubeltes 2:1. Nach dem Spiel wurden aus den elfjährigen Kampfschweinen wieder elfjährige Kinder, die sich gar nicht vom Schauplatz ihres Triumphes trennen konnten und noch eine Runde „Fangen/Verstecken” anhängten. Der Sportkamerad Kerim versteckte sich dabei in einer Papier-Mülltonne, was seinen Mannschaftskollegen Yussuf zu der Bemerkung veranlasste: „Guck mal, Frank, der Kerim ist schon zu Hause!”

Völlig überraschend kam der Scherz nicht. Schon drei Monate vorher hatte der Bülent Ceylan von Bochum eine Pointe platziert, die bemerkenswert mit den kulturellen Unterschieden in einer multiethnischen Fußballmannschaft mitten im Ruhrgebiet spielte.

Zu Beginn unseres E-Jugend-Turniers im Juni hatte ich mich in unserer Kabine aufgebaut und den Jungs erklärt, dass sie sich um die Verpflegung keine Gedanken machen und zwischen den Spielen garantiert nicht auf das am Vereinskiosk angebotene, leistungsmindernde Junkfood zurückgreifen müssten. Das Trainerteam habe, unterstützt von einer fleißigen Mutter, Gesundes besorgt: „Wir haben Bananen und wir haben Brötchen. Die Brötchen sind belegt mit Wurst und mit Käse. Natürlich nicht mit Schweinefleisch!” Das veranlasste einen Spieler zu dem Ausruf: „Höhöhö! Schweinefleisch!” Um nur ja keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, fügte der Trainer hinzu: „Es gibt eben Menschen, die essen bestimmte Dinge aus religiösen Gründen nicht.” Darauf Yussuf: „Stimmt, ich esse keine Bananen!” Und mit einem Seitenblick auf den Coach fügte er hinzu: „Trainer, ey!”

Ich kann diesen Job nur empfehlen.

Auf Asche

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